Kommentar zu Folgen der Wahl Sachsen-Anhalt – ein gespaltenes Land und was das für die Politik bedeutet

14. Juni 2021, 07:17 Uhr

Das Ergebnis der Wahl in Sachsen-Anhalt zeigt Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt sowie zwischen den Regionen. Kolumnist Uli Wittstock erklärt, welche Fragen sich nun stellen.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Es gibt den Begriff der Angstlust – und in der letzten Stunde vor der Schließung der Wahllokale war diese Art der Unruhe im Wahlzentrum der Magdeburger Messehallen ziemlich präsent. Als dann um 18 Uhr die Prognose über die Bildschirme flimmerte, blieb trotz der deutlichen Zahlen der Jubel verhalten. Nicht so sehr Freude, sondern vielmehr Erleichterung war zu spüren. Denn nur mit vereinter Kraft der Wählerinnen und Wähler war es gelungen, Sachsen-Anhalts rechtsextremen AfD-Landesverband deutlich auf Platz zwei zu verweisen.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) machte in seinem ersten Statement deutlich, dass es für ihn nun darum gehe, einen Teil jener Landeskinder, die ihre Stimme erneut der AfD gaben, in den Schoß der politischen Mitte zurückzuholen – Haseloff, der Katholik und Menschenfischer.

Ergebnisse Wahlkreise und Gemeinden

Grafik zur Landtagswahl 2021, Gemeindeergebnisse
Mindestens 83 Abgeordnete ziehen nach der Wahl am 6. Juni 2021 in den achten Landtag in Sachsen-Anhalt ein. Bildrechte: MDR

Die geborgte Macht der CDU

Die CDU ist jedoch für so manchen Sachsen-Anhalter diesmal eher eine Art politische Leihmutter. Denn nicht jeder, der christdemokratisch wählte, tat dies aus politischer Überzeugung, sondern eher in der Hoffnung, Schlimmeres zu verhindern. Damit steht nun Reiner Haseloff in der Schuld auch jener Wählerinnen und Wähler, die ihr Kreuz erstmals bei der CDU machten. Sein zurückgenommener Auftritt am Wahlabend zeigt, dass er sich dieser besonderen Situation bewusst ist.

Blickt man in den neuen Landtag, könnte man glatt meinem, die CDU habe ihre Position als letzte Volkspartei gefestigt. Doch sollten die Christdemokraten vorsichtig sein. Sachsen-Anhalts Wähler sind scharfe Kampfrichter, wenn es darum geht, an der Wahlurne Bilanz zu ziehen. Und die könnte in fünf Jahren durchwachsen ausfallen.

 Kein konservatives Reservat

Viele Menschen haben die Konservativen gewählt, in der Hoffnung, dass der Kelch der Veränderung an ihnen vorbeigehen möge. Die letzten dreißig Jahre haben vielen hier sehr viel zugemutet, doch die Hoffnung auf ein Innehalten ist trügerisch. Das Land steht vor großen Veränderungen, demographisch, klimapolitisch und technologisch. Es geht konkret um die Probleme einer alternden Gesellschaft, um den Umbau der fossilen Energiewirtschaft und die zunehmende Digitalisierung.

Ein "Weiter so" wird es nicht geben. Sachsen-Anhalts CDU ist bislang den Beweis schuldig geblieben, diese Veränderungen mit eigenen Ideen zu gestalten. Eines hingegen hat Reiner Haseloff vor allem gegenüber den eigenen Parteifreunden eindrucksvoll belegt: Man kann Wahlen gewinnen, indem man nicht die Vorstellungen der AfD übernimmt, sondern sich ganz klar von ihnen abgrenzt.

Das setzt Vertrauen der Wählerinnen und Wähler voraus, welches Haseloff sich in den letzten Jahren offenbar erworben hat. Doch sollte es nicht gelingen, der Ideenarmut der letzten Regierungsjahre mit einem Neustart zu begegnen, könnte mit der nächsten Wahl nicht nur manche Leihstimme wieder verschwunden sein.

Die AfD in der Radikalisierungsfalle

Seitdem der Krawallkamerad André Poggenburg die AfD verlassen hat, ist es ruhiger um die AfD geworden, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Dennoch kann der Wahlkampfslogan "Deutschland. Aber normal" kaum anders als eine Wählertäuschung beschrieben werden. Es sei denn, man hält eine Partei, die sich offener Flanken zum Rechtsextremismus bedient, für einen normalen Umstand in deutschen Parlamenten.

Tatsächlich ist die AfD inhaltlich in den letzten fünf Jahren in keiner Weise durch den Parlamentsbetrieb eingehegt worden. Doch der Rechtskurs hat der Partei keine weiteren Wähler zugeführt. Auch die immer lautere Kritik an den Corona-Maßnahmen hat sich kaum ausgezahlt.

AfD müsste Empörungspotenzial weitere fünf Jahre hochhalten

Hinzu kommt, dass die stabile ideologische Basis der AfD im Osten einem Wahlerfolg der Partei im Westen eher im Wege steht. Denn die Wählerklientel, die von der AfD in Sachsen-Anhalt angesprochen wird, gibt es im Westen zwar auch, ist dort aber sehr viel stärker migrantisch geprägt. AfD-Landeschef Reichardt sagte am Wahlabend, die AfD in Sachsen-Anhalt sei nunmehr eine Volkspartei. Mag dies von den Prozentpunkten vielleicht noch erklärbar sein, so gilt das mit Blick auf die Mitgliederzahlen wohl eher nicht. Mit rund 1.500 Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt mutet der Begriff Volkspartei schon überstrapaziert an.

Die Frage für AfD lautet, ob sie das Empörungspotenzial weitere fünf Jahre auf hohem Niveau befeuern kann. Im Übrigen will die Partei auch weniger die bestehenden Verhältnisse konservieren, sondern sie vielmehr dramatisch verändern im Sinne einer "konservativen" Revolution. Dafür allerdings bräuchte die AfD Mehrheiten, von denen sie derzeit sehr weit entfernt ist.

Linke Bruchlandung

Ohne es zu reflektieren, hat die Linke einen Elitenwahlkampf geführt. Denn der Spruch: "Nehmt den Wessis das Kommando" ersetzt den Klassenbegriff durch Herkunft. Allerdings ist es den Menschen, die in Sachsen-Anhalt Niedriglohn beziehen, egal, ob sie von einem westdeutschen oder ostdeutschen Chef schlecht bezahlt werden.

Auch wenn die Wahrnehmung einer westdeutschen Dominanz durchaus zutreffend ist, so lässt sich daraus nur politisches Kapital schlagen, wenn man daraus Ideen ableitet. Diese sind die Linken schuldig geblieben, außer der in diesem Zusammenhang merkwürdig anmutenden Forderung, nun endlich bei Lohn und Rente westdeutsche Verhältnisse walten zu lassen.

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Dass die Linken derzeit verlieren, ist auch anderswo zu beobachten, in Frankreich etwa. In einer nachindustriellen Gesellschaft singen die Proletarier nicht mehr "Dem Morgenrot entgegen", denn das Morgenrot wird ein Digitales sein. Deshalb ist die Stimmung bei so manchem eher die eines Maschinenstürmers, der davon ausging, dass früher alles besser gewesen sei.

Sachsen-Anhalt hat bei der Deindustrialisierung in Deutschland eine traurige Vorreiterrolle übernommen, bislang jedoch hat die Linke diese Erfahrung eher ausgeblendet. Und es kommt ein weiterer Umstand hinzu. Eine Partei, die in Sachsen-Anhalt noch immer ihre Ostkompetenz betont, tritt im Wahlkampf mit westdeutschem Spitzenpersonal auf, das hier hörbar fremdelt.

Einstellig, aber noch da: die SPD

"Das große Carthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten." So textete einst Bertold Brecht. Und so gesehen befindet sich Sachsen-Anhalts SPD irgendwo zwischen dem zweiten und dritten punischen Krieg, wenn es der Sozialdemokratie nicht gelingen sollte, die drohende Bedeutungslosigkeit abzuwenden. Dabei haben die SPD-Minister in der Landesregierung durchaus eine pragmatische Politik vertreten und konnten in der schwierigen Corona-Situation den Eindruck politischer Gestaltungskraft erkennen lassen.

Warum stattdessen die weithin unbekannte Fraktionschefin Katja Pähle als Spitzenkandidatin ins Rennen ging, erschloss sich wohl nur denjenigen, die sich in der komplizierten Machtstruktur der Sozialdemokraten auskennen. Natürlich kämpfen die Genossen noch immer mit dem langen Schatten von Hartz IV und den Folgen des rigorosen Sparkurses, mit dem seinerzeit SPD-Finanzminister Bullerjahn das Land überzog. Die Idee einer schwarzen Null erwies sich als ebenso illusorisch, wie die Idee, dass sich aus einer Spar- und Kürzungspolitik eine neue Aufbruchstimmung generieren lasse.

Mitreißende Idee fehlt der SPD

Aber auch bei der SPD stellt sich mit Blick auf die erneut geschrumpfte Landtagsfraktion die Frage, von woher eigentlich neue politische Impulse kommen sollen. Zudem hat sich die Partei im Wahlkampf darauf konzentriert, den Koalitionspartner CDU scharf anzugehen und es so versäumt, die eigenen Erfolge deutlich zu machen.

Programmatisch steckt die SPD im selben Dilemma wie die Linken: Es fehlt an einer Idee, welche die Menschen mitreißt. Tariftreue bei öffentlichen Ausschreibungen zu fordern, ist sicherlich nicht falsch, doch Jubel bricht deswegen nicht aus.

FDP – Aufstieg in die Landesliga

Die Liberalen sind in Sachsen-Anhalt das, was man im Fußball als Fahrstuhlmannschaft bezeichnet. Zum dritten Mal schaffen sie den Aufstieg und werden möglicherweise erneut in die Regierungsverantwortung gehen. Das eine liberale Stimme im Parlament wichtig ist, muss nicht besonders betont werden. Tatsächlich hat die Pandemie-Politik in Sachsen-Anhalt gezeigt, wie schnell am Parlament vorbei regiert werden kann, was von der Opposition zwar kritisiert wurde, aber im Wesentlichen folgenlos blieb.

Problematischer ist der Umstand, dass der FDP aus irgendwelchen Gründen eine Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird. Der letzte FDP-Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt hatte die Idee, das Bundesland zum führenden Standort für grüne Biotechnologie zu entwickeln. Doch Gentechnik vom Acker lehnt der europäische Verbraucher nach wie vor ab. Auch wenn in Sachsen-Anhalt 100 Millionen Euro für das Vorhaben flossen: Es blieb folgenlos.

Nun hat die FDP wieder eine wirtschaftspolitische Idee, nämlich den "blauen" Wasserstoff. Der wird nicht aus Windkraft, sondern aus Erdgas hergestellt und erzeugt leider jede Menge Treibhausgase, die dann wie Atommüll eingelagert werden müssen.

Neu ist die Idee nicht, denn zwischen 2008 und 2017 finanzierte die EU mit 424 Millionen Euro sechs solcher Projekte – fünf davon scheiterten, eines konnte viel weniger einlagern als versprochen. Hoffen wir also, dass Sachsen-Anhalts Steuerzahler ein weiterer Versuch erspart bleibt.

Grün war die Hoffnung

Was in der ganzen Wahldebatte nur am Rand eine Rolle spielte, war der Volksentscheid in Halle. Eine Mehrheit der Hallenserinnen und Hallenser sprach sich nämlich gegen eine autofreie Innenstadt aus, eine Idee, die zuvor mit einer Mehrheit im Stadtrat verabschiedet worden war. Und hier zeigt sich ein grundlegendes Problem der repräsentativen Demokratie: Parlamentarische Mehrheiten sind nur bedingt ein Abbild der tatsächlichen Mehrheiten.

Auch wenn man glaubt, die richtigen politischen Strategien zu verfolgen, so sollte man nicht versuchen, sie fortwährend gegen große Teile der Bevölkerung durchzusetzen. Dass den Grünen eine gewisse politische Gouvernantenhaftigkeit zugeschrieben wird, wundert unter diesen Vorzeichen nicht.

Allerdings muss man der Partei zugutehalten, dass sie dem Wahlvolk auch unliebsame Wahrheiten zumutet. In einem überwiegend ländlich geprägten Bundesland haben die Grünen nur in den Städten ein tatsächliches politisches Gewicht. Zwar hat die Partei ein Programm speziell für den ländlichen Raum entwickelt, doch im Corona-Lockdown blieb das eher ein Randthema.

Dass die Grünen nun in Betracht ziehen, in die Opposition zu gehen, kann durchaus eine Chance für die Partei sein, das eigene Profil zu stärken. Insbesondere mit Blick auf die Regionen, wo die Grünen deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde blieben.

Große Unterschiede zwischen den Regionen 

Die Wahlen in Sachsen-Anhalt haben gezeigt, dass dieses Land in sich stark gespalten ist. Der Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen Regionen, die sich für abgehängt halten und jenen, die prosperieren, ist politisch am Wahlverhalten ablesbar.

Wenn also Ministerpräsident Haseloff angekündigt hat, er wolle der AfD Wählerstimmen in großem Ausmaß wieder abjagen, dann wird er genau bei diesem Problem ansetzen müssen. Mit dem Braunkohle-Ausstieg fließen noch einmal Milliarden in die Region. Doch Geld allein hilft nicht, es braucht auch die dazu passenden Ideen.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Über den Autor Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie. Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und kommentiert die politische Entwicklung in Sachsen-Anhalt.

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MDR/Uli Wittstock, Oliver Leiste

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 07. Juni 2021 | 19:00 Uhr

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