Klage gegen Landeskirche Abhängen oder hängen lassen? Der schwierige Umgang mit Nazi-Glocken in Sachsen

08. Oktober 2023, 06:00 Uhr

In Sachsens Kirchtürmen hängen noch immer Glocken mit Hakenkreuz oder NS-Symbolik. Die evangelische Landeskirche tut sich schwer mit dem Umgang damit und will die Standorte der Glocken nicht offenlegen. Ein "jüdischer Aktivist" aus dem Saarland nimmt das nicht hin und klagt gegen die Kirche.

"Ich schreibe mir seit Jahren die Finger wund," sagt Gilbert Kallenborn aus dem Saarland mit Blick auf die evangelische Landeskirche in Sachsen. Der 69-Jährige, der sich selbst als jüdischen, antifaschistischen Aktivisten bezeichnet, will erreichen, dass die Kirche die Standorte und Inschriften der Glocken mit NS-Symbolik offenlegt. Weil er nach eigenen Angaben bislang auf taube Ohren stößt bei der Kirche, hat er sie auf Offenlegung verklagt. Am 26. Oktober wird darüber vor dem Landgericht Dresden verhandelt.

In allen anderen Bundesländern seien die Nazi-Glocken inzwischen abgehängt worden, begründet Kallenborn seine Klage. "Nur die Kirche in Sachsen weigert sich als Einzige und verschweigt die Standorte." Damit verstoße sie auch gegen das eigene Kirchenrecht. "Das ist evangelisches und katholisches Kirchendogma: Eine Glocke verkündet, was auf ihr notiert ist. Deswegen wird ja auf ihr etwas notiert! Diese Glocken verkünden nicht die Botschaft Christi, diese Glocken verkünden die Botschaft Adolf Hitlers."

Diese Glocken verkünden nicht die Botschaft Christi, diese Glocken verkünden die Botschaft Adolf Hitlers.

Gilbert Kallenborn Kläger aus dem Saarland

Landeskirche will fünf Orte nicht offenlegen

Die evangelische Landeskirche will sich vor der Verhandlung nicht öffentlich zu dem Verfahren äußern, wie der Sprecher der Kirche, Matthias Oelke, MDR SACHSEN sagte. Den Anspruch, die Namen der Kirchgemeinden zu nennen, in denen sich solche Glocken befinden, sehe die Landeskirche aber nicht. Für die Landeskirche sei die kritische Auseinandersetzung in den Kirchgemeinden mit dem schwierigen Erbe der NS-Zeit wichtig. "Es gibt aber unterschiedliche Wege, wie diese Auseinandersetzung erfolgen kann."

Dass in Sachsen noch in fünf Kirchgemeinden Glocken mit Inschriften der NS-Zeit hängen, hatte die Evangelische Landeskirche 2019 erst auf Nachfragen eingeräumt. Bis dahin hatte die Kirche erklärt, keine Kenntnis über Nazi-Glocken in sächsischen Kirchtürmen zu haben.

Inzwischen habe sich die Kirche mit den betroffenen Kirchgemeinden in Verbindung gesetzt, sagt Sprecher Oelke. "Die Auseinandersetzung mit dem Erbe aus der NS-Zeit in den betroffenen Kirchgemeinden erfolgte (und erfolgt) in unterschiedlicher Weise, die von distanzierenden Hinweistafeln bis zum kompletten Austausch der Glocken reichen."

Die Auseinandersetzung mit dem Erbe aus der NS-Zeit in den betroffenen Kirchgemeinden erfolgte (und erfolgt) in unterschiedlicher Weise, die von distanzierenden Hinweistafeln bis zum kompletten Austausch der Glocken reichen.

Matthias Oelke Stellv. Sprecher der evangelischen Landeskirche Sachsen

In drei Kirchgemeinden seien bereits Entscheidungen zum Austausch der Glocken mit Bezug zur NS-Zeit gefallen oder bereits vollzogen, auch mit finanzieller Unterstützung der Landeskirche. In der Kirche in Lawalde im Landkreis Görlitz sollen die beiden Glocken ausgetauscht werden, wie die "Sächsische Zeitung" berichtete.

In der Dorfkirche Niederschindmaas im Landkreis Zwickau hat die Kirchgemeinde einem Bericht der "Freien Presse" zufolge eine Glocke mit Hakenkreuz stillgelegt und durch eine neue ersetzt. Die "Naziglocke soll als stummes Mahnmal im Kirchturm bleiben.

Kirche in Altenbach hängt Glocke ab

Auch in der Dorfkirche Altenbach im Landkreis Leipzig wurde Mitte September eine Kirchenglocke mit Hakenkreuz abgehängt und stillgelegt. Pfarrerin Lydia Messerschmidt ist überzeugt, dass dies der richtige Weg im Umgang mit der Glocke ist. "Die Inschrift kann man nicht hören", sagte die Pfarrerin bei einer Andacht, "aber sie schwingt mit".

Die Inschrift sei das Zeichen der "Deutschen Christen", die der NS-Ideologie folgten. Diese Weltanschauung, dass Menschen unterschiedlich wert seien und dass die jüdische Bevölkerung ausgelöscht werden müsse, "lässt sich nicht mit dem Evangelium vereinbaren", so Messerschmidt.

Die Inschrift der Glocke ist das Zeichen der Deutschen Christen; die Strömung der Kirche, die in den Jahren 1932 bis 1945 die Kirche an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte.

Lydia Messerschmidt Pfarrerin in Altenbach

Statt der Glocke mit Hakenkreuz hängt jetzt eine neue Glocke mit einem Bibelvers und der Symbolik des Löwenzahns im Turm der Kirche. Sie soll ein Zeichen des Friedens und der Hoffnung sein, so Lydia Messerschmidt. Die alte Glocke soll im Ort als Mahnmal für die kommenden Generationen bleiben und mit einer Gedenktafel versehen werden, die die Inschrift aus der NS-Zeit historisch einordnet.

Deutsche Christen (für mehr Infos hier klicken)

Die "Deutschen Christen" wollten zur NS-Zeit das Christentum mit den Ansichten des Nationalsozialismus verbinden. 1933 übernahm die Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) in den meisten evangelischen Landeskirchen in Deutschland die Macht. Gegen eine nationalsozialistische deutsche Kirche, wie sie den Deutschen Christen vorschwebte, wandte sich die evangelische Bekennende Kirche, die Jesus Christus als den einzigen Herrn der Kirche bekannte. (Quelle: Chrismon)

Warum die Landeskirche die Orte der belasteten Glocken nicht selbst öffentlich macht und dem Kläger aus dem Saarland damit entgegenkommt? Man habe die Kirchgemeinden nicht unter Druck setzen wollen und selbst entscheiden lassen, wie sie mit den Glocken mit NS-Symbolik umgehen, sagt Kirchensprecher Matthias Oelke. Die Landeskirche wolle aber nach Abschluss des Entscheidungsprozesses in den Kirchgemeinden eine Präsentation dazu erstellen.

Glockenspiel in Lößnitz als Mahnmal

Schon länger bekannt war bereits, dass in der St. Johanniskirche im erzgebirgischen Lößnitz ein Glockenspiel im Kirchturm hängt, dass nationalsozialistische Inschriften und ein Hitler-Zitat trägt. Doch das Carillon fällt nicht in die Verantwortung der Landeskirche, weil es der Stadt gehört. Der Gemeinderat hat hier schon 2019 entschieden, dass das Glockenspiel als Mahnmal hängen bleiben soll. Auch hier ordnen mehrere Gedenktafeln die nationalsozialistischen Bezüge auf den Glocken ein.

Kirchturm in Lößnitz
Im Turm der Johanniskirche in Lößnitz hängt ein denkmalgeschütztes Glockenspiel, das die Unternehmerin Clara Pfauder 1938 der Stadt gestiftet hatte. Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Pfarrer Raphael Weiß spricht von einem "Kompromiss". Er habe sich dafür eingesetzt, dass zusätzlich zu der Mahntafel an bestimmten Tagen wie der Reichspogromnacht am 9. November oder am Tag der Opfer des Nationalsozialismus Gedenklieder auf dem Glockenspiel erklingen, darunter das jiddische Lied "Dos Kelbl" von Sholom Secunda und das "Wiegenlied" des jüdischen Komponisten Gideon Klein. Die Aufarbeitung der Geschichte des Glockenspiels sei damit aber noch nicht abgeschlossen, sagte Weiß MDR SACHSEN.

Mehr aus Sachsen