Feuerbestattung und Massengrab Wie wurde in der DDR mit Sterben und Tod umgegangen?
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07. Juli 2023, 09:04 Uhr
Die Mehrheit der Menschen bevorzugt nach dem Tod eine Feuerbestattung. Im Osten Deutschlands ist der Anteil derer, die das sagen, deutlich höher, als im Rest der Republik. Das hat mit der Tradition der weltlichen Bestattung und auch ein bisschen mit der Propaganda in der früheren DDR zu tun.
Inhalt des Artikels:
- Die Kirche sollte zurückgedrängt werden
- Warum sich die Feuerbestattung durchsetzte
- Das Bestattungswesen in der DDR
- DDR-Trend: Gemeinschaftsgräber
- Die sozialistische Trauerrede
- Offizielle Richtlinien für Trauerfeiern
- Das DDR-Gesundheitswesen und die Hospizbewegung
- Der Tod in der DDR-Kultur
- Veränderungen in der Sterbe- und Trauerkultur
Im Sozialismus wurde Optimismus, Zukunftsorientierung und Fortschritt propagiert. Die Endlichkeit des Lebens hat man verdrängt, genau wie das heute auch der Fall ist. Wie heißt es so schön im bekannten russischen Volkslied, das in der DDR fast jedes Kind singen konnte:
Immer lebe die Sonne, immer lebe der Himmel, immer lebe die Mutti und auch ich immerdar!
Die Jenaer Kulturwissenschaftlerin Dr. Barbara Happe untersuchte die Friedhofs- und Bestattungstradition und sagt: "Die DDR war ein sozialistischer Staat und dieser Staat hatte ganz klar die Vision, die Menschen zu einer sozialistischen Persönlichkeit zu erziehen – vom Ich zum Wir."
Das hatte auch einen großen Einfluß auf das Bestattungswesen.
Denn gemäß der sozialistischen und anti-christlichen Ideologie sollten sich die Menschen auf ihr Wirken im Diesseits fokussieren und den eigenen Platz im sozialen Gefüge der arbeitenden Bevölkerung finden. Der Kulturwissenschaftler Prof. Norbert Fischer erklärt:
Der Staatssozialismus war natürlich nicht am Sterben und Tod interessiert, sondern an der Produktivität der Lebenden, dem Ideal des sozialistischen Arbeiters oder der sozialistischen Arbeiterin.
Die Kirche sollte zurückgedrängt werden
In der DDR gab es Bestrebungen, kirchliche Bestattungen durch säkulare, also weltliche Bestattungen abzulösen. Das gelang jedoch nicht ganz und so liefen weltliche und christliche Bestattungen nebeneinander. Somit hatten die Bürger die Wahl zwischen einer kirchlichen oder weltlichen Beisetzung auf einem kirchlichen Friedhof oder einem kommunalen Friedhof.
Warum sich die Feuerbestattung durchsetzte
Die Anweisungen aus der Politik gingen ganz klar in Richtung Feuerbestattungen. Kulturwissenschaftlerin Happe erzählt, dass es mancherorts 50 Pfennig Belohnung für die Bestatter gab, wenn sie Menschen von der Einäscherung überzeugen konnten. Die Erdbestattung sollte am besten abgeschaft werden. Das Bestattungswesen wurde zunehmend verstaatlicht, so wie die meisten Betriebe in der DDR auch.
Der Kulturwissenschaftler Norbert Fischer betont, dass die sozialistischen Betriebe, und das sei der große Unterschied etwa zur damaligen Bundesrepublik, beim Ablauf der Bestattung die zentralen Akteure waren. Die sozialistische Transformation in Richtung Feuerbestattung scheint jedenfalls gelungen zu sein, meint Happe. Sie führt als Beispiel Thüringen an, dort werden heute 90-95 Prozent aller Verstorbenen verbrannt.
Das Bestattungswesen in der DDR
Bestattung und Friedhöfe wurden in der DDR staatlicherseits eher stiefmütterlich behandelt – in der Hauptstadt Berlin beispielsweise gehörten sie zum VEB Kombinat Stadtwirtschaft, das auch die Müllabfuhr umfaßte. Die meisten Friedhöfe waren in staatlicher Hand.
Da hat man teilweise sogar Bänke entfernt, damit die Menschen ihre Zeit nicht der Trauer widmen.
Prof. Fischer dazu: "Die freudig in den Dienst des Diesseits gestellte sozialistische Lebenslaufbahn sollte den Menschen alle metaphysische Furcht vor dem Tod nehmen." Der SED-Staat hatte frühzeitig die – hier so genannten – Urnengemeinschaftsanlagen gefördert, weil sie seiner Vorstellung von einer kollektiven Bestattung entsprachen, die gesellschaftliche Unterschiede im Tod verschwinden läßt. Das Ziel der SED-Führung war eine Vereinheitlichung der Gräber als Ausdruck der Gemeinschaft.
DDR-Trend: Gemeinschaftsgräber
Eine Vorreiter-Rolle nahm die DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik bei der Schaffung von Gemeinschaftsgräbern ein. So wurden auf einigen Friedhöfen in der DDR sogenannte Grabfelder geschaffen. Diese Gemeinschaftsgrabfelder, auf denen Menschen teilweise auch anonym beerdigt wurden, entsprachen dem sozialistischen Ideal der Gleichheit und etablierten sich ab den 1960er Jahren.
Da hat die DDR im Grunde eine Entwicklung vorweggenommen, die wir in den westlichen Bundesländern jetzt auch seit 20 oder 30 Jahren beobachten. Der Trend weg vom individuellen Grabmal hin zu Gemeinschaftsfeldern.
Das anonyme Grab galt als Errungenschaft sozialistischer Bestattungskultur, und die Urnengemeinschaftsanlagen wurden zum festen Bestandteil der Friedhöfe. Auch hier haben sich verschiedene Varianten entwickelt. Manchmal wird die Anonymität durch ein Denkmal relativiert, das die Namen aller Bestatteten verzeichnet. Darüber hinaus gibt es sogenannte Jahresfelder, bei denen ein Stein den Ort der Bestattungen eines jeden Jahres markiert.
Die sozialistische Trauerrede
Um einen geliebten Menschen zu trauern, ist etwas Persönliches und wird in der Familie und im engsten Kreis zelebriert. Das galt natürlich auch in der DDR – und doch reichte der staatliche Einfluss bis in diesen Bereich.
Happe stellt fest, dass bei den weltlichen Trauerreden die Leistung des Verstorbenen und nicht die Persönlichkeit im Vordergrund stand: "Es ging nicht darum, was für ein Mensch das war, sondern was der Verlust fürs Kollektiv bedeutet."
Dazu führt der Kulturwissenschaftler Fischer an: "Die Trauerfeiern, sofern sie dann von diesen staatlichen Betrieben organisiert wurden, feierten im Grunde das Leben der Verstorbenen als Teil der sozialistischen Arbeit. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zur Bestattungskultur und auch zu den Trauerfeiern im westlichen Deutschland."
Das Team um Happe hat unter anderem Traueranzeigen aus DDR-Zeiten ausgewertet. Da wimmelt es von Floskeln, in denen es um den Verlust der Arbeitskraft geht. Der Mensch an sich und seine Interessen und Persönlichkeit spielten eine untergeordnete Rolle.
Offizielle Richtlinien für Trauerfeiern
Die weltliche Bestattungs- und Trauerzeremonie orientierte sich an der evangelischen Bestattungsliturgie, sollte aber möglichst frei von religiösen Bestattungsriten sein. Norbert Fischer erklärt, dass es in der DDR für weltliche Trauerfeiern offizielle Richtlinien mit dem Titel "Der Tag hat sich geneigt. Zur Gestaltung weltlicher Trauerfeiern" gab. Der Trauerredner sollte rhetorisches Talent haben und zudem auch politisch-moralisch geeignet sein. Für die Feier, die meist eine halbe bis dreiviertel Stunde ging, waren unter anderem Musik, Gedicht-Rezitation, Trauerrede und gegebenenfalls persönliche Nachrufe geplant.
Die Vermittlung von Hoffnung während der Bestattungszeremonie bezog sich im Wesentlichen auf die Diesseitigkeit des Lebens. Auf religiöse Jenseitsvorstellungen wurde nicht eingegangen. Die Aufgabe der Pfarrer übernahmen hierbei Trauerredner. Diese nahmen dann auch später im vereinigten Deutschland eine wichtige Rolle ein und so ist es bis heute, sagt Fischer: "Das ist eine ganz wichtige Entwicklung, die da übrigens später auch von der Bundesrepublik übernommen wurde."
Das DDR-Gesundheitswesen und die Hospizbewegung
Im Gesundheitsbereich blieb der Tod und das Sterben bis weit in die 1980er Jahre weitestgehend unbeachtet und hatte in der Ausbildung von Medizinern und Pflegekräften anfangs nur geringen Stellenwert.
Sterben und Tod spielten in der Ausbildung der Mediziner und der Pflegekräfte keine große Rolle. Das galt eigentlich für beide Teile Deutschlands bis Ende des 20. Jahrhunderts.
Die Hospizbewegung begann erst ab den 1980er Jahren sich in den beiden deutschen Staaten zu etablieren. In der DDR wurde sie durch den Pfarrer und Krankenpfleger Heinrich Pera in Halle (Saale) nach englischem Vorbild vorangetrieben. Er gründete die "Zeitoase", ein Projekt zur Sterbebegleitung.
Der Tod in der DDR-Kultur
Auch in der Literatur wurde das Thema vereinzelt behandelt. 1979 erschien das Buch "Tagebücher und Briefe", darin beschrieb die 1977 verstorbene Autorin Maxie Wander ihre Gedanken und Gefühle hinsichtlich ihrer Krebserkrankung. Wenige Jahre später thematisierte Hanns Cibulka in seinem 1982 erschienenen Buch "Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Flemming" den Alltag eines Patienten auf dem Sterbebett. Und auch der DDR-Film "Ich will nicht leise sterben" schenkt dem Thema des Sterbens weitere Beachtung.
Veränderungen in der Sterbe- und Trauerkultur
Als man in der DDR langsam begann, einen Weg der Auseinandersetzung mit dem Tod zu finden, war die DDR schon fast selbst "beerdigt". Heute hat sich die Bestattungskultur stark individualisiert und jedes Bundesland besitzt ein eigenes Bestattungsgesetz. Jedoch gilt im ganzen Land die Bestattungspflicht, der Friedhofszwang und (mit Ausnahmen) die Kostentragungspflicht.
Heute können wir unsere Beerdigung individuell gestalten, vieles ist möglich: Begraben in einem Friedwald, auf dem Schalker Fan-Friedhof in Gelsenkirchen, im Familiengrab oder auf See. Die Musik auf der Trauerfeier kann weitgehend frei ausgesucht werden: Hardrock, Klassik oder Schlager. Man kann seinen Körper nach dem Tod sogar der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Es ist auch möglich, Teile der Asche des Verstorbenen zu einem Diamanten zu pressen. Unsere Individualgesellschaft ermöglicht alles, für die, die es sich leisten können und wollen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Tod. Meine Entscheidung? | 06. Juli 2023 | 22:40 Uhr