Tierärztin über artgerechte Haltung Kaninchen allein im Käfig? "Menschen würden sich wahrscheinlich umbringen"

31. März 2019, 16:31 Uhr

Kaninchen hoppeln und mümmeln, viele finden die Tiere niedlich. Doch auch Kaninchen können leiden. Sie sterben an Darmverschlüssen, haben Probleme mit den Zähnen – und fühlen sich manchmal einfach einsam. Das Problem ist laut Tierärztin Saskia Hintze: Viele bekommen nicht mit, wenn es Kaninchen schlecht geht. Bei MDR SACHSEN-ANHALT erklärt die Tiermedizinerin, worauf es bei artgerechter Kaninchenhaltung ankommt.

Elvis hat sehr lange Backenzähne. Sie sind zu lang. Und das kann zum echten Problem werden. Denn wenn die Zähne weiter wachsen, könnte Elvis nicht mehr richtig fressen – und würde irgendwann abmagern und sterben. Das wollen seine Besitzer nicht. Also ist Abschleifen angesagt. Damit hier erst gar keine Missverständnisse aufkommen: Elvis ist ein Kaninchen und lebt in Calbe (Saale). An diesem Tag aber ist er in Magdeburg und wird operiert. Elvis ist ein Fall für Tierärztin Saskia Hintze und ihre Kollegin Susanne Thorhauer. Die beiden jungen Frauen sind ein eingespieltes Team. Zähne schleifen? Kein Problem. Absolute Routine in der Tierarztpraxis Schneidersgarten in Magdeburg. Kostenpunkt für die Besitzer: 45 Euro – und damit deutlich mehr, als ein Kaninchenzüchter wohl jemals ausgeben würde.

Dazu ist es wichtig zu wissen, dass die Zähne von Kaninchen wachsen und wachsen, ein ganzes Kaninchenleben lang. Das Abschleifen gehört für Tierärztin Saskia Hintze also zum Alltag. Die 36-Jährige praktiziert seit fünf Jahren in Magdeburg. Ihr Spezialgebiet? Heimtiere. Meerschweinchen, Ratten, Igel, Chinchillas – und Kaninchen.

Wenn es um die artgerechte Haltung der Tiere geht, ist Saskia Hintze die Fachfrau. Und sie weiß: "Kaninchen leiden sehr still, wenn sie krank sind. Oft sitzen sie auf dem Tisch und es wird gar nicht erkannt, dass es ihnen schlecht geht." Saskia Hintze sagt, dass es nicht viele Tierärzte gibt, die sich auf Kleintiere wie Kaninchen spezialisiert haben. Bei ihr war das früher ähnlich. "Während des Studiums habe ich mich nicht großartig für Heimtiere interessiert", erzählt sie.

Irgendwann hatte sie Mitleid mit Kaninchen und Co.

Irgendwann aber kam das Mitleid mit Kaninchen und Co. "Keiner wollte sich so richtig um die Heimtiere kümmern." Das geht so nicht, befand die Tierärztin – und bildete sich weiter. Heute ist sie die Fachfrau für die Zähne von kleinen tierischen Patienten. Und das wissen auch Tierhalter aus Halle, Bernburg, der Magdeburger Börde und zum Teil sogar aus Braunschweig und Rostock zu schätzen. Sie alle kommen mit ihren tierischen Freunden regelmäßig nach Magdeburg.

Gut 30 Prozent aller Patienten in der Praxis sind Kleintiere, sagt die Statistik. Darunter sind nur wenige Züchter, die mit ihren Tieren in die Praxis kommen. Im Wartezimmer von Saskia Hintze sitzen diejenigen, die Kaninchen in der Wohnung halten, als tierischen Freund in den eigenen vier Wänden sozusagen. Und so eine Untersuchung und Behandlung beim Tierarzt kostet Geld. Wer sein Kaninchen impfen lassen will, zahlt in der Praxis von Saskia Hintze zwischen 35 und 47 Euro. Eine Kastration bei männlichen Tieren fällt mit 90 Euro ins Gewicht, bei weiblichen Tieren sind es 150 Euro.

Die häufigsten Krankheiten bei Kaninchen

  • Todesursache Nummer 1 bei Kaninchen sind laut Saskia Hintze Darmverschlüsse. "Viele gehen zu spät zum Tierarzt", sagt die Tierärztin.
  • Vor allem bei männlichen Kaninchen treten Probleme mit den Zähnen auf. Und wenn Kaninchen Zahnkrankheiten haben, fressen sie weniger. Irgendwann magern sie ab und sterben.
  • Bei weiblichen Patienten diagnostiziert die Tierärztin viele Tumorerkrankungen, besonders an der Gebärmutter. Wenn der Tumor noch klein genug ist, kann er bei einer Operation entfernt werden.

Was der Tierärztin besonders wichtig ist: "Kaninchen können alleine nicht glücklich sein." Da macht Saskia Hintze gar keine Kompromisse. Die Tiere allein zu halten? Geht gar nicht, findet die Tiermedizinerin. "Kaninchen sind sehr soziale Tiere, die nicht allein sein wollen."

Ich sage den Haltern immer, dass sie sich vorstellen sollen, den ganzen Tag ohne Beschäftigungsmöglichkeit in einem Raum zu sitzen. Dann kann man sich vorstellen, wie depressiv man werden würde. Wahrscheinlich würde man sich als Mensch irgendwann umbringen. Das können Kaninchen natürlich nicht.

Saskia Hintze, Tierärztin in Magdeburg

Das sind drastische Worte. Wenn man Saskia Hintze Glauben schenken darf, dann verstehen viele Tierhalter aber nur drastische Worte. Oft bekommt sie von Tierhaltern zu hören, dass das Kaninchen zusammen mit Meerschweinchen oder einer Katze lebt. Das macht es aber nicht besser, meint sie. "Stellen Sie sich vor, Sie wären in einem Raum und hätten einen Affen dabei, mit dem könnten Sie ja auch nicht kommunizieren. Außerdem wird es mit dem Affen irgendwann auch langweilig."

Viel Platz – und einen Artgenossen

Bedeutet zusammengefasst also: Kaninchen sollten nicht allein gehalten werden und immer einen Artgenossen an ihrer Seite haben. Und: Sie müssen ausreichend Platz haben, wie Tierarzthelferin Susanne Thorhauer erklärt. "In der Innenhaltung sollten es schon zwei Quadratmeter pro Tier sein", sagt sie. Wer die Tiere draußen hält, sollte eher drei Quadratmeter einplanen. "Damit die Tiere sich warmlaufen können", wie Thorhauer sagt. Ebenfalls wichtig: Beschäftigungsmöglichkeiten wie eine Buddelkiste.

Saskia Hintze hat mit vielen Tierhaltern zu tun. Und sie ist der Meinung, dass sich das Bewusstsein vieler Menschen für artgerechte Kaninchenhaltung durchaus verändert hat. "Es wird besser", bilanziert sie – nicht ohne zu erwähnen, dass trotzdem noch viel Arbeit bleibt. "Viele Leute erzählen in der Praxis ganz bereitwillig, dass sie ihre Kaninchen allein halten. Sie sind sich dann gar nicht bewusst, dass das ein Problem ist", berichtet die Tiermedizinerin, deren Job dann vor allem das Erklären ist. "Die meisten lassen sich mit Argumenten durchaus in die richtige Richtung bringen."

Saskia Hintze, "Omelett" und "Quark" Saskia Hintze hat nicht nur beruflich mit Kaninchen zu tun: Die 36-Jährige hält selbst vier Kaninchen, darunter "Omelett" und "Quark". So heißt ihr neuestes Kaninchenpaar, beide Tiere hat sie aus der Praxis mitgenommen. "Bei uns ist es Brauch, dass wir die Tiere, die wir übernehmen, nach Essen und Trinken benennen", sagt die Tierärztin lachend. Irgendwann haben sie mal bei A angefangen, nun waren sie bei O und Q angelangt. Da kamen dann eben Omelett und Quark heraus. Doch egal, wie die Fellnasen auch heißen: Beide verstehen sich bestens. "Die beiden lieben sich über alles, lecken sich ständig, der eine Kopf liegt immer auf dem anderen. Das ist wirklich sehr schön anzusehen."

Zurück in den OP in der Magdeburger Tierarztpraxis. Kaninchen Elvis liegt nun in Narkose, Susanne Thorhauer hält seinen Kopf, kontrolliert die Atmung. Tierärztin Saskia Hintze startet den Bohrer, der kaum anders klingt als beim Zahnarzt. Dann wird geschliffen. Man könnte die Zähne auch abknipsen, sagt Hintze. Da aber könnte der Zahn splittern – und das wäre nicht gut. "Abschleifen unter Narkose ist schonender für das Tier", sagt die Fachfrau.

Nach etwa 20 Minuten sind die Zähne geschliffen, die Operation ist beendet. Elvis fängt an, sanft mit den Beinen zu zappeln. "Das dauert nicht mehr lang, dann ist er wieder ganz der Alte", sagt die Tierärztin. Elvis' Besitzer wird es freuen. Und auch das Kaninchen selbst wird sicher froh sein, bald wieder ohne Probleme in saftige Grashalme und Kräuter beißen zu können. Für Kaninchenfreunde wie Saskia Hintze ist das der schönste Lohn.

Hinter der Geschichte

Für einen Beitrag über das Vereinsleben in Sachsen-Anhalt hat MDR SACHSEN-ANHALT vor kurzem einen Kaninchenzuchtverein in Welbsleben im Landkreis Mansfeld-Südharz besucht. Auf der Facebookseite von MDR SACHSEN-ANHALT hat der Fernsehbeitrag für viel Kritik gesorgt. Die Redaktion hat diese Kritik zum Anlass genommen, sich noch einmal mit den Vor- und Nachteilen von Kaninchenzucht auseinanderzusetzen. Bei der Recherche hat es sich schwierig gestaltet, mit weiteren Züchtern ins Gespräch zu kommen. Viele wollen auch wegen der mitunter heftigen Anschuldigungen von Tierschützern nicht vor dem Mikrofon reden.

Luca Deutschländer
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Über Luca Deutschländer Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – meist in der Online-Redaktion, außerdem für den Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne. Kaninchen hat er selbst nie gehalten.

Fabian Frenzel
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Über Fabian Frenzel Fabian Frenzel arbeitet seit November 2014 bei MDR SACHSEN-ANHALT für die Online-Redaktion. Dabei liegt sein Schwerpunkt vor allem im Bereich Social-Media. Er würde gerne mehr Texte über sein Hobby "Männerballett" schreiben, hat aber noch nicht die richtige Rubrik dafür gefunden. Sein Journalismus-Studium hat der gebürtige Brandenburger in Berlin und Eichstätt/Ingolstadt absolviert. Die ersten journalistischen Schritte machte er bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung und RADIO ENERGY Berlin. Sein Lieblingsort in Sachsen-Anhalt ist Calbe (Saale), wo ein Teil seiner Verwandtschaft lebt. Hätte er dort nicht für ein paar Monate Unterschlupf gefunden, wäre er heute vermutlich nicht beim MDR. Und: Ich bin gern da, wo man auch Lasertag spielen kann.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. März 2019 | 19:00 Uhr

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