Atomkraftwerke in Ostdeutschland Atomenergie in der DDR: Statt 20 nur zwei Atomkraftwerke
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14. Dezember 2018, 11:32 Uhr
Nach dem Reaktorunglück von Fukushima beschloss Deutschland den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Für Ostdeutschland bedeutete aber bereits die Wende das Aus ihrer beiden Atomkraftwerke in Rheinsberg und Greifswald. Ein drittes, geplantes wurde nie fertiggestellt.
In Arneburg bei Stendal sollte das größte Atomkraftwerk der DDR entstehen: vier Reaktoren mit jeweils 1.000 Megawatt Leistung. Damit wäre es gesamtdeutsch betrachtet sogar das größte Kernkraftwerk Deutschlands gewesen. Doch Stendal ging nie ans Netz, die Wende kam dazwischen. Was einst die größte Baustelle der DDR war, wurde zu einer Herausforderung für Abriss-Spezialisten.
Etwa zwanzig Atomkraftwerke in der DDR geplant
Ein Abkommen mit der UdSSR 1955 ebnete den Weg zu eigenen Atomenergieprogramm der DDR. Mit dem Bau eines Forschungsreaktors im damaligen "Zentralinstitut für Kernphysik" in Rossendorf bei Dresden nahm das Projekt Form an. Am 16. Dezember 1957 wurde der Forschungsreaktor unter Anwesenheit hoher SED-Politprominenz eingeweiht.
1966 ging das erste Kernkraftwerk in Rheinsberg bei Potsdam offiziell ans Netz. Sieben Jahre später folgte Greifswald mit einer vielfachen Leistung des Rheinsberger KKWs. Doch geplant war vorher noch viel mehr. Etwa 20 Atomkraftwerke sollten bis 1970 ans Netz gehen, prognostizierte der stellvertretende Leiter des Amtes für Kernforschung und Kerntechnik 1957 in der SED-Zeitung "Neues Deutschland". "Blühende Zukunft – Kernenergie" lautete die Losung. Die Euphorie für die neue Technik war damals auch in der DDR ungebrochen. Doch tatsächlich gingen bis 1989 nur zwei Kernkraftwerke in Betrieb - Rheinsberg und Greifswald - und die deckten nur etwa zehn Prozent des Strombedarfs der DDR ab.
Gravierende Mängel und Schlamperei
Hinter den Kulissen der offiziellen Propaganda sah es düster aus. Über die Missstände in den Kernkraftwerken wusste die Öffentlichkeit jedoch nichts. Das sollte sich mit der Wende ändern. Damals wurde der Physiker Sebastian Pflugbeil vom "Neuen Forum" in der Übergangsregierung Modrow zum Minister. Zu seinem Geschäftsbereich zählten auch die DDR-Kernkraftwerke. Er machte sich nicht nur bei offiziellen Terminen ein Bild, sondern beschaffte sich brisantes Hintergrundmaterial. Geheime Papiere der "Ständigen Kontrollgruppe Anlagensicherheit" dokumentierten, wie marode die DDR-Kernkraftwerke waren und wie das Personal schlampte.
Mängel in der Qualifikation der Leitungsleute, Arbeitsorganisation, Schlamperei, Alkohol. Und bis zum Schluss hat man von den Russen nicht erfahren, aus welchem Stahl das Reaktordruckgefäß bestand. Da gab es Fehler bei eingesetzten Materialien, Messfühler, die nicht funktioniert haben.
Umrüstung der DDR-Kernkraftwerke zu teuer
Diese Bestandsaufnahme zwingt 1990 auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer zum Handeln. "Vier Blöcke des Kernkraftwerkes Greifswald werden abgeschaltet", heißt es in der DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" am 1. Juni 1990. Das hätte aber nicht automatisch das endgültige Aus bedeuten müssen. Damals gab es Überlegungen, die ostdeutschen Atomkraftwerke sicherheitstechnisch nachzurüsten - doch es scheiterte am Geld.
Ich denke, es war in erster Linie wirklich eine wirtschaftliche Entscheidung. Die deutschen Stromkonzerne, die sich dafür interessiert haben, haben gesehen, was für Nachrüstungskosten auf sie zu kommen würden. Zum Teil waren sie auch der Meinung, dass der Reaktortyp als solcher eben nicht westlichen Genehmigungsstandards entsprechen würde.
2,5 Milliarden Deutsche Mark hätte die Umrüstung allein für Greifswald gekostet. Und so gehen dort und im Atomkraftwerk Rheinsberg für immer die Lichter aus. Das im Bau befindliche Kernkraftwerk Stendal geht gar nicht erst ans Netz. Die extrem hohen Kosten für die Nachrüstung beendeten die Geschichte der Atomkraft in Ostdeutschland.
Über dieses Thema berichtete der MDR im Radio in "MDR AKTUELL": 07.03.2021 | 22:47 Uhr