Wohnen in der DDR Vom normierten Wohnen in der Platte
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04. Februar 2022, 12:20 Uhr
Plattenbauwohnungen boten kaum Gestaltungsspielräume. Die Folge: Normiertes Wohnen. Das hieß dann: Sozialistische Wohnkultur.
Anfang der 1960er Jahre erschien im "Verlag für Bauwesen Berlin" ein sonderbares Buch. Es trug den Namen "Wohnraumfibel".
Auf 145 Seiten werden dem Leser die Grundzüge des neuen sozialistischen Wohnens erläutert. Das Buch entwickelte sich zu einer Art Standardwerk in der DDR und erlebte etliche Nachauflagen, vor allem in den 1970er Jahren. Es passte gut in die Honecker-Ära: Die SED hatte gerade ihr ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm beschlossen, das bis 1990 jedem DDR-Bürger eine eigene Wohnung, und zwar in einem Plattenbau, versprach. Ideen für die Einrichtung der normierten Neubauwohnungen hatten Hochkonjunktur.
Gegen den großbürgerlichen Mief
Die Stoßrichtung der "Wohnraumfibel" war unverkennbar. Auch da atmete sie ganz den Zeitgeist. Bereits im Vorwort werden der zu schaffenden sozialistischen Wohnkultur die kleinbürgerliche Wohnstube aus der Kaiserzeit und der großbürgerliche Geltungsdrang gegenübergestellt. Die Wohnungen im Sozialismus hingegen sollen vor allem praktisch sein und den "wahren Bedürfnissen der Werktätigen" entsprechen.
Die Kommode wird umgebaut
So wird etwa im Wohnzimmer eine Schrankwand genügend Stauraum bieten, die Küche rationell und übersichtlich gestaltet sein, "sodass im Handumdrehen alle Arbeiten erledigt werden können, die der unvermeidlichen Sorge um das leibliche Wohl dienen". Dass die Wohnungen der neuen Zeit eher klein sein werden, habe für die Werktätigen den entscheidenden Vorteil, dass lange Wege nach anstrengenden Arbeitstagen entfallen. Alles ist sofort erreichbar. Darüber hinaus geben die Autoren aber auch praktische Anleitungen, wie beispielsweise aus einer alten Kommode mittels Nägeln und Spanplatten ein modernes Möbelstück entstehen kann.
Kaum Gestaltungsspielräume
Tatsächlich gab es in den normierten Wohnungen der Plattenbausiedlungen kaum Gestaltungsspielräume für die Mieter: Couchgarnitur mit ausziehbarem Bett rechts, Schrankwand links, Essecke an der Durchreiche zur winzigen Küche. Genau so, wie es die "Wohnraumfibel" für den "sozialistischen Menschen von morgen" vorsah.
Zentralisierung der Möbelindustrie
Die Maße der Neubauwohnungen bestimmten daher zunehmend auch die Entwürfe der Möbelhersteller. Ihre Erzeugnisse mussten schließlich in die "Platte" hineinpassen. Die Folge: überwiegend Einheitsmobiliar. Vereinheitlichung und Normierung wurden aber auch durch die von der SED verordnete Zentralisierung der Möbelindustrie erreicht: Hatte es 1956 noch 612 Möbelfabriken in der DDR gegeben, waren es 1969 nur noch achtzehn. 1986 war ihre Zahl weiter geschrumpft - auf nunmehr nur noch fünf. Rationalisierungen und der Zwang zu Kosteneinsparungen taten ihr Übriges.
"Die klassische DDR-Wohnung gab es nicht"
Doch trotz "Wohnraumfibel", genormter Plattenbauwohnungen, Einheitsmobiliar und Propagierung der "sozialistischen Wohnkultur" – "die klassische DDR-Wohnung gab es nicht", konstatiert die Leipziger Fotografin Margit Emmrich. Mitte der 1970er-Jahre hatte sie DDR-Bürger in ihren Wohnungen porträtiert. Auf ihren Fotos sieht man Leute vor alten Kommoden, vor Bücherwänden, auf zerschlissenen alten Kanapees unter Ölbildern, in selbst gezimmerten Küchen und - auf der Couch-Garnitur mit ausziehbarem Bett vor der Schrankwand in irgendeinem Plattenbau der Republik ...
(zuerst veröffentlicht am 16.02.2009)