Dienstag, 14.03.2023: Doro und Thies
Was haben Doro und Thies gemeinsam? Erstmal nicht viel. Doro ist Ende 40. Sie lebt in einer sächsischen Kleinstadt und betreibt dort einen Fußpflegesalon. Thies ist sechs. Er wohnt in Leipzig und ist letztes Jahr eingeschult worden. Er ist ein helles Köpfchen, sagt seine Lehrerin, aber auch, dass es ihm noch schwer fällt, sich zu konzentrieren. Thies selber ist das noch gar nicht aufgefallen. Er geht gerne in die Schule, vor allem, weil er dort seine Freunde trifft.
Doro geht auch gern auf Arbeit. Sie liebt es, morgens die stillen aufgeräumten Räume ihrer Praxis zu betreten. Und sie mag die Menschen, die zu ihr zur Fußpflege kommen. Vor allem ihre Geschichten. Natürlich teilen nicht alle Doros Begeisterung für ihren Job. Manche finden es eklig, dass sie den ganzen Tag mit Füßen, Nägeln und Hornhaut zu tun hat. Beim letzten Klassentreffen hat eine ehemalige Mitschülerin (die schon früher eine blöde Kuh war) zu ihr gesagt: "Dass du mal in der Fußpflege endest, hätte ich nicht gedacht. Du hattest doch so gute Zensuren."
Doro heißt eigentlich Dorothea. Der Name bedeutet: Gottesgeschenk. Und als Kind hat sich Doro immer vorgestellt, wie ihre Eltern eines Tags ins Wohnzimmer gegangen sind und dort im Stubenwagen ihr Gottesgeschenk fanden -- ein kleines Mädchen in einem weißen Kleid mit einem himbeerroten Band über dem Bauch. Das Kleid kennt Doro von ihren Taufbildern.
Der Name Thies ist eine Kurzform von Matthias. Und Matthias heißt übersetzt auch, na klar: Gottesgeschenk. Allerdings: Als Thies heute von seinem Papa aus dem Hort abgeholt wird, sieht er gar nicht nach Geschenk aus. Er ist verrotzt, dreckig und stinkesauer. Es gab eine Rauferei. Und angeblich war Thies schuld, dabei hat doch Luca angefangen, aber das hat ihm die Hortnerin nicht geglaubt. Auf dem Beifahrersitz in Papas Auto schimpft Thies und weint.
Noch nie hat Thies jemand gesagt, dass sein Name Gottesgeschenk bedeutet, aber gespürt hat er es schon oft. Auch heute. Sein Papa schaltet den Motor noch mal aus und lässt sich alles genau erzählen. Er hört zu, fragt nach. Nach einer Weile wird Thies ruhiger. Er klettert noch mal kurz zu seinem Papa rüber. Sie drücken sich. Dann fahren sie nach Hause.