Import von Markenjeans Ein blaues Wunder
Hauptinhalt
07. August 2018, 08:59 Uhr
Ende der 1970er-Jahre wollte Erich Honecker die Jugend auf seine Seite ziehen. Eine Million Jeans sollte zu diesem Zweck importiert werden. Die Aktion stellte Außenhändler Gerhard Heyner vor enorme Herausforderungen.
Noch in den 1960er-Jahren waren Jeans in der DDR als kapitalistisches Konsumgut verschrien. SED-Chef Walter Ulbricht wollte von der ganzen Beat-Bewegung nichts wissen: "Müssen wir jeden Dreck, der aus dem Westen kommt, kopieren? Mit der Monotonie des Yeah, yeah, juh oder wie das heißt, sollte man Schluss machen!" Ende der Diskussion. Erst unter seinem Nachfolger Erich Honecker kam die Einsicht auf, dass dem Druck der Modebewegung im Interesse der großen Sache doch ein wenig nachgegeben werden könnte. Die Umsetzung dieser Einsicht stellte die Außenhändler des Arbeiter- und Bauernstaates Ende allerdings vor enorme Schwierigkeiten: Innerhalb von drei Monaten nämlich sollte der Import von einer Million Jeans bewerkstelligt werden. Und es sollten den jungen DDR-Bürgern auch nicht irgendwelche Jeans vorgesetzt werden, sondern Markenhosen von Levis und Wrangler.
Großen Mengen – wenig Zeit
Gerhard Heyner aus dem staatlichen Außenhandelsbetrieb Textilkommerz sah sich vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt. Er und seine Kollegen starteten unter ungünstigen Vorzeichen in die Verhandlungen mit den Amerikanern. Wie sollte eine solche Masse an Jeans in so kurzer Zeit überhaupt produziert werden? En vogue sollte die Ware schließlich auch noch sein, der neueste Schrei für die ostdeutsche Jugend - denn das war ja schließlich der Sinn der Aktion. Doch was war denn gerade in Mode? Schlag- oder Schlauchhosen? Welche Größen wurden gebraucht?
Als all das geklärt war, folgten die harten Verhandlungen mit den Amerikanern, denen natürlich absolut bewusst war, dass sie sich in der besseren Position befanden. "Es wurde gestritten bis aufs Messer", erinnert sich Heyner, aber am Ende wurde man sich sogar einig. Den Großteil des Importvolumens deckte in der Tat die Firma Levis ab, Wrangler und Pioneer übernahmen den Rest. Als man sich über die Preise einig geworden war, kam allerdings schon das nächste Problem auf die Textilhändler zu. Nach der Produktion musste schließlich noch die schnelle Lieferung gewährleistet werden.
Mit dem Flieger im Dienste der Mode
Die Hosen kamen aus Fabriken in den USA und auf Malta. Die Verschiffung hätte viel zu lange gedauert. Also wurde eine private Fluggesellschaft engagiert. In mehr als 20 Flügen mit je 10.000 Stück wurde die Einfuhr vertraglich fixiert. Diese Gesellschaft aus dem Westen durfte aber in Schönefeld nicht landen, wie sich erst nach der Unterzeichnung herausstellte. Der Ostberliner Flughafen wurde im internationalen Streckennetz zu diesem Zeitpunkt boykottiert. Dieser Umstand erschwerte den Amerikanern nun die Einhaltung des unterzeichneten Vertrages.
Schließlich einigte man sich auf eine Landung in Dresden. Für die DDR war das ohnehin günstiger, da Dresden näher am geplanten Lager- und Verteilort der Jeans lag. Nur mussten das die US-Amerikaner ja nicht erfahren! So konnten Heyner und seine Kollegen auch noch eine üppige Vertragsstrafe kassieren. "Da durften wir keine Schwäche zeigen. Die Amerikaner hätten schließlich auch nicht mit der Wimper gezuckt, wenn es sich andersherum zugetragen hätte", ist sich Gerhard Heyner sicher.
Jugendmode hat Angst vor Hamsterkäufen
Am Ende kam die Millionenlieferung pünktlich. Gerhard Heyner, der zuvor täglich Berichte über den Stand der Auslieferungen beim Ministerium für Handel und Versorgung hatte abgeben müssen, war erleichtert. Sein Job war getan. Um die nun folgenden Probleme, etwa dass die "Jugendmode"-Geschäfte die gelieferten Jeans aus Angst vor Tumulten gar nicht verkaufen wollten, mussten sich andere kümmern. Denn klar war natürlich: Eine Million Jeans waren in Anbetracht der weitaus gewaltigeren Nachfrage lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das SED-Politbüro beschloss aus Angst vor Unruhen beim Verkauf der Jeanshosen in den Innenstädten, dass sie ausschließlich über Werksverkäufe in den Volkseigenen Betrieben der Republik unters Volk gebracht werden sollten.
Gerhard Heyner über seine Erfahrungen in Großbritannien
(Zuerst veröffentlicht am 07.05.2013)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV, am: 23.06.2017 | 21:45 Uhr