Den ganzen "Salat" loswerden Wie die Treuhand den Osten verkaufte
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07. April 2022, 19:57 Uhr
Februar 1990. Das Ende der DDR ist nur noch eine Frage der Zeit. In Ostberlin beschäftigen sich Bürgerrechtler mit der Frage, wem das sogenannte Volkseigentum einmal gehören soll. Ihr Vorschlag: "Umgehende Bildung einer Treuhandanstalt zur Wahrung der Anteilsrechte der DDR-Bürger am Volkseigentum der DDR." Die Menschen sollen etwas von dem zurückbekommen, was sie in 40 Jahren erarbeitet haben. Jeder Bürger soll einen Anteilschein erhalten, der ihn zu einem Eigentümer "von einem Sechzehnmillionstel des DDR-Vermögens" macht. Doch es kommt ganz anders.
Bereits zwei Wochen später legt die Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow tatsächlich einen Gesetzentwurf über die Bildung einer Treuhandanstalt vor. Ein entscheidender Passus fehlt allerdings: Von einer Verteilung des Vermögens ist nicht mehr die Rede. Die am 1. März schließlich ins Leben gerufen Holding soll die Kombinate entflechten, Kapitalgesellschaften bilden und einen Ausverkauf der DDR-Wirtschaft verhindern. Doch auch davon wird nicht viel übrig bleiben: Unter maßgeblicher Einflussnahme bundesdeutscher Politiker entwirft im Mai eine Arbeitsgruppe im Büro des neu gewählten Ministerpräsidenten de Maiziere an der Volkskammer vorbei eine Gesetzesvorlage. Tenor: Eine reformierte Treuhand soll Kombinate und Betriebe zügig privatisieren.
"Das Volk kann sich sein Eigentum in den Rauchfang schreiben"
Mit Einführung der "Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion" in der DDR am 1. Juli 1990 ist die Treuhand zur Eigentümerin von 8.000 Kombinaten und Betrieben geworden und nun Arbeitgeberin von vier Millionen Ostdeutschen. Die sollen freilich gar nichts mehr abbekommen - zehn Tage vor der Währungsunion war das Treuhandgesetz noch einmal gründlich überarbeitet worden. Es heißt jetzt: "Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens." "Das Volk kann sich sein Eigentum in den Rauchfang schreiben", notierte der Schriftsteller Stefan Heym lakonisch.
Den ganzen Salat loswerden
Die Treuhandanstalt sieht ihre Aufgabe darin, die Betriebe der DDR, die nach der Währungsunion riesige Verluste schreiben, so schnell als irgend möglich zu verkaufen. Damit man den "ganzen Salat", wie der bis 1991 als Treuhand-Chef arbeitende Detlev Carsten Rohwedder (1932 bis 1991) formuliert, loswerden kann, werden die Kombinate zerschlagen und potentielle Käufer dürfen sich die Filetstücke aussuchen. Unter teils dubiosen Umständen verscherbelt die Treuhand rund 50.000 Immobilien, knapp 10.000 Firmen und mehr als 25.000 Kleinbetriebe. Dass sie in zahllosen Fällen weder die Bonität der Käufer prüfte noch die Einhaltung der Verträge überwachte, ist aktenkundig. Die DDR gilt in diesen Jahren als ein riesiger Schnäppchenmarkt und die Kritik an dem Gebaren der Treuhand wächst von Jahr zu Jahr. "Die Treuhandanstalt ist hilflos gegenüber der Vielzahl von Vorwürfen, die überwiegend berechtigt sind", gibt selbst Treuhand-Chef Rohwedder 1991 unumwunden zu.
1994 wird die Treuhand geschlossen. Ihre Bilanz: mehr als drei Millionen vernichtete Arbeitsplätze und ein Schuldenberg von sage und schreibe 264 Milliarden D-Mark.
Historisch einmalige Umverteilung
Die Geschichte der Treuhand ist aber vor allem eine Geschichte einer gigantischen Umverteilung: Das einstige Volkseigentum ist zu 85 Prozent an Westdeutsche, zu 10 Prozent an internationale Investoren und nur zu knapp 5 Prozent an Ostdeutsche übertragen worden. Eine Umverteilung, wie man sie noch kaum jemals in der Weltgeschichte gesehen hat. Ein Witz im Osten ging damals so: "Die Ereignisse von 1989 sind tatsächlich eine Revolution gewesen! – Warum? – Na ja, Karl Marx hat doch geschrieben, dass eine Revolution zur völligen Umwälzung der Besitzverhältnisse führt."
Dieses Thema im Programm: D-Mark, Einheit, Vaterland: Das schwierige Erbe der Treuhand | 07. Juli 2020 | 22:10 Uhr