Eine Person mit blauen Strümpfen und roten Pumps
Eine Sexarbeitende in einem Studio. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Prostitution Sexarbeit in Thüringen: Ein Job zwischen Verboten und Vorurteilen

23. November 2022, 09:35 Uhr

Wenige Jobs sind so streng reglementiert wie die von Escorts, Dominas oder Sexualbegleitern. Gleichzeitig werden Sexarbeitende oft abgewertet. Eine von ihnen erzählt, warum sie die Arbeit dennoch so liebt.

Clara ist Anfang 20 und pendelt aus Leipzig zum Arbeiten regelmäßig nach Thüringen. Girlfriend-Sex, Standard Zeug, sagt sie, so etwas biete sie an. Von Anfang an habe sie Freude daran gehabt, sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Mittlerweile arbeitet sie als Escort - fährt zu Männern nach Hause - und in einem "Studio", in dem Männer auch ohne Termin Sex kaufen können.

"Ich finde, es ist schon ein sehr selbstbestimmter Job. Auch von den Arbeitszeiten her. Das findet man in keinem anderen Beruf", sagt Clara. Wenn die angemeldete Sexarbeiterin angefragt wird, telefoniere sie vorher mit den Männern. "Manchmal lasse ich mir Bilder schicken und ich kann auch nein sagen. Wenn man den Job in einem gesunden Rahmen für Psyche und Körper macht, dann verdient man nicht schlecht, auf jeden Fall ein durchschnittliches Einkommen."

Ich finde, es ist ein sehr selbstbestimmter Job. Das findet man in keinem anderen Beruf.

Clara

Ihr Pensum: Nicht mehr als fünf Tage die Woche, normalerweise ein Termin am Tag für zwei Stunden. Dass Clara mit der Presse über ihre Arbeitserfahrung spricht, ist nicht selbstverständlich. Zu sehr mit Vorurteilen beladen sei Prostitution in Deutschland noch immer.

Von Domina bis Sexualbegleitung Ob Hure, Prostituierte oder Sexarbeiterin: Die Begriffe für sexuelle Dienstleister sind vielfältig. Auch in diesem Artikel wird hauptsächlich der Begriff Sexarbeitende verwendet, da er den Lohnarbeits-Charakter in den Fokus rückt. Hinter dem Begriff verbergen sich zudem verschiedene Tätigkeiten, wie Escort, Domina, erotische Massagen oder Sexualbegleitung.

Zum Draufklicken: Sexarbeit in Zahlen

Wirklich valide sind die Zahlen zu Sexarbeit nicht, da sowohl Verbände als auch das Landeskriminalamt davon ausgehen, dass sich viele Prostituierte nicht anmelden. Außerdem können Sexarbeitende auch in einem anderen Bundesland registriert sein als dort, wo sie gerade arbeiten. Während der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der angemeldeten Sexarbeitenden in Deutschland auf 23.000 halbiert - in Thüringen sind es von gut 380 im Jahr 2019 nur noch 138, Stand Ende 2021. Der Großteil der Prostituierten sind dabei immer noch Frauen - Schätzungen der Berufsverbände gehen jedoch von ungefähr fünf Prozent Transpersonen und bis zu zehn Prozent Männern aus.

Gleichzeitig kommt die Mehrheit der registrierten Sexarbeitenden aus dem europäischen Ausland. Das Thüringer Landeskriminalamt erklärt auf Nachfrage: "Durch die Corona-Regelungen und das Prostituiertenschutzgesetz ist ein starker Rückgang der angemeldeten Prostituierten in Thüringen feststellbar."

Lange hatte Thüringen keine Beratungsstelle

"Es sind wirklich große Hürden, um zu verstehen, was man machen und welche Wege man durchlaufen muss, um legal zu arbeiten", erklärt Lena Kunert. Sie bildet seit einem Jahr zusammen mit Delia Dancia das Team der ersten Fachberatungsstelle in Thüringen mit dem Namen "Allerd!ngs". Als letztes Bundesland in Deutschland hat Thüringen mit "Allerd!ngs" eine Anlaufstelle für Prostituierte geschaffen.  

Dancia und Kunert bieten in der Zentrale in Erfurt, aber auch in Gotha und Nordhausen, Beratungsgespräche an. "Die Menschen kommen mit ganz unterschiedlichen Themen zu uns", sagt Kunert. "Wir geben Tipps zur Anmeldung, Steuern, was die Gesundheitsberatung betrifft und das öffnet dann auch den Weg für andere Themen, die die Menschen rund um die Selbstständigkeit haben."

Prostituiertenschutzgesetz mit Anmelde- und Kondompflicht

Tatsächlich ist die Lage nicht wirklich übersichtlich: Wer in Thüringen sexuelle Dienstleistungen anbieten will, muss verschiedene Dinge beachten. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) hat der deutsche Gesetzgeber zuletzt 2017 in die Sexarbeit-Branche eingegriffen. Das Gesetz regelt die Anmelde- und Erlaubnispflicht für Prostituierte, eine vorgeschriebene Gesundheitsberatung oder die Kondompflicht. Zwar wird oft von Prostitutionsgewerbe gesprochen, doch sind Sexarbeitende in der Regel als Selbstständige tätig.

Das Gesetz steht in einem Spannungsverhältnis, da es einerseits Sexarbeitende vor Gewalt und Zwang schützen - auf der anderen Seite die Arbeit unkompliziert für diejenigen machen soll, die Prostitution ausüben wollen. Anders als Schweden, das ein komplettes Sexkaufverbot eingeführt hat, geht Deutschland damit einen Mittelweg: Viele Regeln und Hürden, aber kein generelles Verbot von Sexkauf.

Kritik am Prostituiertenschutzgesetz

Johanna Weber ist politische Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Sie kritisiert unter anderem, dass fast niemand bei den Behörden als Prostituierte gemeldet sein möchte. "Es gibt eine weit verbreitete Angst, dass die personenbezogenen Daten weitergegeben werden." Außerdem sagt sie: "Sexarbeit ist wesentlich mehr von Verboten geprägt als andere Berufe."

Sperrgebiete schränken Sexarbeit ein

Seit 30 Jahren gilt in Thüringen die Verordnung über das Verbot der Prostitution. In Verbindung mit dem ProstSchG regelt sie, dass Sexarbeit nur in Gemeinden erlaubt ist, in denen mehr als 30.000 Menschen leben. Hinzu kommt, dass Kommunen über die Flächennutzungspläne bestimmen, in welchen Ecken der Stadt überhaupt sexuelle Dienstleistungen angeboten werden dürfen. Prostitution ist also erlaubt - aber nur an wenigen Orten der elf Gemeinden und Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern.

Laut Johanna Weber vom BesD führe außerdem das Übernachtungsverbot in Bordellen und Terminwohnungen zu "unnötigen Mehrkosten" für Sexarbeitende. Wenn diese sich - anders als bei Clara - auf längeren Dienstreisen befänden, müssten sie sich ein extra Zimmer anmieten: "Denn oft sind wir nur ein paar Tage oder wochenweise an einem Ort und reisen dann weiter."

Corona und Bürokratie: Heike muss dichtmachen

Heike erlebt gerade direkt, wie Prostituierte in Thüringen in die Illegalität gedrängt werden. Vor gut zwei Jahren hat die Unternehmerin berichtet, wie hart die Corona-Schließung ihren Salon für erotische Massagen getroffen hat. Mit ihrer Familie lebt Heike in einer Stadt im Osten Thüringens, die nicht ganz 30.000 Einwohner zählt.

Am Rande der Stadt hatte Heike ein Häuschen, in dem sich in der Regel osteuropäische Frauen wochenweise einmieten konnten. Oftmals kamen die gleichen Frauen wieder, sie pflegten ein gutes, manchmal freundschaftliches Verhältnis zueinander, erklärte Heike damals.

Wer heute mit ihr spricht, erlebt eine Frau, die am Boden zerstört und wirtschaftlich am Ende ist. Nach den strikten Corona-Schließungen ging es endlich ein wenig aufwärts. "Dann, Anfang des Jahres haben sie mir mitgeteilt, dass ich den Laden dichtmachen muss", erzählt sie. Heike muss ihre Einrichtung schließen, verliert die Existenzgrundlage. Und auch das hängt mit dem Prostituiertenschutzgesetz zusammen.

Landkreis strenger als Landesverwaltungsamt

Denn Thüringen hat das Gesetz erst zum 1. Januar 2022 offiziell umgesetzt. Das heißt, es gilt erst seit diesem Jahr. Damit ist nicht mehr das Landesverwaltungsamt in Weimar, sondern die Landkreise für die Anmeldungen der Sexarbeitenden zuständig.

Die Unterlagen wanderten also von Weimar zu Heikes Landkreis. Bisher war die Tatsache, dass Heikes Gemeinde knapp unter 30.000 Einwohnern liegt, offensichtlich noch kein Problem gewesen - jetzt reagierte der Landkreis und untersagte ihr, das Gewerbe fortzuführen.

Von einigen weiß ich, dass sie immer noch in die Gegend kommen und jetzt alleine etwas anmieten.

Heike

Immer noch steht Heike im Kontakt mit den Frauen aus Polen oder Rumänien, die ihre Räumlichkeiten zuvor genutzt haben. "Von einigen weiß ich, dass die immer noch hier in die Gegend kommen und sich halt jetzt direkt in der Stadt ein Zimmer anmieten."

LKA: Verstärkter Trend zur unerlaubten Prostitution

Ein Blick auf Sexkauf-Portale zeigt, dass auch in Heikes Nachbarstadt Dienstleistungen angeboten werden, obwohl die Gemeinde ebenfalls unter die 30.000-Grenze fällt. Und auch in anderen Städten finden sich Inserate, die nur von nicht angemeldeten Sexarbeitenden stammen können.

Es wird von einem verstärkten Trend zur unerlaubten Wohnungs- und Hotelprostitution ausgegangen.

Thüringer Landeskriminalamt

Eine Umfrage des MDR bei allen Thüringer Landkreisen zeigt, dass Heikes Fall bisher nicht die Regel ist. Doch gleichzeitig wird deutlich, wie Prostitution von der Legalität und der Sicherheit geschützter Räume wie Heikes Etablissement in die Illegalität rutscht. Die Nachfrage, sagt Heike, sei dadurch doch nicht weg. Immer noch fragten Kunden, wohin sie sich wenden könnten. Das Landeskriminalamt bestätigt die Tendenz: "Es wird von einem verstärkten Trend zur unerlaubten Wohnungs- und Hotelprostitution ausgegangen."

Kriminalisierung vs. Selbstbestimmung

Bei der Sexarbeit entzündet sich immer wieder der gleiche Streit: Beim letzten Bundestagswahlkampf setzte sich die SPD-Politikerin Leni Breymaier vehement für ein Verbot ein, mit Rückendeckung von der Frauen-Union. "Für uns ist Prostitution kein feministischer Akt, es geht nur um die Sexualität des Mannes", sagt auch Annika Kleist vom Verein Sisters e.V. erst in dieser Woche im RBB-Fernsehen. "Wir sehen Prostitution als Gewalt, als Gewalt von Männern gegenüber Frauen. Gewalt ist der Alltag."

Auf der anderen Seite argumentieren Verbände wie der BesD, dass den Sexarbeitenden mit der Entkriminalisierung der Sexarbeit als Ganzes viel besser geholfen sei. "Wir meinen damit, dass Sexarbeitende nichts davon haben, wenn sie legal ihre Dienste anbieten dürfen, aber das komplette Arbeitsumfeld verboten ist", sagt Johanna Weber.

Die Hamburger Beratungsstelle Ragazza kritisiert in einem Artikel über das "Hurenstigma" zudem, dass Sexarbeitenden in der öffentlichen Debatte nicht als verantwortlich handelnde Subjekte wahrgenommen werden: "Mit der Zwangsberatung und dem Hurenpass werden sie erfasst, analysiert und markiert, durch die Sperrgebietsverordnung an einen Platz verwiesen und aus der 'normalen' Gemeinschaft in die Unsichtbarkeit verbannt."

LKA vermutet Dunkelziffer bei Zwangsprostitution

Die Gespräche, die der MDR für diese Recherche führen konnte, zeichnen ein Bild von selbstbestimmter Sexarbeit. Ein Bild, das nicht verdeckt, dass es Gewalt und Zwangsprostitution auch in Thüringen gibt. Das Landeskriminalamt hat 2021 zwei Ermittlungsverfahren zu Zwangsprostitution geführt und gibt an: "Zwangsprostitution ist in Thüringen bisher nur wenig polizeilich bekannt geworden. Es wird aber von einer signifikanten Dunkelziffer aus polizeilicher Sicht ausgegangen."

Ich rede drüber, weil ich will, dass Leute wissen, wie der Job ist.

Clara

Während Clara dem MDR so offen von ihrem Job erzählt, wissen in ihrem Bekanntenkreis immer noch nicht viele, dass sie Sex verkauft. "Ich komme aus einer Kleinstadt und da habe ich es fast niemandem erzählt. Da ich Angst vor den Reaktionen und davor habe, ausgegrenzt zu werden. Ich fühle mich oft abwertend wahrgenommen." Sie rede dennoch darüber, weil sie wolle, dass andere Leute wissen, wie ihr Job wirklich ist.  

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 04. Oktober 2022 | 19:20 Uhr

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