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Fakt ist! Aus Erfurt am 29.01.2025 Schimmel, Schäden, abgesperrt – Marode Sportstätten und die Folgen
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Ein Blick auf vernachlässigte Infrastruktur
29. Januar 2025, 16:49 Uhr
Der Befund ist eindeutig: Deutschlands Sport-Infrastruktur steckt in einer tiefen Krise. Viele Hallen, Plätze und Gebäude sind veraltet, sanierungsbedürftig oder schlichtweg unbrauchbar geworden. Dazu reden wir am Mittwoch, 29. Januar, ab 20:15 Uhr im Livestream und im MDR FERNSEHEN. Und Sie können zeitgleich im Chat mitdiskutieren.
Inhalt des Artikels:
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) sehen über 50 Prozent der Kommunen einen erheblichen Investitions-Rückstand bei ihren Sportstätten. Viele davon sind inzwischen erheblich sanierungsbedürftig. Zustand und finanzielle Belastung sind so groß, dass etwa 20 Prozent der Kommunen schon jetzt Sportstätten geschlossen oder Sportangebote stark reduziert haben. Um weitere Einschränkungen zu verhindern, fordern die Kommunen vor allem eine bessere Grundfinanzierung. Laut der Difu-Umfrage halten 76 Prozent der Kommunen dies für den effektivsten Ansatz. Eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs könnte Abhilfe schaffen.
Energetische und bauliche Mängel
Laut dem Landessportbund Thüringen beträgt der Investitionsbedarf allein in Thüringen mehr als eine Milliarden Euro. Thomas Zirkel, Hauptgeschäftsführer des LSB Thüringen, erklärt: "Die Baukosten sind gestiegen, und die Fördermittel reichen bei weitem nicht aus. Viele Projekte werden nicht einmal in der Prioritätsliste berücksichtigt, weil schlichtweg die Mittel fehlen." Zirkel geht zudem davon aus, dass moderne Sportstätten auch Ehrenamtliche mehr motiviere würden, ihr Engagement aufrecht zu erhalten – doch diese Chance bleibt ungenutzt.
Bedeutung für die Gesellschaft
Dabei sind Sportstätten nicht Orte allein, auf denen Sport getrieben wird. Was in Turnhallen, auf Fußballplätzen, Leichtathletik-Anlagen oder in Schwimmbädern geleistet wird, ist mehr als das bloße Herstellen körperlicher Fitness. Der Breitensport gilt unter Experten als „Schule der Demokratie“. Soll heißen: Neben der Förderung von Gesundheit, steht auch die Entwicklung sozialer Kompetenzen im Fokus. Sportstätten sind auch Treffpunkte und Bildungsstätten. Darauf weist unter anderem Dr. Petra Tzschoppe hin. Die Sportsoziologin der Universität Leipzig beobachtet den Verfall der Sportinfrastruktur und die damit verbundenen Folgen seit Jahrzehnten. Tzschoppe hebt hervor, dass Sportvereine nicht nur Bewegungsförderung bieten: "Regeln befolgen, Teamgeist entwickeln, Niederlagen verkraften – das sind Kompetenzen, die das soziale Zusammenleben stärken und jungen Menschen wichtige Werte vermitteln." Doch ohne funktionsfähige Sportstätten können Vereine diese Rollen nur eingeschränkt erfüllen.
Wartelisten und soziale Exklusion
In Städten wie Jena oder Leipzig stehen sportwillige Kinder oft auf langen Wartelisten. Tzschoppe erläutert: "Viele Vereine könnten mehr Kinder und Jugendliche aufnehmen, wenn sie die Kapazitäten hätten. Doch der Zustand der Sportstätten setzt hier klare Grenzen." Hinzu kommt, dass gerade sozial schwächere Familien Schwierigkeiten haben, Alternativen zu finden. Die Teilnahme an Sportangeboten bleibt daher oft privilegierten Gruppen vorbehalten. Tzschoppe fordert, dass Sportverantwortliche stärker in politische Entscheidungen einbezogen werden: "Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass der Sport oft übersehen wird. Dabei sind Sportvereine wichtige gesellschaftliche Akteure, die unbedingt eine Stimme am Entscheidungstisch brauchen."
Gesundheitliche Risiken
Zahlen aus Sachsen-Anhalt legen nahe, dass motorische Defizite bei Kindern zunehmen. Die fehlende Möglichkeit, Sport in der Gemeinschaft auszuüben, verstärkt diese Entwicklung. Dies hat nicht nur langfristige Folgen für die Gesundheit, sondern auch für das Bildungssystem, da körperliche Aktivität nachweislich die Konzentration und Lernfähigkeit fördert. Nicht zu unterschätzen sind außerdem die langfristigen Folgen fehlender sportlicher Betätigung und Fitness auf das Gesundheitssystem.
Ungleiche Verteilung und Verantwortlichkeiten
Die Probleme sind erkannt. Fakt ist aber: Schnellen Lösungen stehen vielerorts komplexe Verantwortungsstrukturen und leere Kassen im Weg. Grundsätzlich gilt: Die meisten Sportstätten werden von Kommunen betrieben. Dort ist man aber, wegen der häufig angespannten Haushaltslage, auf die Zuschüsse von Bund und Land angewiesen. Auf Thüringer Landesebene liegt die Hauptverantwortung seit dieser Legislaturperiode in der Staatskanzlei und deren Chef Stefan Gruhner. Der CDU-Mann hat das Sport-Ressort aus dem Bildungsministerium übernommen und damit künftig eine Schlüsselrolle. Sein Haus erstellt für jede Haushaltsperiode eine Prioritätenliste. Diese entscheidet darüber, welche von den Kommunen beantragten sportinfrastrukturellen Projekte vom Land gefördert werden.
Tropfen auf den heißen Stein
LSB-Chef Zirkel sagt: "Ohne zusätzliche Kredite für Investitionen wird es nicht gehen. Hier muss der Bund eine größere Verantwortung übernehmen." Und Sportsoziologin Tzschoppe meint, die Sanierung bestehender Anlage müsse vor Neubau stehen. Beide plädieren außerdem für eine systematische Erfassung der deutschen Sportstätten und deren Zustands. Einen solchen "Sport-Atlas", Grundlage für einen datenbasierte Planung von Sportinfrastruktur-Maßnahme, lässt derzeit lediglich Sachsen-Anhalt erstellen. Durch einen bundesweiten, flächendeckenden Überblick ließen sich jedoch Prioritäten besser setzen und Investitionen gezielter steuern
Da war doch mal was! Der „Goldene Plan Ost
Nach dem Ende der DDR war die Infrastruktur in den neuen Bundesländern vielerorts marode, insbesondere in Bereichen wie Bildung, Verkehr und Sport. Viele Sportanlagen aus DDR-Zeiten waren veraltet und entsprachen nicht den Standards der westdeutschen Länder. Für die Förderung des Breitensports und die Unterstützung des Leistungssports war ein gezieltes Investitionsprogramm erforderlich, um gleiche Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland zu schaffen: Der Goldene Plan Ost. Ziel war es, den sportlichen und infrastrukturellen Rückstand in den neuen Bundesländern zu verringern und eine flächendeckende Verbesserung der Sportstätten zu ermöglichen. Der Name des Programms lehnt sich an den "Goldenen Plan" der alten Bundesrepublik aus den 1960er Jahren an, mit dem der Ausbau von Sportstätten in Westdeutschland vorangetrieben wurde.
Der "Goldene Plan Ost" war durch eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen finanziert worden. In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung floss ein erheblicher Teil der Fördermittel in die Renovierung bestehender Anlagen. Gleichzeitig wurden neue Sportstätten errichtet, insbesondere in ländlichen Regionen, die zuvor oft unzureichend ausgestattet waren. Eine der größten Herausforderungen war die Finanzierung. Da die neuen Bundesländer wirtschaftlich schwächer waren und viele Kommunen hoch verschuldet, war die Unterstützung durch den Bund entscheidend. Insgesamt wurden zwischen 1992 und 2007 Milliardenbeträge in die Sportinfrastruktur investiert. Jedoch: Auch diese Projekte sind inzwischen wieder in die Jahre gekommen.
Hier können Sie die Sendung anschauen und mitdiskutieren
Wie will die Thüringer Landesregierung dazu beitragen die teils katastrophalen Zustände in den Sportstätten zu beseitigen? Welche Lösungsvorschläge machen die Kommunen und Sportvereine? Wie soll der Zukunftsplan "Sportland Thüringen" umgesetzt werden? Das diskutieren Lars Sänger und Kathleen Bernhardt mit Vereinsmitgliedern, Trainern und Gemeindevertretern mit dem Hauptgeschäftsführer des LSB Thüringen Thomas Zirkel, dem CDU-Minister für Sport und Ehrenamt Stefan Gruhner und der Sportsoziologin Dr. Petra Tzschoppe.
Zu sehen ist Fakt ist! Aus Erfurt am Mittwochabend ab 20:15 Uhr im Livestream auf MDR.DE oder im MDR FERNSEHEN.
Bereits ab 15:00 Uhr haben Sie hier die Möglichkeit, im Chat mitzudiskutieren:
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! Aus Erfurt | 29. Januar 2025 | 20:15 Uhr