Reise durch ein verschwindendes Land "Letzter Sommer DDR"
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19. Dezember 2017, 18:03 Uhr
Im Mai 1990 reiste der westdeutsche Dokumentarfilmer Reinhard Kungel durch die DDR. Auf 21 Bändern konservierte der Filmemacher den "Alltag im Osten". Es entstand ein Film aus einem Niemandsland zwischen Gestern und Morgen, Hoffen und Bangen, Ost und West. Ein Interview mit Reinhard Kungel.
Wie kam es zum Dreh 1990 und was war Ihr Auftrag?
Ich habe 1990 gemeinsam mit meinem Geschäftspartner Michael Huh zahlreiche Reisefilme für einen Videoverlag gedreht und so kam es damals zu dem Projekt. Die Crux war allerdings, dass der Produzent der Auftragsproduktion blühende Landschaften haben wollte und gar kein Auge hatte für den Alltag der Menschen. Der wollte eben schöne Bilder, weshalb der Film damals den Schwerpunkt auf Natur, Landschaft und Sehenswürdigkeiten hatte, wie Berlin oder den Dresdner Zwinger. Aber das eigentlich Interessante ging damals unter.
Das zeigen Sie nun in Ihrer neuen Dokumentation im MDR…
Im Zuge der Digitalisierung hatte ich die alten Kassetten nochmal in den Händen und dachte, das sind ja unglaubliche Bilder. Dann war schnell klar, dass wir aus dem alten Material einen neuen Film schneiden.
Es gibt aus dieser Zeit – ich rede jetzt von professionellen Filmaufnahmen – wenig Vergleichbares. Wir haben damals bereits auf Betacam SP gedreht - das war 1990 im Bereich "Professional Video" sozusagen "State of the Art".
Sie sollten blühende Landschaften drehen. Wie sah die Realität im Sommer 1990 aus?
Ich war ja früher schon öfter in der DDR auf Verwandtschaftsbesuch. Also wusste ich, dass die DDR anders tickt als die BRD. Bei den Dreharbeiten 1990 habe ich dann einen Spagat versucht. Ich hatte ja schon ein Gespür dafür, dass das, was da zu sehen ist, bald verschwinden würde. Der Dokumentarfilmer in mir wollte also festhalten, was bald nicht mehr existieren würde. Und der andere Teil in mir wollte respektive musste den Produzenten zufriedenstellen.
Gab es Kuriositäten beim Dreh damals?
Was unglaublich beeindruckend war: Wie trinkfest manche Ossis waren! Und vor allem, wie sie bei einer Bootsfahrt am Herrentag einer nach dem anderen in den Chor eingestimmt haben "abschalten, abschalten…", weil da eine giftige Brühe in die Elbe geleitet wurde. Die haben also trotz des Alkohols die Vergewaltigung der Natur mitbekommen.
Aber das Kurioseste überhaupt war das mit dem Striptease. Es gab ein paar innovative Gastronomen, die in Gewächshäusern und Schrebergärten Restaurants aufgemacht haben, wo gestrippt wurde. Die haben sich gedacht, wir müssen unseren Gästen was bieten. Das haben wir mindestens zwei Mal erlebt, dabei war es noch nicht einmal spät, noch hell, so 19.00 Uhr. Erst gab es Musik und dann ging es los. Und da waren auch Kinder dabei.
Was ist Ihnen besonders aufgefallen?
Die Akustik in der DDR war eine völlig andere als im Westen – diese Zwei-Takter und in den Städten diese schäppernden Trabi-Geräusche... Und dazu der Gestank um Leipzig herum und in Bitterfeld. Dieser Industrie-Nebel... Was mir gut gefallen hat, war das alternative Leben in der Dresdner Neustadt. Da war eine Subkultur entstanden, die man so im Westen überhaupt nicht kannte. Und überhaupt waren die Menschen überall im Land sehr freundlich zu uns.
Wie war das Lebensgefühl der DDR?
Es gab natürlich eine absolute Aufbruchstimmung. Das hat man gespürt. Gerade unter den Jüngeren. Wir waren ja selbst erst 28 Jahre. Das war schon toll. Wir haben zusammen überlegt, wie die DDR später einmal aussehen könnte. Damals glaubte man ja, es entsteht etwas Neues und es gibt nicht bloß eine Übernahme, also das Einverleiben der DDR durch die BRD. Man hat darüber gesprochen, dass es ein Staat werden sollte, der nicht nur kapitalistisch ausgerichtet werden soll. Das war immer wieder ein Diskussionsthema, dass man eine gesunde Mischung findet zwischen Kapitalismus und sozialer Gerechtigkeit.
Sie hatten damals für den Dreh eine "Bonzenkarre", wie Sie im Film einmal sagen. Wie waren Sie zu der gekommen?
Damals war Fernsehen noch etwas hoch Angesehenes. Da war man stolz, dass das Fernsehen kam. Ein Beispiel: Es war absolut üblich, dass man mit der Kamera vorne im Cockpit saß, neben dem Piloten der 747, und den Flug filmte. Film war eben etwas ganz besonderes. Und deshalb war die Industrie auch bemüht, gute Autos zur Verfügung zu stellen. Wir bekamen also für den Dreh den größten BMW, den es damals gab - einen 7er BMW. Das war uns natürlich peinlich, weil eigentlch wollten wir einen kleinen und praktischen Kombi. Wir dachten, dass wir mit diesem Auto niemals mit anderen ins Gespräch kommen würden. Aber die Leute fanden das klasse. Kurios war irgendwann nur, dass wir Probleme mit dem Auto hatten, weil die Elektronik mit dem Ost-Benzin nicht klar kam und das Auto nicht mehr richtig funktionierte.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch in der Fernseh-Doku: DDR 1990 - Reise durch ein verschwindendes Land: 19.12.2017, 22.35 Uhr