Kohleausstieg in der Lausitz High-Tech in HoyWoy – Wie die Lausitz an einer Zukunft ohne Kohle arbeitet
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07. April 2023, 13:27 Uhr
Während Berlin mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten erneut um einen vorgezogenen Kohleausstieg ringt, arbeitet die einstige sozialistische Vorzeigestadt Hoyerswerda längst an der Realisierung der nächsten Utopie: eine Wirtschaft ohne Kohle. Neben den Millionensubventionen vom Bund soll dabei auch ein neuer Hashtag helfen.
Die Debatte um die Zukunft der ostdeutschen Kohlereviere ist neu entfacht. Sollte Ostdeutschland zum falschen Zeitpunkt aus der Kohle aussteigen droht der Lausitz, so scheint es, die Apokalypse: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fürchtet bei einem auf 2030 vorgezogenen Ausstieg ein "organisiertes Tal des Todes". Nach Ansicht des grünen Staatssekretärs Michael Kellner hingegen hätte ein Festhalten am Grubengold bis 2038 einen "ungeregelten Zusammenbruch der Kohle" und "Wohlstandssabotage" zur Folge. Entfacht hat den aktuellen Disput Kellners Chef, Wirtschaftsminister Robert Habeck. Er hatte sich am 1. März für einen früheren Kohleaussteig auch im Osten ausgesprochen, da Elektrizität aus Gaskraftwerken schon ab 2026/207 wirtschaftlicher sein könne als Kohlestrom. Die Ministerpräsidenten von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg widersprachen dem Vorstoß aus Berlin umgehend und vehement.
Unterdessen wird in der Lausitz – etwa in Hoyerswerda – der Wandel zur kohlefreien Wirtschaft vorangetrieben. Mitte März übergab Bürgermeister Torsten Ruban-Zeh (SPD) einem Forscherteam des Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA) die Schlüssel zu ihrem Büro im Alten Rathaus. Die Wissenschaftler koordinieren von dort die Einrichtung des "Low Seismic Labs". Das Untergrundforschungslabor soll, zwischen Hoyerswerda und Kamenz gelegen, in 200 Metern Tiefe im Granitgestein entstehen. Der Granit dort ist gut geeignet zur physikalischen Grundlagenforschung: "Damit wir die Schwankungen der Raumzeit messen können, brauchen wir sehr viel Ruhe. Wir nennen das die seismische Null" sagte der Co-Initiator Prof. Christian Stegmann vom DZA Radio Lausitz. Das Labor soll, so der Plan, ab 2028 rund 100 Arbeitsplätze in die Region bringen.
Finanziert aus dem 40-Milliarden-Topf der Kohlekommission will man in Hoyerswerda künftig nicht nur nach den Sternen greifen, aus der sächsischen Peripherie sollen auch wichtige Impulse für nachhaltiges Bauen kommen. Mit dem "Zentrum für Bauen und Wohnen" entsteht dort eine Denkfabrik, die voraussichtlich noch in diesem Jahr ihre Büros auf dem alten Industriegelände beziehen wird. Im Verbund wollen Unternehmen und Forschungsreinrichtungen neuartige Baumethoden entwickeln. Ein Ansatz ist die Systembauweise: "Dabei werden flexible Systemwände in industrieller Serienfertigung mit hohem Vorfertigungsgrad hergestellt, um diese dann auf der jeweiligen Baustelle zusammenzufügen“, heißt es auf der Website. Das klingt nach dem Prinzip des Plattenbau, der das Stadtbild von Hoyerswerda maßgeblich geprägt hat.
Die Bauweise ermöglichte den Boom der 1960er und 1970er Jahre erst: Zehntausende zuziehende "Kraftwerker" des Kombinats Schwarze Pumpe wurden in den Neubauten untergebracht. Von 1960 bis 1980 gewann die Stadt fast 50.000 Einwohner hinzu, zu Beginn der 1980er Jahre lebten dort mehr als 70.000 Menschen. Hoyerswerda wurde dank Kohle-Zuzug und Plattenbauten zur sozialistischen Vorzeigestadt. Eine Wohnung in einer der zehn städtischen Neubausiedlungen war damals sehr begehrt. In der ARD-Doku-Serie „Hinter dem Abgrund – Leben in der Lausitz“ erinnert sich Ulli Gbureck, ehemaliger "Kraftwerker“ in Schwarze Pumpe: "Für die damaligen Verhältnisse war das ja Luxus. Jeder war doch erst mal froh, dass er so eine Wohnung hatte, wo er den Wasserhahn aufdreht und warmes Wasser rauskommt."
In den Aufbaujahren zwischen 1960 und 1980 war Hoyerswerda eine junge, lebenswerte Stadt. Die Architektin Dorit Baumeister verbrachte ihre Kindheit dort: "Ich kenne die Straßen nur voller Kinder. Du hattest nie ein Problem. Du bist rausgegangen und unser ganzes Leben hat draußen stattgefunden." Mit der Abwicklung des Kraftwerks nach der Wiedervereinigung wandelte sich das Lebensgefühl. Die Einwohnerzahl halbierte sich. Mit den Einwohnern verschwand ein Großteil der Plattenbauten, ganze Viertel wurden zu Grünflächen. Heute sind die Menschen im Durchschnitt 55 Jahre alt. Viele können das Wort "Strukturwandel" nicht mehr hören, manchen haben die Kraft zum Neuanfang verloren. "Neustadt war ein Versprechen, die Vision einer neuen Gesellschaft. Ihr Rückbau war das Eingeständnis des Scheiterns", sagt Dorit Baumeister.
Auf den Rückbau soll nun der Aufbau folgen. Vor wenigen Tagen stellte die Stadt ihre neue Image-Kampagne vor. Das Kürzel "#WHY!" soll fortan für den "Wandel in Hoyerswerda" stehen. Die Projektwebsite will multimediale Antworten geben auf die Frage: "Warum Hoyerswerda?" – junge Fachkräfte sollen in die Stadt kommen. Außerdem ist auf der Website ein selbstgestecktes Ziel formuliert: Hoyerswerda wolle "LebensEnergieStadt" werden. Die Kommune besitze "alle Potenziale, Erfahrungen und Chancen, um innerhalb der Lausitzer Modellregion für den Kohleausstieg und den Klimaschutz eine entscheidende Vorreiterrolle einzunehmen". Die Selbstverortung liest sich, als wären die Menschen in Hoyerswerda der Politik schon einen Schritt voraus.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 04. April 2023 | 16:00 Uhr