Polizeigewerkschafter "Junge Polizisten fragen sich, ob der Beruf überhaupt zukunftssicher ist"
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04. Oktober 2022, 18:25 Uhr
Uwe Bachmann ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen-Anhalt. Im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT spricht er über Stärken und Schwächen der Polizeiausbildung im Land – und verlangt mehr Wertschätzung für junge Polizeibeamte.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Bachmann, wie schätzen Sie die Qualität der Ausbildung an der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben ein?
Uwe Bachmann: Die Polizeifachhochschule in Aschersleben ist in den letzten Jahren extrem modernisiert worden, sodass die logistischen Voraussetzungen und die Ausbildung sehr an Qualität gewonnen haben. Die Schule verfügt über moderne Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten, Geräte und Ansätze. Wenn es darum geht, gut ausgebildete Polizisten auf die Straße zu bringen, dürfen diese Standards aber nicht geschwächt und Auswahlkriterien nicht herabgesetzt werden.
Gibt es Ausbildungsinhalte, die in Ihren Augen momentan zu kurz kommen?
Am wichtigsten ist, dass auf den praktischen Aspekt mehr Fokus gelegt wird. Der Polizeiberuf ist nun mal was anderes als ein Beruf im Handel. Das muss man mit Herz und Seele leben und da gehören Praktika genauso dazu wie das theoretische Studium. Auch Wirtschaftskriminalität benötigt mehr Aufmerksamkeit und Manpower – die wir momentan einfach nicht zur Verfügung haben. Um die Schule in dieser Hinsicht besser aufzustellen, würde es helfen, Module wie Kriminalitätsbekämpfung in die Ausbildung zu integrieren.
Der Polizeiberuf ist nun mal was anderes als ein Beruf im Handel. Das muss man mit Herz und Seele leben und da gehören Praktika genauso dazu wie das theoretische Studium.
Sachsen-Anhalt hat die Ausbildungskapazitäten in Aschersleben in den vergangenen Jahren stark nach oben gefahren, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Das hat auch dazu geführt, dass die Abbrecherquote an der Schule deutlich gestiegen ist. Worauf führen Sie das zurück?
Man hat seit 2016 rund 3.000 Polizeianwärterinnen und -anwärter eingestellt. Das war eine große Herausforderung für die Fachhochschule, die eigentlich für viel weniger Schüler ausgelegt ist. Wenn man so viele Einsatzkräfte neu ausbildet, hat man auch deutlich mehr Abgänger: Früher waren das sieben bis acht Prozent, heute mehr als 20.
Es gibt verschiedene Gründe dafür, die das Ganze auch etwas relativieren: Die Polizei wird jünger, moderner, weiblicher. Angehende Polizisten entscheiden sich möglicherweise während des Studiums dazu, abzubrechen, weil sie andere Perspektiven haben. Andere schaffen die Fahrerlaubnis oder das Schwimmabzeichen nicht und wieder andere bekommen Kinder und setzen ihr Studium aus oder verlassen den Beruf gänzlich.
Was muss passieren, damit sich künftig überhaupt noch ausreichend für den Polizeiberuf geeignete Menschen dafür entscheiden, sich bei der Polizei in Sachsen-Anhalt zu bewerben?
Da jedes Bundesland gerade seine Polizei wieder aufbaut und verstärkt, stehen wir in einem ständigen Konkurrenzkampf. Bemerkbar macht sich das an den sinkenden Bewerberzahlen: Die Interessenten sind flexibler, sie bewerben sich gern in mehreren Bundesländern oder bei der Bundespolizei. Man sollte jungen Polizistinnen und Polizisten vermitteln, dass ihre wichtige Arbeit mit guter Bezahlung und Wertschätzung belohnt wird.
Wir haben zwar eine große Nachwuchskampagne hier in Sachsen-Anhalt, aber man braucht nur in die Vergangenheit schauen. Es wurde das Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen, es wurden die Besoldungen nach unten geschraubt. Damit werden junge Polizistinnen und Polizisten konfrontiert und fragen sich, was noch alles passiert und ob der Beruf überhaupt zukunftssicher ist.
Gegenüber dem BKA oder der Bundespolizei hinken wir in Sachen Gehalt etwa zehn Prozent hinterher. Das ist eigentlich gar nicht mehr vertretbar. Mit einer Anpassung der Besoldung an den Bund würde man eine Basis schaffen für gut qualifizierte und motivierte Menschen.
Halten Sie es für sinnvoll, dass sich die Auswahlkriterien an den Polizeihochschulen von Bundesland zu Bundesland unterscheiden?
Das ist ein wunder Punkt. Im Föderalismus kann sich jedes Bundesland seine eigenen Auswahlkriterien auferlegen. Mir wäre es sehr lieb, wenn wir einen einheitlichen Standard hätten. Dann würde der Konkurrenzkampf etwas entschärft und man hätte die besten Voraussetzungen, wenn Kolleginnen und Kollegen sich später entscheiden, das Bundesland zu wechseln. Zumal es sich ja ohnehin regelmäßig ergibt, dass Einsatzkräfte in anderen Bundesländern zur Bewältigung von großen oder schwierigen Einsatzlagen gebraucht werden.
Im Föderalismus kann sich jedes Bundesland seine eigenen Auswahlkriterien auferlegen. Mir wäre es sehr lieb, wenn wir einen einheitlichen Standard hätten.
Machen sich denn die erhöhten Ausbildungszahlen schon auf den Revieren im Land bemerkbar?
Die jungen Leute entlasten die Reviere und Einsatzstellen Stück für Stück – sie müssen aber auch mitgenommen werden. Es ist eine Herausforderung für die jeweiligen Behörden, Alt und Jung, das Know-How und eine frische Ausbildung zusammenzubringen.
Die Landesregierung hat das Ziel ausgegeben, die Zahl der Polizeibeamten im Land bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 auf insgesamt 7.000 zu erhöhen. Halten Sie diese Zahl für ausreichend – und realistisch?
Ich bin verhalten optimistisch, was diese Zahl angeht, da noch viele Hindernisse überschritten werden müssen. Diese 7.000 sind eigentlich das Minimum. Wir wissen nicht, was uns die Gesellschaft in den nächsten Jahren ins Hausaufgabenheft schreibt.
Cyberkriminalität und die E-Akte beispielsweise mit ihren besonderen Auswertungsaufgaben bedürfen deutlich mehr Personal. Da muss eine gesunde und effektive Mischung zwischen Digitalisierung und Personal gefunden werden. Und wir brauchen nicht nur die 7.000 Polizistinnen und Polizisten, sondern auch die Verwaltung, die sie im Hintergrund stärkt und entlastet.
Die Fragen stellten Lucas Riemer und Josephine Reinländer.
MDR (Josephine Reinländer, Lucas Riemer)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten – Entdecke, wo du lebst | 11. Oktober 2022 | 21:00 Uhr
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