Gesundheitspolitik Ärzte unter einem Dach - Die Poliklinik in der DDR

14. August 2020, 13:26 Uhr

Die Poliklinik ist das Symbol für die Gesundheitspolitik der DDR schlechthin. Für die einen eine seelenlose Einrichtung, für die anderen eine patientenfreundliche Großpraxis. Die Meinungen gehen bis heute auseinander.

Das Modell der Poliklinik war durchaus keine Erfindung sozialistischer Gesundheitspolitiker, ganz im Gegenteil: Die historischen Vorläufer dieser medizinischen Versorgungszentren gehen bereits auf den berühmten Arzt und Gelehrten Christoph Wilhelm Hufeland zurück, der 1810 in Berlin für die Eröffnung der ersten Poliklinik überhaupt gesorgt hatte.

Die gesamte ambulante Betreuung unter einem Dach

In der DDR wurde nicht nur das alte Modell wiederbelebt: Polikliniken sollten die Basis der gesamten ambulanten Gesundheitsbetreuung der Bevölkerung darstellen. So jedenfalls wollten es die Gesundheitspolitiker der SED im Einklang mit der sowjetischen Besatzungsmacht, und so wurden 1950 schon 132 Polikliniken und Betriebspolikliniken in der Republik mit dem üblichen propagandistischen Brimborium eingeweiht. Ziel war es, die gesamte ambulante medizinische Betreuung unter einem Dach zu bündeln. Ein flächendeckendes Netz örtlicher Polikliniken und Betriebspolikliniken sollte entstehen.

Die Staatsführung investierte über Jahrzehnte erhebliche Summen, um die Idee einer staatlich gelenkten Gesundheitsversorgung Schritt für Schritt Wirklichkeit werden zu lassen. Der frei praktizierende Arzt hatte nach den Vorstellungen der SED-Gesundheitspolitiker dabei weitgehend ausgedient. Er sollte lediglich als Angestellter in einer Poliklinik seinen Dienst versehen. 

Verschiedene Fachärzte Tür an Tür

Polikliniken waren ambulante Behandlungszentren mit fest angestellten und vom Staat entlohnten Ärzten verschiedenster Fachrichtungen in einer Art sozialistischen "Großpraxis". Quasi Tür an Tür praktizierten Allgemeinmediziner, Gynäkologen, Augenärzte, Zahnärzte, Hautärzte, Orthopäden etc. Die Vorteile einer solchen medizinischen Betreuung schienen sowohl für die Patienten als auch für die Ärzte auf der Hand zu liegen. Die Patienten hatten einerseits keine langen Wege von Arzt zu Arzt und die Ärzte andererseits konnten teure medizinische Geräte gemeinsam nutzen. Durch in der Poliklinik vorhandene Labore oder Röntgenabteilungen wurden Doppeluntersuchungen vermieden. Zudem existierte nur eine einzige Patientenakte, auf die sämtliche Ärzte jederzeit Zugriff hatten.

Arzt im Labor
Arbeit im Labor einer Poliklinik Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Endlose Wartezeiten

Soweit die Theorie. In der Praxis sah der Alltag in einer Poliklinik meist eher betrüblich aus. Er war in aller Regel gekennzeichnet durch Mangelmedizin, endlose Wartezeiten und Gleichgültigkeit. Ein persönliches Verhältnis zwischen Arzt und Patient existierte nicht, da die Behandlung jeweils andere Ärzte vornahmen und der Patient auch innerhalb der Poliklinik keine Möglichkeit hatte, seinen Arzt frei zu wählen. "Montag hatte Kollege X Dienst, Mittwoch der Kollege Y. Der Patient musste immer mit dem Arzt vorlieb nehmen, der gerade da war", erzählt Dr. Bernd Hübenthal, der einst in einer Poliklinik in Sangerhausen beschäftigt war. So konnte kein persönliches Arzt-Patient-Verhältnis entstehen. Zudem fehlte den Ärzten in den Polikliniken, die ihr Geld vom Staat erhielten, auch jeder Anreiz: "Wir waren halt angestellte Ärzte und haben immer das gleiche Geld gekriegt, egal, was passierte", erinnert sich Bernd Hübenthal. "Wir haben nur unsere acht Stunden durchgezogen und das mit diversen Pausen. Heute undenkbar."

Rückansicht d. Poliklinik auf dem Konsulpaltz in Görlitz 1 min
Bildrechte: Ratsarchiv Görlitz
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Hildegard Halaris arbeitete in den 60er-Jahren als Allgemeinmedizinerin in der oben abgebildeten Poliklinik Görlitz. Sie schildert, wie das Haus ausgestattet war.

MDR FERNSEHEN Do 08.09.2011 14:40Uhr 01:21 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video12520.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Ärztehaus statt Poliklinik

Nach dem Ende der DDR stellte sich entschieden die Frage: Was wird nun eigentlich aus den Polikliniken? Eine knappe Mehrheit der Ostdeutschen sprach sich in Umfragen erstaunlicherweise für einen Erhalt der Großpraxen aus: "Warum sollen wir ändern, was sich bewährt hat?", fragten sie. Sympathien für die Poliklinik bekundeten aber auch bundesdeutsche Politiker.

Im Einigungsvertrag wurde den rund 1.650 Polikliniken und Landambulatorien ein Bestandsschutz bis 1995 garantiert. Völlig klar war aber, dass künftig allein der freiberufliche Arzt Träger der ambulanten medizinischen Versorgung werden soll. Doch oftmals blieben die Ärzte einfach in den Gebäuden ihrer einstigen Polikliniken. Und so entstanden schon bald nach der deutschen Einheit sogenannte "Ärztehäuser" und, einige Jahre später, "Medizinische Versorgungszentren", für deren Einrichtung sich 2004 etwa die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stark machte. "Viele Impulse für eine bessere medizinische Versorgung kommen aus dem Osten", verkündete die Ministerin damals.

Mit der guten alten Poliklinik aus DDR-Tagen sind diese Einrichtungen freilich nicht zu vergleichen, schon allein aus dem Grund, dass die in ihnen praktizierenden Mediziner freiberufliche niedergelassene Ärzte sind, die lediglich ihre Praxis unter ein gemeinsames Dach verlegt haben. 

(Zitate Dr. Bernd Hübenthal, aus: durchblick gesundheit, Januar 2007)

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