September 2018 Katholische Kirche legt Missbrauchsstudie vor
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25. März 2024, 10:52 Uhr
Die Deutsche Bischofskonferenz hat eine Studie zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche in Deutschland vorgestellt. Kardinal Marx sprach von einem "wichtigen Tag für die Geschichte der Kirche in Deutschland". Er schämte sich, sagt Marx angesichts der erschütternden Ergebnisse.
Der Vorsitzende der katholischen Deutsche Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat angesichts einer Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland tiefes Bedauern geäußert. Auf der Herbstvollversammlung in Fulda sagte Marx, er schäme sich "für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben." Dies gelte auch für ihn persönlich. Weiter sagte Marx:
Allzulange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden. Für alles Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung.
Sexueller Missbrauch sei ein Verbrechen, ergänzte Marx. Und wer schuldig sei, müsse bestraft werden. Man habe zu lange weggeschaut um der Institution willen "und des Schutzes von uns Bischöfen und Priestern willen".
Die Kirche habe Machtstrukturen zugelassen und "meist einen Klerikalismus gefördert, der wiederum Gewalt und Missbrauch begünstigt hat". Jetzt müsse man viel stärker als bisher die Opfer einbeziehen, erklärte der Kardinal weiter. Die Kirche müsse neues Vertrauen aufbauen: "Ich verstehe viele, die sagen: Wir glauben Euch nicht."
Studienmacher von Ausmaß erschüttert
Der leitende Wissenschaftler der Studie, Harald Dreßing, beklagte bei der Vorstellung der Ergebnisse einen mangelnden Aufklärungswillen in weiten Teilen der katholischen Kirche. Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen und auch "der Umgang der Verantwortlichen damit" hätten die Forscher "erschüttert", sagte Dreßing.
Er betonte, die Missbrauchsthematik sei keineswegs überwunden. "Das Risiko besteht fort", sagte der forensische Psychiater, der am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim arbeitet. Dreßing unterstrich:
Unsere Studienergebnisse legen nahe, dass es in der katholischen Kirche Strukturen gab und gibt, die den sexuellen Missbrauch begünstigen können.
Gründe dafür seien der Missbrauch klerikaler Macht, die Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit sowie ein innerkirchlich "problematischer Umgang" mit dem Thema Sexualität, vor allem mit der Homosexualität.
Dreßing sagte, wenn die Kirche die Missbrauchsthematik in Zukunft wirklich überwinden wolle, müsse sie sich mit diesen Themen "ernsthaft und mit dem Mut zur Veränderung" befassen.
"Spitze des Eisbergs"
Die Forscher untersuchten nach eigenen Angaben mehr als 38.000 Personal- und Handakten der 27 Diözesen aus den Jahren 1946 bis 2014. Sie entdeckten demnach bei 1.670 Klerikern der katholischen Kirche Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Dies entspreche 4,4 Prozent aller Kleriker. "Wir müssen viel mehr von einem deutlich größeren Dunkelfeld ausgehen", sagte Dreßing. Es gehe hier um die "Spitze eines Eisbergs, dessen tatsächliche Größe wir nicht kennen".
3.677 Opfer ausgemacht
Den Beschuldigten hätten 3.677 Kinder und Jugendliche zugeordnet werden können, die sexuell missbraucht wurden. 62,8 Prozent der Betroffenen seien männlich gewesen, 34,9 Prozent weiblich, bei 2,3 Prozent hätten Angaben zum Geschlecht gefehlt. Beim ersten sexuellen Missbrauch seien 51,6 Prozent der Betroffenen maximal 13 Jahre alt gewesen, 25,8 Prozent seien 14 Jahre und älter gewesen, das mittlere Alter habe bei 12 Jahren gelegen.
Missbrauchsfälle in Mitteldeutschland
Aus der Studie gehen auch einzelne Zahlen für die drei katholischen Bistümer in Mitteldeutschland hervor.
Im Bistum Dresden-Meißen haben Geistliche demnach seit 1953 mindestens 28 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Als Beschuldigte seien 14 Priester und ein Ordenspriester bekannt.
Im Bistum Erfurt sind für den Zeitraum von 1946 bis heute gegen 10 Priester Vorwürfe wegen sexuellem Missbrauch aktenkundig. Es seien 12 Personen bekannt, die als Minderjährige von diesen Kirchenangehörigen sexuell missbraucht wurden.
Im Bistum Magdeburg gab es im untersuchten Zeitraum von 1946 bis 2014 laut der Studie Missbrauchsfälle bei sieben Priestern und einem Ordenspriester. Im Bistum Magdeburg meldeten sich demnach 18 Missbrauchsopfer.
Druck, Gewalt und Manipulation
Drei von vier Betroffenen standen mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung, zum Beispiel als Messdiener oder als Schüler im Rahmen von Religionsunterricht, Erstkommunion- oder Firmvorbereitung.
Die Täter hätten die Kinder und Jugendlichen durch Ausübung psychischen Drucks oder Gewalt oder Ausnutzung ihrer Autorität gefügig gemacht. Häufigster Tatort war der Studie zufolge die Privat- oder Dienstwohnung des Beschuldigten gefolgt von kirchlichen oder schulischen Räumen sowie Zelt- und Ferienlagern.
Betroffene leiden über Jahre
Der Missbrauch habe sowohl gesundheitliche als auch soziale Probleme bei den Betroffenen ausgelöst. Die Opfer litten häufig unter Depressionen, Angst, Schlaf- und Essstörungen, posttraumatischen Symptomen, suizidalen oder selbstverletzendem Verhalten sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Im sozialen Bereich hätten die Betroffenen häufig Probleme in Ausbildung, Beruf, Beziehungen und Partnerschaft.
Telefonberatung für Missbrauchsopfer Opfer von Missbrauch können sich anonym und kostenfrei an die Telefonberatung der katholischen Kirche wenden. Die Beratung ist vom 25. bis 28. September jeweils von 14 bis 20 Uhr erreichbar. Die Nummer lautet: 0800/0005640.
Keine Sanktionen in kirchenrechtlichen Verfahren
Bei rund 34 Prozent der Beschuldigten sei ein kirchenrechtliches Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger eingeleitet worden. Bei 53 Prozent sei dies nicht geschehen. Der Abstand zwischen Ersttat und Einleitung eines Verfahrens habe bei mehr als 13 Jahren gelegen bei Strafanzeigen, bei 22 Jahren bei kirchenrechtlichen Verfahren und 23 Jahren bei Meldungen nach Rom. Etwa ein Viertel aller eingeleiteten kirchenrechtlichen Verfahren habe keinerlei Sanktionen mit sich gebracht.
Auslöser des Skandals war ein im Jahr 2010 bekanntgewordener Brief von Pater Klaus Mertes vom Berliner Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg. Er berichtete über einen systematischen sexuellen Missbrauch von Schülern in den 1970er- und 1980er-Jahren durch Vertreter des Ordens.
Viele Maßnahmen seit 2010
Die katholische Kirche in Deutschland reagierte nach Bekanntwerden der Vorwürfe mit einer Reihe von Maßnahmen. Sie bat Opfer um Entschuldigung und ernannte den Trierer Bischof Stephan Ackermann zum Missbrauchsbeauftragten. Zudem wurden Leitlinien für den Umgang mit den Tätern verfasst.
Die Bischöfe verabschiedeten ein Präventionskonzept und ein Modell zur materiellen Anerkennung des Unrechts. Opfer können bis zu 5.000 Euro erhalten.
Folgen Worten nun auch Konsequenzen?
Kirchenvertreter hatten in den letzten Tagen mit deutlichen Worten auf das Ausmaß des Missbrauchsskandals reagiert:
Ich schäme mich für meine Kirche.
Der Kölner Kardinal Rainer Woelki zeigte sich erschüttert, dass die Kirche das zugelassen habe und Taten "nachweislich vertuscht wurden, weil man den Ruf der Institution über das Wohl des Einzelnen gestellt hat".
Essens Bischof Franz-Josef Overbeck rief dazu auf, die Empfehlungen der Wissenschaftler sehr ernst zu nehmen. Es sei alarmierend, dass einige "Aspekte unserer katholischen Sexualmoral sowie manche Macht- und Hierarchiestrukturen sexuellen Missbrauch (…) begünstigen".
Mit Spannung wird nun erwartet, ob sich die Bischöfe auf konkrete Konsequenzen aus der Studie einigen können. Bereits am Donnerstag wollen sie einen ersten Handlungsplan vorlegen.
Deutsche Bischofskonferenz
Die Konferenz der Katholischen Kirche in Deutschland setzt sich aus den Ortsbischöfen und Weihbischöfen in 27 Bistümern zusammen. Dazu kommen sogenannte Diözesanadministratoren, die ein Bistum nach Rücktritt oder Tod eines Ortsbischofs übergangsweise verwalten. Aktuell hat die Bischofskonferenz 67 Mitglieder unter Vorsitz des Münchner Kardinals Reinhard Marx.
Die Konferenz berät und koordiniert gemeinsame Aufgaben der kirchlichen Arbeit. Sie gibt Richtlinien vor und pflegt Verbindungen zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Organ ist die im Frühjahr und Herbst tagende Vollversammlung.
Die Frühjahrstreffen finden an wechselnden Orten statt. Die Herbstvollversammlung tagt jeweils in Fulda und damit am Grab des "Apostels der Deutschen", des heiligen Bonifatius.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 25. September 2018 | 19:30 Uhr