unicato – Das Kurzfilmmagazin Wende-Dokumente
Hauptinhalt
Die Oktoberausgabe von unicato lädt dazu ein, ein zentrales Stück deutscher Zeitgeschichte neu zu betrachten und zu verstehen, dass die "Wende" mehr war, als nur die großen öffentlichen Ereignisse. Sie war eine Zeit des individuellen und kollektiven Ringens und Zauderns, deren Echo bis in die Gegenwart reicht.
Inhalt des Artikels:
Das Thema der Sendung
In diesem Herbst jähren sich die Ereignisse von 1989 zum 35. Mal. Wann genau die "Wende" begann, lässt sich nur schwer rekapitulieren: War es im Sommer 1989, als Ungarn die Grenzen zu Österreich öffnete, oder als im September die Menschen, die in der bundesdeutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht hatten, offiziell ausreisen durften? Mit Zügen, die noch einmal über das Gebiet der ehemaligen DDR fuhren. Über Dresden, Karl-Marx-Stadt, Plauen. Entlang dieser Strecke kam es zu den ersten großen Demonstrationen gegen das SED-Regime. Oder zeichnete sich die politische Wende schon viel früher ab, in den Betrieben, in den Familien, in der NVA?
Diese historische Epoche des Umbruchs und der Hoffnung wird oft auf ikonische Momente wie die Grenzöffnung, Massendemonstrationen und den Mauerfall reduziert.
Wir alle kennen die Bilder und Erzählungen von den Demonstrationen in Leipzig, von den Hunderttausenden auf dem Alexanderplatz, von der (versehentlichen?) Öffnung der Mauer. Von Trabis, die nach West-Berlin fahren und Menschen, die sich vor Freude in den Armen liegen. Von Reden Helmut Kohls, der "blühende Landschaften" im Osten versprach.
Doch abseits davon spielten sich Geschichten ab, die selten im Fokus des öffentlichen Interesses stehen.
Wir kennen kaum Bilder und Filme von Menschen, die sich bereits 1988 fragten, welchen Sinn es hat, in der NVA einem maroden und diktatorischen Land zu dienen. Wir wissen so gut wie nichts über das Schicksal der rund 60.000 vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter in der Wendezeit.
Es passt nicht in die Feierlichkeiten der "Wende", dass sich Menschen in den Folgejahren das Leben nahmen, weil sie ihren Job verloren oder Monate auf ihre Lohnzahlungen warten mussten und nicht wussten, wie es weitergeht.
Und erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die heutigen Erfolge populistischer Narrative einen ihrer Ursprünge in den Jahren nach der "Wende" haben.
Die Gäste in der Sendung
unicato-Moderator Markus Kavka trifft auf Filmschaffende, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit den Erfahrungen der Zeit zwischen 1988 und 1995 auseinandersetzen:
Andreas Dresen
Andreas Dresen zählt zu den erfolgreichsten deutschen Regisseuren. In seinem Kurz-Dokumentarfilm "Was jeder muss" porträtiert er einen jungen Mann, der gerade zum Grundwehrdienst bei der NVA eingezogen wird. Getrennt von Frau und Neugeborenem leistet er Dienst nach Vorschrift und verbringt sogar Weihnachten in der Kaserne, weil es halt "jeder muss". Obwohl der Film aus dem Jahr 1988 stammt, spürt man in leisen Zwischentönen, in der kritischen Montage und den wenig subtilen Fragen des Regisseurs bereits den bevorstehenden Umbruch der DDR-Gesellschaft. Wir sprechen mit Andreas Dresen über den Film "Was jeder muß" und seine Erfahrungen aus dieser Zeit.
Angelika Nguyen
Mit der Regisseurin und Autorin Angelika Nguyen sprechen wir im Online-Interview über die Entstehung und Hintergründe ihres Films "Bruderland ist abgebrannt", der sich mit den Schicksalen der vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern auseinandersetzt. Sie berichtet über Rassismuserfahrungen und darüber, wie der Film nach über 30 Jahren schließlich seine notwenige Beachtung findet.
Peter Badel
Der Kameramann Peter Badel dokumentierte nach der politischen Wende die Erosion einer eigentlich emporstrebenden Gesellschaft, die für die Verlierer entweder keinen Blick oder nur fade Ratschläge übrig hatte. Mit Dieter Chill reiste Peter Badel in Gegenden, in denen die Jugend entweder in den Westen ging oder in Tarnbomberjacke und Springerstiefeln wenig mit sich anzufangen wusste. Im Interview spricht Peter Badel über die dabei entstandenen Filme "In Schwarze Pumpe" und "Im schönsten Wiesengrunde".
Kerstin Stutterheim
Kerstin Stutterheim erkundet in ihrem Kurz-Dokumentarfilm "Politische Landschaft" ein Waldstück, welches in den 1930er Jahren so bepflanzt wurde, dass sich im Herbst ein riesiges Hakenkreuz zwischen den bunten Bäumen abzeichnet. Im Online-Interview erzählt die Regisseurin, wie sie auf dieses Waldstück gestoßen ist und inwiefern der Nationalsozialismus aus ihrer Sicht esoterische Naturverbundenheit, Mythologie und Ästhetik für seine Ziele zu nutzen wusste. Und sie sucht nach Gründen, warum gerade diese Ästhetik und die damit verbundenen Ideologien in der Nachkriegszeit auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
Die Kurzfilme der Sendung
Der Dokumentarfilm porträtiert die Erfahrungen vietnamesischer Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter nach der deutschen Wiedervereinigung. Er beleuchtet die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren, einschließlich rechtlicher und sozialer Unsicherheiten, und begleitet ihre emotionale Reise zwischen Ankunft und Abschied am Flughafen Berlin-Schönefeld.
Susanne und Dieter, beide 20, stehen am Anfang ihres Familienlebens mit einem neugeborenen Kind. Doch bevor sie dieses neue Kapitel aufschlagen können, wird Dieter zum Militärdienst einberufen. Der Dokumentarfilm verfolgt Dieters Erfahrungen während der ersten sechs Wochen bei der Armee, seine inneren Kämpfe, Erkenntnisse und die harten Realitäten, die schwer zu bewältigen sind. Es ist ein intimer und realistischer Einblick in das Leben innerhalb der NVA vor dem Fall der Berliner Mauer.
Eindrücke und Dialoge aus einer Industriegemeinde werden präsentiert, deren Existenz bald der Vergangenheit angehört. Umgeben von Trödelläden, dem Arbeitsamt und dem vorzeitigen Ruhestand, äußern sich Einwohner über ihre Ergebung in das Unvermeidliche sowie die Überbleibsel einer widerspenstigen Zuversicht.
Die Wiedervereinigung brachte umwälzende Veränderungen für die Ortschaften im Osten, kaum ein Flecken blieb wie er war. 1990 hielten Peter Badel und Dieter Chill die Atmosphäre in Schmiedewalde, einem kleinen Dorf nahe Dresden, filmisch fest. Mit Offenheit und Authentizität teilten die Dorfbewohner ihre Ängste und Sorgen, aber auch ihre Hoffnungen und Träume.
Reflektionen über die deutsche Identität und Sprache anhand eines Hakenkreuzes, das in den 1930er Jahren in einem ostdeutschen Wald gepflanzt wurde. Dieses Symbol, das tief in der dunklen Vergangenheit Deutschlands verwurzelt ist, dient als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der kollektiven Erinnerung sowie der öffentlichen Wahrnehmung und Aufarbeitung von Geschichte.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | unicato: Wende-Dokumente | 03. Oktober 2024 | 00:25 Uhr