Datenanalyse Wie der Klimawandel den Winter in Sachsen-Anhalt verändert
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21. Februar 2022, 17:55 Uhr
In Sachsen-Anhalt ist der Winter mit Schnee und Eis auf dem Rückmarsch. Eine Datenanalyse des MDR zeigt, dass die Zahl der Tage mit Schnee deutlich abnimmt. In einigen Orten fiel zuletzt überhaupt kein Schnee mehr. Ein Überblick über die Folgen für jede Gemeinde in Sachsen-Anhalt.
- In den 30 Jahren vor 1990 gab es durchschnittlich noch deutlich mehr Tage, an denen Schnee liegen geblieben ist, als in den 30 Jahren danach.
- Bei fast allen Gemeinden in Sachsen-Anhalt ging die Anzahl der Tage mit durchgängiger Minustemperatur um mehr als ein Fünftel zurück.
- Experten schätzen, dass künftig die Schneemengen auch in höheren Lagen drastisch zurückgehen werden.
Als "Winter aus Versehen" beschreibt Torsten Lehne von der Außenstelle des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Leipzig die Schneeschauer in den vergangenen Monaten. Der aktuelle Winter sei überdurchschnittlich mild und niederschlagsreich.
Wärmere Temperaturen – nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland – haben dafür gesorgt, dass in den letzten Jahrzehnten weniger Schnee fällt und auch schneller wieder wegschmilzt. Besonders sind Rückgänge bei der Schneemenge in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren in tieferen Lagen zu beobachten. In höheren Lagen über 800 Meter sind bislang kaum Änderungen sichtbar. Modellrechnungen aus der Klimaforschung deuten aber darauf hin, dass die Winterniederschläge in Zukunft häufiger als Regen und nicht als Schnee fallen werden.
Weniger Schnee in den tiefen Lagen
In Sachsen-Anhalt sieht man den bisherigen Schneerückgang sehr deutlich an den Daten der Messstation Klötze/Altmark. Diese liegt auf 70 Höhenmeter (NHN). Waren es dort von 1961 bis 1990 noch durchschnittlich 32 Schneetage pro Jahr, gab es in den zurückliegenden 30 Jahren durchschnittlich nur noch 19 Schneetage. Das ist ein Rückgang um 41 Prozent.
Was sind Schneetage?
Schneetage, auch Schneedeckentage genannt, sind Tage, an denen eine Schneedecke liegen bleibt. Diese wird ab mehr als 0 cm Schneehöhe oder für den Winter- und Skitourismus maßgeblich ab mindestens 20 cm Schneehöhe definiert. In den Tieflagen wurden die Tage bei einer Schneehöhe größer als 0 cm ausgewertet, bei den höheren Lagen zählen Schneetage als Schneetage mit mindestens 20 cm Schneedeckenhöhe.
Von 1991 bis 2020 verzeichnete die Messstation Klötze/Altmark also durchschnittlich pro Jahr 13 Tage weniger mit einer Schneehöhe von mindestens einem Zentimeter. Von Schneerückgang betroffen sind Gebiete in tiefen Lagen wie die Altmark, Anhalt oder die Gebiete entlang der Saale. Im Jahr 2020 blieb in einigen Städten und Gemeinden wie zum Beispiel in Wittenberg zum ersten Mal den gesamten Winter über keine Schneedecke liegen. Auf dem Brocken treten die Schneehöhen und Schneetage mit sehr starken Schwankungen auf.
Die durchschnittliche Anzahl an Schneetagen auf dem Brocken liegt zwischen 1961 und 1990 bei 152. Im Vergleich dazu gab es in der Periode von 1991 bis 2020 nur noch durchschnittlich 124 Tage mit einer Schneehöhe von mindestens 20 Zentimetern. Der relative Schneerückgang zeigte sich in den vergangenen 30 Jahren aber noch nicht so deutlich wie in den tiefen Lagen.
Wann Niederschlag als Regen und wann als Schnee fällt
Ob Schnee fällt oder nicht, hängt zum einen von der Temperatur ab, aber auch von der relativen Luftfeuchtigkeit, Umgebungsbeschaffenheiten und anderen Faktoren. Dazu kommt, dass Schneefall mit sehr starken Schwankungen pro Jahr auftritt. Niederschlag ist dadurch schwerer vorauszusagen als zum Beispiel die Temperatur.
In den Wintermonaten sind wir nah an der Temperaturgrenze, bei der Schnee statt Regen fällt. Liegen die Werte am Boden um den Gefrierpunkt, ist die Wahrscheinlichkeit für Schneefall am größten.
Nicht nur die Anzahl der Schneetage verdeutlicht Klimaveränderungen im Winter. Der Klimawandel wird auch anhand des Rückgangs der Frost- und Eistage sichtbar.
Frost- und Eistage werden weniger
Welche Tage zählen als Frost- und Eistage?
Frosttage sind die Tage, an denen die minimale Temperatur des Tages unter 0 Grad Celsius liegt. Bei Eistagen liegt selbst die Höchsttemperatur des Tages unter 0 Grad Celsius. Gibt es einen Rückgang von Eis- und Frosttagen, deutet das auf mildere Winter hin.
"Sowohl die Sommerhalbjahre als auch die Winterhalbjahre sind wärmer geworden." Zu diesem Ergebnis kommt das Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt im aktuellen Klimawandel-Bericht für Sachsen-Anhalt. Am deutlichsten ist der Temperaturanstieg in den vergangenen drei Jahrzehnten ausgefallen. Zudem fällt in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr wenig Niederschlag. Bereits 2020 zeigte eine MDR-Recherche: Sachsen-Anhalt ist das trockenste aller Bundesländer.
Was sind Temperaturanomalien?
Klimaveränderungen werden in Anomalien dargestellt. Temperaturanomalien sind gemessene Abweichungen zwischen den Temperaturen zweier Zeitperioden. Sie beschreiben, inwieweit sich Temperaturwerte im Vergleich zu den Temperaturwerten eines festgesetzten Referenzzeitraums verhalten. Als Referenzperiode wurde der Zeitraum zwischen 1961 und 1990 festgesetzt. Zum Beispiel vergleicht man den Februar 2021 mit dem durchschnittlichen Februarwert der Jahre 1961 bis 1990.
Wetter ist nicht gleich Klima: Man muss längere Zeiträume untersuchen, um Klimaentwicklungen feststellen zu können. Betrachtet werden deswegen meist Zeiträume von mindestens 30 Jahren.
An den Änderungen der bodennahen Temperatur sind die Folgen des Klimawandels am deutlichsten zu sehen. Vergleicht man die durchschnittlichen Temperaturen in den Wintermonaten seit 1881 mit der mittleren Wintertemperatur des Referenzzeitraums von 1961 bis 1990, ist ein klarer Temperaturanstieg zu sehen. Dieser beträgt 1,7 Grad Celsius. Das zeigt die gestrichelte Linie im Diagramm zur Temperaturanomalie des Deutschen Wetterdienstes. Die Jahre 2018 bis 2020 waren bereits allesamt mehr als zwei Grad Celsius wärmer als das durchschnittliche Klima im Zeitraum von 1961 bis 1990.
Ein klarer Temperaturanstieg zeichnet sich ab
Im Hinblick auf die Winterveränderungen sagt Christoph Geißler, Klimaexperte des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie:
Es wird peu à peu wärmer. Damit hat man im Winter immer öfter auch den Fall, dass es auch in den Hochlagen frostfrei ist. Dass es regnet, und da taut der Schnee im Winter natürlich ab. Und man hat dann nicht mehr über Monate eine durchgehende Schneedecke, wie das in den 60er und 70er Jahren der Fall war.
Was beschreibt der Medianwert?
Ein Medianwert liegt genau in der Mitte einer Datenverteilung. Zum Beispiel liegt der Medianwert der Frostwerte in Klötze von 1961 bis 1990 bei 84,5 Frosttagen. Das heißt: In der Hälfte der Jahre wurden mehr als 84,5 Frosttage verzeichnet, in der anderen Hälfte der Jahre weniger als 84,5. Der Medianwert beschreibt die Anzahl der Frosttage, die genau in der Mitte aller gemessener Frosttage pro Jahr liegt.
Aus den Grafiken wird deutlich, dass es in der Referenzperiode von 1961 bis 1990 noch deutlich mehr Frosttage gab als in der Zeit von 1991 bis 2018. Ungefähr jede fünfte Gemeinde in Sachsen-Anhalt hatte einen Frosttage-Rückgang von mehr als 15 Prozent. Bei fast zwei Drittel der Gemeinden ging die Anzahl der Frosttage um zehn Prozent zurück.
Wo die Frosttage am stärksten zurückgehen
Den höchsten Rückgang an Frosttagen hat die Gemeinde Wanzleben-Börde. Waren es dort im Zeitraum von 1961 bis 1990 noch durchschnittlich 90 Frosttage pro Jahr, gab es von 1991 bis 2018 im Durchschnitt nur noch 72 Tage. Die Frosttage sind dort um 21 Prozent zurückgegangen. Um die durchschnittliche Anzahl der Frosttage anderer Gemeinden zu sehen, kann man die einzelnen Gemeinden in der Grafik anklicken.
Am wenigsten betrifft der Rückgang der Frosttage die Gemeinde Wettin-Löbejün. Dort gab es in den beobachteten Jahren nach 1990 im Schnitt genauso viele Frosttage wie in den 30 Jahren vor 1990.
Bei den gemessenen Eistagen wird der Rückgang noch deutlicher. In beinahe allen Gemeinden in Sachsen-Anhalt (99 Prozent) ging die Anzahl der Eistage um mehr als 20 Prozent zurück.
Je weniger Eistage, desto milder die Winter
Der stärkste Rückgang zeigt sich im berechneten Median der Gemeinden Nordharz und Osterwieck. In Nordharz gab es von 1961 bis 1990 noch durchschnittlich 30 Eistage pro Jahr, von 1991 bis 2018 nur noch 15. In Osterwieck ging die durchschnittliche jährliche Zahl von Schneetagen in den beiden Zeiträumen von 28 auf 14 zurück. Die Anzahl der Eistage hat sich in beiden Gemeinden um die Hälfte verringert.
Den kleinsten Rückgang an Eistagen haben die Gemeinden Naumburg (Saale) (von 21 auf 18,5 Tage), Hansestadt Osterburg (von 21,5 auf 17 Eistage) und Arneburg-Goldbeck (von 21 auf 16,5 Eistage).
Zu der Zukunft der Frost- und Eistage erklärt Christoph Geißler:
Der Rückgang dieser Frosttage und Eistage, den sehen wir schon in den Temperaturmessreihe in ganz Deutschland und Europa. Den Rückgang sieht man. Und der wird sich in Zukunft mit zunehmender Erwärmung fortsetzen. Die Frage ist, wie schnell das geht und was das im Detail auch für den Harz bedeutet.
Kältewellen und Wintereinbrüche werden seltener
Ob es auch in Zukunft immer weniger Schnee geben wird, hängt auch davon ab, ob konsequente Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden. Das Landesamt für Umweltschutz in Sachsen-Anhalt hat ein Klimamodell für Sachsen-Anhalt für den Zeitraum von 1961 bis 2100 berechnet.
Was zeigen Klimamodelle?
Ein Klimamodell analysiert unter Annahme von verschiedenen Klimaszenarien, wie sich die Klimaverhältnisse möglicherweise verändern werden: Ein Klimaszenarium beschreibt zum Beispiel eine Zukunft mit Klimaschutzmaßnahmen, ein anderes beschreibt eine Zukunft ohne konsequente Klimaschutzmaßnahmen.
Das Klimamodell vom Landesamt für Umweltschutz berücksichtigt das gesamte System Erde-Atmosphäre-Biosphäre-Eiskappen-Böden mit seinen Wechselwirkungen. Aus diesen Klimamodellen kann man Klimaprojektionen ablesen. Diese Berechnungen sind keine Prognosen, sondern eine Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit der Klimaszenarien.
In Hinblick auf die Schneesituationen zeigen die Berechnungen, dass Kältewellen und Wintereinbrüche, wie zum Beispiel der jüngste im Februar 2021, seltener werden. Weiter werden die Eistage in naher Zukunft bei einem Szenario mit konsequentem Klimaschutz um durchschnittlich 40 Prozent und bis zum Ende des Jahrhunderts um 85 Prozent zurückgehen.
Abgeleitet aus den Berechnungen des Modells kommt das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt zu dem Schluss, dass der Wintersporttourismus im Harz aufgrund der Erwärmung bis zum Jahr 2100 kein verlässlicher Bestandteil der regionalen Wirtschaft mehr sein wird.
Der Anstieg der Minimaltemperaturen und eine geringere Anzahl an Eis- und Frosttagen bedeutet auch, dass die Anzahl der Schneedeckentage in allen Höhenlagen drastisch abnehmen wird.
Über die Autorin
Alexandra Ketterer arbeitet seit Oktober 2021 als Datenjournalistin bei MDR SACHSEN-ANHALT in Magdeburg. Sie studiert Journalismus an der Universität Leipzig und produziert nebenher einen Podcast über Netzpolitik und Datenschutz.
Bei MDR SACHSEN-ANHALT recherchiert und analysiert sie Daten, aus denen Geschichten für Online, Radio und Fernsehen entstehen.
MDR (Alexandra Ketterer)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Thüringen Journal | 21. Februar 2022 | 19:00 Uhr