
Fragen an den EKD-Friedensbeauftragten Ukraine-Krieg: Ist Pazifismus naiv, Landesbischof Kramer?
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21. März 2025, 10:05 Uhr
Was tun gegen den Wahnsinn eines Krieges wie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine? Was bringt es, für den Frieden zu beten? Welchen Preis sind wir bereit, für unsere Freiheit zu zahlen? Friedrich Kramer ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und seit Anfang Februar Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der 57-Jährige verweigerte zu DDR-Zeiten den Wehrdienst, war Bausoldat und mahnt, die Tradition der Friedensarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR sei ein großer Schatz. Deutsche Waffenlieferungen und die Aufrüstung der Bundeswehr lehnt er weiterhin kategorisch ab. Was die Kirchen tun können und wie gerade auch junge Menschen um eine Position ringen, hat Philipp Engel erkundet. Dazu war er auch im Gespräch mit Friedrich Kramer.
Sie sind Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und waren bisher gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Haben Sie diese Position angesichts des Kriegsverlaufs mittlerweile geändert?
Nein, ich vertrete diese Position weiterhin. Wobei wir natürlich wissen, dass inzwischen deutsche Waffen geliefert werden. Ich halte das für einen Fehler. Die Ukraine hat natürlich ein Selbstverteidigungsrecht. Aber ich würde sehr stark nochmal darüber nachdenken wollen, was das für Deutschland heißt, dass wir jetzt Waffen liefern und wieder auf den Feldern, wo durch deutsche Schuld Millionen von Russen, Ukrainern, Weißrussen, Usbeken verblutet sind, dass jetzt da wieder Waffen deutscher Herstellung im Einsatz sind, wieder russisches und ukrainisches Blut in die Erde fließt. Das finde ich unerträglich.
Wir haben ja eine erstaunliche Entwicklung hingelegt: Vor rund zwei Wochen war die Mehrheit der Bevölkerung noch sehr reserviert dem Militärischen gegenüber. Jetzt findet es eine überwiegende Mehrheit gut, dass die Bundeswehr aufgerüstet wird. Können Sie diese extreme Kehrtwende nachvollziehen?
Wenn man die Bilder aus der Ukraine sieht – Das geht uns allen ja nah. Da sind wir sofort in voller Solidarität mit der Ukraine, das ist doch gar keine Frage. Aber wir sind nicht im Krieg mit Russland! Und das in einer solchen Stimmungslage plötzlich Grundlagen der Politik umgedreht werden: Mir ist das alles suspekt. Zu schnell, zu hektisch.
Aber dass da jemand, nämlich Putin, einfach mitten in Europa in ein anderes Land einmarschiert, ist dann doch eine besondere Situation, die vielleicht eine besondere, andere Herangehensweise erfordert?
Also, dass wir friedensethisch jede Situation neu bedenken müssen, ist unstrittig. Aber dass jetzt gesagt wird, wir müssen ganz neu denken, halte ich für merkwürdig. Denn es ist mitnichten das erste Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs, dass eine Macht in ein anderes Land in Europa einmarschiert, wenn wir etwa an Tschetschenien denken. Es ist eher neu und umso beunruhigender, dass man nicht mehr weiß, was die russische Regierung als nächstes tut.
Trotzdem könnte man natürlich fragen, ob die pazifistische Haltung großer Teile der Gesellschaft, auch der evangelischen oder katholischen Kirche in dieser Frage nicht zu naiv gewesen ist in den vergangenen Jahren?
Das, was wir gelernt haben in den letzten 40 Jahren, nämlich dass Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen Sicherheit schaffen, das können wir nicht über Bord werfen. Das wäre selbstmörderisch. Insofern dürfen wir nicht im Überschwang und in so einer Übersprungsreaktion, weil wir hilflos sind, sofort da einsteigen. Wir müssen nüchtern bleiben und dürfen auf keinen Fall auf Aufrüstung und Abschreckung setzen. Das wäre Degression, ein Rückschritt, der sich aus der emotionalen Situation verstehen lässt, aber nicht vernünftig ist.
Ich schlage mich mit der Frage rum, ob ich für Frieden und Freiheit in letzter Konsequenz bereit wäre zu kämpfen oder auch zu töten. Gäbe es eine Situation, wo Sie sich das vorstellen können?
Ich bin Kriegsdienstverweigerer und zwar aus der christlichen Überzeugung, dass Jesus mich auffordert, niemanden zu töten. Ich wäre bereit zu sterben für Demokratie und Freiheit. Aber ich bin nicht bereit, dafür zu töten.
Was ist denn die Aufgabe der Kirchen aus Ihrer Sicht in dieser Situation?
Ganz klar zum Frieden zu rufen, gegen Waffeneinsatz zu sein, auch gegen Feindbilder, die jetzt in unserer Gesellschaft an vielen Stellen wieder aufploppen. Da hört man plötzlich wieder antirussische Muster, wo man erstaunt ist.
Interview von 2022
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 10. März 2022 | 22:45 Uhr