Reportage Schönes schweres Erbe: Zwei Brüder, eine Entscheidung
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03. Januar 2024, 13:24 Uhr
Die Pferde waren sein Leben, mit dem eigenen Hof im sächsischen Großschönau erfüllte er sich einen Traum. Als der erfolgreiche Stunt- und Horseman Mario Kahl im März 2019 mit gerade 57 Jahren an Krebs stirbt, stehen seine beiden Söhne, Alexander und Stefan Knappe, vor der großen Frage: wie weiter mit dem Hof, den Pferden und den Engagements? Das schöne, aber schwere Erbe annehmen und als Familienunternehmen weiterführen oder lieber Abschied nehmen, zumal in Zeiten der Pandemie? Wir haben sie von Januar bis Juni 2021 begleitet-
Januar 2021
Großschönau in Sachsen in der östlichen Oberlausitz, nahe der tschechischen Grenze. Dort liegt der Hof von Alexander und Stefan Knappe, den ihnen der Vater hinterlassen hat.
Mario Kahl war ein erfolgreicher Stunt- und Horseman. Gemeinsam mit seinem Bruder Holger gründete der studierte Pferdezüchter nach der Wende erst eine Reitschule und dann das Awego-Stuntteam. Er war gut gebucht auf der Felsenbühne Rathen genauso wie bei den Störtebeker-Festspielen auf der Insel Rügen. 1992 pachtete er mit seinem Bruder ein Stück Wiese am Fuß des Oybin und legte selbst eine Naturbühne an: für die "eigenen" Ritterspiele. Seine Reit- und Kampfkünste bescherten ihm Rollen in TV- und Kinoproduktionen, darunter im preisgekrönten Tarantino-Film "Inglourious Basterds". Die Pferde waren sein Leben, mit dem eigenen Hof erfüllte er sich einen Traum. Im März 2019 starb Mario Kahl mit nur 57 Jahren an Krebs.
Ich weiß noch, ganz am Anfang hat mich mein Vater, immer wenn er die Ställe gemacht hat, in den Futtertrog gesetzt zu den Pferden und da saß ich dann, bis er fertig war.
Die Entscheidung: Das Erbe annehmen?
Sein Sohn Stefan ist da gerade 33 und selbstständiger Hufschmied, Alex erst 19 und gerade mit der Ausbildung fertig. Beide sind auf dem Hof und mit den Pferden groß geworden. Doch wie es weitergehen soll, wie sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen sollen, wissen sie noch nicht. Erstmal heißt es, die Tiere versorgen, alles am Laufen halten. Fast zwei Jahre ringen sie um eine Entscheidung. Dann steht fest: Sie werden den Hof und den Betrieb mit allem, was dazugehört, übernehmen. Sie investieren das Erbe, um eine gemeinsame Firma zu gründen. Sie wissen, sie müssen schnell Geld verdienen. Die Brüder sind rund um die Uhr im Einsatz, um den Hof zu halten und Aufträge an Land zu ziehen, aber auch um zu trainieren und an die Erfolge des Vaters als Stunt- und Horseman anzuknüpfen.
Was sie trägt, ist ihre innige Verbindung. Als Alexander geboren wird, ist Stefan schon 14 Jahre alt und der Vater oft unterwegs; vier, fünf Monate im Jahr, den ganzen Sommer in Ralswiek auf Rügen bei den Störtebeker-Festspielen. So habe er wohl ein bisschen die Vaterrolle für den Jüngeren übernommen, sagt Stefan rückblickend.
Vor allem ihm fällt es nun schwer, sich für den väterlichen Hof von seinem Beruf zu trennen. Als Hufschmied ist er gefragt, hat sich über zehn Jahre eine sichere Existenz aufgebaut. Eigentlich wollte er den Betrieb sogar ausbauen und Mitarbeiter anstellen. All das lässt er nun hinter sich und scherzt, es sei möglicherweise sogar ungefährlicher, Stuntman statt Hufschmied zu sein:
Toitoitoi: Aber die meisten Verletzungen hatte ich bis jetzt beim Beschlagen als Hufschmied und nicht bei der Arbeit als Stuntman.
In der Branche spricht sich schnell herum, dass die Knappes den Betrieb des Vaters übernehmen. Es kommen erste Anfragen, aber dann beginnt auch die Pandemie. Deren Auswirkungen treffen auch Stefans Frau Juliane, die im 20 Kilometer vom Pferdehof entfernten Herrnhut eine Gaststätte samt Pension betreibt, den "Eulkretscham". Schon vor elf Jahren entschied sie sich, das Familienunternehmen gemeinsam mit ihrem Vater Lothar fortzuführen. Nun ist die Gaststätte erstmal geschlossen. Keine leichte Situation für die junge Familie mit zwei Kindern. Dennoch trägt Juliane die Entscheidung ihres Mannes mit:
Mir war schnell klar, dass er gerne versuchen würde, das Erbe seines Vaters weiterzuführen. Im Grunde genommen ist das ja nicht anders als bei uns mit dem Gasthof. Ich stehe da voll und ganz hinter ihm – egal wie schwer das wird.
April 2021
Es ist der kälteste April seit 40 Jahren. Aber nicht nur das eisige Wetter – auch Corona hält an. Dabei sah es in den letzten Wochen noch gut aus. Alexander probte mit für den "Rigoletto" für die Landesbühnen. Stefan hatte Drehtage als Stuntreiter für "Babylon Berlin". Mit der dritten Pandemie-Welle verschieben sich Theater- und Filmproduktionen wieder ins Ungewisse. Der Gasthof "Eulkretscham" hat seit einem halben Jahr keine Gäste mehr. Juliane bleibt nur der Außer-Haus Verkauf, einmal pro Woche. Das rechnet sich kaum. Ohne die Großeltern im Hintergrund ließe sich der Alltag nicht stemmen, sagt sie.
Wir haben die Verantwortung für die Mitarbeiter und für uns und daher bleiben wir optimistisch und hoffen auf den Sommer.
Neustart als Stuntmen mitten in der Pandemie
Der Sommer und die Lockerungen lassen lange auf sich warten: Ende April ist noch immer unsicher, ob der erste Auftrag für Stefan und Alexander zustande kommt: Ein Dreh für das ZDF auf der Burg Oybin. Dort, wo ihr Vater Mario vor rund 30 Jahren seinen ersten Auftritt als Stuntman hatte. Sie wollen gut vorbereitet sein. Der Erfolgsdruck ist hoch, auch wenn sie das Gelände besonders gut kennen. Die größte Herausforderung ist es, den achtjährigen Wallach Porthos mit dem ungewöhnlichen Ort vertraut zu machen.
Mai 2021
Anfang Mai haben die Dreharbeiten noch immer nicht begonnen. Dafür kommt ein Engagement durch die Landesbühnen Sachsen, u.a. für die Karl-May-Festspiele in Radebeul bei Dresden. So haben die Brüder gut zu tun, Koppeln und Stallzelte vorzubereiten. Noch können sie sich keine Angestellten leisten. Unterstützt werden sie von Freunden und Bekannten. Und von ihrem Onkel Holger Kahl, der seine Neffen von kleinauf mit trainiert hat. Deren Entscheidung, das Erbe des Vaters fortzuführen, macht ihn stolz:
Sie haben eine große Kraft und Ausdauer, die sie einbringen werden und ich hoffe auch, dass sie mit den Rückschlägen, die es geben wird, gut umgehen und erfolgreich werden.
Bewährungsprobe bei Nacht und Nebel
Mitte Mai kommt ihre erste Bewährungsprobe als Stuntmen. Die Dreharbeiten mit dem ZDF auf der Burg Oybin können nach Wochen des Trainings und Bangens endlich starten. Allerdings sind Regen und Unwetter angesagt. Die erste Probe mit einem Stuntkollegen, der sich verletzt, läuft schief. Alexander springt ein für die Kampfszene mit den zwei Reitern auf einem Pferd. Der Dreh ist für den Erfolg der Firma entscheidend. Die Brüder sind angespannt: Drei Nebelmaschinen laufen, eine Menge Technik, viele fremde Menschen und echtes Feuer. Keine einfache Umgebung. Doch alles klappt! Juliane, die hinter den Kulissen fürs Catering gesorgt hat, hat fest die Daumen gedrückt.
Es ist mein Mann und es ist mein Schwager! Ich fiebere da extrem mit, aber ich vertraue den beiden, dass die so eingespielt sind und sich blind verstehen.
Juni 2021
Die 7-Tage-Inzidenz ist deutlich gesunken und ein Leben ohne Lockdown endlich wieder möglich. Hinter den Brüdern liegen sechs Monate voller Ungewissheit, aber auch voller Zuversicht und Zusammenhalt.
Das erste Fohlen
Nicht zu vergessen: Achilles ist zur Welt gekommen, das erste Fohlen aus eigener Zucht. Die Brüder wissen, wie sich ihr Vater als Pferdenarr darüber gefreut hätte: "Ich denke schon, dass das alles in seinem Sinne ist, aber auch in unserem Sinne", sagt Stefan Knappe zu dem schweren, schönen Erbe, das er mit seinem Bruder angetreten hat:
Es verbindet sich irgendwie alles und man denkt immer, es wäre schön, wenn er mit dabei wäre. Vielleicht guckt er von oben zu.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 07. Januar 2024 | 07:30 Uhr