1979: Solidarität mit Nicaragua Karim Saab und die Revolution in Nicaragua
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15. September 2015, 14:56 Uhr
Die Situation in Nicaragua ist 1979 euphorisch
Zwischen Nicaragua und Leipzig liegen 10.000 Kilomenter - und 1979 auch Welten. In Nicaragua ist gerade der Diktator Anastasio Somoza gestürzt worden. Unter Führung von Daniel Ortega übernehmen die Sandinisten die Regierungsgeschäfte. Nach Jahren der Unterdrückung befindet sich das Land sich in einem Trubel aus Hoffnung, Begeisterung und Freude. Diese so genannte sandinistische Revolution wird weltweit von linken Kreisen gefeiert, gilt als einzigartige Widerstandsbewegung. Auch Karim Saab begeistert sich dafür. Er ist damals 18 Jahre alt, wild und voller Euphorie. Ihn begeistern die Helden der Sandinisten, die so anders sind als die Mitglieder des DDR-Politbüros. Vor allem der Revolutions-Priester Ernesto Cardenal hat es ihm angetan.
Was uns natürlich fasziniert hat, war, dass sie sowas wie einen dritten Weg auf die Fahnen schrieben. Wir haben geschwärmt für die Programmatik der sandinistischen Revolution."
Das Ziel der Sandinistischen Revolution ist ein "Dritter Weg"
Die Versöhnung von Sozialismus, Demokratie und Christentum spricht nicht nur Karim Saab an. Viele sehen in der sandinistischen Revolution den Versuch, einen "Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Ostblock-Sozialismus einzuschlagen. Die Sandinisten arbeiten mit der Kirche zusammen, schaffen die Todesstrafe ab, gründen landwirtschaftliche Kooperativen und richten eine kostenlose ärztliche Versorgung ein. Zehntausende lernen in staatlichen Programmen Lesen und Schreiben, die Frauenrechte werden gestärkt. Doch die Revolution bleibt in den Kinderschuhen stecken. Die sandinistischen Machthaber beginnen mit der Zeit, Gegner willkürlich zu verhaften, indigene Gemeinden zwangsweise umzusiedeln und zahlreiche Rundfunkstationen gleichzuschalten. Nach zwei Jahren beginnt sich eine Konterrevolution von enttäuschten Bauern zu formieren, militärisch unterstützt von den USA. Wieder ist Krieg in Nicaragua - und das ruft eine breite Sympathiebewegung hervor. Vor allem bei den linken Kräften in der Bundesrepublik und der DDR in Form des staatlichen Solidaritätskomitees. Honecker und Konsorten wollen Nicaragua ins sozialistische Lager holen.
Karim Saab gründet eine private Initiative
Der staatlich verordneten Solidarität will sich Karim Saab nicht beugen. Den Widerstand gegen den Staat hat er schon geprobt: Er macht eine Buchhändlerlehre in Leipzig, studiert Theologie, verweigert den Dienst mit der Waffe. 1981 setzt er dem noch eins obendrauf und gründet eine private Soli-Initiative: Hoffnung Nicaragua. Ein offener Affront. Um Karim formiert sich eine Gruppe von Gleichgesinnten, getrieben von Fernweh und Tatendrang. Für die Initiativgruppe Hoffnung Nicaragua (IHN) sammeln sie bei Benefizkonzerten und Kunstauktionen mehr als 100.000 Mark Spenden. Dieses Engagement vorbei am Staat ist zu Beginn der 1980er Jahre äußerst ungewöhnlich in der DDR. Zwar ist die IHN keine kirchliche Initivative - doch ohne ihre Unterstützung kommt sie rasch nicht mehr aus. Die Kirche darf ein Konto für die "Nica-Freunde" eröffnen und hilft bei dem Verschiffen von Werkzeug, Schulbedarf und Geschirr nach Südamerika.
Die Gruppe IHN gerät ins Visier der Stasi
Anfangs sind ist die SED nur unruhig wegen der Initiativgruppe, die Informanten der Staatssicherheit nur in Lauerstellung. Denn eigentlich ist Solidarität offiziell für gut erklärt, vor allem für Nicaragua. Doch auf den Soli-Events der Gruppe gibt es häufig Verhaftungen. Einer aus ihrer Gruppe stirbt auf mysteriöse Weise. Ab Mitte der 1980er Jahre setzen sich um Karim Saab immer mehr der Nica-Aktivisten in den Westen ab.
Jeder, der bei uns mitmacht, musste damit rechnen, dass er einen Studienplatz nicht bekommt, eine Beförderung nicht bekommt, eine Wohnung nicht bekommt. Der Gegenwind war so deutlich, dass es ein Wagnis war, IHN-Mitglied zu sein. Und es war gar nicht so einfach, welche zu finden, die bereit sind, dieses Risiko einzugehen."
Karim Saab tritt zwar nicht aus der IHN aus, doch er beteiligt sich nicht mehr aktiv an den Aktionen der Gruppe. Nicaragua ist für ihn nicht länger ein Gegenentwurf zur DDR, sondern ein billiger Abklatsch mit Hyperinflation, staatlich verordneten Jubelfeiern und politischer Unterdrückung. 1989 reist Karim Saab aus der DDR aus. Heute arbeitet er als Kulturjournalist. Karim Saab reist viel - aber in Nicaragua ist er nie gewesen.
Nicaragua: der Weg zur Revolution
Augusto César Sandino (1895–1934) war ein Widerstandskämpfer, der von 1927 bis 1933 den Guerillakrieg gegen die US-amerikanische Besatzung Nicaraguas anführte. Nach dem Abzug der US-Streitkräfte wurde Sandino 1934 von der Nationalgarde ermordet. Anastasio Somoza Garcías, der die Nationalgarde kurz zuvor gegründet hatte, wurde zwei Jahre später durch einen Staatsstreich Präsident Nicaraguas. Somoza etablierte eine Familiendynastie und Diktatur, die Nicaragua für mehr als 40 Jahre regierte.
Um die Familiendiktatur der Somozas zu stürzen, wurde 1961 die Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) als revolutionäre Oppositionsbewegung gegründet. Ihren Namen wählten die Oppositionellen in Gedenken an den Widerstandskämpfer Augusto César Sandino, der in vielen lateinamerikanischen Ländern und linken Kreisen als Held verehrt wurde.
Buchtipps
Erika Harzer und Willi Volks (Hrsg.):
"Aufbruch nach Nicaragua. Deutsch-deutsche Solidarität im Systemwettstreit",
248 Seiten,
Berlin: Christoph Links Verlag 2009,
ISBN: 9783861535256,
Preis: 19,90€