Eine unglaubliche Mauergeschichte Verliebt, verlobt, verheiratet – die Mauer war schuld
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06. Dezember 2017, 09:55 Uhr
Der Mauerbau 1961 verändert das Leben der Deutschen - auch das von Bernd und Frauke. Um ihre junge Liebe zu retten, treffen sie eine spontane Entscheidung fürs Leben. Den Anfang nimmt alles mit einem kleinen Zettel.
Diese Erinnerung hütet Bernd Schneider wie seinen Augapfel – und das seit mehr als 50 Jahren. "Es klingt absolut komisch, aber ohne den Bau der Berliner Mauer und ohne dieses Schreiben, wäre ich heute vielleicht gar nicht verheiratet", erzählt der 79-Jährige. In der Hand hält er eine Verlobungserlaubnis vom Kaderleiter des "Zentralinstituts für Kernphysik", datiert auf den 21. August 1961.
Schicksalssommer 1961
Doch der Reihe nach: Alles beginnt mit einer Sommerliebe im Juli 1961. Bernd und Frauke sind beide Anfang zwanzig und lernen sich während der Sommerferien im Harz kennen. Es funkt, sie kommen sich näher, fahren zusammen in den Urlaub, gehen wandern. Dann der erste Kuss, abends in einer Disko. Sie treffen sich ein paar Mal. Was sie nicht ahnen: Kurze Zeit später verändert der Berliner Mauerbau alles.
Ostberliner Chaos trennt junge Liebe
Der Schock: Am 13. August 1961 ist Berlin dicht. Der Ostteil der Stadt wird während des Mauerbaus auf unbestimmte Zeit zur Sperrzone erklärt – auch für DDR-Bürger. Obwohl beide doch in Ostdeutschland wohnen, darf Bernd nicht mehr zu Frauke nach Ostberlin.
Der Grund: Die DDR hat Angst, dass die Menschen massenhaft flüchten. Erst recht gilt das für Wissenschaftler und Fachleute. Und Bernd ist einer von ihnen, er arbeitet im Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden.
Nicht die deutsch-deutsche Grenze steht nun zwischen der zarten Liebe, sondern das politische Chaos. Und in Dresden? Da kann Frauke ihn auch nicht besuchen, weil er kein eigenes Zimmer hat. Bernd wohnte noch bei seinen Stiefeltern. Auch die Flucht in den Westen war keine Option, obwohl beide mit der politischen Situation im Osten nicht zufrieden waren. Ein Trick muss her!
Liebe als behördliche Angelegenheit
Um nach Ostberlin zu fahren, brauchen sie eine Genehmigung. Die gibt es aber nur in Ausnahmefällen. Für Bernd und Frauke gibt es daher nur eine Chance, um zusammenzubleiben. Sie müssen sich verloben, sich ein Eheversprechen geben. Dabei hatten sie sich doch überhaupt erst dreimal gesehen. Bernd beantragt schließlich bei der Instituts-Kaderabteilung die Genehmigung, nach Berlin reisen zu dürfen, um sich mit Frauke zu verloben. Nach einigem Bangen bekommt er das Ergebnis: Der Antrag auf Verlobung wird genehmigt - ein Glück. "Wer weiß, wer weiß, ohne besagtes Stück Papier hätten wir uns vielleicht aus den Augen verloren", erzählt Frauke noch heute.
Verlobt wegen Mauerbau
Mit der Erlaubnis im Gepäck nimmt Bernd den erstbesten Zug nach Ost-Berlin. Als er im Zug kontrolliert wird, ist er sich noch nicht sicher, ob es klappt: "Akzeptieren die das? Erkennen die das an? Oder sagen die vielleicht noch, da fehlt ein Stempel von der Bezirksbehörde der Volkspolizei oder von sonst einem Gremium", erinnert sich Bernd. Doch es geht gut, er darf einreisen. Am gleichen Nachmittag verloben sich Frauke und Bernd.
Holterdiepolter! Wir haben das dann auch gemacht. Uns verlobt! Ein Wahnsinn. Nur wegen der Mauer.
Drei Monate später heiraten sie, leben dann zusammen in einer Siedlung des Kernforschungsinstituts bei Dresden und bekommen zwei Kinder. Nach der Silberhochzeit kommt die Goldende Hochzeit. Noch heute hält ihre Liebe. Seit 56 Jahren sind sie nun ein Paar. Es ist eine der wenigen Mauergeschichten mit Happy End. Doch, das ist Bernd und Frauke wichtig: "Die Mauer hat unsere Zweisamkeit eingemauert. Aber trotzdem: Danke sagen wir nicht!"
(Antje Schneider/me)
Über dieses Thema berichtet der MDR im ZEITREISE Magazin im: TV | 21.11.2017 | 21.15 Uhr