HIV und AIDS im geteilten Deutschland HIV in der DDR: Die Mauer als "Kondom"
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30. November 2021, 05:00 Uhr
Das Thema AIDS erregte erstmals 1983 großes Aufsehen in der Bundesrepublik. In der DDR hatte man zu diesem Zeitpunkt von AIDS und HIV kaum gehört. Auch in Sachen Aufklärung befand sich die DDR im Rückstand. Im DDR-Fernsehen wurden nur allgemeine Informationen verbreitet. Die Bevölkerung wurde damals durch das Westfernsehen aufgeklärt. Derweil wurde AIDS in der DDR als "kapitalistische Seuche" propagiert.
"Professor AIDS"
Plakativ ausgedrückt: In Sachen AIDS schützte bis zur Wende die Mauer. Die eingeschränkte Reisefreiheit verhinderte den Kontakt mit dem tödlichen Virus: "Die Mauer war das Kondom der DDR", so lautete 1992 auch die Einschätzung der Deutschen AIDS-Hilfe auf ihrer Mitgliederversammlung in Weimar. 1982 wurden die ersten Fälle in Deutschland dokumentiert. Es dauerte eine ganze Weile dauern, bis auch in der DDR darüber gesprochen wurde, wie man sich am besten vor dem HI-Virus schützt. Dass so etwas überhaupt geschah, geht auf die Initiative des Immunologen Niels Sönnichsen zurück - was ihm den Spitznamen "Professor AIDS" einbringen sollte. Bereits 1981 erfuhr Sönnichsen erstmals von der zunächst rätselhaften neuen Krankheit.
AIDS: Eine kapitalistische Seuche
Im DDR-Politbüro neigte man zu der Ansicht, dass AIDS ein gesellschaftliches Problem sei und der Sozialismus durch den einwandfreien Lebenswandel seiner Bürger davor sicher. Die SED stellte AIDS als "kapitalistische Seuche" dar. Doch Sönnichsen bemerkte, dass sich seine Landsleute Gedanken machten - die im Westfernsehen ja eben doch von der Krankheit hörten: "Die haben sich natürlich gewundert, dass in der DDR nichts passierte - und ich bin dann mit anderen Kollegen aktiv geworden", erinnerte sich Sönnichsen später im MDR-Interview.
Über eine Journalistin der "Wochenpost" und ihren Ehemann, der im Apparat der Partei arbeitete, schaffte er es, Erich Honecker ein Interview zum Thema zukommen zu lassen. Sönnichsen erläuterte in diesem Interview, was man über das Virus wissen sollte und wie man sich schützen konnte. Er verkündete, dass es bis dahin noch keinen AIDS-Fall in der DDR gab. Honecker gab seine Zustimmung - und das Thema wurde veröffentlicht. Dies war somit die erste Information, die aus dem eignen Lande kam - 1985.
Erster HIV-Tote in der DDR
Sönnichens Prognose sollte sich nur allzu schnell bewahrheiten: Schon ein Jahr später, Ende 1986, gab es den ersten AIDS-Toten in Ostdeutschland. Die Zahl der Infizierten liegt nach offizieller Darstellung zu diesem Zeitpunkt bei 14. Zunächst war es sehr problematisch, Verdachtsfälle auf das HI-Virus zu testen. Es fehlte an der dafür nötigen Labortechnik. Um Proben verlässlich testen zu können, bemühte sich Sönnichsen um eine Möglichkeit in der Bundesrepublik - und nahm die Blutproben dann einfach in seiner Aktentasche mit. Ab 1986 konnten dann alle Blutspenden getestet werden. Auch an den Schulen wurde AIDS ab dieser Zeit im Biologieunterricht thematisiert.
HIV-Infizierter soll Ausreise forciert haben
Der Umgang im Alltag war dennoch schwierig, was zu weiteren erstaunlichen deutsch-deutschen Reisen insbesondere in Berlin führte: Damit das Umfeld nichts von einer Ansteckung mitbekam, ließen sich Westdeutsche im Osten der Stadt testen. Und umgekehrt bemühten sich Ostler um einen Test auf West-Berliner Gesundheitsämtern. Denn die DDR-Behörden ermittelten bei jeder Neuinfektion, was bedeutete: Freunde und Partner des Infizierten wurden geladen und ebenfalls getestet.
Zur Fragwürdigkeit dieses Vorgehens machte ein besonderer Fall die Runde: Ein HIV-Infizierter soll seine Ausreise forciert haben mit der Drohung, andere anzustecken. Als tatsächlich im Umfeld des Mannes weitere Ansteckungen festgestellt wurden, sei er von den Behörden in den Westen abgeschoben worden.
AIDS-Kampagne in der BRD
1983 machten die westdeutschen Massenmedien die Krankheit zum Thema. Berichte über die rasante Verbreitung von AIDS verbreiteten Angst in Westdeutschland. Um einer Panik entgegenzuwirken, verschickte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung etwa Broschüren wie "AIDS – Was Sie über AIDS wissen sollten" an sämtliche Haushalte in Westdeutschland. 60 Prozent der Westdeutschen zählten 1987 AIDS zu den gefährlichsten Krankheiten und laut Forsa meinten gar 92 Prozent, dass niemand vor dem Virus sicher sei. Seit 1987 wurde in der BRD auch in TV-Spots und auf Plakaten mit dem Slogan "GIB AIDS KEINE CHANCE" vor der Gefahr gewarnt. In der DDR waren 1987 nur 70 Infizierte bekannt (davon angeblich 45 Vertragsarbeiter aus Afrika) - aber die Sorge vor weiteren Infizierungen stieg.
"Gib AIDS keine Chance"
Und so wurde AIDS auch hier zum Thema der staatlichen Vorsorge. Im Jahr 1988 zeigte das "Deutsche Hygiene-Museum der DDR" - ganz der staatlichen Gesundheitsaufklärung verpflichtet - die erste Ausstellung zum Thema AIDS in der DDR. Für Aufsehen sorgte dabei weniger der Ausstellungsort. Bemerkenswert war vielmehr der Titel der Ausstellung: "Gib AIDS keine Chance". Die Organisatoren übernahmen den mit großem Erfolg im Vorjahr eingeführten Slogan der westdeutschen BZgA - weil ihnen der ursprünglich angedachte Titel "AIDS – ein Schatten auf unserer Welt" zu düster schien. Immerhin: Die Schreibweise wurde modifiziert.
Die Mauer als Schutz vor der Krankheit
Inhaltlich propagierte die Ausstellung von 1988 eine konservative Sexualmoral und die stabile Partnerschaft als "sicherstes Rezept" gegen eine HIV-Infektion – noch vor Präservativen, an denen es in der DDR aufgrund von Produktionsschwierigkeiten ohnehin mangelte. Dass die Mauer der beste Schutz vor der Krankheit war, zeigte sich statistisch letztmalig nach der Wende: 1990 hatten sich in der BRD rund 42.000 Menschen mit HIV infiziert, mehr als 5.000 waren an AIDS erkrankt. Dagegen waren nur 133 DDR-Bürger mit dem tödlichen Virus infiziert, bei 27 war die Krankheit ausgebrochen. Bis Ende 1991 wurden insgesamt 210 HIV-Infektionen aus den neuen Bundesländern gemeldet.
Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise | 19. Juli 2020 | 22:00 Uhr