Die Wiederkehr des Konsums nach dem Zweiten Weltkrieg
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18. November 2021, 09:40 Uhr
Das "K"-Logo, meist in Rot, stand in der DDR an vielen Läden und Gaststätten. Wobei das K aus einem Industrieschornstein und einer Sichel bestand. Vor allem auf dem Lande gehörte der Dorfkonsum wie die Kneipe zum Alltag. Ebenso wie das Kleben von Konsummarken. Der Boom der ostdeutschen Einzelhandelskette ist einer Entscheidung der Sowjetischen Militäradministration vom 18. Dezember 1945 zu verdanken.
Deutschland 1945. Die Versorgung ist zusammengebrochen. In den Städten herrschen Hunger und Elend. Wie kann die Versorgung schnell wiederaufgebaut werden? In vielen Kommunen versuchen Frauen und Männer die alten Netzwerke der Konsumgenossenschaften zu reaktivieren.
Hermann Schulze-Delitzsch gründet ersten Konsumverein
Den ersten deutschen Konsumverein, die "Eilenburger Lebensmittelassociation", gründet 1850 der Jurist und Sozialreformer Hermann Schulze-Delitzsch. Das Konzept der Selbstversorgung, der demokratischen Mitbestimmung aller Mitglieder und nicht zuletzt der Rückvergütung erweist sich als Erfolgsmodell. In fast allen großen Städten entstehen nach Eilenburger Vorbild Konsumgenossenschaften. Um die Waren günstig anbieten zu können, werden eigene Betriebe aufgebaut und genossenschaftliche Molkereien gegründet. Den Nazis sind die genossenschaftlichen Konsumvereine ein Dorn im Auge. 1935 werden sie aufgelöst, ihr Vermögen der "Deutschen Arbeitsfront" übertragen.
Neubeginn im Sommer 1945
An die Traditionen der genossenschaftlichen Versorgung versuchen gleich nach Kriegsende viele ehemalige Konsummitglieder anzuknüpfen. Schon im Mai 1945 entsteht in Finsterwalde die "Erzeuger- und Verbrauchergenossenschaft Lausitz". Im ersten Nachkriegssommer entrichten schon wieder 17.000 Männer und Frauen ihre Mitgliedsbeiträge. In Leipzig wird Wilhelm Fischer aktiv, langjähriger Vorstand der Leipziger Konsumgenossenschaft.
Wenn es uns trotzdem gelungen ist, die Ernährung der Stadt Leipzig bis zur neuen Ernte sicherzustellen, so verdanken wir dies in erster Linie unseren alten Beziehungen zur Landwirtschaft und zu den Händlern.
60 Konsumgenossenschaften werden bis zum Dezember 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone wiedergegründet - unter widrigsten Bedingungen. Das gesamte Vermögen der NSDAP und ihrer Organisationen wurde nach dem Krieg per Gesetz Nr. 52 des Alliierten Kontrollrats konfisziert - dazu gehörte auch die "Deutsche Arbeitsfront", der 1935 das gesamte Vermögen der Konsumgenossenschaften übertragen worden war. Damit können die Konsumgenossenschaften weder auf Konten, noch ihre einstigen Läden, Werkstätten und Fahrzeuge zurückgreifen.
Marschall Schukow befiehlt Rückgabe
"Außerordentliche Bedeutung" haben die Konsumgenossenschaften für die Lebensmittelversorgung der Deutschen, erklärt Marschall Schukow in seinem Befehl 176 vom 18. Dezember 1945. Mit ihm erlaubt er die Neugründung von Genossenschaften und gibt ihnen das Recht, "bewirtschaftete Lebensmittel und gewerbliche Gebrauchsgüter an ihre Mitglieder zu verkaufen".
"Gute Qualität zu gerechten Preisen" wird ebenfalls befohlen. Die Sowjets sind damit die erste der vier Besatzungsmächte, die die Konsumvereine wieder erlauben. Amerikaner, Briten und Franzosen folgen erst 1946 nach und dann oft mit vielen Restriktionen und Vorbehalten gegen den genossenschaftlichen Handel. Die Sowjets hingegen sehen, getreu der marxistischen Lehre, in Genossenschaften "eine niedere Form des gesellschaftlichen Eigentums". Die Unterstützung für Konsumgenossenschaften ist auch politisch motiviert, soll den privaten Handel schwächen.
Die Konsumgenossenschaften wurden als ein Weg zur Sozialisierung angesehen und deshalb in vieler Hinsicht bevorzugt, bei der Zuteilung von rationierten und knappen Waren, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Auch steuerlich wurden ihnen gewisse Privilegien eingeräumt. Ihr Wirtschaftsapparat wurde auch durch die Übertragung enteigneter Kaufhäuser ... stark vergrößert, so dass sie bald zu einem bedeutenden Instrument der Warenverteilung wurden.
Blechbüchse und Rabattmarken: Der Konsum in der DDR
1946 gibt es schon wieder ein flächendeckendes Netz an Konsumgenossenschaften, die nicht nur Läden, sondern auch Gaststätten, einen Versandhandel und seit den 1960er-Jahren die Konsument-Warenhäuser betreiben. Flaggschiff der Warenhäuser ist die legendäre "Blechbüchse" in Leipzig. Hinzu kommen eigene Nahrungsmittelbetriebe wie "Teigwaren Riesa", "Röstfein" in Magdeburg oder die Bürstenfabrik Stützengrün. Rund ein Drittel des Einzelhandelsumsatzes in der DDR entfällt auf die Konsumgeschäfte. Ihr Angebot unterscheidet sich zwar kaum von dem der staatlichen HO, aber die Rückerstattung von 1,5 bis 1,7 Prozent des gekauften Warenwertes ist durchaus lukrativ. Und so gehört das Kleben der grünen, braunen und blauen "Konsummarken" zum Alltag vieler DDR-Bürger. 4,5 Millionen von ihnen sind 1989 Mitglieder einer Konsumgenossenschaft.
Genossen in der Marktwirtschaft
Der große Bruch kommt mit der Währungsunion und Wiedervereinigung 1990. Im Einigungsvertrag werden die Konsumgenossenschaften schlichtweg vergessen. Unklare Eigentumsverhältnisse und die Übermacht westdeutscher Handelsketten sorgen für das Aus vieler Genossenschaften. Diejenigen, die überlebt haben, wie in Dresden, Weimar, Erfurt oder Leipzig, boomen heute. Die Idee einer regionalen Einkaufs- und Verbraucherorganisation ist so aktuell wie seit langem nicht - und seit 2016 sogar Weltkulturerbe.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Umschau: Konsum | 22. Oktober 2019 | 20:15 Uhr