Leipzig Gefluteter Neubau in Connewitz: Politisches Motiv nicht ausgeschlossen

04. Oktober 2023, 18:06 Uhr

In Leipzig-Connewitz haben Unbekannte einen Neubau geflutet: Sie drehten mehrere Wasserhähne auf und verstopften Abflüsse. Zu den Hauptbetroffenen zählt ein Discounter, der eigentlich nächste Woche öffnen wollte. MDR SACHSEN hat sich vor Ort umgeschaut und mit Anwohnern gesprochen. Sie sehen solche Aktionen kritisch und nicht den richtigen Weg, um gegen die sogenannte Gentrifizierung ihres Stadtteils vorzugehen.

Die Werbung erscheint angesichts des Wasserschadens in noch unbekannter Höhe fast ein wenig trotzig: "Große Neueröffnung am 10.10.23 - 10 Prozent Rabatt auf alles!" steht auf dem Plakat vor dem "Netto"-Markt in Leipzig-Connewitz. Am Wiedebachplatz sind neben dem Discounter auch 178 Studentenwohnungen entstanden.

Am Öffnungstermin will "Netto" festhalten, die ersten Studierenden sind ohnehin schon eingezogen. Und das, obwohl am Sonntag Unbekannte im Neubau die Wasserhähne aufgedreht und Abflüsse verstopft hatten. Die Polizei ermittelt gegen unbekannt wegen Sachbeschädigung.

Wasserhähne wurden aufgedreht

Ein Putzlappen im Waschraum der 1. Etage des Wohngebäudes ist stiller Zeuge des Schadens. Ausgewrungen liegt der Lappen mitten im sauberen Raum vor den Waschmaschinen. Auf den zweiten Blick wird deutlich: Die Wände haben vom Boden her einen neuen Farbton. Dunkleres Weiß setzt sich vom Hellweiß darüber etwas ab. Es sind Spuren einer Renovierung.

Einige Bewohner laufen durchs Erdgeschoss. Der mexikanische Architekturstudent Hans wohnt in der vierten Etage und hat am Sonntag "nichts mitbekommen". Vielleicht die beiden Asiaten aus Etage zwei? "Nein". Sie waren am Sonntag nicht im Hause.

Wasser sickerte bis zum Discounter

Während der Schaden im Haus offenbar keine großen Wellen geschlagen hat, ist er bis zum Discounter im Erdgeschoss durchgesickert. Einige Deckenplatten müssen ausgetauscht werden. Auf dem Boden stehen Pfützen, etwas Wasser tropft von der Decke. Am Rande sollen Trocknungsgeräte dem Verkaufsraum Feuchtigkeit entziehen. "Kurz mal abschalten" steht auf einem Bänkchen am Rand der künftigen Verkaufsfläche.

Einige Maler machen gerade Pause. Sie haben aber mit dem Wasserschaden nichts zu tun. Ein Bauarbeiter steht, unterstützt von einem anderen, auf einer Leiter. Nur zwei sind gerade konkret mit dem Wasserschaden beschäftigt. Auch sie sind in den letzten Zügen. Den Rest müssen nun erst einmal die Trocknungsmaschinen erledigen.

Netto will pünktlich eröffnen

Trotz des Wasserschadens will Netto seine neue Filiale am 10. Oktober eröffnen. Das antwortete der bayerische Lebensmitteldiscounter MDR SACHSEN. Das Gebäude sei "bereits fertiggestellt" gewesen. Der Leiter des Bauprojekts, Dennis Krull, sagt: "Von technischer Seite her geht das. Es tropft nur noch ein bisschen von der Decke", so der Geschäftsführer der Devello Projektmanagement GmbH.

Möglicherweise fehlende Deckenplatten seien mehr ein "optisches Problem". Eine Markteröffnung sei logistisch genau geplant. Da käme ein Wasserschaden alles andere als gelegen. Die Neueröffnung am kommenden Dienstag sei nun mit einem "erheblichen Mehraufwand" verbunden.

Als Krull am Sonntagmittag vom Verwalter des Nachbarhauses vom Wasserschaden erfuhr, sei er "erschüttert und noch viel mehr traurig" gewesen, dass "das hinten heraus noch passiert ist".

Erste Mieter eingezogen - Krull verteidigt hohe Mieten

Wie viele der 44 Wohnungen in der ersten Etage betroffen sind, kann Krull noch nicht sagen. Er schätzt, dass rund die Hälfte der Wohnungen vermietet sind. Am Sonnabend und Sonntag waren die ersten Mieterinnnen und Mieter eingezogen. Noch im Angebot: Ein möbliertes Appartement mit knapp 22 Quadratmetern für 513 Euro Warmmiete. Die Mietpreise verteidigt der Bauprojektleiter: "Es sind keine Ikea- oder 08-15-Wohnungen. Und bei dem Preis sind Strom und Internet mit dabei."

Auch die Polizei ist in der Spur. Eine Sprecherin erklärte MDR SACHSEN, es werde nach wie vor in alle Richtungen ermittelt. Ein politisches Motiv werde nicht ausgeschlossen - bislang gebe es aber weder ein Bekennerschreiben noch Tatverdächtige. Und so kann derzeit nur spekuliert werden, dass mit dem Anschlag ein Zeichen gegen die sogenannte Gentrifizierung gesetzt werden sollte.

Einwohner kritisieren das Fluten

"Die Stimmung hier im Viertel hat sich gedreht", sagt ein Anwohner, der am Wiedebachplatz wohnt. Solche Aktionen wie Gebäude zu fluten, würden seiner Einschätzung nach zunehmend kritisch gesehen.

"Gentrifizierung hin oder her: Kann man das mit solchen Taten wirklich aufhalten?", fragt sich auch Passantin Doreen. Auch ihr seien die Wohnungen in Connewitz "viel zu teuer", aber ist es "der richtige Weg, ein solches Projekt zu boykottieren oder sucht man sich nicht besser einen anderen Weg?", fragt sich die Leipzigerin. sie plädiert für einen "Mietendeckel".

Richtig sauer ist Rentner Uwe Scheibler: "Ich ärgere mich über die Aktion gewaltig. Ich dachte, 'das gibt es doch nicht!' Ich schäme mich dafür", meint der 77-jährige ehemalige Bademeister. Gerade muss er seinen Einkauf einige Meter weiter weg erledigen und schleppen - trotz Hüft-Operation. Und teurer sei es beim Supermarkt auch noch für ihn. Er freut sich, wenn der Discounter in der Nachbarschaft wieder öffnet.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig | 04. Oktober 2023 | 18:30 Uhr

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