Oscar-Siegerfilm "Oppenheimer": Die Geschichte des Atom-Spions Klaus Fuchs in Dresden

12. März 2024, 13:28 Uhr

Als "Atomspion" ging er in die Geschichte ein: Der deutsche Physiker Klaus Fuchs (1911-1988). Im mit sieben Oscars ausgezeichneten Film "Oppenheimer" taucht er als Nebenrolle auf. Er hat die US-amerikanische Bombe mitentwickelt und verrät den Bau der Atombombe an die Sowjetunion. Später führte er in der DDR ein gleichsam herausgehobenes wie unauffälliges Leben - trotz Promi-Status wurde wenig über ihn bekannt. Neue Zugänge fand der MDR in Fuchs' Personalakte und im Archiv des DDR-Geheimdienstes. Der spannte Fuchs ein und beobachtete ihn misstrauisch.

Im Sommer 1959 landete ein besonderer Passagier in Berlin-Schönfeld: Klaus Fuchs war vorzeitig aus einem britischen Gefängnis in die DDR entlassen worden. Der Kernphysiker hatte während der NS-Zeit in Großbritannien und den USA an der ersten Atombombe geforscht und sein Wissen an die Sowjetunion verraten. Fuchs wurde am Airport herzlich empfangen von Margarete "Grete" Keilson, die im ZK der SED die Internationale Abteilung leitete, und seinem Neffen Klaus. Beide sollten ihn lebenslang in der DDR begleiten. Dort wurde Fuchs zum staatstreuen Promi.

Atomspion Klaus Fuchs landet am 23. Juni 1959 in Ostdeutschland nach seiner Entlassung aus dem britischen Gefängnis.
Nach seiner Landung auf dem Ost-Berliner Flughafen am 23. Juni 1959 in Schönefeld wurde Klaus Fuchs von seinem in der DDR lebenden Neffen Klaus Fuchs-Kittowski abgeholt. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Streng vertrauliche Personalakte zeigt Karriereweg

Nach seiner Ankunft wurde Fuchs im abgeschirmten Zentralinstitut für Kernphysik (ZfK) in Dresden-Rossendorf zum stellvertretenden Direktor und zum Abteilungsleiter für Theoretische Physik ernannt. Die DDR erhoffte sich viel von dem Mann aus Los Alamos, wo der vor den Nazis nach England geflüchtete Forscher den Bau der ersten Atombombe begleitete. Das Ulbricht-Regime wollte den Westen technisch überholen. Der war mit dem ersten deutschen Reaktor in Garching bei München wieder Sieger vor Rossendorf, das 1957 den ersten ostdeutschen Reaktor feierte.

Forschungsreaktor des Zentralinstituts für Kernforschung Rossendorf; Aufnahmedatum geschätzt caption writer/editor = imago stock&people category = vm coded character set = %G contact = imago stock&people gmbh, fon +493047480748, www.imago-stock.de, IBAN: DE87100400000416666600, BIC: COBADEFFXXX copyright notice = imago/Ulrich Hässler credit = imago/Ulrich Hässler date created = Thu Feb 15 00:00:00 CET 1990 headline = Forschungsreaktor des Zentralinstituts für Kernforschung Rossendorf keywords = Objekte;Personen;1990;DDR;Dresden;Rossendorf;Forschungsreaktor;Forschungsreaktoren;Reaktor;Reaktoren;Kernreaktor;Kernreaktoren;Atomenergie;Forschung;Forschungen;Zentralinstitut;RFR;Rossendorfer;Institut;Forschungsinstitut;Kernforschung;Atomforschung;Quadrat;Mfneg;Einzelbild;Deutsche;Demokratische;Republik;Physik;Wissenschaft;premiumd;TECHNIK;UND object name = imago 51407089 original transmission reference = imago 51407089
Das 1956 gegründete Zentralinstitut für Kernphysik in Rossendorf lieferte sich einen Wettlauf mit dem Westen um die Nukleartechnik im Kalten Krieg. Dazu gehörte der erste Atomreaktor der DDR, ein Forschungsreaktor nach sowjetischem Vorbild, und ein Teilchenbeschleuniger Zyklotron. (Archivbild) Bildrechte: imago/Ulrich Hässler

Fuchs' Personalakte mit dem Vermerk "Streng vertraulich" im Archiv der Technischen Universität Dresden zeigt, wie der Forscher, der aus der britischen Haft kam, im ostdeutschen Arbeiter- und Bauernstaat rasch Karriere machte. Demnach verdiente Fuchs im Jahr 1961 monatlich 7.500 DDR-Mark brutto. Das war etwa das 13-Fache des DDR-Durchschnittslohnes. Dazu wurde Fuchs vom DDR-Hochschulministerium zum Physik-Professor an der damaligen Technischen Hochschule Dresden ernannt.

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Die Personalakte von Atomspion Klaus Fuchs
Der Atomspion Klaus Fuchs (1911-1988) lebte seit dem Jahr 1959 in der DDR. Aus dieser Zeit sind in den Archiven Dokumente über sein Leben im ostdeutschen Arbeiter- und Bauernstaat erhalten geblieben. Bildrechte: MDR/Wiebke Müller

Stasi legt für Fuchs IM-Akte an

Doch das Thema Geheimdienste verfolgte Fuchs auch in seiner neuen Heimat. Wie Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv (Az.: MfS AIM Nr. 8234/73) belegen, hat der DDR-Geheimdienst Fuchs nicht nur überwacht, sondern auch für eigene Zwecke eingespannt. Ein von der Stasi beauftragter Fahrer fuhr den von Fotografen umringten Forscher am ersten Tag vom Flughafen zu einem Treffen mit seinem Vater in Wandlitz. Laut Stasi-Akte folgten Einkäufe, Arztbesuche und Empfänge, etwa beim Dresdner Oberbürgermeister.

Wer war der Spion in Oppenheimer?

Die Stasi plante offenbar, den Kernphysiker Klaus Fuchs als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) anzuwerben. Die für die DDR-Volkswirtschaft zuständige Hauptabteilung III im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) legte zu Fuchs im Jahr 1962 eine IM-Vorlauf-Akte an. Über "operative Kontrollmaßnahmen" solle später entschieden werden, heißt es dort. Später wollte die Stasi über Fuchs den Wissenschaftlichen DDR-Rat für die friedliche Anwendung der Atomenergie ausschnüffeln, der auch westliche Forscher einlud.

Mit diesem Ziel legte die Stasi IM-Vorläufe an Mit IM-Vorläufen prüfte die Staatssicherheit seit etwa 1960, ob sich eine Person zur Anwerbung als inoffizielle Mitarbeiter eignete. Dies geschah mit einer konkreten Beschreibung des Einsatzbereichs. Die Stasi wertete Informationen über die Person, Freunde und Familie aus, um abzuschätzen, ob diese zuverlässig berichten wird. Hierzu wurde die Person bis zu sechs Monate lang mit ersten Aufgaben auf die Probe gestellt, in Treffs lernte man sich kennen. Danach folgte entweder eine reguläre Anwerbung der Person oder die Stasi ließ von ihrem Vorhaben ab.
Die Akte Fuchs basierte auf einer Weisung der auch für die Kernforschung zuständigen Hauptabteilung III im MfS, führende Wissenschaftler in Schlüsselpositionen zu erfassen. Zugleich wollte die Stasi Angriffe und "Verleumdungen" seitens des Westens gezielt abwehren. Der IM-Vorlauf wurde 1973 geschlossen. Begründet wurde das mit Fuchs' erreichter stabiler politischer und wissenschaftlicher Position. Die Kontakte zum MfS sollten fortan nur noch über dessen Dresdner Bezirksverwaltung laufen.
Quellen: Dr. Mark Laux, Historiker Bundesarchiv, Stasi-Unterlagen

Der Vorlauf-Akte zufolge hatte sich Fuchs bis dahin in Gesprächen mit der Stasi aufgeschlossen gezeigt und als Kontakt wertvolle Hinweise gegeben. Drehten sich erste Stasi-Berichte um Fuchs' gesundheitliche Probleme und Kuren wie im sächsischen Bad Elster, stand zunehmend seine Arbeit im von Stasi und Regierung überwachten ZfK im Fokus.

Ein holzgetäfeltes Büro mit Tetelfonen auf dem Schreibtisch und einem Erich-Honecker-Bild an der Wand. 45 min
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Der Osten - Entdecke wo du lebst Di 07.11.2023 21:00Uhr 45:16 min

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Mitte der 60er-Jahre erklärte sich Fuchs demnach bereit, für die Stasi wissenschaftlich-technische Unterlagen auszuwerten, welche "auf operativem Wege", also durch verdeckte geheimdienstliche Methoden, beschafft wurden. Im Jahr 1973 wurde die Akte zu Fuchs' IM-Vorlauf geschlossen. In ihrer Abschlussbeurteilung lobte die Stasi Fuchs' gefestigte Position in Politik und Forschung. Ein Jahr später später schied Fuchs als ZfK-Vize aus.

Machtgerangel in Rossendorf

Die Stasi hatte bis dahin Fuchs' Karriere in Rossendorf ständig im Visier. Dort war nicht alles glatt verlaufen: Stasi-Zuträger berichteten Querelen mit dem parteilosen ZfK-Direktor Heinz Barwich (1911-1966). Der hatte sich von Beginn an gegen die Personalie Fuchs als seinen neuen Stellvertreter gewehrt. Fuchs kritisierte widerum im Gespräch mit Stasi-Mitarbeitern, Barwich habe keine klaren Vorstellungen über eine geordnete Atomforschung und sei ein schlechter Leiter.

Laut Stasi-Akte musste der damalige Wissenschafts-Chef im Zentralkomitee (ZK) der SED Kurt Hager eingreifen und Fuchs als ZfK-Vize durchsetzen. Doch Barwichs Wut über den Emporkömmling wird auch später nicht enden.

Auch fehlten Fuchs zufolge Fachkräfte in der DDR-Atomschmiede von Rossendorf. Auf Fuchs' Verlangen fand daraufhin ein Gespräch zwischen ihm und dem DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht statt. Nach außen zeigte sich das DDR-System mit dem Neu-DDR-Bürger jedoch zufrieden: Zum 60. Geburtstag lobte der Ministerrat Fuchs in einem im Archiv der TU Dresden abgelegten Schreiben als schöpferischen Wissenschaftler und "führenden Genossen der Arbeiterpartei".

Später geriet Fuchs in Konflikte zwischen der Instituts- und der Parteileitung. Sein Projekt "Schneller Reaktor" am ZfK wurde von der DDR-Regierung abgelehnt. Laut einer "politischen Kurseinschätzung" in seiner Stasi-Akte von 1965 zeigte Fuchs "Überspitzungen" in seiner Kritik, die dann zur "Missachtung bzw. Negierungen von Staatsorganen" führten. Was für andere DDR-Bürger zumindest berufliche Nachteile bedeutet hätte, hinterließ bei Fuchs keinen äußerlichen Bruch.

Privilegiertes Leben mit Villa, Putzfrau, Luxus-Wartburg

Die DDR-Oberen ermöglichten Fuchs zudem einen für einfache Menschen kaum erreichbaren Lebensstandard: Statt in die ZfK-Werksiedlung im Radeberger Ortsteil Großerkmannsdorf zog Fuchs von Wandlitz bei Berlin im Herbst 1959 in eine von der Stasi gestellte Dresdner Villa mit Elbblick in der Schillerstraße 4i.

Kurz zuvor, am 9. September 1959, hatte Fuchs die SED-Funktionärin Grete Keilson, die Frau vom Flughafen, geheiratet. Die alte Bekannte aus KPD- und Pariser Exil-Zeiten war bei der Partei und im DDR-Außenministerium beschäftigt. Nach ihrer Heirat arbeitete sie im SED-Verlag "Zeit im Bild" in Dresden.

Eine Reihe Autos fährt auf einer schmalen Straße durch eine sommerliche Landschaft. 45 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Luxus-Leben in der DDR

Die Stasi notierte auch den privaten Kauf eines "Wartburg Luxus". Den Akten zufolge erhielt Fuchs zudem nach Beschwerden über die kalte Villa einen Heizer sowie eine vom ZK der SED gestellte Putzfrau. Letztere übernachtete wochentags auch in der Villa, wie die Stasi notierte.

SED-Funktionärin Margarete "Grete" Keilson
Die verwitwete SED-Funktionärin Grete Keilson (1905-1999, links) hatte Klaus Fuchs im Jahr 1959 bei seiner Einreise in die DDR am Flughafen begrüßt. In demselben Jahr heirateten beide laut Stasi in Berlin-Pankow und zogen wenig später in die Dresdner Villa ein. (Archivbild) Bildrechte: DRA

All das ist bemerkenswert - denn Fuchs' Personalakte listet ganz offen etwas auf, das bei jedem anderen wohl ein größeres Problem dargestellt hätte: Eine Schwester in den USA und eine Schwägerin in Westdeutschland. Bei Fuchs war das jedoch kein Hindernis für Orden und Ämter. So saß er seit dem VII. SED-Parteitag im Zentralkomitee der Staatspartei. Geehrt wurde er mit hohen Auszeichnungen wie dem Großen Vaterländischen Verdienstorden, dem Nationalpreis 1. Klasse und einer Medaille für seinen antifaschistischen Kampf während des Nationalsozialismus.

Ein Haus am Elbhang in Dresden Loschwitz
Die hellgetünchte Villa auf der Schillerstraße am Dresdner Elbhang (Bildmitte vorn) war seit dem Jahr 1959 das neue Zuhause von Klaus Fuchs und seiner in der DDR angetrauten Ehefrau Grete. Dort kamen auch Fuchs' Neffe und sein Vater, der Theologieprofessor Emil Fuchs, zu Besuch. Bildrechte: MDR/Wiebke Müller

Zu Gast beim Promi-Nachbarn auf dem "Weißen Hirsch"

Das Ehepaar Fuchs hatte in Dresden-Oberloschwitz prominente Nachbarn. Dazu gehörte Manfred Baron von Ardenne (1997 - 1997). Der war der Kopf des elitären "Dresdner Klubs", ab 1972 "Dresdner Klub der Intelligenz" im Lingnerschloss. Fuchs war dort ebenso zu Gast wie mit Ardenne beim "Zwingerball" mit DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht und dessen Frau Lotte, wie die DDR-Wochenschau "Der Augenzeuge" berichtete.

Das Lingnerschloss an den Elbhängen diente ab 1957 als Treffpunkt des "Dresdner Klubs", später "Dresdner Klub der Intelligenz", einem elitären Zirkel international renommierter Dresdener Intellektueller. Gründungspräsident und Klubvorsitzender war Manfred von Ardenne.
In dem einst von Adligen bewohnten, Mitte des 19. Jahrhunderts erbauten Lingnerschloss trafen sich ab 1957 angesehene DDR-Inellektuelle. Für sie wurden eine Bar, eine Bibliothek und ein Fernsehraum eingerichtet. Auf dem Programm standen neben Vorträgen, Modenschauen, Lesungen und Damenprogrammen auch Kinofilme, darunter aus französischer Produktion. (Archivbild) Bildrechte: Archiv Förderverein Lingnerschloss e.V.

Wie der spätere ZfK-Chef Barwich war auch Ardenne Mitte der Fünzigerjahre aus der Sowjetunion zurückgekehrt, wo er an der sowjetischen Wasserstoffbombe geforscht hatte. In seinem danach gegründeten Dresdner Forschungsinstitut, dem einzigen privaten in der DDR, trug sich Fuchs am 25. April 1960 in das "kostbare" Gästebuch ein, so Ardenne selber.

Lingnerschloss in dresden
Das Lingnerschloss an den Elbhängen diente ab 1957 als Treffpunkt des "Dresdner Klubs", einem elitären Zirkel international renommierter Dresdener Intellektueller, wie es auf der Homepage des Schlossvereins heißt. Gründungspräsident und Klubvorsitzender war Manfred von Ardenne. (Archivbild) Bildrechte: imago/Torsten Becker

In der Ardenne-Villa mit dem markanten Planetarium plauderte Fuchs offenbar auch über die Weitergabe seines Wissens an die Sowjetunion im atomaren Wettennen. Ein Aha-Moment für Adenne. "Denn noch gut", so heißt es in seinen Memoiren, "erinnerte er sich an seine Zeit in der Sowjetunion und das plötzliche Auftauchen von Informationen zur Atombombe."

Durch ein später in Dresden mit Klaus Fuchs geführtes Gespräch bestätigte sich meine Vermutung, dass es sich um die von ihm an die SU gegebenen Spionage-Materialien handelte.

Manfred von Ardenne Biografie "Selbstverwirklichung im Jahrhundert der Diktaturen" von Gerhard Barkleit

Prof. Manfred von Ardenne am Schreibtisch seines Instituts in Dresden (SW-Aufnahme von 1988)
Der Wissenschaftler Manfred von Ardenne betrieb nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion ein in der DDR einzigartiges privates Foerschungsinstitut im Dresdner Villenstadtteil "Weißer Hirsch". Dort war Klaus Fuchs im Jahr 1960 sein Gast. (Archivbild) Bildrechte: imago/Ulrich Hässler
Luftaufnahme der Wohnsiedlung Wandlitz 2 min
Bildrechte: So lebte das Politbüro vom 17.12.2005/MDR

Steckbrief: Das Leben von "Atomspion" Klaus Fuchs

  • Am 29. Dezember 1911 Geburt in Rüsselsheim als Klaus Emil Julius Fuchs, drei Geschwister
  • Ab 1930 Studium der Physik und Mathematik, u.a. in Leipzig und Kiel
  • 1933 Emigration über Paris nach England, wo er promoviert
  • 1942 KPD-Mitglied Fuchs erhält den britischen Pass. Anwerbung im britischen Exil durch die späteren DDR-Promis Jürgen Kuczynski und seine Schwester und Sowjet-Agentin Ursula (später Autorin unter dem Pseudonym Ruth Werner)
  • Von 1943 bis 1946 Abordnung zum geheimen US-Atombombenprojekt ("Manhattan Project"), Aufenthalt am Testgelände in Los Alamos (New Mexico).
  • Ab 1946 Leitende Tätigkeit am britischen Kernforschungszentrum Harwell
  • 1950 Gerichtsprozess in England und Verurteilung zu 14 Jahren Haft wegen Spionage für sowjetische Geheimdienste
  • 1959 Vorzeitige Begnadigung und Ausreise in die DDR. Dort lebte Vater Emil (1874 - 1971), Theologieprofessor.
  • 1959 - 1974 Leiter der Abteilung Theoretische Physik und stellvertretender Direktor am früheren Zentralinstitut für Kernphysik (ZfK) in Dresden-Rossendorf
  • Ab 1961 Professuren an der TU Dresden, u.a. Fakultät für Kerntechnik
  • Ab dem VII. Parteitag 1967 Mitglied im Zentralkomitee der SED
  • Ab 1972 Mitglied in der ostdeutschen Akademie der Wissenschaften
  • Am 28. Januar 1988 stirbt Fuchs hochgeehrt durch Staat und SED in Berlin (Ost)

Quellen: Munzinger Archiv, Archiv TU Dresden, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, www.mi5.gov.uk

Flüchtiger ZfK-Chef packt in USA über Fuchs aus

Das engmaschige Überwachungsnetz der Stasi am ZfK in Rossendorf zeigte jedoch Löcher: 1964 flüchtete Fuchs' alter Widersacher, der ZfK-Direktor Barwich, über Westdeutschland in die USA. Dort zeigte sich auch die CIA an Rossendorf interessiert. Auf deren Website www.cia.gov stehen heute noch Dokumente über die Atom-Forschung in East-Germany. Bei einer Anhörung vor dem US-Senat soll Barwich jede Menge Internas aus der DDR-Atomschmiede preisgegeben haben, wie etwa der "Spiegel" berichtete.

Barwich wollte Fuchs, der in der DDR Rückendeckung von oben genoss, in den USA offenbar in ein schlechtes Licht rücken. Dort galt Fuchs als "gefährlichster Mann der Welt". Barwich nannte ihn seinen "Assistenten": Der sei ein exzellenter Theoretiker, doch "weniger fähig im experimentellen Bereich und im praktischen Leben". Laut Barwich habe die DDR Fuchs als politisch Verfolgten eingestuft, ohne zuzugeben, "dass er geständig und von einem ordentlichen Gericht verurteilt" worden war.

Zufall oder nicht? Ein Jahr nach Barwichs Flucht machte Fuchs wiederum im Westen Schlagzeilen. Das in seiner Stasi-Akte abgelegte Gespräch mit dem Magazin "Quick" zitierte den Kernphysiker im Jahr 1965 mit Enthüllungen zu den angeblichen atomaren Aufrüstungsplänen der westdeutschen Regierung. Damit sei der Kernphysiker wieder wertvoll, lobte ein Stasi-Eintrag, der sich offenbar auf das breite Presseecho in Ost und West zu Fuchs' Äußerungen bezogen hatte.

War Fuchs ein Doppelspion?

In Rossendorf hingegen kam Fuchs an seine Grenzen. Im "Physik Journal" von 2012 beschrieb der Wissenschaftshistoriker Dieter Hoffmann, wie Fuchs mit der Idee eines schnellen "Pastenreaktors" scheiterte. Dem standen demnach nicht nur die allgegenwärtigen Engpässe der DDR-Planwirtschaft im Wege, auch die Sowjetunion habe politische Bedenken gehabt. Laut Hoffmann wollte sie ihr Monopol der Plutoniumherstellung nicht aus der Hand geben.

Zudem soll die DDR Überprüfungen eingeleitet haben, ob Fuchs während seiner Haftzeit von westlichen Geheimdiensten "umgedreht" worden und eventuell ein "Doppelspion" sei. Belege dafür fanden sich bislang nicht. Fuchs' Stasi-Akte zufolge wollte das MfS ihn vor möglichen Kontaktversuchen durch Geheimdienste schützen. Darunter von möglicherweise als Journalisten getarnten Agenten. Als das MfS einen anonymen Brief an Fuchs im ZfK abfing, der ihn zur Spionage aufforderte, prüfte die Stasi sogar das Briefpapier im Institut und hakte die "Provokation" ab.

Nicht verhindern, sondern nur archivieren, konnte das MfS hingegen spekulative Berichte in West-Zeitungen, etwa über Fuchs' angebliche Verhaftung "in der Zone". In diesen Situationen waren Fuchs die guten Kontakte zu den jüngeren Forschern am ZfK hilfreich. In einem im Stasi-Unterlagenarchiv erhaltenen Video lobte der damals 73-Jährige namentlich den späteren Institutsdirektor und Genossen Günter Flach (1932-2020) als "prachtvollen Menschen". Ihm habe Fuchs sein Erholungsgrundstück in Moritzburg bei Dresden überlassen, wie eine von Flachs Familienangehörigen dem MDR berichtete.

"Menschlich nicht immer einfach" steht in Beurteilung

Der Neu-DDR-Bürger eckte indes offenbar wegen seines Verhaltens auch bei einigen Kollegen an: "Herr Fuchs" sei "menschlich (...) nicht immer einfach", schrieb der DDR-Elite-Physiker Professor Max Steenbeck 1966 an die TU Dresden. Er gehe in der "Durchsetzung seiner Überzeugung des Richtigen oftmals sehr eigenwillig" vor, was eine "gewisse Gefährdung des Kollektivs" darstelle. Doch sei es nicht Aufgabe der Wissenschaftler, für ihre Umgebung bequem zu sein, wiegelte er seine Kritik ab, die Fuchs' Karriere nicht geschadet hat.

In fachlicher Hinsicht ist Herr Fuchs für seine Mitarbeiter ein sehr wertvoller Anreger, in menschlicher Hinsicht scheint mir seine Eigenwilligkeit mitunter eine gewisse Gefährdung des Kollektivs zu bedeuten.

Professor Max Steenbeck Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der DDR 1962 bis 1966

Denn der Forscher wurde weiter hofiert. So bat das Hochschul-Ministerium der DDR den Rektor der Dresdner TU brieflich darum, Fuchs die Ernennungsurkunde zum Professor für Theoretische Kernphysik an dessen 50. Geburtstag zu überreichen.

Gruppenfoto vom Cast des Oppenheimer-Filmes
Der Kinofilm "Oppenheimer" wurde 2024 für 13 Oscars nominiert. Er handelt vom Bau der amerikanischen Atombombe am Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem Testgelände in Los Alamos. In dem Streifen wird Klaus Fuchs von dem Schauspieler Christopher Denham (1. von links) dargestellt. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Picturelux / Melinda Sue Gordon/Universal Pictures

Vom Häftling zum Staatsforscher und Fernsehgast

An seinem Arbeitsplatz trat Fuchs andererseits zurückhaltend auf. Ein früherer ZfK-Mitarbeiter beschrieb ihn im Gespräch mit MDR SACHSEN als streng abgeschirmt von seiner Sekretärin, mit der er auch zum Essen ging. Dem früheren ZfK-Kantinenchef Dietmar Bulenda zufolge trat Fuchs zurückhaltend und höflich auf. "Er war ein regelmäßiger Essensteilnehmer. Das war preiswert, die Portion kostete 80 Pfennige, mit Beilage 1,60 und besondere Essen wie ein halbes Hähnchen 2,40 DDR-Mark", berichtete Bulenda MDR SACHSEN.

Klaus Fuchs Interview 26.04.1970
Der mit einem Professoren-Titel und hohen Auszeichnungen wie dem Nationalpreis 1. Klasse und dem Karl-Marx-Orden dekorierte Klaus Fuchs wird von dem bekanntesten DDR-Journalisten Heinz-Florian Oertel (rechts) im Jahr 1970 im Staatsfernsehen befragt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Im staatlichen DDR-Fernsehen kann man dagegen in den Archiven Zeugnisse eines redegewandten und sehr selbssicher auftretenden Mannes sehen. So wurde er unter anderen von dem als Sportreporter bekannten Fernsehjournalisten Heinz-Florian Oertel interviewt. Leicht sächselnd gratulierte Fuchs auch in den Abendnachrichten der “Aktuellen Kamera” den “sowjetischen Werktätigen, ihrer Partei und Regierung” zur Landung des Woschod-Raumschiffes im Jahr 1964.

Selbst vor Schulklassen und Jugendweihegruppen trat Fuchs als Redner auf, erinnerte sich die Witwe Grete Keilson 1989 in einem von der Stasi gedrehten Video.

Staatsbegräbnis mit DDR-Führungsriege am Grab

Den Mauerfall 1989 hat Klaus Fuchs nicht mehr erlebt. Er starb im Januar 1988, nachdem er nach MDR-Informationen im Regierungskrankenhaus in Berlin-Buch wegen einer Krebserkrankung behandelt wurde. Er erhielt ein Staatsbegräbnis auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. NVA-Soldaten in Winter-Paradeuniform trugen die Urne zu einem Ehrengrab. Unter den Trauergästen waren neben Ehefrau Grete die Politbüromitglieder Kurt Hager und Hermann Axen sowie der später vorletzte DDR-Regierungschef Hans Modrow, damals noch Erster Seketär der Dresdner SED-Bezirksleitung.

Auch nach seinem Tod 1988 wurde Fuchs geehrt. Sein alter Chef und Freund Günther Flach organsierte vor und nach dem Mauerfall Kolloquien, so unter dem Titel "Sein Erbe bewahren" in der Akademie der Wissenschaften. Laut dem Wissenschaftshistoriker Hoffmann wäre Fuchs eine offizielle Anerkennung durch die Sowjetunion wichtiger gewesen. Diese sei ihm jedoch bis zum Tod verwehrt geblieben. Ob Fuchs möglicherweise wie bei anderen Agenten ein sowjetischer Orden im Geheimen verliehen wurde, ist nicht belegt.

Gelegenheiten dazu hätte es gegeben: Mehrfach unternahm Fuchs Dienstreisen in die Sowjetunion, wo sich ihm wichtige Türen öffneten. So hatte laut Stasi-Bericht Fuchs im Streit zum Für und Wider schneller aber der DDR-Regierung zu teurer Brutreaktoren in den Sechziger Jahren eine DDR-Konferenz zu dem Thema geschwänzt und stattdessen direkt mit dem sowjetischen Atomminister verhandelt. Sogar die sonst so gut informierte Stasi musste einräumen, es gebe keine Hinweis, wer Fuchs zu so weitgehenden Verhandlungen mit Moskau beauftragt habe.

Erstmals veröffentlicht am 05. Februar 2024.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 11. März 2024 | 17:45 Uhr