Polizei Warum Menschen Pferde töten: Antworten des Kriminologen Martin Thüne aus Meiningen
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14. Januar 2023, 20:41 Uhr
Auch in Thüringen brechen immer wieder unbekannte Täter auf Weiden oder in Ställen ein, um Pferde zu verletzen oder zu töten. Über ihre Motive spricht Martin Thüne, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler an der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung am Fachbereich Polizei, in Meiningen.
MDR THÜRINGEN: Herr Thüne, in diesen Tagen ist in Jena ein Prozess gegen einen Mann eröffnet worden, der mutmaßlich Pferde und andere Tiere verletzt und getötet hat. Schaut man sich Polizeimeldungen der vergangenen Jahre an, geht es darin des Öfteren um dieses Thema. Muss sich die Polizei in Thüringen tatsächlich mit einer gestiegenen Zahl solcher Fälle befassen?
Martin Thüne: Hier können wir immer nur über die Taten reden, die tatsächlich angezeigt wurden. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass das Dunkelfeld vermutlich hoch ist und wir die Relationen zwischen Hell- und Dunkelfeld nicht genau kennen. Natürlich werden - aus ganz verschiedenen Gründen - mal mehr und mal weniger Taten bei der Polizei angezeigt. Insgesamt handelt es sich eher um ein Dauerphänomen.
Anfang der 1990er-Jahre ist das Thema stärker in den Fokus geraten. Anlass dafür war vor allem eine Serie von Pferdetötungen in Niedersachsen, die sich bis über die Jahrtausendwende hinzog und bei der etwa 50 Pferde umgekommen sind. Die Polizei war gefordert, sich intensiv mit dieser Tatserie auseinanderzusetzen. Es wurden spezielle Ermittlungsgruppen gegründet. Auch die öffentliche Berichterstattung trug zu einer erhöhten Sensibilisierung bei.
Offenbar beschäftigen sich die Täter, lange bevor sie ein Pferd verletzen oder töten, sehr genau mit dem Ort, an dem es geschehen soll. Gibt es bevorzugte Tatorte?
Manche Taten, von denen wir wissen, sind Spontanaktionen, zum Beispiel im Rahmen von Mutproben, andere sind geplant. Manche Täter kundschaften mögliche Tatorte wochenlang aus, beobachten etwa, ob es Regelmäßigkeiten bei der An- und Abwesenheit von Menschen gibt. Häufig geschehen die Angriffe auf Koppeln, die leicht zugänglich, schwer einsehbar und unbewacht sind, oder in Ställen, die nicht ausreichend gesichert sind oder aufgebrochen werden.
Ist der Eindruck richtig, dass die Verletzungen gezielt ausgeführt werden?
Auch dem gehen häufig intensive Vorbereitungen voraus. Schließlich will der Täter wissen, wie das Messer zu führen ist, um das Pferd an bestimmten Stellen zu treffen. Die Verletzungen werden den Tieren an verschiedenen Stellen zugefügt – häufig am Bauch, an den Flanken und im Genitalbereich. Manchmal werden auch Körperteile wie die Ohren oder der Schwanz abgetrennt.
Manche töten mit Schuss-, andere mit Stichwaffen. Das ist auch eine Frage der Verfügbarkeit. Jemand, der zum Beispiel Mitglied in einem Schützenverein ist, kommt leichter an ein Gewehr. Aber es gibt auch ein psychologisches Moment dabei: Schusswaffen sind Distanzwaffen. Wer hingegen Stichwaffen verwendet, sucht meist gezielt die Nähe zum Pferd.
Spielt das Geschlecht des Pferdes für die Angreifer eine Rolle?
Darauf deuten statistische Auswertungen hin: In 70 Prozent der Fälle werden Stuten angegriffen. Das bedeutet aber auch, dass jede dritte Tat ein männliches Pferd trifft. Generalistische Aussagen sind also wenig seriös. Denn sowohl die Tatorte, die Tatmotivation, die Tatausführung, die angegriffenen Tiere als auch Täter unterscheiden sich. Für jeden dieser Bereiche gibt es statistisch bekannte Schwerpunkte, aber nicht alle Fälle lassen sich diesen zuordnen.
Sind diejenigen, die Pferde verletzen oder töten, Einzel- oder Serientäter?
Es gibt beides: Einzel- und Serientäter, allein handelnde und gemeinschaftlich handelnde Täter. Serientäter hinterlassen meist irgendwann Spuren, das begünstigt die Ermittlungen der Polizei auf lange Sicht. Das ist nahezu bei allen Seriendelikten so.
Sind unter den Tätern gleichermaßen Frauen und Männer?
Unter denen, die ermittelt werden, sind es überwiegend Männer. Hier gibt es Parallelen zu Gewaltdelikten generell, denn auch hier sind Männer überrepräsentiert. Die Täter sind in allen Altersgruppen zu finden - vom Jugendlichen bis ins hohe Alter, teils sind über 80-Jährige in Erscheinung getreten. Auch die sozialen Hintergründe sind ganz verschieden. Außerdem gab es schon Fälle, in denen Frauen Pferde schwer missbraucht haben.
Warum greifen Menschen überhaupt Pferde an?
Die Motive der Täter sind vielfältig. Das reicht von den schon erwähnten Mutproben, über wirtschaftliche Streitigkeiten, bis hin zum Willen, dem unliebsamen Nachbarn wirtschaftlichen oder emotionalen Schaden zufügen zu wollen.
Und darüber hinaus?
Es gibt Menschen, die aus diesen Taten einen sexuellen Lustgewinn ziehen. Es handelt sich um sexuell motivierte Gewalttäter oder um Menschen, bei denen eine sogenannte Zoophilie vorliegt.
Dass hier ausgerechnet immer wieder Pferde als Tatobjekte ausgewählt werden, liegt durchaus in der besonderen Rolle, die diese Tiere in unserer Kultur einnehmen: Sie gelten als edel, charakterstark und verkörpern Schönheit.
Andere Täter handeln aus primärer Lust an der reinen Gewalt. Sadismus beziehungsweise Zoosadismus sind dafür entsprechende Kategorien. Aus der Ermittlungspraxis sowie der Forschung weiß man, dass es immer wieder Fälle gibt, bei denen die Täter auch gegenüber Menschen gewalttätig werden, insbesondere im sozialen Nahfeld.
Konkret bedeutet das, dass es Überschneidungen geben kann zum Missbrauch von Kindern oder Lebenspartnern in der Kernfamilie.
Müsste dann nicht eigentlich die Tötung eines Pferdes von der Polizei wie die Tötung eines Menschen behandelt werden und nicht, wie bisher, als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz?
Es gibt vor allem Kritik von Tierschutzorganisationen dahingehend, dass diese Verletzungen und Tötungen von Pferden statistisch nicht gesondert erfasst werden, sondern lediglich als Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Aufgrund der besonderen Überschneidungen zu anderen Gewaltdelikten wäre es aber sinnvoll, diese Taten statistisch besser zu erfassen.
Tut die Polizei genug, um solche Fälle aufzuklären oder gelten solche Taten eher als Bagatelldelikte?
Ich würde sagen, dass es vor allem für Fälle, in denen Pferde schwer misshandelt werden, bereits seit Längerem eine hohe Sensibilisierung seitens der Polizei gibt. Es ist, auch aufgrund verschiedener Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, mittlerweile bekannt, dass dieses Phänomen nicht immer allein für sich steht, sondern möglicherweise Teil einer Gewaltkarriere sein kann. Dementsprechend wurden und werden mit großem Aufwand besondere Arbeitsgruppen gebildet, vor allem wenn sich Tatserien abzeichnen.
Trotzdem würde ich sagen, dass dieses Feld sowohl vonseiten der Forschung als auch seitens der Behörden übergreifenden Zusammenarbeit ausbaufähig ist und man noch nicht alle Möglichkeiten ausschöpft. In den USA gibt es etwa Ansätze, dass bei Fällen von Tierquälerei generell auch die Familiensituation geprüft wird: Haben die Täter Kinder? Leben Sie in einer Partnerschaft? In der Folge gibt es unter anderem präventive Mitteilungen an die Jugendämter.
Aber es läuft auch andersherum: Bei Fällen von innerfamiliärer Gewalt wird geprüft, ob Tiere im Haushalt leben und wenn ja, werden die Tierschutzbehörden informiert.
Zugrunde liegt dem Ganzen die erwähnte Erkenntnis, dass es teils Überschneidungen zwischen diesen Gewaltformen gibt und man verhindern will, dass sich die Gewaltspirale weiter beziehungsweise immer schneller dreht. Bei alldem darf man nicht vergessen: Der Missbrauch von Pferden ist ein besonderes Phänomen, aber nur ein Teil des weiten Feldes von Tierquälerei. Statistisch häufiger kommt es zu Misshandlungen von Haustieren. Und auch hier kommt es zu Wechselwirkungen mit anderen Gewalthandlungen, etwa gegenüber Familienmitgliedern.
Es gibt Mitteilungen der Polizei, nach denen auch Kaninchen, Hunde und Katzen von Menschen gequält werden. Beginnen so "Karrieren" von Pferdequälern?
Das kann man nicht pauschal sagen. Dass Tiere beispielsweise von Kleinkindern drangsaliert oder grob angefasst werden, kann Teil der normalen Entwicklung sein und ist nicht von vornherein besonders auffällig. Sehr wichtig ist allerdings, wie das Umfeld damit umgeht: Es macht einen Unterschied, ob Kinder den richtigen Umgang erlernen oder ob sie in Familien aufwachsen, in denen sie sogar noch positive Verstärkung für solch übergriffiges Handeln erfahren.
Auch wenn Kinder in Familien leben, in denen Tierquälerei Gang und Gäbe ist, gibt es ein erhöhtes Risiko für die Ausprägung eigener Straffälligkeit bis hin zu schwerwiegenden psychischen Problemen. Generell kann man sagen: Tierquälerei muss als eine Art von Alarmzeichen verstanden werden, das auf weitergehende Problematiken hinweisen kann.
MDR (co)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 11. Januar 2023 | 12:00 Uhr