Fluchtweg übers "Bruderland" Tod in Bulgarien
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14. Mai 2009, 16:33 Uhr
Auch an den Grenzen der "sozialistischen Bruderländer" starben ungezählte "Republikflüchtige". Die DDR-Regierung soll gar ein "Kopfgeld" gezahlt haben.
Die Blechschilder an der bulgarischen Grenze zur Türkei und zu Griechenland waren zweisprachig - bulgarisch und deutsch. Wobei die Warnung in deutscher Sprache dreimal so groß war wie die bulgarische: "Achtung Grenzzone" stand da unübersehbar in schwarzen Druckbuchstaben.
Bulgariens Grenzer reiten auf Eseln
In der DDR hatte sich seit Mitte der 60er-Jahre das Gerücht verbreitet, dass es nicht besonders schwierig und auch gar nicht weiter riskant sei, über Bulgarien in den Westen zu entkommen. Die bulgarischen Grenzer würden auf Eseln reiten, hieß es, ausgiebig Mittagsschlaf halten und abends Rakia trinken. Und die Grenze wäre in etwa so gesichert wie eine Kleingartensparte. Dieses Gerücht hielt sich hartnäckig bis zum Ende der DDR.
1965-1970: DDR-Bürgern glückt Flucht über Bulgarien
Tatsächlich war es zwischen 1965 und 1970 knapp 270 DDR-Bürgern geglückt, über die bulgarische Grenze in den Westen zu gelangen. Die Zahl der Fluchtversuche stieg in den folgenden Jahren sprunghaft an, auch weil die deutsch-deutsche Grenze von der DDR weiter ausgebaut und mit Splitterminen versehen wurde. Die bulgarischen Grenzen waren dagegen weit weniger modern gesichert.
Das Gerücht von der löchrigen Grenze
Jedoch: Dass das Überschreiten der bulgarischen Staatsgrenze ein Kinderspiel sei, war in der Tat nur ein übles Gerücht. Mehr als 2.000 DDR-Bürger sollen bis 1989 beim Fluchtversuch festgenommen worden sein. Der Berliner Politologe Stefan Appelius, der sich jahrelang mit diesem Thema beschäftigte, schätzt, dass es mindestens 4.500 solcher Fluchtversuche gab. Unterlagen darüber werden vom bulgarischen Staat bis heute überhaupt nicht herausgegeben.
Stasi spitzelte auch an Schwarzmeerküste
"Der Feind weicht oft aus auf andere sozialistische Länder, so dass wir gezwungen sind, um Hilfe zu bitten bei der Bekämpfung des Feindes", vermerkte Stasi-Chef Erich Mielke. Wie sämtliche "sozialistischen Bruderländer" kooperierte auch Bulgarien mit der Staatssicherheit – das MfS hatte seit den 1960er-Jahren eine "Operativgruppe" zur Beobachtung der DDR- Touristen an der Schwarzmeerküste stationiert und es gab ein Abkommen, das die Rückführung der gefassten "Grenzverletzer" regelte. Sie wurden mit Sonderflugzeugen in die DDR geflogen und dort zu Haftstrafen verurteilt.
Ungeklärte Zahl von Erschossenen
Wie an der innerdeutschen Grenze wurde auch an der bulgarischen Staatsgrenze rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht. Über die Zahl der Erschossenen gibt es nur Vermutungen. Die "Arbeitsgemeinschaft 13. August" hat die Namen von vierzehn DDR-Bürgern herausgefunden, die von bulgarischen Grenzern erschossen worden sind. Stefan Appelius kennt derzeit 18 Opfer namentlich. Er schätzt, dass in Bulgarien insgesamt etwa 90 bis 100 DDR-Bürger bei Fluchtversuchen getötet wurden.
2.000 Ostmark Kopfprämie pro Toten
Ehemalige bulgarische Offiziere berichteten 1993 der Oppositions-Zeitung "Anti", dass die Botschaft der DDR in Sofia bulgarischen Grenzsoldaten für jeden getöteten "Republikflüchtling" eine Kopfprämie von umgerechnet 2.000 Mark ausgezahlt habe. Bulgarische Mitarbeiter der DDR-Botschaft bestätigten 1993 diese Praxis. Ihre Aussagen lassen sich aber bisher durch amtliche Dokumente nicht belegen. Nach Angaben der bulgarischen Stasi-Unterlagenbehörde gab es für jeden gefassten Flüchtling – ob tot oder lebendig - zwanzig Tage Sonderurlaub und eine Uhr mit Gravur.
"DDR-Bürger, die im Ausland ums Leben kamen"
Die Leichen der erschossenen deutschen "Republikflüchtigen" wurden bis 1975 häufig direkt im Grenzgebiet verscharrt. Bis heute wissen viele der Angehörigen nicht, wo sich die Gräber befinden. Die Bundesregierung fühlt sich für diese Opfer des DDR-Systems bislang nicht zuständig. Sie können bis heute nicht rehabilitiert werden, gelten nicht als Opfer, sondern lediglich als DDR-Bürger, die im Ausland ums Leben kamen.