Videospielbranche Gaming-Event Caggtus: Wo sind die Videospiele made in Saxony?

14. April 2023, 09:16 Uhr

Microsoft als Partner, die größte Lan-Party Deutschlands und Influencer mit Millionenpublikum: Die Videospielmesse "Caggtus" ist in Leipzig gestartet und soll ab sofort regelmäßig die Gaming-Region bereichern, die seit Jahren dem Rest der Republik hinterherhinkt. Sachsen und Mitteldeutschland haben nur einige wenige erfolgreiche Spiele vorzuweisen. Viele Entwicklerstudios leben am oder unterm Existenzminimum. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen nur zum Teil am Geld.

Als Ron Sucker sein Videospiel Ende 2019 einem großen deutschen Spieleunternehmen aus Frankfurt vorstellt, soll er plötzlich mitten in der Präsentation aufhören zu reden. "Ich wünschte, ich hätte das aufgezeichnet", erinnert er sich. Zu diesem Zeitpunkt hat der Dresdner schon vier Jahre lang an Highrise City gearbeitet, einer Wirtschaftssimulation, bei der man seine eigene Großstadt aufbaut und managt. Jeden Tag nach der Arbeit setzt sich der gelernte Elektrotechniker nochmal mehrere Stunden hin und programmiert. "Die haben mich dann unterbrochen und meinten: 'Also Herr Sucker, ich habe noch nie jemanden gehört, der so leidenschaftlich über ein Spiel erzählt'". 

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Kurze Zeit später hat Sucker einen neuen Geldgeber für sein Spiel gefunden, nachdem zuvor rund ein Dutzend anderer Anfragen im Sande verliefen. Heute arbeiten drei Voll- und eine halbe Stelle an Highrise City. Dieses Jahr soll die Simulation offiziell erscheinen. Die Firma von Sucker ist für die Region damit schon jetzt eine Ausnahmeerscheinung.

Denn trotz ein paar Verkaufserfolgen in der Vergangenheit und großen Events wie der kürzlich gestarteten Gaming-Messe "Caggtus" in Leipzig verweilt die Branche im Freistaat weitgehend im Dornröschenschlaf.

Ein Gutachten der Stadt Leipzig kommt 2020 zu dem Schluss, dass die sächsische Gaming-Landschaft größtenteils aus Klein- und Kleinstunternehmen besteht, etwa 45 an der Zahl. Die Hälfte der befragten Unternehmen findet es laut dem Gutachten schwer, in der Region ihr Einkommen sicherzustellen. 20 Prozent verdienen weniger als das damalige Existenzminimum von rund 9.400 Euro im Jahr. Viele fühlen sich der Region aber auch verbunden und wollen hier bleiben. 

Sachsen landet auf letztem Platz bei Standort-Bewertung

Als der deutschlandweite Branchenverband Game seine Mitglieder Anfang des Jahres auffordert, das politische Engagement ihrer jeweiligen Bundesländer in Sachen Games-Unterstützung zu bewerten, wird die Misere besonders deutlich. Sachsen-Anhalt landet auf dem vorletzten Platz, Sachsen und Thüringen teilen sich zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern die rote Laterne.

"Das Ergebnis hat mich überhaupt nicht überrascht", sagt Martin Beyer, Geschäftsführer des Entwicklerstudios Toxtronyx. 2019 veröffentlichten die Chemnitzer die Fahrsimulation On the Road: Truck Simulator. Nach offiziellen Angaben des Verlegers gingen mehr als 250.000 Exemplare des Spiels über die Ladentheke – ein gigantischer Erfolg für die elf Personen starke Entwicklertruppe.

Dass bisher nur wenige andere Studios seinen Erfolg wiederholen konnten, liegt für Beyer an der fehlenden Unterstützung aus öffentlicher Hand. "Wir haben in der ganzen Region Mitteldeutschland einfach das riesige Problem, dass wir keine regionale, dedizierte Förderung ausschließlich für Games haben", sagt Beyer.

Spezifische Förderung für Videospiele gibt es nicht

Wer sich fördern lassen will, kann dies unter anderem bei der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) tun, an der als Gesellschafter die drei Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen sowie der MDR und das ZDF beteiligt sind. Ende der 1990er-Jahre wurde die MDM gegründet und hatte seit jeher einen Fokus auf Filme und Fernsehproduktionen. Aber auch Videospiele wurden vereinzelt mit Geldern unterstützt. So richtig wohlgefühlt hat sich das Medium dort aber nie.

Wir haben in der ganzen Region Mitteldeutschland einfach das riesige Problem, dass wir keine regionale, dedizierte Förderung ausschließlich für Games haben.

Martin Beyer Geschäftsführer Toxtronyx

2021 hat die MDM elf Videospielprojekte und Virtually-Reality-Anwendungen mit knapp 740.000 Euro gefördert. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum flossen in die Herstellung von Filmen und Serien über 14 Millionen Euro. 2022 reduzierte sich die Fördersumme für Videospiele sogar auf 270.000 Euro. Die MDM erklärt auf Nachfrage, dass beide Medien gleichberechtigt behandelt werden und sich die Förderhöhe nach der Antragslage zusammensetzen würde. Nutzen also die wenigen Entwicklerstudios einfach nicht die vorhandenen Möglichkeiten voll aus?

Wer im Rahmen einer sogenannten Projektentwicklung die ersten Monate einer Spieleentwicklung gefördert haben will, erhält bei der MDM ein "erfolgsbedingt rückzahlbares Darlehen". Das heißt im Klartext, wenn der erste Prototyp gut genug ist und einen Geldgeber für die weitere Finanzierung anlockt, muss die Förderung komplett zurückgezahlt werden. "Sobald ich aus dem Prototypen-Status rausgehe und in die Produktion reingehe, dann nehme ich diese Fördersumme als eine Art Grundschuld mit", erklärt der Spieleentwickler Beyer.

Im Gegensatz zu Filmen und Serien kann eine Spieleentwicklung extrem lange dauern. Oft vergehen viele Jahre, ehe das Technikgerüst steht und ein spaßiges Spielprinzip gefunden ist. Eine solche "Förderungs-Grundschuld" kann die weitere Entwicklung hemmen und potenzielle Geldgeber verschrecken. Zudem müssen geförderte Projekte, um in den Aufgabenbereich der MDM zu fallen, gewisse narrative Elemente enthalten. Videospiele wie Martin Beyers Trucksimulator hätten es bei einer Förderung schwer, weil hier keine klare Geschichte im klassischen Sinne im Vordergrund steht.

Verleger von Videospielen wie FusionPlay aus Leipzig passen ebenfalls nicht in das etablierte Rastermuster der Förderung, weil der Vertrieb von Videospielen häufig über rein digitale Verkaufsplattformen abgewickelt wird und damit regionale Effekte schwer nachzuweisen sind.

Verpixelter Rollstuhlfahrer vor Videospiel und der Schriftzug "Im Spiel bin ich Mensch." 4 min
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Die für die Förderung mitverantwortliche sächsische Staatskanzlei schreibt in einer Stellungnahme an MDR SACHSEN, dass von ihrer Seite aus durchaus eine Anpassung möglich wäre: "Andere regionale Filmförderer haben bereits eigene Games-Förderrichtlinien. Seitens des Freistaates Sachsen können wir uns so etwas auch sehr gut für die MDM vorstellen."

Gaming-Technologie als Bindeglied zwischen Branchen

Seit 2019 gibt es zwar auch ein bundesweite Computerspielförderungen mit einem jährlichen Volumen von 70 Millionen Euro, doch die richtet sich eher an größere Teams mit Geldreserven. So muss bei jedem Förderprojekt ein Eigenanteil von 50 Prozent mitgebracht werden. Für lokale Entwicklerbuden ist das kaum zu stemmen. 

"Man fördert mit der aktuellen Förderstruktur vor allem bestehende kleinere und mittlere Unternehmen aus der Medienbranche", sagt Friedrich Lüder, Vorstandsvorsitzender des ehrenamtlichen Branchenverbandes Games & XR Mitteldeutschland. "Neugründungen haben es oft schwer außerhalb von Leipzig. Die neuen Unternehmen können sich nicht ansiedeln beziehungsweise wachsen, wenn sie nicht gefördert werden oder eine Startfinanzierung erhalten. Sie bleiben immer klein."

Lüder und sein Team haben in der Vergangenheit unter anderem den "Games Innovation Award Saxony" mit ins Leben gerufen, sie kooperieren mit dem Leipziger Gaminghaus R42, die Start-Ups beraten und sie lobbyieren, um eine stärkere Verzahnung der Branche mit anderen Wirtschaftszweigen zu erreichen. "Die Games-Branche verbindet nicht nur die Menschen mit Hilfe des Mediums Spiel. Es verbindet auch die vielen unterschiedlichen Gewerke der Kreativbranche und schafft damit innovationstreibende Kräfte", sagt Lüder. So lassen sich Technologien aus dem Gaming-Segment auch für Spezialeffekte bei Filmproduktionen einsetzen oder sogar für 3D-Anwendungen, die in der Architektur und in der medizinischen Behandlung benötigt werden.

Fehlende Studiengänge und Schulbildung

Die großen Einsatzmöglichkeiten von Gaming-Technologien versprechen zudem Steuereinnahmen. Das Leipziger Gutachten über die Branche warnt daher davor, dass Fachkräfte und "innovative Unternehmen abwandern und in anderen Bundesländern zur Wertschöpfung beitragen" könnten, wenn Sachsen weiterhin eine vollumfängliche Unterstützung verschläft.

Der Kommunikationswissenschaftler Dr. Benjamin Bigl von der Uni Münster ist einer der Autoren des Gutachtens, neben der mangelnden Förderung sieht er auch die Universitäten in der Pflicht, das Thema stärker in den Fokus zu rücken. So hätte man zwar mittlerweile an Standorten wie Leipzig, Dresden und Mittweida verschiedene Studiengänge, die auch Videospiele behandeln.

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"Doch integrative Studiengänge, die komplett diese Games-Entwicklung von A bis Z durchspielen, gibt es so nicht", sagt Dr. Bigl. Auch an sächsischen Schulen fehle es an einem festen Unterrichtsfach, das Medien und damit Videospiele zum Thema habe. 

Kann die Caggtus die Games Convention ersetzen?

Die am Freitag gestartete Gaming-Messe "Caggtus" könnte der hiesigen Branche etwas Aufwind verleihen. Die Veranstalter versprechen, dass eine Fortsetzung im nächsten Jahr bereits fest eingeplant sei. Zwar richtet sich die Messe mit ihren digitalen und analogen Wettkämpfen, Cosplay-Schauen sowie Shows mit Influencern vor allem an ein Gaming-interessiertes Publikum und weniger an die Entwickler und Entwicklerinnen selbst. Möglicherweise könnte die "Caggtus" aber irgendwann die "Games Convention" ersetzen, die 2009 als "Gamescom" nach Köln gezogen ist.   

Der Verlust der besucherstärksten Videospielmesse der Welt lässt sich nicht genau beziffern, die Auswirkungen dürften dennoch spürbar gewesen sein. "Das war ein herber Rückschlag, auch für die Branche. Deswegen sind einige Studios weggezogen, Projekte im Sande verlaufen und teilweise sind Ansiedlungen dadurch nicht erfolgt", sagt Friedrich Lüder vom Branchenverband Games & XR.

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Für Dr. Bigl hat die "Caggtus" noch einiges vor sich, ehe sie diese Lücke wieder schließen kann. "Ich sehe es momentan nicht, dass die Caggtus die jetzt schon kleinteiligen Veranstaltungen und Akteure integrieren kann", sagt er. Trotzdem wünsche er den Veranstaltern viel Erfolg. 

Das war ein herber Rückschlag, auch für die Branche. Deswegen sind einige Studios weggezogen, Projekte im Sande verlaufen und teilweise sind Ansiedlungen dadurch nicht erfolgt.

Friedrich Lüder Vorstandsvorsitzender Games & XR Mitteldeutschland

Neben der lokalen Messe schaut die sächsische Branche womöglich auch gespannt auf den 11. Mai 2023. Dann wird der Deutsche Computerspielpreis in Berlin vergeben. Nach vielen Jahren der Abstinenz ist mit Dome Keeper wieder ein sächsisches Spiel nominiert und zwar in der Kategorie "Bestes Debüt". Das Dresdner Entwicklerteam Bippinbits nahm zuvor an der Initiative Mediastart teil, die von der MDM 2021 gegründet wurde und explizit junge, innovative Unternehmen in der Region unterstützen soll. Das scheint dieses Mal gut funktioniert zu haben.

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MDR (mad)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 14. April 2023 | 19:00 Uhr

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