Nach Silvestervorfällen Tote, Verletzte, Sachschäden: Neuer Zündstoff im Streit um Böllerverbote
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02. Januar 2023, 20:04 Uhr
Ein toter Jugendlicher, dutzende Verletzte, Brände, kaputte Autos und Briefkästen, tonnenweise Müll, verängstigte Tiere und eine hohe Feinstaubbelastung. Das ist die Bilanz der Silvesternacht in Sachsen. Und auch hier wird über den Sinn von Böllerverboten im Privatbereich diskutiert.
- In Sachsen wurden am Silvester-Wochenende Dutzende Menschen verletzt. Mediziner fordern deshalb erneut ein Böllerverbot.
- Der Feuerwehrverband sieht in einem Verbot für Privatleute keinen Nutzen, wenn es um den Schutz von Rettungskräften geht. Aber er hält den Einsatz von Dashcams für sinnvoll.
- Sachsens Innenminister Schuster will ebenfalls kein generelles Böllerverbot. Der Blick müsse verstärkt auf die illegale Beschaffung von Sprengmitteln gehen.
In Sachsen sind beim Hantieren mit Silvesterböllern und Raketen deutlich mehr Menschen verletzt worden als bisher bekannt. Das geht aus aktuellen Informationen der Polizeidienststellen vom Montag hervor. Allein die Zwickauer Polizei meldete 23 Verletzte. An der Dresdner Uniklinik wurden zum Jahreswechsel 20 Menschen behandelt, die durch Silvesterböller verletzt wurden, die Hälfte von ihnen waren Kinder. In den Notaufnahmen des Städtischen Klinikums Dresden in Friedrichstadt und Neustadt gab es in der Silvesternacht 15 Verletzungen durch Pyrotechnik.
Tote und Verletzte durch Pyrotechnik in Sachsen (Auswahl)
- 17-Jähriger verletzte sich in Otterwisch beim Hantieren mit illegaler Pyrotechnik, die er in einem Rohr eingegraben hatte, so schwer, dass er im Krankenhaus in Leipzig stirbt. Ein Kriseninterventionsteam betreute Familie und Freunde.
- In Annaberg-Buchholz verbrannte sich ein Elfjähriger schwer und musste mit einem Hubschrauber in die Klinik geflogen werden. Der Junge hatte Feuerwerkreste eingesammelt und angezündet.
- In Meißen haben sich zwei Männer (22, 27) bei einer Pyrotechnik-Explosion schwer verletzt und mussten ins Krankenhaus.
- Ein 16-Jähriger in einem Dorf bei Elterlein verletzte sich beim Aufheben eines schon entzündeten Feuerwerks, sodass er ins Krankenhaus musste.
- In Hoyerswerda hat sich am Neujahrstag ein 15-Jähriger eine Handverletzung zugezogen, offenbar durch illegale Böller. Er war laut Polizei mit Freunden unterwegs und wollte angeblich einen Böller mit der Hand abwehren, als es zu dem Unglück kam.
Sachbeschädigungen und Brände im Zusammenhang mit Silvesterfeuerwerk
- In Kitzscher warf ein 25-Jähriger Pyrotechnik in Richtung eines Mehrfamilienhauses. Durch die Detonation wurden eine Eingangstür, Fenster und die Fassade stark beschädigt.
- In Leipzig-Plagwitz flog im Innenhof eines Mehrfamilienhauses ein Feuerwerkskörper auf einen Balkon. Durch den darauffolgenden Brand wurden die Fassade und die Balkontür beschädigt und die Wohnung verrußt, die nicht mehr bewohnbar ist. Sachschaden: im unteren sechsstelligen Bereich.
- In Plauen brannte ein Restposten-Baumarkt ab. Die Polizei ermittelt wegen fahrlässiger Brandstiftung. Sachschaden: sechsstelliger Bereich.
- Auf einem Parkplatz in Dresden brannten sieben Autos, drei davon vollständig aus. Sachschaden: rund 78.000 Euro. Andernorts in Dresden brannten fünf Autos.
- In Zwickau brannte ein Carport ab, das Feuer griff auf zwei Garagen, ein Auto und einen Anhänger über. Sachschaden: etwa 40.000 Euro.
- In Crimmitschau geriet eine Hecke in Brand, mutmaßlich wegen eines Böllers. Ein Lkw brannte komplett aus. Sachschaden: 30.000 Euro.
- In Zittau zündeten vier Tatverdächtige auf einem Parkplatz Kugelbomben der Kategorie F4. Ein 35 Jahre alter Hauptverdächtiger hatte ein Rohr als Abschussvorrichtung sowie drei weitere Bomben bei sich. Die Polizei stellte alles sicher und erstattete Anzeige wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz.
- In Hoyerswerda wurden zwei an der Straße geparkte Autos durch Böller beschädigt.
Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte
- In Görlitz wurden zwei Polizisten angegriffen und leicht verletzt. Zwei Männer (22, 35) und eine Frau (25) wurden gestellt, die Männer verbrachten die Nacht in Polizeigewahrsam.
- In Leipzig-Connewitz wurden Polizeibeamte und Polizeiautos mit Böllern und Gegenständen beworfen. Dienstautos wurden teilweise beschädigt.
Müll, Lärm und Feinstaub in der Silvesternacht
- An Messstellen in Leipzig und Chemnitz wurden Grenzwerte zur Feinstaubbelastung um das Acht- bis Fünfzehnfache überschritten
- Gut 2.050 Tonnen Feinstaub werden in wenigen Stunden um Silvester bundesweit freigesetzt, so das Umweltbundesamt. Aufs Jahr gerechnet ist die kurzfristige Belastung nach Meinung von Experten zu vernachlässigen. Die Windverhältnisse zu Silvester spielen auch eine wichtige Rolle.
- Die Stadtreinigung Dresden hat am Neujahrsvormittag 20 Tonnen Müll beräumt. Insgesanmt rechnet sie mit bis zu 60 Tonnen Silvestermüll.
Etliche Verletzte in Notaufnahmen in Dresden
Angesichts der vielen Verletzten sprach sich der Leiter der Notaufnahme der Städtischen Kliniken Dresden Mark Frank erneut für ein Böllerverbot an Silvester aus: "Wir haben Patienten gehabt, die haben einen Finger verloren, andere haben Raketen- oder Böllerteile in die Augen bekommen. Aber man muss sich vorstellen, wie aufwendig es bei einer schweren Sprengstoffverletzung wird. Bei ein oder zwei Patienten sind dann schon mehrere Leute gebunden. Und das können wir schwer kalkulieren."
Polizeigewerkschaft für Böllerverbot bei Privatleuten
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen ist für ein Böllerverbot in Privathaushalten, aber nicht für ein generelles Feuerwerksverbot zu Silvester: "Vielmehr sollten Kommunen und Veranstalter gestärkt werden, ein gesellschaftliches Silvesterfeiern zu ermöglichen mit freudigen Feiern über den Jahreswechsel", sagte der Landesvorsitzende, Jan Krumlovsky, MDR SACHSEN.
Die Gewerkschaft der Polizei Berlin hatte als Reaktion auf die Angriffe auf Polizeibeamte, Feuerwehr und Sanitäter in der Bundeshauptstadt verlangt, mit einem Böllerverbot Ernst zu machen. "Wir haben deutschlandweit gesehen, dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird", kritisierte GdP-Landeschef Stephan Weh. Das müsse ein Ende haben. Ein Verbot sei aber nur realistisch, wenn nicht erst im Dezember wieder darüber diskutiert werde.
Feuerwehrverbände wollen Einsätze filmen
Gegen ein generelles Verbot hat sich der Feuerwehrverband Sachsen ausgesprochen. Der kommissarische Vorsitzende Gunnar Ullmann zeigte sich zwar bestürzt über die Vorfälle in Berlin. Ein Böllerverbot würde aber nichts ändern, sagte Ullmann dem MDR. Diese Verrohung in Teilen der Gesellschaft sei etwas, was die Politik angehen müsste.
Ullmann forderte stattdessen, Einsätze mit Dashcams zu filmen. Dashcams an den Einsatzfahrzeugen und Bodycams seien eine Möglichkeit, Angriffe beweissicher zu dokumentieren. Wenn das nicht gelinge, habe man schlechte Karten, die Attacken durch einen Richterspruch auch zu verurteilen. Ehrenamtliche Retter müssten Angriffe selbst anzeigen. Das bedeute immer Mehrarbeit und führe zu einer hohen Dunkelziffer.
Für Dashcams an Einsatzfahrzeugen hat sich auch der Landesfeuerwehrverband von Sachsen-Anhalt ausgesprochen.
Die Kameras sind der einzige Weg, Beweise zu sichern. Die Einsatzkräfte, die Menschenleben retten müssen, habe keine Zeit zu beachten, wer sie bepöbelt oder zur Seite schubst.
Sachsens Innenminister gegen generelles Böllerverbot
Dashcams hält auch Sachsens Innenminister Armin Schuster für eine mögliche Maßnahme. Die Angriffe auf Einsatzkräfte und Rettungsfahrzeuge zeugten von "immenser Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die unseren Staat verkörpern", so Schuster am Montag in Dresden. Die Tatverdächtigen müssten schnell und wirkungsvoll strafrechtlich verfolgt werden. "Von einem generellen 'Böllerverbot' halte ich aber nichts." Die meisten würden verantwortlich mit Silvesterfeuerwerk umgehen. "Was wir aber besser im Blick haben müssen, ist die Verbreitung von illegalen Sprengmitteln. Sie richten jedes Jahr auch in Sachsen verheerenden Schaden an – von tragischen Unglücksfällen, die leider auch tödlich enden können, ganz zu schweigen", betonte der Minister.
Notfallseelsorger: Muss private Knallerei in diesen Ausmaßen sein?
Für ein Umdenken ist auch der stellvertretende Leiter des Notfallseelsorge- und Kriseninterventionsteams im Kreis Meißen, Sven Böttger. Er frage sich, ob private Silvesterknallerei "in diesen Ausmaßen sein muss?", sagte Böttger auf Anfrage von MDR SACHSEN. "An solchen Tagen wie Silvester fährt man nicht gern raus und überbringt mit der Polizei die Todesnachricht." Nach zwei ruhigeren Silvestern 2020 und 2021 habe der Jahreswechsel aktuell gezeigt, "wie sehr Leib und Leben in Gefahr sind und welche Gefahren auch für die Tiere bestehen", meinte der ehrenamtliche Notfallseelsorger.
An solchen Tagen wie Silvester fährt man nicht gern raus und überbringt mit der Polizei die Todesnachricht.
MDR (kk)/dpa/
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 02. Januar 2023 | 19:00 Uhr