MDRfragt MDRfragt-Mehrheit hat kein Verständnis für Streiks der Lokführer

16. November 2023, 05:00 Uhr

Lokführer legen die Arbeit nieder, im öffentlichen Dienst und Einzelhandel sind Streiks angekündigt: Für zwei Drittel der MDRfragt-Mitglieder sind Streiks als Druckmittel im Tarifstreit grundsätzlich in Ordnung. Wer wie die Lokführer aber häufiger, länger und in den Ferien streikt, verspielt offenbar Sympathien. Nur vier von zehn Befragten haben Verständnis für die aktuellen Streiks bei der Bahn. An der aktuellen Umfrage haben 23.500 Menschen aus ganz Mitteldeutschland teilgenommen.

Pierre Gehmlich
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Die Lokführer-Gewerkschaft GDL mit ihrem Chef Claus Weselsky macht mit Warnstreiks Druck und fordert deutlich höhere Löhne und eine Senkung der Wochenarbeitszeit. Auch im öffentlichen Dienst und im Einzelhandel gab es in den vergangenen Tagen Streiks. Weitere Arbeitsniederlegungen sollen laut der Gewerkschaften auch in diesen Branchen folgen.

Zwei Drittel haben grundsätzlich Verständnis für Streiks in Tarifverhandlungen

Dass es in Tarifstreits mit Arbeitgebern zu Streiks kommt, dafür haben 69 Prozent der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, Verständnis. Jens (50) aus Jena bringt es beispielsweise so auf den Punkt: "Ich habe Verständnis für alle Beschäftigte, die streiken. Tarif gibt's nur aktiv!" Ähnlich argumentiert Lutz (60) aus dem Salzlandkreis: "Ohne Gewerkschaften und Streik würden die Arbeitgeber nichts anbieten, gar nichts." Jedes dritte MDRfragt-Mitglied (30 Prozent) spricht sich dagegen tendenziell eher gegen Streiks aus. Aus Sicht dieser Befragten sollten Tarifverhandlungen auch ohne Arbeitsniederlegungen möglich sein.

Verständnis für Streiks als Arbeitsmittel
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...aber kaum für Lokführer

Für Streiks der Lokführer haben in der aktuellen Umfrage nur 41 Prozent der MDRfragt-Teilnehmer Verständnis. Diese haben ihre Sympathien offenbar bei einem großen Teil der Befragten mittlerweile verspielt. Ähnlich sieht das Stimmungsbild aus, wenn es um Streiks im öffentlichen Dienst geht: Nur 44 Prozent der Befragten unterstützen diese.

Streiks in einzelnen Branchen - großes Verständnis
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Angestellte im öffentlichen Dienst gehörten jetzt schon zu den Besserverdienenden, findet Ursula (64) aus Leipzig: "Es gibt keinen Grund, derartige Steigerungen zu verlangen. Meine Schwester ist Lehrerin, sie hat ein wesentlich höheres Gehalt als ich in einer gehobenen Tätigkeit in der freien Wirtschaft."

MDRfragt - Ihr Standpunkt: Bahnstreik 9 min
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Die Fachkräfte im Einzelhandel liegen beim Thema Sympathien eindeutig vorne. Eine große Mehrheit der Befragten (72 Prozent) hat Verständnis, wenn in dieser Branche Beschäftigte die Arbeit niederlegen. "Wenn der Einzelhandel streikt, habe ich Ausweichmöglichkeiten. Wenn aber die Bahn streikt, fühle ich mich als Bahnkunde in Geiselhaft", begründet Barbara (73) aus Suhl ihre Sicht.

Sympathien für Pflegekräfte

Auffällig viele Kommentare zu den Ergebnissen der aktuellen Umfrage beschäftigten sich mit der Situation von Menschen, die in der Pflege arbeiten. Für diesen Bereich hat die Gewerkschaft Verdi im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes der Länder bereits Streiks für Ende November angekündigt. Zahlreiche, vor allem ältere Befragte äußern in ihren Kommentaren große Sympathie für Pfleger, die aus ihrer Sicht bei bisherigen Lohnverhandlungen eher zu kurz gekommen sind. Holger (64) aus dem Landkreis Harz findet: "Streik bei Pflegepersonal ist für mich verständlich. Im öffentlichen Dienst oder bei der Bahn grenzt es nach meiner Ansicht an Maßlosigkeit." Und Gisela (75) aus dem Landkreis Zwickau fragt: "Wo ist das schichtarbeitende Pflegepersonal?" Christine (72) aus dem Vogtlandkreis ergänzt: "Die Einzigen, bei denen ich Verständnis habe, sind Pflegekräfte. Diese müssen tatsächlich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch schwer arbeiten.
Dafür sollten diese entsprechend entlohnt werden."

Die nicht-repräsentativen, aber gewichteten und wissenschaftlich begleiteten Ergebnisse von MDRfragt zeigen aber auch: Für knapp die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer (47 Prozent) wird in Deutschland generell zu oft gestreikt. Anton (59) aus Dresden findet, Streiks sollten immer das letzte Mittel sein: "Vorher sollten die Tarifparteien mit mehr Kompromissbereitschaft versuchen, eine Einigung zu erreichen."

Streiks sollten 'letztes Mittel' sein. Vorher sollten die Tarifparteien mit mehr Kompromissbereitschaft versuchen, eine Einigung zu erreichen.

MDRfragt-Teilnehmer Anton (59) aus Dresden

Die wichtigsten Ergebnisse zum Nachschauen

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Do 16.11.2023 16:41Uhr 05:09 min

https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/video-773812.html

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Wenig Verständnis, wenn bewusst in Ferien oder zu Weihnachten gestreikt wird

Die aktuelle Umfrage zeigt auch deutlich, dass die Akzeptanz von Streiks stark von ihrer Länge und auch dem jeweiligen Zeitpunkt abhängt. Bei knapp zwei Drittel der MDRfragt-Teilnehmer (64 Prozent) schwindet das Verständnis für die Anliegen der Streikenden, wenn diese über einen längeren Zeitraum die Arbeit niederlegen oder das häufiger hintereinander tun. Um den Druck auf Arbeitgeber zu erhöhen, wählen Gewerkschaften immer wieder auch bewusst „fiese" Zeitpunkte für Streiks. Das können Sommer- oder Herbstferien sein, in denen von Bahnstreiks sehr viele Reisende betroffen sind. Im Einzelhandel sind die Wochen des Weihnachtsgeschäfts Zeiten, die der Öffentlichkeit besonders schaden. Aus Sicht einer Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmer (60 Prozent) ist die Verhältnismäßigkeit dann nicht mehr gegeben, wenn Streikende mit Absicht solche Zeiten für ihre Aktionen wählen.

Verständnis für Streiks schwindet wenn sie ...
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MDRfragt-Mitglieder uneinig, ob hohe Lohnforderungen angemessen sind

In einem Punkt ähneln sich die Tarifkonflikte der letzten Monate: Die Gewerkschaften gehen mit hohen Forderungen in die Verhandlungen. Dazu gehören zweistellige Lohnerhöhungen und hohe Einmalzahlungen, um die deutlich gestiegenen Kosten im Alltag auszugleichen. Die MDRfragt-Mitglieder sind uneinig, ob diese Forderungen aktuell angemessen sind. Jeder zweite MDRfragt-Teilnehmer (49 Prozent) hält die Gewerkschaftsforderungen für überzogen, die andere Hälfte (46 Prozent) hat Verständnis für die Forderung nach deutlichen Lohnzuwächsen. Peter (69) aus dem Landkreis Harz unterscheidet nach verschiedenen Branchen: "Das kann nicht für alle gelten. Zehn Prozent von wieviel? Bei Lehrern von 3.500€ = 350 € , bei der Verkäuferin mit 2.300€ sind es 230 €."

Wer mehr Geld haben will, muss auch überall mehr bezahlen. Bekommen Friseure mehr Geld, bezahlt das der Kunde. Dazu kommen die Preissteigerungen wegen Krieg und dann gibt's noch Trittbrettfahrer.

MDRfragt-Teilnehmerin Erika (85) aus Dresden

Arbeitgeber und auch einige Experten warnen, hohe Tarifabschlüsse könnten zu einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale führen. Gestiegene Lohnkosten würden danach in Form von Preiserhöhungen (Wirtschaft) oder Steuern (Öffentlicher Dienst) weitergegeben und damit die Inflation anheizen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund spricht von einem „Märchen" und führt die Entwicklung von Preisen und Löhnen seit 2019 als Beleg an. 81 Prozent der MDRfragt-Teilnehmer äußern in der Umfrage Sorgen vor solch einer Spirale. Dazu gehört Erika (85) aus Dresden: "Wer mehr Geld haben will, muss auch überall mehr bezahlen. Bekommen Friseure mehr Geld, bezahlt das der Kunde. Dazu kommen die Preissteigerungen wegen Krieg und dann gibt's noch Trittbrettfahrer." Jens (50) aus Jena findet dagegen: "Wir erleben derzeit keine Lohn-Preis-Spirale, sondern eher eine Preis-Lohn-Spirale. Da die Preise schneller steigen als die Löhne." Es müsse daher öffentlich und auch in den Medien über eine Umverteilung von oben nach unten diskutiert werden. Sonst würden in der Krise die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Jeder und jede Sechste (16 Prozent) in der Umfrage fürchtet keinen Effekt durch eine Lohn-Preis-Spirale.

Lohn-Preis-Spirale - Sorge
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Aus Sicht der MDRfragt-Teilnehmenden sind hohe Lohnforderungen wie in den aktuellen Tarifkonflikten eher in Zeiten angemessen, in denen die Wirtschaft brummt. Dann halten 46 Prozent der Befragten deutliche Steigerungen in den Abschlüssen für gerechtfertigt. 38 Prozent der MDRfragt-Mitglieder sehen zwischen den beiden Fällen – Inflation und gute Wirtschaftslage – in punkto Tarifsteigerung keinen Unterschied.

Knappe Mehrheit für Generalstreiks

Frankreich ist bei vielen auch als das Land bekannt, in dem bei jeder passenden Gelegenheit leidenschaftlich gestreikt wird. In unserem Nachbarland darf die Arbeit anders als in Deutschland auch dann verweigert werden, wenn politische Ziele durchgesetzt werden sollen – beispielsweise wenn eine Rentenreform der Regierung für Unmut sorgt. In der aktuellen Umfrage von MDRfragt würde sich eine knappe Mehrheit (51 Prozent) wünschen, dass auch in Deutschland für politische Zwecke gestreikt werden kann. Das unterstützt Steffi (63) aus Leipzig: "Entweder Generalstreik oder eine Volksbefragung zu extrem wichtigen Themenbereichen wären manchmal angebracht!" Jens (50) aus Bautzen dagegen findet: "Streik sollte immer nur die Verhandlung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen." 42 Prozent der Umfrageteilnehmer halten das Verbot von Generalstreiks für richtig. Aus ihrer Sicht sollen Streiks weiter nur als Druckmittel in Tarifstreits möglich sein.

Zum Ausklappen: Weitere Stimmen aus der MDRfragt-Gemeinschaft zu Streiks

  • Dieter (69) aus Dresden hat wenig Verständnis für die Streiks im öffentlichen Dienst: "Diese sogenannten Beamten haben schon so viele Vorteile, zahlen keine Rentenversicherung, haben viele freie Tage."
  • Veronika (70) aus dem Ilm-Kreis findet: "Streik ist verbrieftes Bürgerrecht und wichtiger denn je."
  • Jan (57) aus Dresden fragt mit Blick auf die Lohnforderungen der Gewerkschaften: "Wo soll das viele Geld noch entstehen?"
  • Monika (79) aus Bautzen argumentiert, Streiks müssten eben auch weh tun: "Ohne Druck ändert sich nichts. Der wird an der hoffentlich richtigen Stelle enden."
  • Jana (44) aus Dresden macht sich wenig Sorgen um Streiks in den kommenden Wochen: "Schlecht wäre, wenn der ÖPNV streikt. Alles andere betrifft mich nicht wirklich."
  • Auch Kerstin (55) aus Bautzen sorgt sich nicht, wenn es zu Streiks in den kommenden Wochen kommt: "Ich bin nicht unmittelbar betroffen, wohne auf dem Land. Bahn kommt nicht in Frage und Weihnachtseinkäufe erledigen ich online, weil die Innenstädte und Einkaufstempel eh schon überteuert sind!"
  • Frank (69) aus Chemnitz sagt zu Generalstreiks: "Um politische Ziele durchsetzen zu können, sollte auch in Deutschland gestreikt werden können, so wie es in anderen europäischen Ländern üblich ist."
  • Michael (77) aus Jena spricht sich gegen die Möglichkeit von Generalstreiks aus: "... es gibt Wahlen, um politische Interessen durchzusetzen."
  • Regina (69) aus Erfurt hält Prämien als Inflationsausgleich für grundsätzlich richtig. Sie ergänzt aber: "Es wäre wichtig, dass für Rentner auch eine angemessene Hilfe gezahlt wird. Vor allem für geringe Renten."
  • Christina (77) aus Leipzig hält die Einmalzahlungen dagegen für kein geeignetes Mittel, um denen zu helfen, die von den stark gestiegenen Kosten betroffen sind: "Den Inflationsausgleich sollten alle in gleicher Höhe erhalten, denn die Inflation trifft ja auch alle gleichermaßen. Aber es ist leider so, dass die, die schon das meiste Geld bekommen auch noch einen höheren Ausgleich erhalten als die, die so schon wenig haben und viel dringender darauf angewiesen sind."


Über diese Befragung Die Befragung vom 10. bis 14. November 2023 stand unter der Überschrift:
Streikzeit – nachvollziehbar oder nervig?

Insgesamt sind bei MDRfragt 65.918 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 14. November 2023, 10.00 Uhr).

23.452 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 214 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 2.930 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 9.802 Teilnehmende
65+: 10.506 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 11.994 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 5.779 (25 Prozent)
Thüringen: 5.679 (24 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 10.027 (43 Prozent)
Männlich: 13.361 (56,9 Prozent)
Divers: 64 (0,3 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

Die Ergebnisse von MDRfragt sind nicht repräsentativ. Sie werden aber nach wissenschaftlichen Kriterien gewichtet, um die Aussagekraft zu erhöhen. Dafür wird die Verteilung von verschiedenen Merkmalen wie Alter, Abschluss oder Geschlecht unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern so ausgeglichen, dass sie der Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung entsprechen. Die Befragten geben oft nicht nur ihre grundsätzliche Position an. Sie begründen diese noch. Das erlaubt dem Team vom Meinungsbarometer MDRfragt, die Argumente der verschiedenen Meinungsspektren aufzuzeigen.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 15. November 2023 | 16:00 Uhr