der Historiker Dr. Marcus Böick
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Das Treuhand-Trauma Status Quo in Hettstedt

23. September 2022, 14:02 Uhr

1995 geht es in Hettstedt um den Erhalt von 600 Arbeitsplätzen in einem Teil des ehemaligen Mansfeld Kombinates. Aluhett – das ist die lange Geschichte einer versuchten Abwicklung, von unfähigen Managern, Insolvenzen, Protesten, Verhaftungen und einem Fördermittelskandal seit die Treuhand den Betrieb 1990 übernommen hat.

Im sachsen-anhaltischen Hettstedt sind die Narben und Wunden der Treuhand-Geschichte noch deutlich sichtbar. Ruinen. Gleise die niemand mehr braucht. Stillstand und Verfall. Vom ehemaligen Güterbahnhof aus wurden einst Kupfer- und Aluminiumprodukte für die DDR-Industrie geliefert.

Einer der auszog, um die Treuhand zu verstehen

Marcus Böick ist einer, der aus Hettstedt auszog, um die Treuhand zu verstehen. Er ist hier zur Schule gegangen. Seit zehn Jahren forscht der Historiker in Bochum zur Treuhand und hat darüber ein Buch mit gleichnamigem Titel geschrieben. Seine Fragen, wie die vieler anderer Ostdeutscher: Was genau ist damals passiert, warum ist der Graben zwischen Ost und West so tief, warum heilen die Wunden so schwer? Warum sind die Klischees so festgefahren?

Ich wollte keine westdeutsche Erfolgs- oder Heldengeschichte erzählen, nach der alles alternativlos war oder alles super gelaufen ist oder eine ostdeutsche Opfergeschichte, nach der alles schrecklich gelaufen ist und es eine Riesenkatastrophe war. Es hat mich wirklich interessiert, was ist da konkret passiert.

Marcus Böick gebürtiger Hettstedter

Arbeit im Werk: Stolz und Lebenssinn der Arbeiter

Hettstedt hat jahrhundertelang von und für den Bergbau gelebt. Vom Abbau der Erze. Zur Identität der Bewohner gab es in der Region eigentlich keine weiteren Fragen. Ich bin Bergmann – wer ist mehr? hieß ihr Spruch. Im Hettstedter Walzwerk, ebenfalls ein Teil des Mansfeld Kombinates, wurde Kupfer verarbeitet. Die Arbeit im Werk war – so schwer, dreckig und laut wie sie ist – der Stolz und Lebenssinn der Arbeiter. Dreischichtbetrieb, ständiger Kampf um Planerfüllung. Die Kupferverarbeitung wurde auch in den 80er-Jahren schon subventioniert und macht nur in der devisenarmen DDR Sinn. Sie kann kein Kupfer kaufen, sondern muss es selber produzieren.

Mitte der 90er: Aluhett als Symbol der Abwicklung

1994 stuft die Treuhand das Werk als nicht sanierungsfähig ein. Theoretisch das Aus für Tausende Werktätige. Mit Protesten erkämpfen sich die Walzwerker Geld für die Sanierung, um den Erhalt von 600 Arbeitsplätzen in einem Teil des ehemaligen Mansfeld Kombinates zu sichern. Aluhett wird ab da zum Symbol einer versuchten Abwicklung, von unfähigen Managern, Insolvenzen, Protesten, Verhaftungen und einem Fördermittelskandal seit die Treuhand den Betrieb 1990 übernommen hat.

"Es war sehr, sehr schwer für alle Beteiligten, für die Akteure, für die Politik, aber auch für die Menschen, damit irgendwie klarzukommen und damit umzugehen, dass sich innerhalb so weniger Jahre so ein komplettes Industriemodell zusammengebrochen ist und dann sich wieder neu zu orientieren", erzählt Marcus Böick.

Verlust der Arbeit hat auch hier die Seelen müde gemacht

1995 wird das Werk privatisiert. Von einst 8000 Menschen können 1200 weiter arbeiten. Immerhin. Sie liefern heute Kupfer für High-Tech-Produkte für alle Kontinente. Es geht also. Die erste Einschätzung der Treuhand, das Werk sei nicht sanierungsfähig, wurde von Hettstedt, seinen Bewohnern und der Geschichte widerlegt. Und trotzdem: Hettstedt hat eine der höchsten Arbeitslosenquoten Deutschlands. Der Verlust der Arbeit hat auch hier die Seelen müde gemacht.

Da merkt man im Prinzip, wie widersprüchlich das Ganze ist und dass es eigentlich auch weniger eine reine Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichte ist, sondern eher eine Geschichte einer Überforderung. Einer Überforderung in West, aber auch in Ost. Und das ist so eine Perspektive, die sich für mich immer klarer herausstellt. Mit dieser Überforderung umzugehen, fällt uns bis heute sehr schwer.

Marcus Böick Autor des Buches "Die Treuhand"

Überforderung - niemand war der Situation gewachsen. Das ist der Befund zehnjähriger Forschungsarbeit von Marcus Böick: "Die Treuhandmanager haben im Prinzip den Zustand der Planwirtschaft nicht zu verantworten, haben auch die Entscheidung der Schocktherapie, also der Wirtschafts- und Währungsunion nicht zu verantworten." Die Rahmenentscheidungen, so Böick, seien getroffen worden bevor Rohwedder und seine ersten Kollegen die Führungsetagen der Treuhandanstalt übernommen hätten.

(Kerstin Mauersberger/jok)

Über dieses Thema berichtet MDR Zeitreise auch im TV: 08.09.2019 | MDR Zeitreise | TV | 22:00 Uhr