ein Mann sitzt zwischen Aktenberge
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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 108) Erdrückende Papierflut – Bürokratie nervt!

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20 volle Aktenordner – das ist der durchschnittliche Aufwand, um eine Genehmigung für ein Windrad zu erhalten. Dabei soll doch alles schneller, bürgerfreundlicher und digitaler werden. Die Realität: Es gibt zu viele Regelungen für alle Eventualitäten, scheindigitalisierte Vorgänge und demotivierte Mitarbeiter in vielen Ämtern. Wenn die Verwaltung versagt, gerät die Wirtschaft ins Trudeln und viele verlieren das Vertrauen in den Staat.

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ein Mann sitzt zwischen Aktenberge 42 min
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Esther Stephan (ES): 20 volle Aktenordner, die braucht es im Schnitt in der Bundesrepublik, um ein Windrad zu beantragen. Kein Vergleich übrigens zu anderen Anlagen: Der Antrag für den Weiterbau des Steinkohlekraftwerks in Datteln in NRW füllte seinerzeit 94 ganze Ordner. Das sind so Beispiele, da läuft es denjenigen, die weniger Bürokratie fordern, eiskalt den Rücken runter. Und mit solchen Beispielen lässt sich auch prima Wahlkampf betreiben. Weniger Bürokratie, das wollen schließlich alle, oder?

Aber woran hapert es eigentlich in deutschen Amtsstuben wirklich? Ist weniger Bürokratie tatsächlich das Allheilmittel für eine florierende deutsche Wirtschaft? Darüber sprechen wir bei "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Der Podcast, in dem wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen sprechen, ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre persönlichen Eindrücke. Ich bin Esther Stephan. Schön, dass sie zuhören!

Und heute spreche ich mir Felix Seibert-Daiker und Vincent Tandler-Schneider !

Vincent Tandler-Schneider (VTS): Hi!

Felix Seibert-Daiker (FSD): Hallo!

ES: Ihr habt zu Bürokratie recherchiert. Und der Film, der erscheint bei Fakt am 23.07.. Und was ich bis jetzt sehen durfte, sah nach richtig viel Spaß aus, ehrlich gesagt. Zu so einem doch relativ trockenen Thema. Hatte dir Spaß bei der Recherche? Oder war das so der Ausgleich gegen den Frust?

FSD: Vincent, hatten wir Spaß?

VTS: Ja, also wir haben schon im Vorhinein gesagt: wir hatten, glaube ich, so eine ungesunde Mischung aus Frustration und Spaß. Nein, also wir haben halt versucht uns zu überlegen, wie man dieses Thema ein bisschen greifbarer aufbereiten kann. Ein bisschen spannender. Und da sind uns ein paar Dinge eingefallen, die hoffentlich ganz gut funktioniert haben. Aber er war auch anstrengend.

FSD: Das war es auf jeden Fall. Also Bürokratie ist halt ein Thema... Als wir dann auch redaktionell, das erste Mal mit dem Thema um die Ecke kamen, dachten wir: das muss man auch gut erzählen können. Und das muss doch auch möglich sein. Und ohne eben jetzt nur drauf herumzureiten, was es für krasse Paragrafen gibt und irgendwelche Worst Cases zu zeigen. Und das war so ein bisschen unser Approach, zu sagen: Wir wollen es ein bisschen lösungsorientiert erzählen und vor allem auch mit ein bisschen Spaß und an den Menschen dran zu sein. Und wir haben auch erstaunlich coole Menschen in der Bürokratie gefunden, was man gar nicht auch so klischeemäßig, erwartet hätte.

ES: Über deren Ideen können wir gleich auf jeden Fall richtig gern noch mal drüber sprechen. Was ich mich gefragt habe: Warum ist Bürokratie eigentlich was Schlechtes? Also es kommt ja immer so als Wahlkampfthema immer, immer wieder. Lange Wartezeiten: Verstehe ich, dass es total nervig ist, wenn man ein halbes Jahr auf einen Termin beim Amt warten muss oder für irgendwelche Scheine oder so. Gleichzeitig: Ich habe eine ganze Weile im Ausland gelebt und habe da festgestellt: Bürokratie kann auch etwas Gutes sein, weil Bürokratie kann ja auch Korruption verhindern. Datenschutz ist ein anderes Ding, das habt ihr ja auch recherchiert, dass Datenschutz ein wichtiges Thema ist, was Bürokratie am Ende auch oft schafft. Was heißt es denn eigentlich, mehr Bürokratie? Warum ist das was Schlechtes?

FSD: Also dieses Versprechen, das war auch tatsächlich unsere Aufhänger. So vor den Landtagswahlen kamen dann wieder überall, diese Versprechen der Politik: Wir müssen die Bürokratie abbauen! Und ey: so ein Gassenhauer! Man kann es gar nicht mehr hören. Und komischerweise reden wir schon ewig von Bürokratieabbau. Aber was wir erleben, ist: es wird faktisch immer, immer mehr. Und wir ächzen unter dieser Bürokratie. Also grundsätzlich Bürokratie, wenn Vincent du wurst mir zustimmen, ist nichts Schlechtes. Die brauchen wir. Das reguliert viel. Das schafft Wettbewerbsmöglichkeiten. Das gibt eine Planungssicherheit. Wenn ein Unternehmen hier irgendwie investieren will in einem Land, dann ist es sogar ein Standortvorteil, wenn man einfach sagt: wir haben gute Regularien.

VTS: Absolut! Also ich meine, Bürokratie schafft ja auch auf eine gewisse Weise Berechenbarkeit. Und das ist, wie Felix schon gesagt hat, durchaus auch ökonomisch im Vergleich zu anderen Ländern auch ein Standortvorteil in Deutschland. Wir sind da in Deutschland schon Spezies für, alles besonders komplex zu machen. Es gibt da einen Begriff auch für, weil viele der bürokratischen Regeln kommen ja aus der Europäischen Union. Da werden ja Richtlinien gemacht, und die werden dann quasi nationalisiert umgesetzt. Und da gibt es einen Begriff, der heißt Goldplating. Und das beschreibt im Endeffekt, dass wir Deutschen, andere Länder auch, dass wir quasi diese EU-Regeln nehmen und noch einmal einen obendrauf setzen. Und das, glaube ich, beschreibt ganz gut, wie wir in Deutschland hier umgehen mit der Bürokratie. Es gibt auch dieses Wort der Einzelfallgerechtigkeit. Das besagt im Endeffekt: wir wollen in Deutschland jeden Fall rechtssicher absichern. Und wenn das dann zur Folge hat: okay, dann schreiben wir irgendwie noch drei Paragrafen hinten ran, statt mal so ein bisschen mit Pragmatismus an die Sache ranzugehen.

FSD: Der erste Aha -Effekt in der Recherche, das war relativ früh am Anfang der Recherche, war für uns, da haben wir eine Studie gefunden, vom Deutschen Institut für Wirtschaft, wo wir dann erst mal da saßen, und die haben gesagt: Moment, Regelungen sind nichts Schlechtes. Also es gibt Unternehmen, die in hochregulierten Regionen absolut aufblühen. Die zweite Voraussetzung dass das funktioniert ist eine funktionierende Verwaltung. Und in Gegenden, wo du eine hohe Regulierungsdichte hast und eine ganz schlechte Verwaltung, da gibt es auch nicht irgendwelche aufstrebenden Unternehmen, sondern im Gegenteil, die wandern ab. Und da kamen wir dann eben auf die Idee zu sagen: okay, wenn wir dieses Thema Bürokratieabbau uns anschauen wollen, dann müssen wir eben mal da reingehen, wo die Bürokratie gemacht wird, nämlich in die Ämter, direkt zu den Leuten, die tagtäglich das umsetzen müssen, was da von oben kommt. Ist denn unsere Verwaltung eigentlich überhaupt in der Lage, das alles umzusetzen? Und das ist der tatsächliche Knackpunkt. Und das war auch das, was wir dann in dem Film näher verfolgt haben.

ES: Mehr Bürokratie, was heißt das für mich, als Privatpersonen am Ende? Mehr Bürokratie und schlechte Verwaltung also, das ist ja dann genau dieser Punkt.

FSD: Wie hat unser Landrat es so schön gesagt: Wir sind der…

VTS: Der Touchpoint Staat!

FSD: Der Touchpoint Staat. Du als Mensch, du landest dann am Abend, und dann wird plötzlich der Staat für dich zum Gesicht, in Form eines Menschen, der in diesem bürokratischen System arbeitet. Und wenn das nicht funktioniert, dann ist es erst mal eine schlechte Erfahrung für dich. Also mehr Bürokratie bedeutet für dich erst mal, wahrscheinlich bei unseren nicht gut funktionierenden Verwaltungen erstmal viele negative Erfahrungen mit dem Staat als personifizierter Staat.

VTS: Ich glaube, was an der Stelle noch wichtig ist, ist, dass Menschen, wir hier in Deutschland, wir leben ja dann doch in einer digitalisierten Gesellschaft. Also wenn ich jetzt irgendwie Online-Banking mache, zum Beispiel, dann kann ich total viel über mein Smartphone machen, wenn ich es möchte. Aber dann gehe ich zum Amt und merke: okay, hier ist ein totaler Gap. Hier ist bricht was ab, meine normale digitale Erfahrung, die ich so im Alltag habe, auf der Arbeit irgendwie, im normalen Miteinander. Hier ist - die Fachleute sagen . ein Medienbruch. Also hier geht es nicht weiter in meiner normalen Art und Weise. Und ich glaube, das ist tatsächlich ein großes Problem, dass die Leute den Staat dann eben als anachronistisch und irgendwie nicht mehr zeitgemäß wahrnehmen.

FSD: Also es sind sogar 70 Prozent der Menschen in Deutschland, die nehmen den Start als nicht handlungsfähig war. Bei Behördenleitern sind es knapp über die Hälfte. Also auch die Angestellten der Bürokratie sind, glaube ich, das waren auch 63 Prozent. Und das heißt,  da siehst du das ja: Egal wer, die Leute, die da arbeiten, die Leute, die das leiten, und die Leute, die hingehen, die neben den Staat dann als nicht mehr handlungsfähig war. Das ist ein Riesenproblem.

ES: Eine weitere Hürde, die dann vielleicht auch noch obendrauf kommt, zur nicht funktionierenden Verwaltung und den ganzen Regeln, ist auch eine komplizierte Sprache. Die macht es ja für den Einzelnen am Ende auch wirklich schwierig. Und das betrifft dann nicht im Zweifelsfall Leute, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sondern das betrifft auch mich. Ich arbeite mit Sprache, und ich sitze regelmäßig vor irgendwelchen Dokumenten, muss da echt fünfmal drüber gucken, um zu verstehen, was die eigentlich von mir wollen. Was war da euer liebstes Beispiel?

VTS: Ich fange mal an: und zwar raumübergreifendes Großgrün ist natürlich eine schöne Alliteration.

FSD: Was hatten wir noch? Die Beälterung hatten wir, der Gelegenheitsverkehr. Den fand ich auch nicht schlecht.

ES: Könnt ihr das mal übersetzen?

FSD: Also der Gelegenheitsverkehr ist zum Beispiel, Verkehrswege, die du zurückliegst, außerhalb von den Öffis im Großen und Ganzen. Oder wir hatten auch Sachen wie den Lautraum, also eine Diskothek. Anleiterbarkeit. Das hat irgendwas mit Feuerwehren zu tun, wenn die dann ihre Leitern irgendwo anstellen dürfen. Also das ist eine eigene Sprache, und das ist echt abgefahren.

VTS: Übrigens: raumübergreifendes Großgrün ist einfach ein Baum. Aber da steckt auch was dahinter. Also ich meine, die machen das ja nicht aus Spaß, dass sie irgendwie sich neue Begriffe ausdenken. Sondern es ist häufig eben so, das führt wieder zurück zu dem Punkt, den wir vorher gemacht haben: Die Sprache in der Verwaltung muss ja rechtssicher sein, und das ist eben der Punkt. Das heißt, sie müssen versuchen, ganz präzise zu formulieren, um dann Rechtssicherheit zu haben. Es kann natürlich auch zu einer Art Fetisch werden, das wird es mit Sicherheit auch.

FSD: Es ist krasses Juristendeutsch. Also das muss man auch klar sagen. Und du kriegst dann erstmal einen Brief, in dem das natürlich zum Ausdruck gebracht werden will. Aber auch da haben wir Leute kennengelernt, die daran arbeiten, das besser zu machen. Aber das ist halt auch ein krasser Prozess, weil du musst dann auch immer wieder abgleichen. Also da wird richtig daran geforscht, Texte dann zu vereinfachen, dass sie aber dann trotzdem noch juristisch greifbar sind. Und das muss dann immer wieder abgeglichen werden in neuen Runden. Das heißt, die vereinfachen, dann wird es wieder getestet mit Bürgerinnen und Bürgern, dann muss man wieder zurück in die juristische Bewertung und so weiter und so fort. Und das ist halt komisch, weil du kriegst dadurch dann halt auch ein komisches Gefühl zu diesem personifizierten Staat, weil du verstehst ja nicht mal die Sprache, die der spricht. Du hast keine Ahnung, was die von dir wollen. Und dann kriegst du hintendran noch irgendwie so 40 Seiten Widerrufsbelehrungen oder so irgendetwas. Das heißt, das hat auch der Landrat, mit dem wir da gearbeitet haben, gedreht haben, der das so schön auf den Punkt gebracht hat: Wir leben in einem Widerspruchsverhältnis zu unserem Staat. Also wir haben kein Vertrauen mehr, der der Staat zu uns nicht, sondern erstmal ist alles im Widerspruch. Es ist erst mal so, von vornherein gehen wir erst mal davon aus, wir werden abgezockt, und das wollen wir regulieren. Und da kam von vielen aus der Bürokratie eben die Kritik: Ne, lasst uns mal Freiräume, lasst uns mal machen.

ES: Das heißt, es funktioniert aber auch, präzise zu sein und trotzdem eben nicht so wahnsinnig kompliziert alles so wahnsinnig aufzublähen. Gleichzeitig war jetzt mein Eindruck: Ihr stimmt gar nicht so damit ein, dass Bürokratie vor allem abgebaut werden muss.

VTS: Na ja, also ich glaube, die Quintessenz oder die Essenz unserer Recherche ist schon, dass man an vielen Stellen etwas abbauen kann. Und dass man es auch machen muss. Ich glaube, wir sind vielleicht einen Schritt zurückgetreten. Und haben uns ein paar andere Fragen gestellt, weil eben dieser Schrei nach Bürokratieabbau irgendwie so omnipräsent ist, aber irgendwie nichts passiert. Und ich glaube, wir müssen uns vielmehr überlegen, wie wir unsere Gesetze machen. Also die Bürokratie, die ist ja ein Produkt unserer Gesetzgebung im Endeffekt. Und wir müssen uns überlegen: ist die Art und Weise, wie wir Gesetze machen, noch zeitgemäß, noch angemessen oder vielleicht einfach zu komplex.

FSD: Also seit den Achtzigern haben sich Gesetzestexte in der Länge verdoppelt. Das war auch für uns spannend, als Filmemacher, wir haben natürlich auch viel darüber diskutiert: Da haben wir ja auch einen großen Anteil daran. Thema Einzelfallgerechtigkeit. Wir finden es natürlich auch geil, als Medien genau auf diese Einzelfallgerechtigkeit draufzugehen.

ES: Kannst du kurz sagen, was das ist?

FSD: Naja, also die Einzelfallgerechtigkeit bedeutet, dass wir versuchen, in Gesetzestexten alles so klar abzuregeln das am Ende wirklich niemand mehr durch dieses Raster fällt. Also dass du am Ende dann sagen kannst: okay, die blonde Tante Irna ist aus dem Kaff irgendwo, das muss auch für die noch gelten, und alles hundertprozentig safe und wasserdicht sein. Und das funktioniert natürlich nicht. Und wir Medien finden es dann aber auch toll, natürlich so einen Einzelfall rauszugreifen und da einen schönen Beitrag drüber zu machen. Das war für uns natürlich auch noch eine schöne Erkenntnis zu sagen: naja, vielleicht haben wir da auch einen gewissen Anteil daran.

VTS: Aber vielleicht um nochmal zurückzukommen auf deine Frage. Ja, also, ich glaube, unsere Essenz war eben nicht: Okay, wir müssen Bürokratie abbauen. Sondern was die viel wichtigere Aufgabe ist: Wir müssen die Verwaltung ertüchtigen. Wir müssen die Verwaltung in Deutschland in die Lage versetzen, die "bürokratischen" Vorschriften auch umsetzen zu können. Auch in einem Zeitrahmen, der überschaubar ist und nicht mehrere Monate erstreckt und dann Antragsstau entsteht, und so weiter und so fort. Also klar, Bürokratieabbaus ist schön und richtig, und auch total wichtig. Aber viel entscheidender ist, dass wir die Verwaltung wirklich in eine Lage versetzen, dass sie ihrer Rolle gerecht wird.

ES: Das heißt, im Prinzip stellt sich der Staat im Moment selbst ein Bein damit, wie alles geregelt ist.

VTS: Ich würde tatsächlich ja sagen. Weil, da kommen wir vielleicht auch noch später drauf. Weil dadurch, dass Gesetzesinitiativen durch eine nicht funktionierende Verwaltung nicht umgesetzt werden können, leiden diese Entscheidungen auch natürlich auch total an Akzeptanz in der Gesellschaft. Also Stichwort Gebäudeenergiegesetz zum Beispiel, um nur mal eins zu nennen. Oder das Bürgergeld. Da werden Entscheidungen getroffen, und die Verwaltung ist nicht in der Lage, die umzusetzen.

FSD: Das war ein Phänomen, das haben wir sehr oft jetzt auch beobachtet haben. Als Bürgerin oder Bürger liest du den Zeitungen: Aha, ich kriege jetzt Bürgergeld, oder ich kriege noch ein bisschen mehr Rente rückwirkend oder sonst irgendetwas. Und dann sitzt du irgendwann bei deinem Amt, und es kommt nach Monaten noch nicht an. Uns hat ein Insider erzählt beim Bürgergeld: Er hat nach elf Monaten die erste Schulung bekommen, was mit dem Bürgergeld eigentlich umzusetzen ist. Nach elf Monaten, also fast ein Jahr, war der auf sich allein gestellt, und das muss man sich mal dann irgendwie reinziehen, was es dann für dich als Bürgerin und Bürger bedeutet. Also die haben doch jetzt gesagt, es gibt die große Hilfe, und am Ende kommt dann raus, dass ich das irgendwie erst nach sieben, acht, neun, zehn Monaten überhaupt bekomme. Da bin ich frustriert. Der Beamte ist frustriert, der das umsetzt oder der Mensch, der im Amt arbeitet und die Politik tut sich auch keinen Gefallen. Weil das, was sie als großen Coup verkaufen, kommt am Ende bei den Leuten gar nicht an und sorgt für Frust. Und das ist das Problem, das Nadelöhr Verwaltung ist der Touchpoint, und der ist echt broken gerade.

ES: Wie gehen die Leute in der Verwaltung damit um? Die haben mit Sicherheit auch keine Lust, da haufenweise Ordner zu füllen mit Anträgen.

FSD [ironisch]: Das finden die Mega.

VTS: Nein! Also viele von denen sind natürlich auch total frustriert davon. Also ich meine, Behörden kriegen immer mehr Aufgaben, Stichwort Digitalisierung, das dort auch zu langsam vorangeht. Ich meine, das bremst die natürlich auch selber in ihrem eigenen Workflow. Und eine Sache, die uns auch der, Landrat Neubauer geschildert hat, ist, mittlerweile wird quasi dieses Ansehen, was die Verwaltung auch so ein bisschen verliert, in der Öffentlichkeit auch wirklich zum Problem für die Verwaltung selber, weil die haben totale Personalprobleme. Und niemand möchte Teil eines Problems sein. Überall hört man: Ja die Verwaltung ist überlastet und Bürokratie und das ist alles total anachronistisch und total analog. Da hat keiner Lust drauf, da mitzuarbeiten. Das heißt, die haben wirklich Probleme, aufgrund dieses Images, was ja auch das stimmt zum Teil, Personal zu finden. Und dann wird der Personalmangel noch größer. Da ist es dann wirklich so ein Teufelskreislauf.

FSD: Das sind auch so kleine Sachen. Was die uns erzählt haben: Sie kriegen, halt einfach von oben Sachen aufdiktiert und dann müssen sie es irgendwie umsetzen. Aber sie kriegen nie die Ressourcen dazu mit. Ein kleines Beispiel – das hat er mir im Auto erzählt, der Landrat. Er meinte: "Guck mal hier, es gibt irgendwie neue Führerscheine von der EU für Berufskraftfahrer. Früher hat man das auf einen Führerschein bei uns einfach hinten draufgeschrieben noch: Du bist Berufskraftfahrer. Und jetzt hat die EU gesagt: Nein, dafür braucht es eine Extrakarte." Dann hat er gesagt: "Guck mal hier, das ist jetzt ein kleiner Beschluss. Das ist keine große Sache. Aber ich habe das mal durchgerechnet: 16 Minuten brauchen wir pro Führerschein, pro Antrag. Bei mehreren tausend Leuten im Landkreis. Und das muss ich jetzt mal so kurz nebenbei umsetzen. Und ich habe dafür nicht die Leute. Ich habe dafür nicht die Ressourcen. Ich kriege nichts mit, außer dass ich es machen muss." Und das sind so kleine Beispiele. Und das summiert sich hoch bis zu den ganz großen Dingen dann auf.

ES: Und dann geht es eben so Orte, die versuchen trotzdem, alles auch mehr zu digitalisieren, besser ans Laufen zu kriegen. Klappt das?

FSD: Also die Digitalisierung ist das größte Problem, wenn man über die Tüchtigkeit der Verwaltung spricht. Das haben wir uns natürlich auch angeschaut. Wir sind mal wirklich Anträge konkret durchgegangen: Wie funktioniert das alles hier? Und das sind schon bemühte Leute, die wir da getroffen haben. Die machen sich Gedanken, wie sie jetzt innerhalb dieses ganzen Rahmens, der gerade da ist, schon digitale Lösungen den Leuten anbieten können. Aber das Thema wird dann kompliziert, wenn man dann halt den rechtlichen Überbau sich anschaut. Da muss man so ein bisschen weiter ausholen, Vincent, würde ich sagen.

VTS: Naja, also ich glaube, dass besondere in Mittelsachsen an der Stelle ist, dass der Landrat vor Ort, der ist quasi wirklich mit seinem Wahlversprechen da ins Amt gewählt worden: Ich mache das jetzt mal anders. Ich mache das jetzt mal pragmatischer. Und ich mache das jetzt digitaler. Und er hat eben ausgerufen zum Stand, als wir da waren, in zwei Jahren ist das Haus hier digital. Der ist auch ein reflektierter Mensch.

FSD: War auch selber mal Digitalunternehmer.

VTS: Er sagt auch: okay, gut, wenn wir es nicht hinkriegen in diesen zwei Jahren, dann schafft es in drei. Aber wir brauchen ein Ziel. Aber ja, also das mit dem rechtlichen Rahmen ist natürlich wieder so eine Sache, wo der - ich sage das Wort einmal ganz kurz – Flickenteppich einmal wieder auftaucht in Deutschland. Also zum Beispiel hat der Landkreis ein Verfahren entwickelt für einen Bauantrag, der komplett digital abläuft, also wirklich Ende zu Ende digitalisiert. Also du als Bauherr oder als Architekt sitzt an deinem Laptop, und das wandert ins Amt, wird da digital verarbeitet und wird überall weitergereicht.

FSD: Und du kriegst es theoretisch auf dein Smartphone wieder zurück, wenn der Bescheid da ist.

VTS: So sollte es eigentlich laufen, das ist doch richtig cool. Das Problem ist, die rechtlichen Rahmenbedingungen sind im Land Sachsen noch so, dass man Papier noch mit einreichen muss. Es gibt quasi eine Verschriftlichungspflicht. Im Landratsamt wird das Papier dann einfach weggestellt. Das wird einfach ins Archiv gestellt, da passiert nichts mehr mit. Das ist einfach nur eine rechtliche Vorgabe. Aber an sich ginge es digital. Und das ist eigentlich so ein bisschen die Message dahinter: es ist möglich, und wir müssen einfach den Rahmen dafür schaffen.

FSD: Das ist das Interessante, dass halt eben jetzt wahnsinnig viele Ämter anfangen, da eigene kleine Lösungen zu kochen und damit den Staat halt auch überholen. Da gibt es dieses Einer-für-Alle-Prinzip, also die Idee ist eigentlich dahinter, dass die einzelnen Bundesländer digitale Prozesse entwickeln, die dann anderen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Das ist das, was Vater Staat sich eigentlich dafür ausgedacht hat, als Lösung. Weil es aber so schleppend und langsam läuft. Wenn ihr Bock habt, dann googelt jetzt einfach mal an der Stelle das Wimmelbild der Digitalisierung. Absoluter Empfehlung. Dann versteht ihr einfach, warum das nicht funktionieren kann. Das muss man gar nicht erklären, man schaut drauf und versteht einfach: Deswegen geht es nicht.

VTS: Es eignet sich sehr gut als Bildschirmhintergrund. Ist nämlich auch der Bildschirmhintergrund von dem Digitalisierungs-Referatsleiter gewesen.

FSD: Dann siehst du relativ schnell, dass dieser Zuständigkeitsdschungel einfach so enorm ist, dass das nicht funktionieren kann. Und deswegen fangen jetzt die Behörden aus der Not heraus an, einfach kleine Lösungen zu entwickeln. Und überholen das Land. Also das heißt, wenn die Bundesländer irgendwann diese Lösungen zur Verfügung stellen, dann sagen die einfach: brauchen wir nicht. Wir haben ja schon Workflows etabliert, die funktionieren für uns, das ist einfach zu langsam. Und da sind wir dann beim nächsten großen, sperrigen Konstrukt. Das ist das Onlinezugangsgesetz. Das sollte eigentlich auch dafür sorgen, dass digitale Leistungen bereits zugänglich sind. 575 Stück. Und davon ist gerade mal ein Viertel geschafft worden in den letzten sieben Jahren. Und was man jetzt gemacht hat als Gesetzgeber ist: Na ja, okay. Wir haben es in den letzten sieben nicht geschafft. Jetzt nehmen wir das einfach normal, packen es in eine Version 2.0, packen noch mehr Versprechen rein, und jetzt schaffen wir es in vier. Und das wird nicht funktionieren, meiner Meinung nach. Vincent, du wirst mir vielleicht widersprechen.

VTS: Wir haben da wirklich viel darüber diskutiert. Ich glaube, es gab viele Schwachstellen in diesem alten Gesetz aus 2017, wo bis 2022 eben diese Leistungen digitalisiert werden sollten, wo man sieht: Okay, das hat überhaupt nicht funktioniert. Und eine der großen Schwachstellen in diesem Gesetz ist, dass nur die Eingangsseite sich angeschaut wird. Das heißt, ein Amt macht einen Digitalantrag, aber der ist zum Bürger gewendet quasi digital. Was aber in der Behörde selber passiert, das wird überhaupt nicht abgedeckt.

ES: Das ist das Ausdrucken, von dem du eben gesprochen hast.

FSD: Genau. Also du reichst ein, digital und dann drucken die das aus und arbeiten weiter.

VTS: Und das ist OZG-konform, wenn man so will. Und das kann ja irgendwie nicht sein. Also weil das ist ja nicht eine Digitalisierung, das ist eine Scheindigitalisierung. Da wird im Endeffekt eine digitale Fassade hochgezogen gegenüber dem Bürger. Aber im Endeffekt läuft alles analog weiter. Und da haben sie schon draus gelernt, würde ich jetzt sagen. Und wollen eben die Ende zu Ende Digitalisierung jetzt verpflichtend machen. Und es soll ein Recht auf eine digitale Verwaltung geben, nach dem neuen OZG - übrigens dann nur für Bundesleistungen, weil der Bund wollte das nicht vorschreiben, weil wenn der Bund den Ländern das vorschreibt, dann muss er denen auch das Geld dafür geben. Das will er aber nicht, oder kann es vielleicht auch nicht in der aktuellen Haushaltslage. Aber in vier Jahren soll es irgendwie dieses Recht auf digitale Leistungen geben. Wirklich digitale Leistungen.

FSD: Also wir haben eine Wette am Laufen, mal schauen, wie es dann am Ende ausgeht.

ES: Ihr seid auf dem Windrad gewesen und mir schwindlig geworden, als ich das gesehen habe. Wie ging es euch so?

FSD: Ich fand es mega! Ich wollte schon immer mal auf so ein Ding hoch. Ich war froh, dass es diesmal geklappt hat. Es ist schon extrem hoch, und du sitzt vor allem dann oben, also da ist ja kein Geländer oder eine Plattform oder etwas, sondern du sitzt wirklich auf diese Außenhülle.

ES: Ist man gesichert?

VTS: Doppelt und dreifach und alles drum und dran.

FSD: Aber das ist schon interessant, wenn du jetzt in so ein Windrad reinschaust, da gibt es auch so einen kleinen Aufzug, mit dem du hochfährst. Dann haben auch die Techniker erzählt, der ist auch ganz oft kaputt. Und dann siehst du mal, wie viele Stufen das sind bis oben bist und die klettern das dann einfach da hoch innen drin. Das ist schon ein interessanter Arbeitsplatz, muss man sagen, wenn man da oben als Techniker unterwegs ist. Aber war bisher auch mal einer der cooleren Interviewsspots bisher, die ich jetzt so hatte.

ES: Kann ich mir vorstellen. Thema war Klimaschutz, also Digitalisierung und Klimaschutz, Bürokratie und Klimaschutz - Wie hängt das zusammen?

VTS: Obwohl man es gar nicht so erwartet, hängen Klimaschutz und Bürokratie eigentlich sehr eng miteinander zusammen, weil es ist ja so: immer wenn der Staat irgendwo eingreift, mit einem Gesetz oder einer Vorschrift und dann verpflichtet wird, dass der Bürger irgendetwas tut oder die Wirtschaft irgendwas tut, das erzeugt in erster Linie mal Bürokratie. Also eine gewisse Kommunikation mit den Behörden, da ist dann schon Bürokratie. Und wir in Deutschland, wir haben ja eine Klimapolitik, die jetzt nicht so ist, dass man sagt: Okay, wir haben jetzt hier den CO2-Preis, und der Markt regelt alles. Sondern wir einen etwas mehr eingreifenden Staat. Und das führt eben zu mehr Bürokratie. Und ein Punkt wo das eben auftritt, ist bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien. 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Da müssen wir erst mal hinkommen.

FSD: Also das bedeutet auch Vervierfachung der Windenergie an Land und das ist schon enorm.

VTS: Ja, das ist absolut enorm. Und um dahin zu kommen, braucht es auch wieder viel Bürokratie, weil für jedes Windrad was gebaut werden soll, das muss natürlich erst einmal genehmigt werden in einem ziemlich aufwendigen Genehmigungsverfahren. Was mehrere Jahre dauert, das ist superkomplex und das erzeugt viel Papier, sagen wir mal so.

FSD: Das ist wirklich krass zu sehen. Jedes Windrad wird wirklich einzeln geprüft. Das muss man sich erst mal reinziehen, so. Und wenn man das begriffen hat, dann fängt es plötzlich an, interessant zu werden, ab dem Moment, wo du siehst, wie viel Papierkram bedeutet das? Und da war jetzt dann auch ein Unternehmer vor Ort, der zeigt uns das, du stopfst dann da ein paar Leitz-Ordner in das System rein. Und die vervielfältigen sich auf dem Weg darunter noch. Und auch da gibt es unfassbar viele Entscheidungswege, bis so eine Genehmigung durch ist, gegangen werden muss. Und da waren Extremfälle dabei, von sieben Jahren, wo es gedauert hat, um so ein Windrad herzustellen, die wurden dann teilweise gar nicht mehr produziert. Und das geht deswegen so extrem langsam. Jetzt kommt aber die Bundesregierung auf die Idee und sagt: wir müssen uns ja beschleunigen, weil Vervierfachung des Ausbaus, das ist unser Ziel. Also muss es schneller gehen. Und was man halt macht jetzt gesetzlich, ist den Druck zu erhöhen. Also das heißt, plötzlich dürfen die Behörden so einen Antrag nur noch einmal um drei Monate verlängern. Und dann wird irgendwie durchgewunken. Und jetzt kommen wir dann irgendwann in so einer Phase, wo es dann wirklich interessant wird juristisch, weil da wird wahrscheinlich jetzt auch viel durchgewunken, dann einfach. Und da stehen diese Behörden einfach mit dem Rücken zur Wand. Also die ersticken in diesem Papierkram. Plus: Die konkurrieren mit den Unternehmen, die Windkraft bauen um die gleichen Leute. Plus: Sie müssen halt irgendwie schauen, dass sie das am Ende gewuppt kriegen. Und das funktioniert nicht. Also du kannst nicht einfach nur den Druck erhöhen und sagen: wir brauchen das jetzt! Ohne die Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Wir haben ein defektes, kaputtes Verwaltungssystem, mal ganz hart gesagt, und alles, was wir dann beschließen, ist: macht schneller, macht schneller, macht schneller! Das kann nicht gut gehen.

ES: Würdet ihr sagen, dass gerade auch die Bürokratie die Energiewende behindert?

FSD: Das ist ein echt schmaler Grat, finde ich. Weil auf der einen Seite brauchen wir diese Regelungen, um das eben abzusichern. Ja, also es geht um Schattenwürfe, Lärmbelastung. Das sind viele Punkte, die geklärt werden müssen, weil du hast auch Anwohner, du hast Naturschutz, du hast viele, viele Vorgaben. Das ist wichtig. Dafür braucht es das. Aber wenn wir jetzt eben in dieser Phase sind, der Beschleunigung, da muss man sich überlegen: wie kann ich das smarter und intelligenter machen? Und da gibt es definitiv Wege.

VTS: Ich glaube, das ist gut, dass du noch mal nachfragst, auch genau an der Stelle, weil das eben so ein kontroverses Thema ist, mit dem Windkraftausbau und den umliegenden Dörfern und Städten. Dass Bürokratie ja eigentlich auch da, die diese Rechtssicherheit schafft. Ich glaube, der Punkt ist einfach: Man muss Verfahren vereinfachen und vor allem digitaler machen. Das soll jetzt auch passieren. Aber der Punkt ist eben, dass die Verwaltung, die Emissionsschutzbehörde in dem Fall, die das nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz umsetzen muss, die muss in der Lage sein, in einem zeitlichen Rahmen, der überschaubar ist, das umzusetzen. Und das ist sie so einfach nicht.

ES: Ihr wart auf dem Windrad mit Dirk Neubauer, dem Landrat in Mittelsachsen - auch über diesen Kreis haben wir vorhin schon mal gesprochen. Er ist parteilos, und man erfährt im Film, dass er sein Amt aufgeben will. Warum?

FSD: Also ich sage mal so: wenn der Film dann läuft, kann man sich das ja dann auch anschauen. Es ist, glaube ich, das erste Mal in meiner Karriere, dass ich einen fast vierminütigen Monolog in einen Film geschnitten habe, wo er das darlegt. Und da standen wir, glaube ich beide auch da und haben gesagt: okay, wir haben ihm zugehört. Der Mann, der hat einen Punkt, der hatte was zu sagen, und das kann man sich einfach so am Stück anhören.

Dirk Neubauer: Man muss konsequent sein.
Felix: Was heißt das für Sie?
Neubauer: Konsequent sein heißt ehrlich sein. Und ehrlich sein bedeutet, dass ich mittlerweile die Erkenntnis habe, dass wir in diesem Setting, was wir jetzt haben, und mit den Instrumenten in diesem politischen Orbit insgesamt, sage ich jetzt mal, durchdekliniert von Bund bis zur Kommunalebene nicht in der Lage sind, unsere Probleme zu lösen. Wir sind nicht in der Lage, die Antworten auf die wirklichen Fragen dieser Zeit zu geben. Das ist ein Problem.

VTS: Also er kam, glaube ich, aus einer Phase, wo er ein bisschen auch gegen Wände gelaufen ist. Also er ist ja jemand, der viel verändern will, und mit einem gewissen Innovationsgeist auch daran geht. Ich glaube, da ist einfach der Punkt erreicht bei ihm, wo er sagt: "Meine Ressourcen sind verbraucht, ich kann nicht mehr." Weil er sagt auch: "Ich habe 80 Stunden-Wochen. Ich arbeite wirklich so unglaublich viel. Aber meine Essenz ist: es lohnt sich nicht. Weil," sagt er, "das in diesem politischen System, indem wir sind, nicht in der Lage sind, unsere Probleme zu lösen." Das ist jetzt nicht meine Meinung, das sagt er. Und er sagt eben: "gut, wir sind ein Land, das braucht die Krise. Ohne Krise, in so einer Schönwetter-Gesellschaft", sagt er, "kriegen wir diese Reformen, die irgendwie nötig sind in diesem Land - Und dazu zählt dann eben auch die Digitalisierung und eine Verwaltungsreform - das kriegen wir nicht hin. Wir sind dazu strukturkonservativ in der Hinsicht." Und da ist jetzt der Punkt, wo er sagt: "Ne Leute, nicht mit mir."

FSD: Das war zum Beispiel auch beim ersten Drehtag interessant. Er kam rein zum ersten Dreh, und man hat gemerkt, der Mann war irgendwie angefasst. Hat er noch einen Apfel gegessen und hat dann erzählt: "Gerade gestern war ich in Berlin, im Wirtschaftsministerium." Und er hat mir nicht genau erzählt, worum es ging. Aber man hat einfach gespürt, der kocht innerlich. Er hat sich aufgeregt, also offensichtlich war da irgendetwas, was in Berlin stattgefunden hat, und das unterstützt ja diese These: die kriegen von oben Anweisungen: das muss jetzt umgesetzt werden. Aber wie sie es am Ende in der Verwaltung machen - das war der Vorwurf, der eben von vielen Menschen aus der Bürokratie an uns herangetragen wurde – das denkt die Politik auf der Bundesebene dann gar nicht mit.

ES: Wir haben schon mal vorhin darüber gesprochen, was das umgekehrt bedeutet, diese aufgeblähte Bürokratie, diese riesige Verwaltung, für die Menschen. Ihr habt auch mit Professor Oliver Decker gesprochen. Er ist Demokratieforscher und Sozialpsychologe an der Uni Leipzig, und er sagt, dass die Bürokratie in den letzten Jahren eher geschwächt wurde.

Nun ja, wir müssen sehen, dass wir in den letzten 20 bis 30 Jahren eine Politik gesehen haben, in der die öffentliche Hand sich auf vielen Bereichen zurückgezogen hat. Auch der Bürokratieabbau im Wesentlichen bedeutet hat: Personalabbau, Stellen wurden reduziert, der Staat hat sich aus der Fläche in ländlichen Regionen zurückgezogen. Das heißt, wir haben es mit einer Schwächung eigentlich der Bürokratie zu tun gehabt, genau an der Stelle, die sie eigentlich braucht.

Prof. Oliver Decker

ES: Was meint er damit?

VTS: Dass eben in vielen Bereichen abgebaut wurde, wo wir sie eigentlich brauchen. Also es geht zum Beispiel darum, dass im ländlichen Bereich viel eingespart wurde. Das hat er uns dann deutlich erklärt. Und das sind eigentlich Bereiche, da brauchst du ja den Staat als Ansprechpartner und auch, um Dinge zu ermöglichen. Und gerade da hat man dann eben Bürokratieabbau exzessiv betrieben. Und das fehlt jetzt. Und jetzt fehlt der Touchpoint, der Anschluss zum Start plötzlich den Menschen dort und in seiner Forschung ging er dann noch weiter und hat es dann untersucht: Wie weit wirkt sich das auf die Politik aus, auf die politische Einstellung von Menschen. Und da gibt es einen direkten Zusammenhang. Ich muss sagen, das war so ein Interview, das ging mir noch so ein bisschen im Kopf lange nach, wo man wirklich mal so über diese Zusammenhänge dann noch mal nachdenkt. Weil von Bürokratie bis zur Gefährdung der Demokratie, das hatte ich vorher nicht so auf dem Schirm.

ES: Könnt ihr das mal aufmachen? Wie hängt das zusammen?

VTS: Der Punkt, den er macht, fand ich total spannend. Der Bürger nimmt den Staat über die Verwaltung wahr. Also viele Leute, es ist total verständlich, die differenzieren halt eben nicht zwischen verschiedenen politischen Ebenen, sondern: ich komme jetzt zum Amt, und das ist der Vertreter des Staates, der vertritt Gesetzesänderungen mir gegenüber. Und wenn ich eben dorthin komme und ich sitze da in einem überfüllten Wartesaal oder ich komme hin und ziehe eine Nummer und am Ende des Tages bin ich noch gar nicht wieder da, dann erzeugt das ein Anerkennungsdefizit. So hat er das geschrieben. Es gibt quasi Defizite in der Anerkennung für mich als Bürger. Ich werde nicht wahrgenommen, so wie ich gesehen werden möchte, als partizipativer Teil dieser Gesellschaft. Und wenn man eben in die Forschung schaut, dann gibt es da ein Zusammenhang zwischen Menschen, die diese Anerkennungsdefizite haben, gegenüber dem Amt, aber auch in anderen Bereichen und antidemokratischen, politischen Einstellungen bis hin zu einer autoritären Reaktion. Weil das wäre dann quasi der Effekt: Man erhofft sich dann eine Anerkennung durch ein stärkeres Durchgreifen, vielleicht eine Hinwendung zu mir, zu meiner Identität, wenn man jetzt beim Rechtsextremismus bleibt, zu mir als Deutschen beispielsweise. Weil die Verwaltung ist irgendwie mit den Geflüchteten beschäftigt und so weiter und so fort. Und das ist diese Verbindung zwischen Anerkennungsdefizit, die dazu führt, dass es eben diese antidemokratischen Einstellungen gibt.

FSD: Also wenn man es ganz salopp sagen will: Der Staat hat mich nicht mehr lieb, und jetzt mache ich irgendwas, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, damit der Staat nicht wieder liebhat. Und das ist jetzt wirklich platt gesagt. Aber das fand ich schon einen krassen Zusammenhang. Und das ist halt in der Forschung von Herrn Decker absolut alles belegt. Nur unter dem Gesichtspunkt wird diese Frage von Bürokratieabbau oder Verwaltungsertüchtigung plötzlich eine ganz entscheidende, für unser komplettes politisches Spektrum und für die Demokratie und für alles, was da draußen gerade passiert. Und insofern ist uns während der Recherche aufgefallen, dass das Thema eine wesentlich größere Fallhöhe hat, als wir eigentlich zu anfangs dachten.

ES: Dirk Neubauer, der Landrat in Mittelsachsen, der probiert da ja auch eher die Leute mit ins Boot zu holen, der hat einen Mitmachkongress organisiert. Was ist das?

VTS: Da muss man erst mal zu sagen: ein Landrat ist ja ein Wahlbeamter, und der ist zur politischen Neutralität verpflichtet, also sagen wir mal in einem gewissen Rahmen. Und er ist eben, weil er vorher schon Bürgermeisterin Augustusburg war, ich glaube eine Kleinstadt in Mittelsachsen, ist er eben aktiv mit einem Thinktank, Verein, der heißt Denkwerk Ost. Und da haben sie es sich eben zum Ziel gesetzt, so partizipative Mitmachveranstaltungen zu machen. Das Motto war, glaube ich, "Machen statt Meckern", um so ein bisschen was dieser Mecker-Haltung, die wir in Deutschland auch gerne haben, mal rauszukommen und zu sagen: okay, du darfst meckern, aber nur, wenn du eine Idee hast, wie es vielleicht anders geht. Und das war eben dieser Kongress und dachten uns: Fahren wir mal mit hin und gucken mal, wie das läuft. Weil er eben so versucht, diesem Frust ein bisschen Herr zu werden, den wir auch beschrieben hatten, mit der Handlungsunfähigkeit des Staates.

FSD: Man muss sagen, er ist ein Machertyp. Also ich habe ihn wirklich als Machertypen wahrgenommen und glaube für jemanden wie ihn, der eben Dinge vorantreiben will und für den ist dieser Frust, den er da in seiner täglichen Arbeit oder oft in der Verwaltung erlebt, fühlt sich so ein bisschen an, als würde man ihm jeden Treibstoff nehmen. Und ich glaube, das ist etwas, was bei ihm den Tank wieder voll macht. Wo er sagt: Okay, das sind dann halt nur 30, 40 Leute, die da kommen. Aber die wollen und die machen. Und er hat wirklich wortwörtlich gesagt: "An so einem Nachmittag erreiche ich mehr als in einem halben Jahr in der Verwaltung." Und das fand ich spannend zu sehen, dass er das da macht. Und die Leute haben es auch sehr dankbar angenommen. Klar, am Ende erarbeiten die dann halt irgendwelche Konzepte, und die werden dann weitergereicht in die die Politik, kaum nachzuvollziehen, was damit dann am Ende passiert.

VTS: Wobei, an der Stelle würde ich sagen: das war genau auch deren Ziel, dass es nachvollziehbar wird. Weil diese Vorschläge, die da gesammelt wurden, das war vorher abgesprochen mit der Staatskanzlei in Dresden. Diese Konzepte werden dem Ministerpräsidenten weitergereicht, und es gibt so einen Tracking. Also ich glaube, in einem Jahr will sich dieser Verein eben nochmal einschalten und gucken: Was ist aus diesen Ideen, die wir in den politischen Raum geworfen haben, geworden? Gut, jetzt sind das Ideen, die 30 Leute an einem Samstagnachmittag entwickelt haben – will ich gar nicht klein reden – aber wenn das jetzt 200 Leute gewesen, hätte das natürlich eine andere Schlagkraft vielleicht gehabt. Aber die versuchen da schon so eine gewisse Nachvollziehbarkeit herzustellen.

ES: Kommt das auf der anderen Seite an? Also wird es auch angenommen auch?

VTS: Das bleibt auch abzuwarten.

FSD: Ja, also kann ich nicht beurteilen.

ES: Interessant waren aber auch eure ganzen Gespräche mit den Leuten in der Verwaltung. Die haben auch ganz viele Ideen, wie es vielleicht anders oder besser laufen könnte.

VTS: Wir sind für unseren Film auf das creative bureaucracy festival gefahren. Ein fancy Name für eine Konferenz.

FSD: Es war schon ein Festival-Charakter. So ein cooler Berliner Club der Visionäre da draußen, also auf dem Gelände.

VTS: Es gab einen Eiswagen und verschiedene Panel, und es war recht international. Und da treffen sich eben Leute aus der Verwaltung, aber eben auch außerhalb der Verwaltung. Also Leute, die beraten, die irgendwie so rangedockt sind und Dienstleister sind, um sich zu Verwaltungsdienstleistungen auszutauschen. Und mit denen haben wir so ein bisschen gesprochen. Und ich glaube, die Essenz war im Endeffekt: Wir haben gute Ideen, aber man will, dass man uns zuhört.

FSD: Also das würde ich so definitiv unterschreiben. Also, du hast wirklich Leute gehabt, die sprühen vor Ideen. Die haben sich Leute auch aus dem Ausland eingeladen, wo das besser läuft, nehmen wir mal Finnland. Die haben eine unfassbar hohe bürokratische Regulierungsdichte und kommen mega damit klar. Da funktioniert es. Und dann schaut man natürlich auch: was machen die anders? Was machen die besser? Wie funktioniert das? Holt sich da Inspiration und tauscht sich aus und vernetzt sich auch miteinander. Das ist so die Idee von diesem Festival, und wir haben da halt mal kurzerhand eine Selbsthilfegruppe gegründet und mal ein Schild aufgestellt. Und es war auch echt erstaunlich. Also das Interesse war wirklich groß. Die Leute kamen und haben dann gesagt: hey, ich will mal mit euch reden und dann plötzlich aber festgestellt: Ah, okay, vor der Kamera, ne lieber nicht. Wir hatten dann zwar zum Glück auch Leute, die dann bereit waren dazu. Aber das war spannend zu sehen, dass es da wahnsinnig viele Menschen gab. Und ich will jetzt nicht nennen, welche Ministerien und so weiter auch in sehr hohen Positionen, die sich dann plötzlich bei uns in diese Selbsthilfegruppe gesetzt haben, und eigentlich mit uns reden wollten. Das aber halt nicht öffentlich tun konnten.

VTS: Was für mich so durchgestochen ist. Ein Punkt war, dass es häufig so Pseudo-Partizipations-Prozesse gibt. Das haben wir auch häufig gehört. Da wird dann abgefragt, ein Fragebogen: Was wollen Sie haben? Und im Endeffekt steht die Entscheidung schon fest.

FSD: Oder es wird gar nicht wahrgenommen oder gelesen und am Ende fragt man sich so: Für was habt ihr das jetzt gemacht? Weil die Entscheidung eine komplett andere ist.

VTS: Oder es gibt irgendwelche Partizipationsprozesse von oben nach unten. Und da ist zum Beispiel die Beantwortungsfrist für so eine Teilhabe, für ein Gesetz, 24 Stunden. Also in 24 Stunden kannst du dir nicht ein Gesetz durchlesen und eine Meinung bilden, die fundiert ist. Du hast ja noch einen Job. Und das ist zum Beispiel ein Punkt, der bei mir total hängengeblieben ist, eben diese Pseudo-Partizipation, das merken die Leute. Sie sind ja nicht blöd.

FSD: Frust, Frust, Frust. Wir haben einfach wahnsinnig viele Leute auch kennengelernt, die frustriert sind. Und trotzdem haben wir da viele Menschen auch gesehen, die trotzdem für ihren Job leben. Also man denkt: so ein Bürokrat ist jemand, der - und ist ja auch schon… Ein Bürokrat, das ist ja schon auch ein abwertendes Wort eigentlich… Aber das ist so jemand, der sitzt in seiner Amtsstube jeden Tag und schiebt Akten von links nach rechts. Und eigentlich ist ihm das alles egal. Nein! Wir haben da wahnsinnig viele Leute kennengelernt, die sich Gedanken gemacht haben darum, wie das funktionieren kann, wie das läuft. Die da auch wirklich einen purpose drin sehen in ihrer Tätigkeit. Die sitzen auf dem Amt und haben verinnerlicht, wie ein Landwirt stolz ist, dass er am Ende irgendwie ein Lebensmittel hergestellt hat, so sitzen die da und sagen: "Ich weiß, warum ich das hier tue. Und es ist total sinnvoll, dass ich das tue. Aber ich kann es nicht tun, weil ich in einem Rahmen agieren muss, der das mich nicht machen lässt." Und das fand ich, war krass.

ES: Das führt dann ja auch dazu, dass Leute wie Conny eben tatsächlich auch aufgeben.

FSD: Conny war für mich für der Sonnenschein in der ganzen Recherche, muss ich sagen. Da geht dir echt das Herz auf, ein ganz herzlicher, warmer Mensch und Conny hat auf dem Amt gearbeitet, in Berlin, und kam aber vorher aus der freien Wirtschaft und sie hat eine Hotelausbildung gemacht. Da ist sie halt erstmal reingekommen und hat gedacht: What the fuck, was ist hier los? Und ihre Art, damit umzugehen, war halt, lustige Instagram-Videos mit Filtern zu drehen. Und das ist halt voll durch die Decke gegangen. Und allein das zeigt ja eigentlich wieder, was es bedeutet, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Hunderttausende Menschen ihr folgen und sagen: ja, genau das ist es! Also ihre Comedy besteht darin, funny cause true. Weil die Leute sitzen da, schauen sich das an und sagen: "Ich kenne diese Stereotypen. Ich kenne diese Menschen, und ich kenne diese Problematiken." Und deswegen ist sie erfolgreich damit und sie macht nur noch jetzt diese Comedy-Geschichten und ich Amts-Influencerin. Also sie macht das auch für Ministerien zum Beispiel oder so, dass sie Nachwuchsgewinnung macht oder schreibt Bücher darüber. Und so weiter.

-              Also es fängt immer mit der Prüfung des Windrads an. Macht die Anlage zu viel Lärm?
-              Oder wirft sie vielleicht unerlaubt Schatten?
-              Oh mein Gott, wie bitte?
-              Ist genug Abstand zur nächsten Wohnbebauung? Wird das Ort und Landschaftsbild beeinträchtigt? Sprich: sieht das hässlich aus?
-              Und dann gibt es noch ein paar weitere Genehmigungensschritte. Aber dann geht’s ganz fix!
-              Ganze sieben Jahre im Schnitt.
-              Oder auch mal zehn.
-              Ja aber, der Verwaltungsaufwand hält sich doch schon in Grenzen! Das geht!
-              Genau, ein Antrag für eine einzige Windenenergieanlage füllt in der Regel nur 60 Aktenordner.
-              Peanuts!

Conny mit Voice Filter

VTS: Was ich total interessant fand: Ein Amt wird dann auf sie aufmerksam, und sie hat nämlich früher in der Personalabteilung gearbeitet, in der Bezirksverwaltung in Berlin. Und die nutzen diese Klischees in diesen Clips, um für sich zu werben. Das fand ich irgendwie total interessant, das war so ein full circle moment. Aber Conny wirklich total spannende Geschichte, weil man jetzt natürlich sagen mus, sie hat jetzt nicht wegen der Bürokratie aufgegeben, sondern einfach, weil es dann sich ergeben hat.

FSD: Wobei sie auch, fairnesshalber, sie ist ja auch selbst sogar an der Bürokratie gescheitert. Sie hat, während ihrer Ausbildung war sie fertig, sie war verbeamtet, dann hat sie während ihres Jobs quasi begleitend ein Studium gemacht. Und dann haben die bürokratischen Vorgaben des Landes Berlin… das hab ich jetzt im Detail nicht recherchiert… jedenfalls ist es wohl nicht möglich, wenn du dann während des Jobs studiert hast, als Beamtin in die nächste Stufe aufzusteigen. Sie hätte also kündigen müssen und hätte ihren Beamtenstatus verloren und dann als Normalbeschäftigte hätte sie mit einer höheren Stufe einsteigen können. Und da hat sie dann irgendwann gesagt: "Ey, das kann ja auch nicht sein. Also dann kann ich es auch sein lassen. Dann mache ich halt mein Comedy-Ding." Wenn man vielleicht doch etwas Kritisches dazu sagen will. Das, was  du gerade gesagt hast, Vincent, das ist was, was mich nämlich dann auch beschäftigt hat. Behörden nutzen jetzt ihr funny Image, um für sich selbst Werbung zu machen. Das ist so ein bisschen der Effekt wie bei der Deutschen Bahn: Wir kriegen es nicht geschissen, unsere Probleme zu lösen. Also machen wir uns darüber lustig in unserer Kommunikation, damit die Leute wenigstens lachen, dass es bei uns nicht läuft. Und bei der Deutschen Bahn finde ich, geht das eigentlich schon so richtig auf. Ich gönne es Conny und alles cool. Aber frage mich halt schon, ob das der richtige Weg ist, für die Verwaltung, um Nachwuchs zu gewinnen. Sollen sie lieber ihre Verwaltung richtig hinkriegen und dann eben halt auch als attraktiver Arbeitgeber wieder dastehen.

ES: Nach dieser ganzen Recherche: Was müsste denn aus eurer Sicht passieren, damit Bürokratie sinnvoll auch abgebaut werden kann?

VTS: Es ist fast unauflösbar, scheint es. Ich glaube, eines der großen Probleme ist unsere Mentalität. Also wir bräuchten ein großes Programm, was mal an den Kern unserer Mentalität rangeht und mal fragt: müssen wir wirklich alles ins kleinste Detail runterregeln? Oder gucken wir einfach mal, dass mal ein Gesetz funktioniert? Und wenn dann mal links und rechts ein, zwei Dinge, mal ein paar Klagen kommen, dann besser wir es nach. Ich glaube, das wär ein Punkt. Mit der Digitalisierung - ja, da würde ich sagen, da sind jetzt schon ein paar ganz gute Schritte eingeleitet worden. Mit dem OZG 2.0. Aber am Ende des Tages würde ich sagen, als Formulierung: da muss der Bund mehr Führung übernehmen. Wir müssen da raus aus diesem Klein-Klein. Föderalismus hat seinen Platz, aber da muss es einen einheitlichen Akteur geben, der diese Bürgerdienste entwickelt und koordiniert. Und das fehlt nach wie vor. Das wären erst mal meine Punkte dazu.

FSD: Meine Erkenntnis dieser Recherche war eigentlich die, dass es darum geht, zuzuhören. Und zwar allen Beteiligten, die von Bürokratie betroffen sind. Und das irgendwie mit aufzunehmen. Also, du brauchst die Menschen aus der Bürokratie. Wir haben ja auch mit Unternehmern gedreht. Das wollen wir noch mal in einem extra part betrachten. Wir haben einfach nur in diesem Film gemerkt: das wird zu viel. Wir wollen endlich auch die wirtschaftliche Seite noch mit abbilden. Und die haben auch klare Vorstellungen, was die Umsetzung angeht. Also brauchen wir vielleicht mal solche Teststrecken. Kann ich so etwas ausprobieren? Wir brauchen neue digitale Methoden, damit es funktioniert. Beispiel: Es gibt so einen Zwischenstatus. Wenn du zum Beispiel beim Amt einen Antrag stellst und noch nicht klar ist: Habe ich Anspruch oder nicht, da kann viel Enttäuschung weggenommen werden, wenn es einen Vorab-Check gäbe, digital: Habe ich überhaupt den Anspruch, dann werde ich nämlich nachher nicht gefrustet, wenn der Beamte zu mir kommt und sagt: ja, sorry, du kriegst es nicht. Dann kann ich es vorab schonmal für mich kontrollieren. Also es gibt viele, viele Möglichkeiten und Tools, wo man das eben tun kann und ansetzen kann. Die Sprache vereinfachen. Auch das wäre möglich. Es ist alles da, die Forschung, es liegt da. Es ist ein Weg, den man nur gehen muss. Und ich glaube, dann kannst du tatsächlich Verwaltung auch besser gestalten. Und dann braucht es vielleicht gar nicht mehr das Wahlversprechen vom großen, großen Bürokratieabbau, sondern dann haben wir vielleicht mal eine funktionierende Bürokratie. Die wäre dann durchaus in der Lage, auch viel Gutes zu tun.

ES: Felix Seibert-Daiker und Vincent Tandler-Schneider, danke!

FSD: Danke dir!

VTS: Danke dir!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film "Erdrückende Papierflut - von Bürokratiemonster, Überregulierungen und Schnappatmung" können Sie ab dem 23. Juli in der ARD Mediathek sehen. Kurz danach, am 26.07., erscheint dann auch die nächste Folge dieses Podcasts. Dann wieder mit meiner Kollegin Secilia Kloppmann. Und wenn ihnen "MDR Investigativ - Hinter der Recherche" gefällt, dann können Sie uns einfach in der ARD Audiothek oder auch bei Spotify, Deezer oder Apple Podcasts folgen. Da können Sie dann auch eine Bewertung dalassen in Form von Sternen oder Kommentaren. Und das würde dazu beitragen, dass noch mehr Menschen diesen Podcast finden.

Ich bin dann wieder in einem Monat hier zu hören. Machen Sie es bis dahin gut und bleiben Sie gesund!

Dieses Thema im Programm: MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche | 12. Juli 2024 | 11:30 Uhr

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