Tito auf Staatsbesuch Jugoslawien: der "fremde Freund" der DDR
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06. Januar 2022, 11:11 Uhr
Jugoslawien, 1918 gegründet, galt als "fremder Freund" der DDR - sozialistisch zwar, aber blockfrei und nicht immer auf Kurs des "großen Bruders" Sowjetunion. Und so waren auch die Beziehungen zwischen der DDR und Jugoslawien kompliziert. Mal wurde Jugoslawiens Staatschef Tito als "Faschist" geschmäht, und ein andermal als "lieber Genosse" gefeiert - wie bei seinem Staatsbesuch auf Einladung Ulbrichs 1965. Privatreisen in Titos Vielvölkerstaat waren DDR-Bürgern allerdings fast nie möglich.
Der Legende nach soll der jugoslawische Staats- und Parteichef Josip Broz Tito bei einer Fahrt durch Ostberlin in den 70er-Jahren einmal zu Erich Honecker gesagt haben: "Erich, bei Euch in der DDR sieht's ganz schön grau aus." Immerhin hatte Tito "DDR" und nicht wie sonst üblich "Ostdeutschland" gesagt. Honecker soll aber dennoch ziemlich betreten dreingeblickt und später sogar angeordnet haben, die Fassaden in den Städten des Landes hier und da ein wenig farbenfroher zu gestalten. Doch solche kleinen Retuschen konnten am Gesamteindruck nur wenig ändern.
Es war nicht der erste Besuch Titos in der DDR. Bereits 1965 folgte er einer Einladung Walter Ulbrichs. Es handelte sich zwar um einen inoffiziellen "Staatsbesuch", er war aber eine Art Neueröffnung, ein diplomatisches "Tauwetter" nach einer Eiszeit zwischen den beiden Staaten. Man kam sich nicht nur ideologisch näher, auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten arbeitete man nach diesem Besuch enger zusammen. Außerdem verhalf der Besuch der DDR zu einer größeren Anerkennung. Kurzfristig waren sich die beiden Staaten freundschaftlich verbunden - langfristig aber blieb es bei einer wechselvollen Beziehung mit dramatischen Höhen und Tiefen.
Aber der Reihe nach: Im Vergleich zum balkanischen Vielvölkerstaat Jugoslawien war Honeckers kleine sozialistische Republik tatsächlich grau. Und das lag keineswegs nur an den klimatischen und geografischen Unterschieden zwischen den beiden Ländern. Jugoslawien war eben "eine Gesellschaft mit eigenen Standards", schreibt der Publizist Norbert Mappes-Niediek. "Man konnte sich öffentlich positionieren. Wer seinen eigenen Kopf und seine eigenen Ideen hatte, musste deshalb nicht gleich zum Regimegegner werden oder in die innere Emigration flüchten."
Grenzenloses Jugoslawien
Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien genoss in den Augen ihrer Bürger durchaus Reputation und selbst die Idee des Kommunismus stand hier in höherem Ansehen als etwa in der DDR, in Polen oder der ČSSR, was nicht nur daran lag, dass die Jugoslawen nicht hinter einer Mauer eingezwängt waren und es in ihrem föderalen Staat insgesamt auch freier und ungezwungener zuging. Von der Parteiideologie abweichende Meinungen wurden durchaus toleriert, es gab echte Wahlen (wenn auch nur zwischen Personen und nicht zwischen Parteien abgestimmt werden konnte, wobei Tito als "Präsident auf Lebenszeit" über jeden Zweifel erhaben war). Staatliche und private Betriebe standen - in gewissen Grenzen - in Konkurrenz zueinander. In den großen Städten und an der Adria lagen wie selbstverständlich internationale Zeitungen aus und der propagierte Antifaschismus war nicht nur eine hohle Phrase - es waren tatsächlich kommunistische Partisanen gewesen, die das Land befreit hatten. Überdies gab der einstige Partisanengeneral Tito "als respektierter Partner auch der großen Weltenlenker allen Jugoslawen ein großes Stück Selbstachtung", resümiert Norbert Mappes-Niediek. "Selbst noch im Alter glich Tito eher Fidel Castro als Erich Honecker".
"Faschistische Tito-Clique"
Angesichts dieser Zustände verwundert es kaum, dass das Verhältnis zwischen der DDR und Jugoslawien dramatischen Schwankungen unterworfen war. 1947 noch rief FDJ-Chef Erich Honecker beispielsweise aus: "Es lebe die unzerstörbare Freundschaft zwischen der deutschen Jugend und der jugoslawischen Jugend, die mit Recht stolz sein kann auf den demokratischen Volksstaat, den sie unter Führung Marschall Titos errichtet hat." Nur ein Jahr später war Honecker indes zur Auffassung gelangt, dass, wer "die Entwicklung in Jugoslawien in den vergangenen Jahren verfolgt" habe, sich gar nicht darüber wundern könne, dass in diesem Land "eine verbrecherische Politik betrieben" werde.
Was war geschehen? Tito hatte es 1948 abgelehnt, sich Stalins Machtanspruch zu unterwerfen und stattdessen auf die Eigenständigkeit seines Staates gepocht. Ferner hatte der einstige Partisanen-General den auch im Osten Deutschlands proklamierten "demokratischen Zentralismus" kritisiert und dagegen sein Prinzip der "gesellschaftlichen Selbstverwaltung", den sogenannten Selbstverwaltungs-Sozialismus gesetzt. Von nun an waren die Kontakte zwischen den Kommunisten in Belgrad und Ost-Berlin eingefroren und die SED gelangte 1951 endgültig zu der Überzeugung, dass "das Tito-Regime zu einer faschistischen Agentur und zu einem hündisch ergebenen Werkzeug des Dollar-Imperiums geworden" sei. Der "Bund der Kommunisten Jugoslawiens" wurde gar als "faschistische Tito-Clique" gebrandmarkt.
Kühle diplomatische Beziehungen
Nach dem Tod Stalins 1953 entspannte sich das Verhältnis zwischen der DDR und Jugoslawien für ein paar Jahre. 1957 nahmen beide Staaten diplomatische Beziehungen auf, was dazu führte, dass die Bundesrepublik ihre Botschaft in Belgrad wieder schloss, weil sie laut der von ihr erlassenen "Hallstein-Doktrin" die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik durch einen Staat als "unfreundlichen Akt" der Bundesrepublik gegenüber ansah.
Doch die Beziehungen zwischen den beiden sozialistischen Staaten blieben trotz des arroganten Gehabes der Bundesrepublik kühl. Der Grund dafür war, dass Tito den Moskauer Führungsanspruch wieder einmal vehement in Frage gestellt hatte und zudem von der DDR Wiedergutmachung für die von Jugoslawen während des Zweiten Weltkriegs geleistete Zwangsarbeit forderte.
"Lieber Genosse Tito"
Erst 1962 verbesserte sich das Verhältnis zwischen Jugoslawien und der DDR wieder. Tito hatte sich, vor allem aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus, dem "großen Bruder" in Moskau wieder ein wenig angenähert. Damit konnten nun auch die DDR und der Balkanstaat aufeinander zugehen.
Zu einem entscheidenden Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der DDR und Jugoslawien geriet jedoch erst die "Vereinbarung über die Abgeltung jugoslawischer Entschädigungsansprüche" für die von Jugoslawen geleistete Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. Die DDR verpflichtete sich mit der Unterzeichnung des Abkommens am 22. Mai 1963, in den kommenden sieben Jahren insgesamt 70 Millionen D-Mark an Jugoslawien zu zahlen.
1965 schließlich, als sichtbares Zeichen der guten Beziehungen zwischen den beiden sozialistischen Staaten, reiste Tito auf Einladung Walter Ulbrichts zu einem Besuch in die DDR, wie eingangs erwähnt. Die beiden begrüßten sich mit Bruderküssen und der SED-Chef heftete dem "lieben Genossen Tito", den er ein paar Jahre zuvor noch als "Faschisten" bezeichnet hatte, den "Großen Stern der Völkerfreundschaft in Gold" für die "hervorragenden Verdienste Josip Broz Titos im Kampf gegen den Faschismus" ans Revers.
"Fremder Freund"
Doch die harmonischen Jahre waren schnell wieder vorbei … Im August 1968 protestierte der "Bund der Kommunisten Jugoslawiens" heftig gegen den Einmarsch der Truppen des "Warschauer Vertrages" in die ČSSR. Ein halbes Jahr später, im März 1969, unterzog die SED daraufhin in einer Publikation für Parteifunktionäre die Politik Titos einer harschen und generellen Kritik. Die Autoren aus der Abteilung "Internationale Beziehungen" der SED machten unter anderem "Tendenzen der privaten Kapitalbildung und Profitmacherei" im jugoslawischen Bruderstaat aus, die die Gefahr einer Renaissance "kapitalistischer Denkweisen" in sich berge; sie prangerten die private Landwirtschaft als eine Rückkehr des "Kulakentums" an und erkannten in Titos Selbstverwaltungs-Sozialismus "kleinbürgerlich-anarchistische Tendenzen". Bei aller Kritik betonten die Autoren aber, dass die DDR "die staatlichen Beziehungen zur SFRJ nicht einschränken" werde.
Bei dieser Lesart blieb es im Großen und Ganzen auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten, als Honecker Ulbricht abgelöst hatte. Die Beziehungen lebten nicht mehr von den großen Spannungen der 50er- und 60er-Jahre, sondern waren von einem gewissen Harmoniestreben geprägt. Zudem brauchte Honecker Titos Jugoslawien als weltweit respektiertes Mitglied der "blockfreien" Staaten bei seinen Bemühungen um die internationale Anerkennung der DDR. 1977 unterzeichneten Honecker und Tito sogar ein gemeinsames Kommuniqué, das die Freundschaft zwischen beiden Ländern herausstellte. Doch Jugoslawien blieb auch in diesen Jahren für die DDR, was es eigentlich immer gewesen war: ein schwieriger und eigentlich recht "fremder Freund".
Für DDR-Bürger weitestgehend tabu
Für die DDR-Bürger war Jugoslawien weitestgehend tabu: Der Eiserne Vorhang stand noch vor der Grenze des sozialistischen Bruderstaats - Jugoslawien zählte zu den Ländern, in die nur "ausgesuchte" DDR-Bürger privat reisen durften. Reisen auf eigene Faust waren gänzlich verboten und das "Staatliche Reisebüro der DDR" bot jedes Jahr lediglich 1.000 Plätze an - Busreisen durch Slowenien oder Badeaufenthalte an der Adria. Trotz hoher Preise - durchschnittlich etwa 4.000 Mark pro Reiseplatz - war der Andrang enorm. Wer einen Platz ergattern und sich schließlich in das Flugzeug nach Ljubljana setzen durfte, konnte sich als privilegiert fühlen.
Immerhin durften zwischen 1968 und 1990 etwa 30.000 Kinder aus der DDR, die an Atemwegserkrankungen litten, in ein Sanatorium an der kroatischen Adriaküste reisen. Viele von ihnen kehrten genesen von dort zurück.
Leipziger "Löffelfamilie"
In der Leipziger Südvorstadt existiert übrigens noch ein Objekt, dessen Entstehung gewissermaßen auf den legendären jugoslawischen Staats- und Parteichef zurückgehen soll. Nachdem Tito Honecker bei einem Berlin-Besuch gesagt hatte, wie grau ihm die DDR vorkäme, hatte Honecker kurzum angeordnet, sofern irgend möglich, die Fassaden in den Städten der Republik farbenfroher zu gestalten. Im Zuge dieser Kampagne soll dann auch die mittlerweile berühmte "Löffelfamilie" in der Karl-Liebknecht-Straße geschaffen worden sein ...
(Zitate aus: Norbert Mappes-Niediek, Kroatien. Ein Länderporträt. Christoph Links Verlag 2011; SPIEGEL, Ernste Gefahr, 46/1969.)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 30. Juni 2016 | 22:50 Uhr