MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 27) Podcast-Transkript: Erzeuger unter Druck - wie der Einzelhandel die Preise drückt
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Audiotranskript
Krasse Rabattaktionen, Listungsgebühren um ins Sortiment zu kommen, Regalmieten, Beteiligung an den Kosten für Werbeprospekte … – unfaire Handelspraktiken setzen die Erzeuger von Lebensmitteln unter Druck.
Ein neues Gesetz soll nun verhindern, dass die großen Einzelhändler Lebensmittel unterhalb der Erzeugerpreise erzwingen - doch gelingt das? Im Gespräch: Tim Schulz
Collage Werbeslogans
"Edeka – wir lieben Lebensmittel ... Lidl lohnt sich... mit unseren kleinen Preisen ..nur bei netto... mit unseren günstigen Eigenmarken mit dem leichter besser essen Rewe Markt"
Wir haben heute keine Partnerschaft mit dem Lebensmitteleinzelhandel auf Augenhöhe. Der Lebensmitteleinzelhandel ist so riesig, so mächtig – wir haben ja heute nur noch vier große Lebensmitteleinzelhandels-Konzerne, die eigentlich den Preis bestimmen. Wenn ich als Landwirt den der Preisverhandlungen nicht zustimme, dann werde ich meine Ware nicht los, dann muss ich ja entsprechend mehr einen anderen Kunden suchen. (Olaf Feuerborn., Gemüsebauer, Vorsitzender Bauernverband Sachsen-Anhalt)
Zu den Handelspraktiken gehörte unter anderem, dass die Zahlungen sehr spät erfolgen, das kurzfristig Bestellungen storniert werden, dass sie für die Renovierung einer Filiale zur Kasse gebeten werden oder Abschläge zahlen müssen, wenn die Erträge der Supermarktketten hinter ihren Erwartungen zurückbleiben. (Marita Wiggerthale, Oxfam)
Intro Secilia Kloppmann (SK)
Während Aldi, Lidl, Edeka und Rewe mit Fritsche Qualität und kleinen Preisen werden, kämpfen die Lieferanten dieser Produkte oft ums Überleben. Olaf Feuerborn, Gemüsebauer und Präsident des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt, hat aufgehört, an die großen Einzelhändler zu liefern. Marita Wiggerthale von Oxfam hat sich ganz ausführlich mit den Praktiken beschäftigt, mit denen die großen Ketten ihre Lieferanten unter Druck setzen. Willkommen zum Podcast MDR investigativ hinter der Recherche. Schön, dass sie wieder zuhören. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die Politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks,
Um ein neues Gesetz, das die bisherigen Praktiken unterbinden soll, um Bauern, die für Werbeprospekte und Regale zahlen und dann auch noch Ware unbezahlt zurückbekommen und um die Großen in der Einzelhandelsbranche - darum soll es in dieser Folge gehen, und dazu habe ich mir Tim Schulz eingeladen. Tim hat sich mit einem Kollegen das Anfang Mai verabschiedete Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz angesehen. Das klingt erst mal ein bisschen sperrig, und das klären wir dann auch gleich noch. Was das heißt.. Zunächst aber erst einmal soll es um die Lage der Lieferanten von Agrarprodukten gehen, also Fleisch, Milch, Eier, Gemüse, aber auch von verarbeiteten Lebensmitteln. Denn deren Lage die ist nicht so besonders gut oder?=
Tim Schulz (TS)
Nein. Also zuerst mal muss man sagen, dass Lebensmittel in Deutschland im Vergleich zu den anderen großen Volkswirtschaften in Europa, also zum Beispiel Frankreich oder den skandinavischen Staaten relativ günstig sind. Das gilt vor allem für Grundnahrungsmittel, also Milch, Getreideprodukte, Fleisch. Und das hat natürlich zur Folge, dass die Gewinnspannen in dem Bereich relativ niedrig sind. Also kurz gesagt, kann man damit nicht ganz so viel verdienen. Dazu kommt, dass ein Großteil des Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel über große Konzerne und große Supermarktketten in Deutschland läuft. Das sind letzten Endes vier große Unternehmen, die insgesamt 85 Prozent des Marktes kontrollieren. Und für die Lebensmittelhersteller ergibt das eine schwierige Position, weil einerseits sind die Gewinnspannen niedrig, und sie verdienen halt nicht so wahnsinnig viel. Und gleichzeitig haben sie den Druck der großen Lebensmittelkonzerne auf sich.
SK
Du hast gerade gesagt, die großen Vier, die 85 Prozent des Marktes beherrschen, das sind: Edeka, da gehört zum Beispiel auch Netto dazu. Dann haben wir Rewe, dann haben wir die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland. Und dann haben wir natürlich Aldi. Die haben 2020 zusammen 200 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Das sind riesige Summen und 85 Prozent sagt ja auch einiges aus. Was bedeutet diese Marktmacht?
TS
Das gibt den Unternehmen, also dem Lebensmitteleinzelhandel, eine sehr große Macht. Das haben uns Fachleute, aber auch Betroffene, also Landwirte und Lebensmittelhersteller so gesagt. Das Grundproblem ist, dass es sehr viele Lebensmittelproduzenten in Deutschland gibt, aber nur sehr wenige Abnehmer für deren Produkte, also nur diese vier großen Ketten. Das heißt, wenn ich als Lebensmittelhersteller zum Beispiel nicht d'acore gehe mit den Konditionen oder mit den Preisen, die ein Lebensmittelkonzern mir vorschreibt und anbietet, dann habe ich wenig Ausweichmöglichkeiten. Also es gibt quasi keinen Wettkampf der Lebensmitteleinzelhändler um ihre Lieferanten, sondern es ist genau andersherum. Die Lieferanten kämpfen darum, einen Listenplatz bei den großen Lebensmittelhandelskonzern zu bekommen. Das wissen die Supermarktketten natürlich und können entsprechend die Preise drücken und diese unfairen Handelspraktiken anwenden. Das ist ein wachsendes Problem, das kommt noch dazu. Die großen Konzerne werden immer größer und fusionieren oder schlucken kleinere Konzerne und Unternehmen, dass es zum Beispiel jetzt gerade der Fall da werden. Die Real-Märkte werden von Globus und Edeka hauptsächlich übernommen. Und auch von Kaufland also, die großen Handelskonzerne, die sowieso schon marktbeherrschend sind, wachsen. Weitere kleinere verschwinden.
SK
Es geht ja in dem in dem Gesetz, was im Mai verabschiedet worden ist, vor allen Dingen um die unfairen Handelspraktiken. Ganz konkret was, was muss man sich darunter vorstellen?
TS
Ja, also, es gibt eine sehr große und eine sehr breite Palette an verschiedenen Handelspraktiken, die die großen Lebensmittelkonzerne regelmäßig auch gegenüber den Lieferanten anwenden. Ich muss dazu aber auch sagen, dass das, was wir so rausgefunden haben, das stützt sich hauptsächlich auf die Aussagen von den Lebensmittelherstellern. Wir selber konnten das eigentlich kaum nachprüfen, weil diese ganzen Verträge Liefervereinbarungen, die geschlossen werden zwischen Einzelhandel und den Herstellern unterliegen dem Geschäftsgeheimnis. Ein Klassiker, was die Handelspraktiken angeht, das sind die sogenannten Listungsgebühren. Das bedeutet im Prinzip, um als Lebensmittelhersteller überhaupt ins Sortiment zu kommen, muss man pro Produkt zwischen 2000 und 5000 Euro an die Lebensmittelkonzerne bezahlen - einmalig. Es gab wohl auch Folge Listungsgebühren, also regelmäßigere Listungsgebühren, die wurden aber mit dem Gesetz verboten. Das geht oft noch mit Regalmieten einher. Das heißt, dass man als Hersteller, wenn man eine prominentere Position im Regal haben will - also zum Beispiel auf Augenhöhe - dann muss man regelmäßig bis zu fünfstellige Beträge bezahlen. Sozusagen einfach, damit man überhaupt erst mal in der prominenten Regal-Platzierung ist. Weiter oben kostet Extrageld - da, wo der Kunde er zugreift. Und dabei entsteht oft diese paradoxe Situation, dass die Lebensmittelhersteller im Prinzip die Lebensmitteleinzelhändler dafür bezahlen, damit diese ihre Produkte vermarkten. Also du bezahlst als Hersteller den Kunden nicht andersrum, wirkt natürlich erst mal sehr paradox, ist aber eine sehr weit verbreitete Praktik. Das sind im Prinzip unternehmerische Kosten, die die Lebensmitteleinzelhändler an ihre Lieferanten abwälzen. Also zum Beispiel gibt es da die sehr beliebten Werbekostenzuschüsse. Nehmen wir mal an, einer von den großen Lebensmitteleinzelhändlern fährt eine neue Werbekampagne, legt eine neue Website auf druckt eine Broschüre. Das müssen ganz oft die Lieferanten maßgeblich mittragen, finanziell. Und das geht schnell in den fünf bis sechsstelligen Bereich. Dazu muss man sagen, dass die, dass viele Lebensmittelhersteller neben den großen Konzernen, die es auch in Deutschland gibt, also zum Beispiel Nestle, dass da viele mittelständische Unternehmen dabei sind, die nur, geringere Millionenbeträge als Jahresumsatz haben. Und da reißt so ein sechsstelliger Betrag, ein großes Loch in die Bilanz rein. Neben den Werbekosten werden zum Beispiel auch Lagerungskosten, Renovierungskosten, bestimmte Verwaltungskosten mit abgewälzt. Das sind hat eigentlich alles Kosten, die dem unternehmerischen Risiko der Handels-Unternehmen unterliegen, nicht dem der Lieferanten. Dann gibt es noch die bekannten Rabattaktionen. Ich glaube, das ist das, was man als Kunde am ehesten auch noch mitbekommt. Also wenn bestimmte Produkte im Angebot sind. Auch saisonale Produkte, haben uns Bauern so berichtet. War es früher oft so, dass zum Beispiel wenn das Wetter gepasst hat , die Erdbeeren gewachsen sind und es war mehr Ware da, als ursprünglich geplant. Dann hat man eine Vereinbarung geschlossen, von der beide Seiten profitiert haben. Also die Supermärkte haben mehr Ware abgenommen, und die Preise wurden ein bisschen verringert, einfach damit der Kunde in dieser überschüssige Ware kauft. Heute ist es aber oft andersrum. Die Supermärkte fordern im Prinzip eine Rabattaktion ein, egal ob das die Produktion gerade hergibt, was zur Folge hat, dass bei gleicher Menge an Produkten der Preis trotzdem gedrückt wird und letzten Endes der Landwirt viel weniger Umsatz macht. Und eine Sache, die mich persönlich schockiert hat, waren teilweise horrende Liefer-Strafen. Bei den Liefervereinbarungen werden Lieferzeitpunkte ausgemacht. Und wenn die teilweise auch nur um wenige Minuten überschritten werden, dann kann es bis zu 100 Prozent der gelieferten Waren als Strafen nach sich ziehen. Ein Lieferant hat uns berichtet, dass bei einer viertelstündigen Verspätung bei der Anlieferung, also der Lkw des Lieferanten war eine Viertelstunde zu spät an der Warenannahme im Markt. Es hat einen hundertprozentigen, sozusagen 100-prozentige Strafzahlungen nach sich gezogen. Im Prinzip hätte der umsonst geliefert. Er hat gesagt, man kann das dann teilweise noch durch andere Vereinbarungen abfedern. Aber im Großen und Ganzen versuchen die Supermärkte dann teilweise sogar Warenlieferungen umsonst abzugreifen. Und das sind natürlich massive Kosten, wir reden ja von einer Lkw-Ladung von verschiedenen Gütern. Da reden wir zwischen 20 und 30.000 Euro, je nachdem, was für ein Produkt da drin ist. Neben diesen massiven Liefer-Strafen ist ein weiteres Problem, die kurzfristige Stornierungen von Lieferungen. Das betrifft vor allem Produzenten von verderblicher Ware, also zum Beispiel Landwirte. Und da kann es sein, dass innerhalb von wenigen Tagen eine Lieferung von zum Beispiel Gemüse storniert wird. Auch da waren Werte zwischen 15 und 30.000 Euro, die natürlich als verderbliche Ware keinen anderen Abnehmer mehr finden. Also, Herr Feuerborn zum Beispiel hat erzählt, ihm wurden regelmäßig Warenladungen an Radieschen zurückgegeben. Das sind dann 15.000 Euro, die der wegschmeißt.
Die Problematik zum einen ist dieses Finanzgebaren. Wenn ich heute Waren liefere, dass ich also in drei Monaten mein Geld kriege. Das trifft uns heute ganz enorm, weil wir die Margen einfach nicht mehr haben, um es vorfinanzieren zu können. Dann wird an der Qualität rumgemosert. Und dann wird die Ware reklamiert, kommt zurück - das sind finanzielle Einbußen. Da kommt dann eine ganze Wagen-Lieferung zurück, das kann bis zu 20.000 Euro Produkt-Verlust sein. ( Olaf Feuerborn, Gemüsebauer)
SK
Olaf Feuerborn, der spricht ja relativ offen, finde ich. Ist er da eher die Ausnahme?
TS
Olaf Feuerborn ist die absolute Ausnahme. Das liegt hauptsächlich daran, dass er schon seit einigen Jahren nicht mehr direkt an den Lebensmitteleinzelhandel liefert, sondern an verarbeitende Unternehmen und seine Ware auch direkt vermarktet. Also er hängt nicht mehr von der Gunst der vier großen Player auf dem Markt ab. Deswegen spricht er offen drüber. Wäre das anders, würde er wahrscheinlich nicht offen von einer Kamera darüber sprechen. Eben weil naja, die großen Handelskonzerne so ein nonkonformistisches Verhalten gern abstrafen. Das wurde uns von vielen Unternehmern gesagt. Und damit meine ich nicht nur ein Gespräch mit der Presse über das Problem, sondern zum Beispiel auch schon wie soll ich sagen eine renitente Haltung in den Preisverhandlungen. Also wenn ich als Hersteller zu sehr auf einen bestimmten Preis oder bestimmte Kondition bestehe, dann wird das oft abgestraft, indem ich zum Beispiel aus dem Sortiment Fliege oder Teile meiner Produkte aus dem Sortiment genommen werden. Also es gibt auch so ein bisschen so „Zuckerbrot und Peitsche“ in der Branche.
SK
Das heißt, ihr habt jetzt als Betroffenen nur mit ihm gesprochen. Wie viele habt ihr versucht zu erreichen?
TS
Also ich habe mit mehr als zwei Dutzend verschiedenen Verbänden gesprochen. Mit Unternehmern selber weniger, weil natürlich das Thema ein relativ heißes Eisen ist und so aus der kalten angerufen dazu niemand was sagen möchte. Selbst die Verbände ...
SK
Den könnte es ja eigentlich egal sein, den Verbänden, weil am Ende sind die ja keine Einzelunternehmen. Und trotzdem haben die nicht geredet..?
TS
Die Verbände haben schon geredet. Aber es möchte niemand zitiert werden, weil man sich natürlich auch vor gewissen Strafaktionen fürchtet. Aber an die direkt Betroffenen zu kommen, ist halt sehr, sehr schwierig. Ich habe versucht, über die Verbände sozusagen jemanden aus diesen Verbänden zu gewinnen für ein Interview. Und das hat sich sehr, sehr schwierig gestaltet. Olaf Feuerborn war eine Ausnahme. Ansonsten haben die Leute gerne über das Thema hinter vorgehaltener Hand gesprochen, aber direkt zitiert werden möchte niemand.
SK
Aber beißt sich da nicht auch so ein bisschen die Katze in den Schwanz? Also wenn ich die ganze Zeit darunter leide, aber es auch nicht öffentlich mache, dann kann der andere ja mit mir machen, was er will...?
TS
Ja, das ist total schwierig, also gerade für die mittelständischen Unternehmen. Es gibt relativ geringe Gewinnspannen im Bereich der Lebensmittelproduktion. Und das heißt, dass die finanziellen Polster nicht groß sind. Gleichzeitig müssen aber die Unternehmen immer weiter auf Masse setzen, weil die Preise sinken. Was heißt, sie müssen weiter investieren. Und einer von unseren Gesprächspartnern hat es jetzt einen sehr bildlich beschrieben in meinen Augen: Er ist im Hamsterrad, also er ist quasi immer gezwungen, die Flucht nach vorne anzutreten, immer weiter zu investieren. Und sollte er jetzt aus dem Sortiment fliegen, wäre das natürlich absolut ruinös, auch weil er natürlich immer mehr Investitionskosten auf sich nimmt. Also diese Gefahr einzugehen, den Kunden zu verlieren, also ausgelistet zu werden von den großen Handelskonzernen. Das ist im Prinzip ein Spiel mit einem Bankrott. Und das will, glaube ich, niemand eingehen mit einer öffentlichen Kritik zum Beispiel.
SK
Wir reden ja eigentlich über die Neuerung des Gesetzes. Früher hieß das Agrarmarkt-Strukturgesetz. Jetzt heißt es Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz. Sperriger Name. Wird denn jetzt alles gut mit dem neuen Gesetz?
TS
Jein. Das Gesetz ist ein erster Schritt. Deutschland hat ja im Prinzip auch nur die Vorgaben der EU umgesetzt. Weitestgehend, es vielleicht ein ganz kleines bisschen über das Ziel hinausgeschossen, dass die EU gesetzt hat, aber jetzt auch nicht wirklich relevant viel. Es wurden einige Handelspraktiken verboten, zum Beispiel die kurzfristige Stornierungen, von denen ich vorher gesprochen habe, die zum Beispiel auch Olaf Feuerborn sehr betroffen haben oder das Zurückschicken von gekaufte Ware, Lagerkosten und auch lange Zahlungsfristen. Das sind alles so Themen, die wir oft in unserer Geschichte gehört haben. Aber das ist nur ein Bruchteil von den eigentlichen Handelspraktiken, die es wirklich gibt auf dem Markt. Was sicherlich auch lobenswert ist, ist die Einrichtung einer anonymen Beschwerdestelle. Das sollte ursprünglich beim Bundeskartellamt angesiedelt werden, ist jetzt aber bei der sogenannten Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das ist eine Behörde, die dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellt ist. Dort können sich Hersteller oder Verbände anonym beschweren über bestimmte Handelspraktiken, denen dann die Bundesland die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nachgehen kann. Die kann auch Bußgelder aussprechen.
SK
Also es gibt richtig festgesetzte Bußgelder für bestimmte Handelspraktiken. Wenn die trotzdem weiter angewandt werden?
TS
Es können Bußgelder bis zu 750.000 Euro verhängt werden.
SK
Das ist eine Dreiviertelmillion … ist die Frage, ob das für einen Aldi viel ist oder nicht, wenn der 32 Milliarden macht im Jahr?
TS
Nein, also Experten haben uns gesagt, dass sie das für Peanuts halten. Das ist keine abschreckende Strafe für die Lebensmitteleinzelhändler. Man muss das ins Verhältnis setzen. Es gibt auch das sogenannte Anzapfverbot im Kartellrecht, das besagt, dass bestimmte Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung nicht dazu aus nutzen dürfen, um so was wie unfaire Handelsbedingungen zu schaffen. Es ist alles ein bisschen schwammig formuliert und wird eigentlich vom Bundeskartellamt überwacht. Und da sind die Höchststrafen bei bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes, also bei einem Unternehmen, das 65 Milliarden Euro im Jahr umsetzt, ist das deutlich mehr als 750.000 Euro. Das Problem ist bloß - da läuft es nicht anonym. Wenn ich mich als Hersteller beim Bundeskartellamt beschweren will über eine über eine unfaire Handelspraktik, dann muss ich das irgendwann unter meinem eigenen Namen tun. Und das ist natürlich im Prinzip für viele ein wirtschaftlicher Selbstmord.
SK
Ja, dann war es das auch für mich als Lieferanten auf jeden Fall. Es gab ja eine EU-Richtlinie für dieses Gesetz. Das heißt, so richtig von sich aus hat Deutschland das nicht gemacht?
TS
Nein, also die EU hat im April 2019 die sogenannte UTP-Richtlinie erlassen. Und die setzt im Prinzip alles fest, was die Deutschen noch umgesetzt haben. Also diese Beschwerdestelle ist in diesem Gesetz benannt. Die bestimmten bestimmte Handelspraktiken sind in einem Katalog aufgeführt, die Bußgelder … das sind alles im Prinzip Vorgaben aus Brüssel, die auch rechtlich bindend sind. Also Deutschland musste dieses Gesetz erlassen. Auch übrigens waren wir relativ spät dran damit. Also wir waren nicht unbedingt Vorreiter. Zumal man auch sehen muss, dass andere europäische Länder deutlich früher Gesetze erlassen haben. Auch ohne den Druck aus Brüssel. Frankreich zum Beispiel hat schon im Februar 2019 ein Gesetz gegen Preisdumping im Lebensmitteleinzelhandel erlassen. Das ist jetzt auch nicht die absolute Wunderlösung im Vergleich zu dem, was bei uns passiert. Aber es ist zumindest aus eigener Initiative heraus entstanden. Interessant an dem französischen Gesetz ist, dass im Prinzip die Lebensmitteleinzelhändler ihre die Produkte, die sie einkaufen, mindestens zehn Prozent teurer als der Einkaufswert verkaufen müssen. Also sie können keine ganz krassen Rabattaktionen mehr fahren, wo sie zum Beispiel zwei Produkte zum Preis von einem rausgeben und damit mit Preisdumping Kundschaft in den Markt locken. Das war so gedacht, dass man damit im Prinzip verhindert, dass die Preise immer weiter nach unten getrieben werden für die Erzeuger. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass es hauptsächlich auf Kosten der Konsumenten lief, also diese zehn Prozent, die es teurer wurde haben letzten Endes die Käufer getragen.
SK
Eines der zentralen Probleme ist ja vor allen Dingen, dass es die großen Einzelhändler darauf anlegen, Erzeugnisse unter den Erzeugerpreisen zu kaufen. Und das ist ja eigentlich eine der zentralen unfairen Handelspraktiken. Wird es denn jetzt eigentlich verhindert?
TS
Nein, also ich würde sagen, man kann sich das so vorstellen, dass die unfairen Handelspraktiken sozusagen ein Instrument sind, um das Ziel zu erreichen, dass man möglichst niedrige Einkaufspreise im Lebensmitteleinzelhandel hat. Also dass der Preis, den ich als Einzelhändler, dem Landwirt oder dem Hersteller zahle, möglichst niedrig ist. Das Problem mit dem Einkauf unter den Produktionskosten ist, sehr weit verbreitet in der Branche. In bestimmten Sektoren, zum Beispiel in der Milchwirtschaft, ist das eigentlich der Regelfall, das zumindest das, was wir so aus den Verbänden gehört haben. Und das ist absolut ruinös, weil ein Unternehmen muss trotzdem irgendwie Umsatz machen. Auch in anderen Bereichen, gerade bei der Produktion von Handelsmarken, also Eigenmarken, so etwas wie JA klassik, produzieren die Hersteller ganz oft nur auf Kostendeckung. Also die kriegen gerade so ihre Fixkosten und ihr Personal davon bezahlt. Das Gesetz verhindert das eigentlich nicht, muss man so klar sagen. Einzelne Handelspraktiken werden verboten. Aber es gibt keinen umfassenden Mechanismus, der die Einkaufspreise kontrolliert oder der dafür sorgt, dass dieser Wettkampf nach unten nicht mehr stattfindet. Da werden im Prinzip auf ein Riesenloch ein paar kleine Pflaster geklebt, würde ich sagen.
SK
Die Hilfs und Entwicklungsorganisation hat eine Liste von über hundert solcher unfairen Handelspraktiken zusammen gestellt. Oxfam geht es vor allem um die Sicherung von Existenzgrundlagen - von Erzeugern weltweit. Oxfam hätte gern eine Generalklausel in das Gesetz gehabt – aber das wurde abgelehnt.
Es bleiben aber so viele Schlupflöcher, und für den Supermarktketten ist ein leichtes, die bestehenden Verbote zu umgehen, sodass sich für die Lieferanten am Ende nichts ändern wird und das neue Gesetz Edeka, Rewe, Lidl und Aldi kaum Schranken setzen. (Marita Wiggerthale, Oxfam)
SK:
Was meint sie damit, die Frau Wiggerthale, dass es da kaum Schranken gibt?
TS
Die Lebensmitteleinzelhändler, sind sehr kreativ dabei, neue Handelspraktiken sozusagen zu konzipieren und zu erfinden. Dass heißt, wenn ich jetzt nur einen sehr kleinen sehr eng begrenzten Katalog an Handelspraktiken habe, dann werden die Lebensmitteleinzelhändler keine großen Probleme haben, einfach im Prinzip Ersatz Konzepte zu entwickeln. Es gibt eine von Oxfam herausgegebene sogenannte Knebel-Liste. Da werden 100 dieser Handelspraktiken aufgeführt, und viele davon gleichen sich oder sind sehr ähnlich. Also da gibt es zum Beispiel bei einem Unternehmen gibt es eine Lagerführungsgebühr. Bei dem einen oder dem anderen gibt es eine EAN, also so eine Art Scan-Code Gebühr. Also es gibt verschiedene Konzepte, die einfach andere Namen tragen. Und das ist natürlich in Kombination mit dem Fakt, dass die großen Lebensmittelkonzerne auch sehr große Rechtsabteilungen haben. Mit einem geschulten Juristen und Einkäufern, zeigt das einfach, dass das Gesetz nur an sehr vielen, also seinen kleinen, ein einigen kleinen Stellen sozusagen was repariert, aber das Gesamtsystem nicht wirklich angegriffen wird.
SK
Inwieweit besteht denn eigentlich die Gefahr für europäische Erzeuger, dass die Ketten dann zum Beispiel auf Nicht-EU-Staaten aus weichen als als Lieferanten?
TS
Also die Gefahr ist natürlich nach wie vor gegeben. Das neue Gesetz gilt allerdings auch für Unternehmen aus dem EU-Ausland und auch aus dem außereuropäischen Ausland. Also in dem Moment, in dem ich als Hersteller oder Erzeuger an den deutschen Lebensmitteleinzelhandel liefere, habe ich Zugang zu diesem Gesetz, habe ich Zugang zum Schutz.
SK
Wir reden ja hier die ganze Zeit immer über die über die großen Vier und deren deren Macht. Also Lidl, Aldi, Rewe, Edeka... Wie stehen die denn eigentlich selbst zu diesem neuen Gesetz? Und was sagen die zu diesen Vorwürfen?
TS
Also, die Lebensmitteleinzelhändler standen dem Gesetz von vornherein kritisch gegenüber. Der Handelsverband Deutschland, die größte Lobbyorganisation und Vertreter der Lebensmitteleinzelhändler, hat sich von vornherein kritisch bei der Entstehung des Gesetzes eingeschaltet. Es gab da Ausschussanhörungen und verschiedene Gutachter waren da dabei. Auch Frau Wiggerthale war da dabei. Und da hat ein Vertreter des Handelsverbandes versucht, das Ganze ein bisschen zu entschärfen und abzuschwächen, weil natürlich eine Regulierung der Branche für die Branche selber nicht so wirklich gewollt ist.
SK
Und was ist mit diesen Vorwürfen? Also alles das, worüber wir gerade gesprochen haben, also zum Beispiel Regalmieten, Listungsgebühren, verspätete Zahlungen...
TS
Ja, also die Lebensmitteleinzelhändler versuchen, das Problem konsequent kleinzureden. Edeka zum Beispiel behauptet, dass diese Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sein und pauschal seien. Aldi sagt, dass es Einzelfälle sind, die durchaus stattfinden, aber denen man konsequent nachgehe, auch versucht zu unterbinden. Es gibt keine wirklich konsequente Beschäftigung mit dem Thema. Das ist natürlich auch gar nicht gewollt, weil diese Handelspraktiken natürlich auch zentral sind für die Einkaufspolitik der großen Lebensmitteleinzelhändler. Generell brüsten sich die Unternehmen damit, vertragstreu zu sein, sich also an das Vertragsrecht in Deutschland zu halten. Und das stimmt auch zum Teil. Denn viele dieser Handelspraktiken sind eigentlich legal. Sie sind bloß unmoralisch und unfair für viele Beobachter und auch für die Betroffenen
SK
.. zumal die Erzeuger das wahrscheinlich auch alles unterschreiben unter dem Zwang, indem sie sind. Oder?
TS
Genau. Also ich habe ja angesprochen, dass man beim Kartellamt auch durchaus Beschwerde einlegen kann. Das macht natürlich kaum jemand weil es, große wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen würde. Genau damit brüstet sich aber auch der Lebensmitteleinzelhandel, der dann sagt, man kann ja Beschwerde einlegen. Das tut bloß niemand. Also muss ja alles gut sein.
SK
Da sind wir auch ein bisschen bei dem Thema Lebensmittelpreise. Da gibt es zum Beispiel den Vorwurf, den hat auch der Herr Feuerborn gemacht. Naja, die Lebensmittel in Deutschland, die sind zu billig. Und der deutsche Verbraucher, der ist zu wenig bereit, mehr zu zahlen. Glaubst du denn das, wenn jetzt die Verbraucherpreise höher wären, dass das dann auch wirklich bei den Erzeugern ankommt? Also ich bin da ein bisschen skeptisch. Ich habe das Gefühl, vielleicht macht es dann nur die Gewinne der Platzhirsche nur noch größer...?
TS
Ja, diese Gefahr ist durchaus gegeben. Man muss natürlich sagen,das ist eine sehr komplexe juristische Frage ist oder eine wirtschaftspolitische Frage.
Letzten Endes geht es da ganz oft um Statistik und und Rechnereien. Man muss aber sagen, dass das sehr auf auf den gesetzlichen Mechanismus ankommt, auf das Land, ob es ein Gesetz gibt, wie in Frankreich. Dort hat man ja ein Gesetz, das die Preise so ein bisschen reguliert, aber auch da hat es dazu geführt, dass eher die Preise für den Verbraucher steigen und für den Erzeuger jetzt nicht wirklich steigen, aber zumindest die ganz krassen, ganz krassen Dumpingpreise zumindest verschwinden. Das ist erst einmal gut. Es gibt auch Beispiele in Italien oder Spanien .. aber ich würde sagen, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Die Versuche, das Ganze ein bisschen zu regulieren, werden immer versucht zu unterlaufen von den Lebensmitteleinzelhändlern. Wie setzt sich fest, was ein fairer Preis ist? Das ist ja eine grundlegende Frage. Gehe ich von den Produktionskosten aus? Wie reguliert man das? Gerade Preisregulierung ist ja ein sehr heißes Thema in einer freien Marktwirtschaft. Deswegen ist es, glaube ich, sehr, sehr schwierig, da einen fairen Kompromiss zu finden.
SK
Ich habe mir auch gefragt, wie ist das als Verbraucher? Am Ende stehen Produkte mit einem bestimmten Preis im Regal. Ich hab mal geguckt, fand es ganz interessant: Im Mai 2020 haben die Handelsketten bei den Molkereien den Preis pro Kilo Butter um 84 Cent gesenkt . Damit lag die so genannte amtliche Notierung pro Kilo Butter bei 2,72 Euro und beim Discounter hat das Stück Butter, das sind 250 Gramm so 1,25 Euro gekostet. Jetzt, jetzt ist es wieder gestiegen. Stand jetzt kostet dieser, ist dieser Preis pro Kilo bei 3,75 Euro bis 4 Euro und bei Aldi - habe das gerade noch einmal gecheckt - kostet das Stück Butter der Handelsmarke jetzt 1,49 Euro. Ich könnte jetzt gar nicht mehr zu Aldi gehen. Das wäre die Alternative. Aber was ich sagen, ich habe als Verbraucher gar nicht so großen Einfluss darauf, zu welchem Preis die Produkte im ist gerade der Milchpreis?, wie ist gerade der Getreidepreis, der Kaffeepreis? - damit ich zum Beispiel auch guten Gewissens sagen kann. Okay, das erscheint mir ein fairer Preis für dieses Produkt.
TS
Da habe ich leider auch keine Lösung zu. Aber du hast das Problem mit der Handelsmarken jetzt zum Beispiel angesprochen. Also das, was ist mir jetzt öfter bei den Recherchen auch über den Weg gelaufen ist. Das Problem, dass gerade die Eigenmarken im Prinzip die wirtschaftliche Bedrohung für die Hersteller sind, weil es sind oft Kopien von ihren eigenen Produkten. Das ist sozusagen eine Kopie von innovativen Lebensmittelprodukten, die dann günstiger angeboten wird. Ein Hersteller hat mir zum Beispiel gesagt, dass sei im Prinzip so, als ob der eigene Kunde einen verarschen würde. Das Problem ist, glaube ich, dass man, wenn man dem Konsumenten jetzt die Verantwortung gibt, einfach vernachlässigt, dass das ein politisches Problem ist. Die Lebensmittelpreise sind niedrig, weil es so gewollt ist. Das ist eine politische Maßgabe letzten Endes, und das muss auch von der Politik kontrolliert werden. Der Konsument kann sicherlich seinen Beitrag leisten, indem er vielleicht auf Handelsmarken verzichtet oder vielleicht auch versucht, beim Bauern direkt einzukaufen. Aber das ist natürlich auch unrealistisch, dass der normale arbeitende Mensch in Deutschland zu verschiedenen Bauernhöfen fährt. Und würden jetzt gesetzliche Vorgaben entstehen, die wirklich die dieses Preisdumping verhindern, dann würden die Preise auch für den Konsumenten steigen. Das muss man, glaube ich, so ehrlich auch sagen.
SK
Klar. Aber man könnte natürlich auch Mindestpreise für Grundnahrungsmittel festlegen...
TS
Ja, das könnte man im Prinzip. Das ist aber laut Experten aus dem Handelswirtschaft und Agrarbereich gar nicht so einfach. Gerade bei der Landwirtschaft reden wir von vielen biologischen Prozessen, vom Wetter und et cetera pp, dass da eine Rolle spielen. Und das bringt natürlich auch Preisschwankungen mit sich. Zumal es auch sehr schwierig ist, überhaupt festzulegen. Was ist ein fairer Preis? Was ist ein Durchschnittspreis? Das ist ja eine riesige Mengen an Daten, die zusammenlaufen müssen, die analysiert werden müssen. Ich glaube, das ist eine sehr komplexe wirtschaftspolitische Frage, die man gar nicht so einfach mit einfachen Lösungen lösen kann.
SK
Jetzt hast du dich ja ganze Weile mit diesem Thema beschäftigt. Gehst du jetzt anders Einkaufen eigentlich im Supermarkt?
TS
Also wenn ich ehrlich bin, nein. Also ich versuche das schon und man sieht natürlich die Produkte mit anderen Augen, wenn man sich so lange damit beschäftigt hat und auch einen Blick hinter die Kulissen geworfen hat. Gerade viele von diesen Handelspraktiken erkennt man als Verbraucher gar nicht - abgesehen von den krassen Rabattaktionen. Ich versuche auf Handelsmarken zu verzichten, einfach weil mir das so oft angetragen wurde. Das ist ein Prinzip. eines der Hauptprobleme. Aber ich habe natürlich auch keine Illusion, dass das jetzt die Lösung für das Problem ist. Ich glaube, als Konsument hat man da nur eine sehr begrenzte Macht. Und ich glaube es muss eine politische Lösung geben. Letzten Endes liegt das Problem mehr viel tiefer, nämlich in einer großen Marktkonzentration, min dem Oligopol der großen Lebensmitteleinzelhändler. Und dann kann ich als Konsument nicht viel ändern.
SK
Das ist leider das Fazit. Was wir ziehen müssen aus dieser Geschichte herzlichen Dank, Tim Schulz
Das war Folge 27 unseres Podcasts MDR INVESTIGATIV Hinter der Recherche. Alle Folgen im Überblick finden Sie auf mdr.de/investigativ-podcast und natürlich auch bei Spotify, Apple, Youtube und überall da wo sie ihre Podcasts am liebsten hören. Über Feedback, Anregungen, Bewertungen, Kritiken – freuen wir uns
In zwei Wochen ist dann hier wieder meine Kollegin Esther Stephan dran. Wir hören uns in 4 Wochen wieder. Bis dahin – machen Sie's gut.
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