Reportage "Hier bleib' ich bis zuletzt" – Alt werden auf dem Land
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15. Februar 2024, 16:59 Uhr
Leonore Pengel hat sich dafür entschieden, auf dem Land alt zu werden. Unterstützt wird sie durch ihre Tochter und durch einen Pflegedienst. Das klappt auch, weil in der Region viele Seniorinnen und Senioren in einer ähnlichen Situation sind wie sie. Doch ohne ein funktionierendes p Netzwerk wäre ihr Altwerden auf dem Land kaum möglich.
"Warte Mutti, ich helfe dir." Leonore Pengel setzt sich auf ihren Rollator und schaut auf den Grabstein ihres Mannes. Ihre Tochter Kirsten wässert die Blumen. "Letztes Jahr habe ich noch die Blumen auf dem Friedhof gegossen. Jetzt macht alles meine Tochter."
Unterstützung akzeptieren
Leonore Pengel ist 91 Jahre alt. Sie lebt im 60-Seelendorf Schernikau in der Altmark. Das Gehen fällt ihr schwer, auch Hören und Sehen kann Leonore Pengel schlecht. Als vor acht Jahren ihr Mann starb, zog ihre Tochter Kerstin zu ihr zurück, die bis dahin in Thüringen lebte und selbst Kinder hat. "Als der Vorschlag von meiner Tochter kam musste ich erstmal tief Luft holen. Eigentlich wollte ich das nicht, ich war doch selbstständig", erinnert sich Leonore Pengel. Ihre Tochter jedoch sah es als ihre Pflicht, ihrer Mutter im hohen Alter nicht allein zu lassen.
Zusammen zu wohnen, mussten sie erst wieder lernen. Zur Unterstützung kommt morgens ein Pflegedienst, der der 91-Jährigen beim Waschen und Anziehen hilft. Mit der Zeit hat sich die Seniorin damit arrangiert, von ihrer Tochter unterstützt zu werden. Das hilft auch gegen die Einsamkeit, die vielen auf dem Land droht.
Kerstin macht mir manchmal zum Vorwurf, dass ich mich vom alltäglichen Leben zu sehr entferne. Ein Grund ist der Mangel an Kontakten zu anderen Menschen.
Kirchengemeinde gegen Einsamkeit
Im Ort gibt es noch einen 91-Jährigen, mit dem sie früher oft auf der Bank saß. Doch inzwischen ist auch er weniger mobil. Leonore Pengel gesteht sich ein: "Das Gespräch mit ihm vermisse ich ein bisschen."
Vielen Seniorinnen und Senioren in der Gegend geht es ähnlich. Anschluss findet sie manchmal in der Kirchengemeinde. Mehr als die Hälfte der Kirchengemeinde von Pfarrer Eichenberg ist über 65 Jahre alt. Doch der Gottesdienst findet selten im nächstgelegenen Ort Fleetmark statt, denn Pfarrer Eichenberg hält abwechelnd in allen 22 Dörfern Gottesdienste, die zur Gemeinde zählen. Der Weg in weiter entfernte Dörfer ist für sie inzwischen zu mühsam. Trotzdem empfindet Leonore Pengel es als Geschenk, bis ins hohe Alter so gut wie möglich integriert zu sein:
Ich kenne zwar weniger Leute als Kirsten, aber unter Menschen und in der Kirche mit den Kindern Zeit zu verbringen ist etwas Schönes. So locker, wie die Kleinen mit dem Gottesdienst inzwischen groß werden, haben wir Alten ja nicht kennengelernt.
Netzwerke sind wichtig
Ein Ritual ist der Besuch der Gräber ihres Mannes und ihres Sohnes. Der Verlust der beiden schmerzt sie noch immer. Doch obwohl ihre Tochter Kerstin inzwischen die Grabpflege übernimmt, fühlt sich die Seniorin mit Blick auf ihren eigenen Tod gestärkt und auch ein Stück weit noch selbstständig:
Der Tod gehört zum Leben. Ich kann damit leichter umgehen, als meine Familie von mir denkt.
Sie weiß, dass sie auch Glück hatte damit, dass ihre Tochter sie umsorgt. Auf dem Land alt zu werden wie Leonore Pengel ist möglich, so lange es ein funktionierendes Netzwerk gibt. Doch dazu zählt nicht nur ein Pflegedienst, wie ihn Leonore Pengel täglich nutzt, sondern auch soziale Teilhabe.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 14. Juli 2022 | 22:40 Uhr