Trauer in Zeiten von Corona Warum Trauernde es gerade noch schwerer haben als ohnehin
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05. Februar 2021, 19:37 Uhr
Die Möglichkeiten, um Verstorbene zu trauern, sind in der Pandemie begrenzt. Zu Beerdigungen dürfen nur zehn Personen kommen, Kontakte sind nur eingeschränkt möglich und tröstende Umarmungen oft keine Option. Für Hinterbliebene bedeutet das oft einen schweren Abschied, Schuldgefühle und Einsamkeit.
In den letzten Wochen sind in Sachsen-Anhalt mehr Menschen gestorben, als das in den Wintermonaten normalerweise der Fall ist. Im Dezember 2020 lag die sogenannte Übersterblichkeit bei 29 Prozent. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten, um Verstorbene zu trauern, durch die Corona-Pandemie gerade stark eingeschränkt. Zu Beerdigungen darf nur der engste Freundes- und Familienkreis eingeladen werden, Kontakte sind nur beschränkt möglich und tröstende Umarmungen oft keine Option. Wie trauern Menschen also in Zeiten einer Pandemie?
Jeder trauert für sich allein
Cord Exner ist Pfarrer in Harzgerode und begleitet regelmäßig Menschen, die jemanden verloren haben. Für Trauernde ist gerade vieles anders als vor der Pandemie, sagt der 52-Jährige. Zum einen seien da die Beschränkungen für Trauerfeiern und Beerdigungen: "Normalerweise freuen die meisten Hinterbliebenen sich, wenn zu einer Beerdigung viele Menschen kommen und auch weite Wege auf sich nehmen. Hier auf dem Dorf sind Beerdigungen oft groß, 50 Personen sind da keine Seltenheit", erzählt er. "Vielen gibt es Kraft, zu wissen: Es sind 53 Menschen da, die mir den Rücken stärken."
Das sei aber jetzt nicht mehr möglich, sagt Exner. In der aktuellen Situation müssten Hinterbliebene oft Angehörige ausladen: "Jetzt heißt es oft: Kommt lieber nicht." Der Totenschmaus, das traditionelle Kaffeetrinken nach der Beerdigung, bei dem die Hinterbliebenen Erinnerungen an die verstorbene Person austauschen, falle weg. Oder es sei nur eingeschränkt möglich, zum Beispiel in kleineren Gruppen oder einige Monate in der Zukunft. Das verändere den Charakter von Beerdigungen. Denn Erinnerungen über die verstorbene Person auszutauschen, mache den Abschied persönlicher.
Was laut Pfarrer Cord Exner außerdem fehlt: körperliche Nähe. Nicht nur der Pfarrer selbst gibt nicht mehr jedem Angehörigen die Hand. Auch die Trauernden untereinander bemühen sich oft, Abstand zu halten: "In den Trauerhallen fallen eigentlich alle den Angehörigen um den Hals. Das fällt aus, stattdessen gibt es oft so etwas wie eine freundliche Verneigung." Auch während des Begräbnisses selbst gebe es weniger Umarmungen und tröstende Händedrücke. Insgesamt, sagt Exner, nimmt die Nähe der Trauernden zueinander ab. Man trauere weniger zusammen und mehr für sich.
Trauern ist gerade noch schwerer als ohnehin schon
Ähnliche Beobachtungen macht Kirsti Gräf. Die 43-Jährige leitet das Trauerinstitut der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg. Sie begleitet Menschen beim Trauerprozess. Trauern ist gerade noch schwerer als ohnehin schon, sagt sie. Einerseits, weil Trauer in einer Zeit der Unsicherheit und Sorgen schwerer zu tragen ist. Aber auch, weil es an Kontakten fehlt: "Viele beschreiben, dass sie sich einsamer fühlen." Das liege unter anderem daran, dass Ankerpunkte im Alltag wegfallen – das Training mit dem Sportverein zum Beispiel oder der Enkeltag einmal in der Woche. Außerdem, erklärt Gräf, spürten viele Trauernden, dass ihre Mitmenschen durch die Folgen der Pandemie ohnehin belastet sind. "Manche sagen dann, sie wollen nicht noch mit ihrer Trauer ankommen."
Über die eigenen Gefühle und das Erlebte zu sprechen, sei aber ein wichtiger Teil des Trauerprozesses. Alleine sei das schwieriger: "Die Leute brauchen ein Gegenüber, um ihre Geschichte zu erzählen." Umso wichtiger sind in einer Zeit von Kontaktbeschränkungen Angebote wie die Trauerberatung. Wie sehr das zutrifft, spürt die gelernte Pädagogin Gräf auch an der Nachfrage. Aktuell melden sich etwa zehn Prozent mehr Menschen bei ihr als vor der Pandemie, schätzt sie. Besonders stark zugenommen habe dabei die Zahl der telefonischen Beratungen.
Eine ältere Klientin hat neulich zu mir gesagt: 'Außer der Bäckersfrau sind Sie der einzige Kontakt, den ich habe.' So etwas berührt mich.
Die Pandemie sorgt für erhöhten Redebedarf
Auch der Pfarrer Cord Exner aus Harzgerode hat aktuell mehr mit trauernden Menschen zu tun als sonst. Für gewöhnlich, sagt er, betreut er etwa 20 Bestattungen pro Jahr – also etwa zwei im Monat. In den vergangenen und kommenden beiden Wochen waren es jedoch insgesamt fünf Bestattungen. Das ist etwas mehr als eine pro Woche. Sollte es so weitergehen, hätte Exner Ende des Jahres doppelt so viele Bestattungen betreut wie in anderen Jahren.
Aber es ist nicht nur die Zahl der Verstorbenen, die laut Exner einen Unterschied macht. Genau wie Gräf stellt er fest, dass viele Hinterbliebene in der Pandemie einen höheren Redebedarf haben. Viele seien unsicher und hätten offene Fragen. Besonders schwer sei es für die Angehörigen, die keine Möglichkeit mehr hatten, sich von der verstorbenen Person zu verabschieden. Das kann der Fall sein, wenn Menschen im Pflegeheim oder Krankenhaus gestorben sind. Teilweise kommt der Tod dann schneller, als Angehörige zu Besuch kommen können. In manchen Fällen können oder wollen wegen der Corona-Infektionsgefahr Angehörigen auch nicht kommen.
Ohne Abschied gibt es oft Schuldgefühle und Unsicherheit
Wer sich nicht von einer sterbenden Person verabschieden kann, habe oft mit Schuldgefühlen und Unsicherheit zu kämpfen, sagt Exner. "Manche Menschen machen sich dann Vorwürfe, dass sie nicht mehr richtig für die sterbende Person da sein konnten und haben das Gefühl, sie sind etwas schuldig geblieben", erklärt er. "Wenn die verstorbene Person in einem Pflegeheim gelebt hat, fühlen sich viele schuldig, dass sie sie nicht zu Hause gepflegt haben – auch wenn das, realistisch betrachtet, gar nicht möglich gewesen wäre."
Ohne Verabschiedung sei außerdem keine Aussprache am Sterbebett möglich. Das führe dazu, dass mehr Menschen ihre Lieben mit ungelösten Sorgen oder ungesagten Wünschen gehen lassen müssen. "Und wenn es nur darum geht, dass man unbedingt noch einmal Danke sagen wollte", sagt Exner, "das nicht zu können, ist hart für die Sterbenden und für die Angehörigen."
In solchen Fällen legt der Pfarrer den Hinterbliebenen ans Herz, bei der Beerdigung eigenhändig Erde auf das Grab zu werfen. Viele Menschen scheuten sich vor dem Erdwurf. Er könne allerdings helfen, den Abschied spürbar zu machen.
Wenn es keine Verabschiedung gab, fühlt es sich noch länger so an, als ob die Person nur im Urlaub wäre. Es ist die eine Frage, ob wir etwas wissen – und eine andere, ob wir es auch fühlen. Der Erdwurf kann helfen, dem Körper klarzumachen, was die Beerdigung bedeutet.
Abschied durch die Glaswand
Kirsti Gräf vom Trauerinstitut der Pfeifferschen Stiftungen stimmt zu: "Wenn man sich nicht verabschieden kann, macht das den Tod auch unbegreiflicher. Wir verstehen ganz viel übers Sehen – wenn das nicht geht, erschwert das für uns den Trauerprozess." Gräf spricht auch aus eigener Erfahrung. Anfang Januar hat sie ihren Großvater durch Covid-19 verloren. Und gemerkt: Vieles, was normalerweise bei der Trauer hilft, ist jetzt nicht möglich.
"Wir hatten großes Glück und konnten meinen Opa verabschieden – allerdings mit Abstand und hinter einer Glaswand. Auch wenn ich dankbar bin, dass ich ihn sehen durfte, habe ich trotzdem das Gefühl, dass uns etwas getrennt hat. Da fehlt etwas." Dieses Gefühl, sagt sie, zieht sich für sie durch den Trauerprozess.
Keine Lieblingskleidung, kein Fingerabdruck
Gern hätte sie getan, was sie auch ihren Klientinnen und Klienten empfiehlt: Zum Beispiele einen Fingerabdruck des Verstorbenen nehmen, um später daraus einen Ring oder ein anderes Schmuckstück zu machen. "Als ich das bei der Bestatterin erwähnt habe, hat sie erst einen Katalog gezückt. Aber als ich dann gefragt habe, ob das überhaupt geht mit Covid-Verstorbenen, zack, weg war der Katalog."
Auch dem Großvater die Lieblingskleidung mitzugeben, sei nicht möglich gewesen: "Wer im Flatterhemdchen aus dem Krankenhaus gestorben ist, bleibt auch darin. Die Covid-Verstorbenen fasst keiner mehr an, um die Ansteckungsgefahr zu verringern." Sie verstehe das, sagt sie. Für sie als Hinterbliebene machten solche Kleinigkeiten trotzdem einen Unterschied: "Das macht es unpersönlicher. Auf einmal ist mein Opa nur noch ein kranker Körper, den niemand anfasst."
Die Chance nutzen, eigene Wege zu gehen
Die Einschränkungen durch die Pandemie erschweren auch Kirsti Gräf den Trauerprozess. Sie versucht, das Beste aus der veränderten Trauerkultur zu machen: "Ich habe die Chance genutzt und entschieden, die Trauerrede selbst zu halten." Neue, kreative Wege bei Bestattungen zu gehen – das empfiehlt sie auch den Menschen, die zu ihr in die Trauerberatung kommen. Selbst mehr in der Verantwortung zu stehen und weniger Aufgaben zum Beispiel an Bestattungsunternehmen abzugeben, könne heilsam sein. Einige Angehörige hätten kreative Wege gefunden, um mit den Einschränkungen umzugehen.
Wenn bei der Beerdigung zum Beispiel um eine bestimmte Zeit ein bestimmtes Lied gespielt werden soll, dann können auch alle, die nicht da sein können, das Lied zur gleichen Zeit abspielen. Egal, wo sie sind.
Eine positive Auswirkung der Pandemie sieht Gräf: "Das Thema Sterben war noch nie so nah an der Gesellschaft wie jetzt." Normalerweise seien Gespräche über den Tod etwas, das viele von sich weg schieben. Jetzt würde immer öfter in Familien besprochen, wie man sich zum Beispiel die eigene Beerdigung vorstellt. Sie wünscht sich, dass das auch nach der Pandemie ein Stück weit so bleibt. "Es wäre schön, wenn der Tod nach der Pandemie nicht wieder ein absolutes Randthema wird, sondern wenn Menschen lernen, mit dem Thema umzugehen und darüber zu sprechen. Dann müssten auch weniger Menschen mit ihrer Trauer allein sein."
In einer ersten Version des Artikels stand, dass zu Beerdigungen nur zehn Gäste kommen dürfen, das ist aber nicht korrekt. Laut der neunten Corona-Verordnung dürfen an Bestattungen der engste Freundes- und Familienkreis der oder des Verstorbenen, der Trauerredner oder Geistliche und das erforderliche Personal des Bestattungsunternehmens teilnehmen. Zum engsten Familienkreis gehören demnach der Partner oder die Partnerin und die Verwandten des oder der Verstorbenen bis zum 2. Grad (Großeltern, Eltern, Kinder, Enkelkinder, Geschwister).
Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen – mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für Krautreporter, das Veto-Mag und den Freitag.
MDR/Alisa Sonntag
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