In Hamburg Sachsen-Anhalter bei Chaos Communication Congress: "Ein großartiger Ort für neugierige Menschen"
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02. Januar 2025, 05:00 Uhr
Wenn sich Hacker treffen, geht es nicht nur um Technik, sondern vor allem um Spaß: Spaß miteinander und Spaß damit, was sich mit Technik anstellen lässt. Beim Chaos Communication Congress geht es aber auch darum, wo IT-Technik nicht sicher ist und die Gesellschaft gefährden kann. All das hat dutzende Hackerinnen und Hacker aus Sachsen-Anhalt nach Hamburg gebracht – die meisten davon aus Halle und Magdeburg.
- Wo ist IT-Technik nicht sicher: Das hat sich der Chaos Communication Congress auf die Fahne geschrieben. Dabei sollen auch mit alter Technik neue Ideen gefunden werden.
- Menschen aus ganz Mitteldeutschland sprechen über ernste Themen und darüber, was die Zukunft bringt.
- Ein großer Erfahrungsaustausch über Themen wie: Überwachung, IT-Sicherheit und Netzpolitik. Dafür ist der CCC ebenfalls da.
Neonfarben, neblig und laut – wer die Halle H im Hamburger Kongresscenter betritt, landet mitten im Klischeebild, das sich die Gesellschaft von Hackern macht. Einige Menschen sitzen in dunklen T-Shirts und Hoodies vor ihren Rechnern. Andere tragen bunte Mützen oder regenbogenfarbene Kostüme. Aber wer mit ihnen spricht, erlebt begeisterte, offene und freundliche Menschen.
An einem der Tische sitzt Rick von "Netz39", dem Magdeburger Hackerspace. Er ist zum ersten Mal beim Chaos Communication Congress und er ist total begeistert von den alten Telefonen, die hier überall zu sehen sind: sogenannte DECT-Telefone, die ersten Schnurlos-Telefone, die man auch Zuhause nutzen konnte. Sie werden bei jedem Chaos Communication Congress (CCC) zum Telefonieren benutzt. Jeder kann hier so ein altes Telefon registrieren und ist dann auf dem CCC erreichbar.
Neue Ideen mit alten Geräten
"Die sind vielleicht schon älter als 15 Jahre und man kann die hier benutzen, weil es eine große Infrastruktur gibt", sagt Rick. Damit könne man wohl auch noch am Hamburger Hauptbahnhof telefonieren. Freiwillige bauen jedes Jahr zum CCC ein Netzwerk für diese Geräte auf.
Dass "Netz39" einen Tisch in Halle H hat, hat Timo für den Verein organisiert. Er war bereits zwei Tage vorher in Hamburg. Timo begeistern vor allem die Menschen hier: "Die Leute, die Projekte, so viele coole Sachen, viel buntes blinkendes Zeug. Alle tollen coolen IT-Projekte hier sind beeindruckend." Und Timo hat auch ein DECT-Telefon für den Tisch von "Netz39" organisiert. "Da gibt es so absurde Sachen wie eine Dating-Plattform, bei der du sagen kannst, ich fühle mich hier einsam", sagt Rick. Die CCC-Besucher können damit auch Menschen suchen, die Wissen zu einem bestimmten Thema haben. Die alten Schnurlostelefone klingeln mitunter auch, weil Postboten eine Postkarte zustellen wollen. Denn auch die lassen sich auf dem CCC verschicken.
"Wir sind in der Moderne angekommen, aber wir gehen wieder zurück, einfach nur weil es geht", sagt Rick. Denn das ist die klassische Hackeridee: ausprobieren, was sich alles mit technischen Geräten anstellen lässt. Begeistert ist Rick auch, weil sich mit den alten Schnurlos-Telefonen ein Computerspiel anrufen und steuern lässt.
Wir sind in der Moderne angekommen, aber wir gehen wieder zurück, einfach nur weil es geht.
Hallenser Hacker-Idee beeindruckt Magdeburger Hacker
Das geht ein paar Schritte weiter in Halle H mit dem Spiel "Hugo". Dabei wird ein Troll auf Eisenbahnschienen gesteuert – mit den Tasten 4 und 6 auf dem Telefon. Gebaut und programmiert haben das Menschen aus Halle – vom "Eigenbaukombinat", Hackspace und Mitmachwerkstatt. Etwa 20 Menschen aus Halle sind auf dem CCC unterwegs, sagt Daniel vom "Eigenbaukombinat".
"Jemand bei uns hat dieses alte Spiel ausgegraben, wir haben das hier aufgebaut und dann sind plötzlich Menschen aus Kroatien und Schweden vorbeigekommen", sagt Daniel. Er ist zum vierten Mal auf dem CCC und zum vierten Mal begeistert. "Man kann hier viel Wildes erleben", sagt er. Man müsse nur zehn Meter laufen und erlebe ständig Neues und könne spannende Gespräche führen. "Es ist einfach schön hier. Und es ist vor allem ein Ort des Austausches, auf dem man viele Gleichgesinnte trifft. Das kommt im echten Leben nicht so häufig vor", sagt Daniel.
Es ist einfach schön hier. Und es ist vor allem ein Ort des Austausches, auf dem man viele Gleichgesinnte trifft. Das kommt im echten Leben nicht so häufig vor.
Chaos Communication Congress mit Menschen aus ganz Mitteldeutschland
Im "Eigenbaukombinat" in Halle treffe man sich zwar jeden Dienstag um 19 Uhr, aber mit anderen Hackspaces mehrere Tage intensiv zusammen sein – das gehe nur auf dem CCC. Neben dem "Eigenbaukombinat" sitzen Hacker und Hackerinnen aus Leipzig, Erfurt, Gera, Weimar, Görlitz, Zwickau und Chemnitz. "Da passieren dann automatisch Dinge – sinnvolle Dinge, die zeigen, was die Zukunft bringen kann. Aber auch einfach Dinge, mit denen wir Spaß am Gerät haben", sagt Daniel.
Neben dem Spaß gibt es genügend ernste Themen auf dem CCC. Daniel hat zum Beispiel den Vortrag zur elektronischen Patientenakte gehört, in dem erneut gezeigt wurde, dass es weiterhin eklatante Sicherheitslücken im System der elektronischen Patientenakte gibt. "Das finde ich spannend, weil ich damit beruflich zu tun habe", sagt Daniel.
Diese Hacks vom Congress haben 2024 für Schlagzeilen gesorgt
- Sicherheitsmängel in der elektronischen Patientenakte
Bereits 2019 hatten IT-Sicherheitsforschende Mängel gezeigt. Jetzt weisen sie erneut nach, dass sich mit Praxis- und Heilberufsausweisen Gesundheitsdaten von Dritten beschaffen ließen – im schlimmsten Fall von allen 70 Millionen Akten. Bianca Kastl sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Es gibt für diese Karten einen Gebrauchtmarkt. Bei Praxisauslösungen werden solche Kartenlesegeräte verkauft." So könnten sich böswillige Akteure Zugänge verschaffen. Die für die Infrastruktur verantwortliche Gematik bestätigt in einer Stellungnahme die Angriffsmöglichkeit: "Die vom CCC vorgestellten Angriffsszenarien (…) wären technisch möglich gewesen, die praktische Durchführung in der Realität aber nicht sehr wahrscheinlich, da verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Dazu zählt zum Beispiel die illegale Beschaffung eines Institutionsausweises (…) Unberechtigte Zugriffe (...) sind strafbar.
- Sicherheitsmängel in der Software, die bei Wahlen genutzt wird
Passwörter, die nur aus zwei Zahlen bestehen, neun Minuten, um die Software zu starten, ein katastrophale Bedienbarkeit und abenteuerliche Software-Architektur – so bewertet Linus Neumann vom Chaos Computer Club die Software der Votegroup. Sie habe eine marktbeherrschende Stellung und entspreche nicht dem Stand der Technik. Bereits 2017 hat er die Wahlsoftware untersucht. Damals sei es sogar möglich gewesen, die Wahlergebnisse zu manipulieren. "Das ist heute nicht mehr ganz so einfach möglich. Aber das heißt nicht, dass es einen wirksamen Schutz gibt", sagt Neumann. Die Software wird für die Schnellmeldungen genutzt. Manipulationen würden zwar bis zum amtlichen Endergebnis einer Wahl aufgedeckt werden. Aber die Korrektur einer Wahl stärke nicht das Vertrauen in Wahlen. "Wer Demokratien schwächen will, greift das Vertrauen in Wahlen an", sagt Neumann. Angesichts von russischen Einflussversuchen sei das kein gutes Zeichen. Vor allem weil es einfache und standardisierte Lösungen für die Probleme der Software gäbe.
- Bewegungsprofile von hunderttausenden VW-Kunden, die online standen
"Wir wissen, wo dein Auto steht", hat der Chaos Computer Club als Überschrift gewählt. Über Monate seien Daten von VW-, Seat-, Audi- und Skoda-Fahrzeugen und ihren Besitzern aus Europa in einer Amazon-Cloud zugänglich gewesen. Für 460.000 Fahrzeugen sollen genaue Standorte einsehbar gewesen sein. So hätten sich Rückschlüsse auf das Leben der Autofahrer ziehen lassen. In den Daten hätten sich auch ein Parkhaus des Bundesnachrichtendienstes (BND) und vom US-Militärflugplatz in Ramstein finden lassen.
CCC: Überwachung, IT-Sicherheit und Netzpolitik
Maximilian von "Netz39" aus Magdeburg berichtet von einem Vortrag, in dem gezeigt wurde, wie sich in ein Apple-Gerät eindringen lässt: "Apple hat sich viel Mühe gegeben, es den Leuten schwer zu machen. Aber die Leute sind trotzdem reingekommen."
Lin, eine Hamburgerin, die seit mehreren Jahren in Magdeburg lebt und arbeitet, ist vor allem hier, weil sie die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik interessieren. Sie hat einen Vortrag über Fake-Shops im Internet und über neue Recherchen von Correctiv zu Nazi-Treffen gehört. "Oft fehlt das Übersetzen, was das Technische für Gesellschaft und Politik bedeutet", sagt sie.
Lin hat mehrere Jahre in Peking gelebt. "Dort ist alles kameraüberwacht. Bei Fahrerflucht werden die Täter innerhalb von Stunden gefunden. Als Frau fühlst du dich sehr sicher, aber du kannst nicht mal in Ruhe in der Nase popeln." Jeder Mensch habe Geheimnisse. Eine solche Überwachung möchte Lin in Deutschland und Europa nicht erleben.
Dort ist alles kameraüberwacht. Bei Fahrerflucht werden die Täter innerhalb von Stunden gefunden. Als Frau fühlst du dich sehr sicher, aber du kannst nicht mal in Ruhe in der Nase popeln.
Mehr als 20 Menschen vom "Netz39" sind in Hamburg. Für Till ist es bereits der vierte Congress. Er schreibt gerade seine Masterarbeit in Informatik an der Uni Magdeburg. Hier lerne er viel Neues. "Der Congress hat für mich gar nicht so viel mit IT zu tun. Hier passiert so viel außerhalb von IT. Es ist ein großartiger Ort für neugierige Menschen", sagt Till. Er habe zum Beispiel bei einem Vortrag gelernt, wie man Recht und Gesetz so weit wie möglich ausreizen könne, um aktivistisch tätig zu sein.
Außerdem ist Till Fan von reparierbaren und wiederverwertbarer IT. Als er am Sonnabend von einem Vortrag zu einem anderen ging, kam er mit zwei Menschen ins Gespräch. "Die interessierten sich für nachhaltige und reparierbare Geräte, zum Beispiel für Fairphones und Framework-Laptops. Und dann sind wir auf den Trichter gekommen, selbst ein Treffen dazu zu machen." Weil die beiden kein Deutsch sprechen, hat Till einen Raum auf dem CCC organisiert. "Jetzt habe ich mit den beiden Menschen zusammen Sonntagabend eine Session über reparierbare und nachhaltige Geräte gemacht."
Denn auch solche schnell entstandenen Ideen lassen sich auf dem CCC umsetzen. "Das Coole ist, dass ich mich nicht darum kümmern musste, das Ganze zu bewerben. Denn es gibt hier ja überall Displays und eine App." Die knapp 60 Leute seien einfach erschienen, sagt Till. Das sei irgendwie magisch.
MDR (Marcel Roth)
Korrektur: In einer ersten Version war vom "Chaos Computer Congress" die Rede. Das Treffen heißt Chaos Communication Congress und wird vom Chaos Computer Club veranstaltet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 30. Dezember 2024 | 12:07 Uhr