Glatzeder: "Es gab wenig Zuschauer, die den Film nicht leiden konnten"
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17. Dezember 2021, 10:42 Uhr
Als Paul im DDR-Kultfilm "Die Legende von Paul und Paula" schrieb Winfried Glatzeder Filmgeschichte. Am 26. April 2020 wird der 1,92 Meter große Schauspieler 75. Ein Interview über seine Karriere, Erfolge und Tiefschläge.
Den Namen Winfried Glatzeder verbinden die meisten mit Paul aus dem legendären Streifen "Die Legende von Paul und Paula". Nun ist die Ausstrahlung dieses Films fast vier Jahrzehnte her. Nervt Sie das langsam?
Es stört mich überhaupt nicht. Es gibt ja Leute, die sich noch erinnern und das sind meist gute Erinnerungen. Es gab wenig Zuschauer, die den Film nicht leiden konnten. An diesen schönen Erinnerungen bin ich dann mit beteiligt. Das ist okay.
Sie waren in der DDR als Schauspieler sehr erfolgreich, hatten viele bedeutende Rollen. Dennoch haben Sie einen Ausreiseantrag gestellt. Warum?
Die Situation war damals so, dass die Kulturpolitik eine Art zyklischen Verlauf hatte. Mal gab es eine Lockerung, da konnte man eine Menge machen, dann gab es wieder eine Verhärtung. Die Verhärtung bedeutete nach der Biermann-Geschichte für viele die Unmöglichkeit, das zu machen, was man wollte. Ich hatte damals ein Angebot vom Schiller-Theater in West-Berlin, und das war für mich der Anlass, den Behörden in der DDR zu verkünden, dass ich gehen werde. Daraus wurde für mich ein eineinhalbjähriges unangenehmes Warten mit Drangsalierung, aber meine Familie habe ich gesund herausbekommen. Es ist also nicht zu vergleichen mit den Menschen, die über die Grenze gegangen sind. Ich habe einfach nur innerhalb von Berlin meinen Wohnort gewechselt, habe dabei aber leider und notwendiger Weise alles verloren, was ich bis dahin aufgebaut hatte. Ich bin nicht mittellos rausgegangen, sondern konnte meine Möbel mitnehmen. Der Rest des Geldes, was man so hatte, wurde an der Grenze abkassiert.
Sie haben in Berlin später recht schnell das Schiller-Theater verlassen und sind zu einem anderen Theater gegangen.
Mir gefiel es dort nicht mehr, weil die Leute, zu denen ich gehen wollte, nicht mehr da waren. In der Bundesrepublik wechseln die Regisseure und Schauspieler. In der DDR war es meistens so, dass die Schauspieler an einem Theater anfingen und dort auch blieben. Das wollte ich nicht mehr. Es war auch nicht schlimm, ich bin ans Düsseldorfer Schauspiel gegangen und habe dort acht Jahre gearbeitet.
Zur Person: Der Schauspieler Winfried Glatzeder, Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg, wurde durch seine Rolle als Paul mit dem Film "Die Legende von Paul und Paula" berühmt. Inzwischen ist der Rebell Glatzeder in die Jahre gekommen, doch noch immer drehen sich die Leute auf der Straße nach ihm um und sagen: "Das ist doch Paul!". Dabei planten die DDR-Kulturfunktionäre 1982 die Erinnerungen an den Mimen mit Kultstatus nach dessen Ausreise in den Westen für alle Zeit auszulöschen.
Nach dem Wechsel aus dem Osten in den Westen gab es bei Ihnen keinen Karriereknick, den viele andere Schauspieler in dieser Zeit überwinden mussten. Warum nicht?
Ich habe den Beruf so gelernt, wie ein Tischler, der sein Handwerk gelernt hat. Insofern braucht man immer Leute, die einen Tisch bauen können. Und im Theater braucht man immer Leute, die handwerklich einigermaßen ihre Arbeit machen.
Viele Kollegen oder Kolleginnen aus dem Osten hatten große Probleme nach dem Weggang in den Westen oder nach der deutschen Vereinigung ihre Karriere fortzusetzen.
Für jeden ist der Wechsel unterschiedlich gewesen. Ich war in Westdeutschland bekannt, weil der Film "Paul und Paula" auch in der Bundesrepublik sowohl im Kino als auch im Fernsehen gezeigt wurde. So bin ich auch davon ausgegangen, dass nicht nur das Theater mich wollte, sondern dass auch die Medien ein bisschen wussten, wer ich bin. Lea Rosh war die erste, die mich in eine Talkshow holte. Ich habe möglicherweise ein bisschen Glück gehabt. Aber wenn jemand seinen Beruf wie ich ernsthaft gelernt hat, dann ist es anders als bei Daniel Küblböck, der hochgeschossen wird und dann wieder weg ist. Ich bin ja nicht nur auf Angebote von Film und Fernsehen angewiesen, ich mache Theater, Hörspiel, Lesungen, Hörbücher. Man darf natürlich nicht warten, bis jemand kommt und einen holt, sondern muss sich selbst bewegen.
Auch wenn Sie ernste Rollen spielen, habe ich immer den Eindruck, dass Komik dabei ist. Ist das ungewollt oder gewollt?
Das ist aus dem Leben abgeguckt. Der Widerspruch zwischen dem, was wir uns alle erträumen, was Sie sich erträumen und was ich mir erträume und was real stattfindet – die Spanne ist ja riesig groß und auch die Fallhöhe ist groß. Man sieht natürlich gerne, wenn jemand auf der Banane ausrutscht. Und wenn es dazu noch eine Krankenschwester ist, die sehr resolut ist und den Leuten im Gips immer sagt, wie sie sich verhalten sollen, freuen sich natürlich alle, wenn die ausrutscht und hinfällt. Das Leben birgt so viele kuriose und absurde Situationen, die manchmal tragisch sind, aber auch immer eine humorvolle Seite haben. Das macht die Sache originell. Es ist ja langweilig, eine Figur wie Egmont als den heroischen, sauberen Herrn darzustellen. Es wäre interessanter, ihn mit all seinen Schwächen zu zeigen.
Sie haben Ihre Diplomarbeit über Clowns geschrieben. Hatten Sie damals schon den inneren Wunsch, die Leute zum Lachen zu bringen?
Das Lachen ist der Nebeneffekt. Das Entscheidende ist, dass sich Shakespeare für die Clownsrollen "Fachleute" geholt hat. Er hat sich von den Märkten Clowns für die Narrenrollen geholt. Das hat mich interessiert. Shakespeare hat gewusst, dass ein Clown sein Handwerk gelernt hat. Bei Shakespeare wurden die Figuren so dargestellt, wie sie sind. Mit allen ihren Stärken und Schwächen. Hamlet war eigentlich kein schöner Mann, sondern ein kleiner Dicker. Erst die deutsche Romantik hat aus ihm den schlanken, großen, feinnervigen Herrn gemacht. Ich habe meine Diplomarbeit dann so wie eine Kochanleitung geschrieben. Ich habe also aufgeschrieben, wie ich diese Rolle gekocht habe. Habe die einzelnen Schritte für jeden Studenten festgehalten, als eine Art Anleitung zum Handeln – wie eine Gebrauchsanweisung für eine Art von Figuren bei Shakespeare.
Ihr Sohn ist ebenfalls Schauspieler, haben Sie das unterstützt?
Das war mir völlig egal. Er wusste ja, was für Schwierigkeiten damit auf ihn zukommen. Sich jede Rolle zu erarbeiten, ist ein schmerzvoller Prozess, der mit einem selber stattfindet. Unzulänglichkeiten, die jeder hat, werden einem sehr bewusst, während man seine Rolle erarbeitet. Das kann man eigentlich niemandem empfehlen.
Welche Rolle von denen, die Sie bisher gespielt haben, haben Sie am meisten gemocht?
Den Totengräber im Hamlet. Das hat mir großen Spaß gemacht. Da bin ich auf den Friedhof gegangen und habe mit einem Totengräber viel gewühlt, habe Armknochen und Beinknochen gefunden, die dann wieder in ein Grab kamen. Diese Rolle war übrigens mein größter Misserfolg.
Ihr größter Misserfolg und doch Ihre Lieblingsrolle?
Weil ich mich sehr intensiv und realistisch auf diese Rolle vorbereitet hatte und das hat mir gar nicht geholfen. Man muss sich ja nicht erschießen lassen, wenn man eine Leiche spielt. Man muss auch nicht für die Rolle eines Koches geübt haben. Das kommt dann aus der Fantasie, und das habe ich bei dieser Rolle schmerzhaft lernen müssen.
Sie haben von 1996 bis 1998 im Tatort Kommissar Roiter gespielt. Der Tatort wurde heftig kritisiert.
Der Tatort war sehr erfolgreich. Er hatte eine Einschaltquote von 6,2 bis 8,4 Millionen Zuschauer. Aber die Medien haben ihn fertig gemacht. Aber nicht, weil er langweiliger war als die anderen Tatorte. Er hatte eine neue Aufnahmetechnik. Und zwar hat der Intendant des SFB zum ersten Mal den Film mit einer elektronischen Kamera aufnehmen lassen, weil er dachte, dass er damit Geld spart. Das hat die Produktionsfirma dann machen müssen – und da haben sich alle Medien draufgeschmissen und haben gesagt: "Das wollen wir nicht, wir wollen uns das Hochglanzformat "Tatort" nicht versauen lassen".
Gab es bei Ihnen Durststrecken, Zeiten, in denen Sie mit dem Gedanken gespielt haben, den Schauspielberuf an den Nagel zu hängen?
Ich habe eigentlich nie das Gefühl gehabt, mich zu langweilen. Vielleicht auch, weil der Beruf nicht das Wichtigste in meinem Leben ist. Ich kann auch mit mir selber ganz zufrieden sein. Und so viel, dass ich die Miete bezahlen konnte, habe ich immer gehabt.
Das Interview führte Heike Möhler am 27. Mai 2005.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: 27.04.2020 | 23:05 Uhr