MDRfragt Deutliche Mehrheit fordert mehr Arzneimittelproduktion in Deutschland und Europa
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23. Januar 2023, 05:00 Uhr
Fiebersaft für Kinder, Krebsmedikamente, Antidepressiva, Blutdrucksenker: In den letzten Wochen wurde immer wieder darüber berichtet, dass einige Medikamente nur noch schwer erhältlich sind. Den MDRfragt-Teilnehmenden bereitet das Sorgen. Fast jeder fordert deshalb, dass wieder mehr Arzneimittel bei uns hergestellt werden. Das zeigt die nicht-repräsentative, aber gewichtete Befragung unter rund 26.000 Menschen aus Mitteldeutschland.
- Die Arzneimittelknappheit bereitet knapp zwei Dritteln der MDRfragt-Mitglieder aktuell Sorgen.
- Mehr als ein Drittel der Befragungsteilnehmer waren in den letzten Wochen selbst betroffen - besonders viele Eltern minderjähriger Kinder.
- Die Anstrengungen der Politik, die Patienten zuverlässig mit Medikamenten zu versorgen, sind für die Mehrheit bislang nicht ausreichend.
Mehr Anreize schaffen, um wieder mehr Arzneimittel in Deutschland oder Europa zu produzieren: Das fordern 92 Prozent der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer von der Politik. Auf diese Weise hoffen sie, dass das Problem der Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln abgemildert werden kann. In ihren Kommentaren haben viele MDRfragt-Mitglieder geschrieben, warum sie dafür sind:
Deutschland hat die renommiertesten Pharmakonzerne, aber keine gesicherte Versorgung.
Man hat aus Profitgier die Produktion in die Länder verlagert, wo die Gewinne sprudeln. Die Regierungen haben zugeschaut und nichts dagegen getan. Und nun jammert man herum.
Globalisierung ist hier hinderlich. Volksmedikamente (z. B. Fiebermittel, Blutdrucksenker) gehören im eigenen Land hergestellt und nicht zu noch höheren Preisen gekauft. Das verstärkt den Anreiz der Verknappung.
Die MDRfragt-Mitglieder sehen aber auch noch andere Maßnahmen als wichtig an: Die Idee, dass Krankenkassen nicht mehr ausschließlich – wie bislang – mit den günstigsten Arzneimittelherstellern Verträge schließen dürfen, begrüßen fast drei Viertel der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Zudem sollten Apotheken mehr Medikamente selbst herstellen und dafür entsprechend vergütet werden, fordert mehr als die Hälfte. Dennoch: Gleichzeitig höhere Krankenkassenbeiträge zahlen, wollen die meisten jedoch nicht. Dazu mehr am Ende des Artikels.
Arzneimittelknappheit bereitet knapp zwei Dritteln Sorge
Das Thema Arzneimittelknappheit ist für knapp zwei Drittel der Befragten besorgniserregend.
Dass das Thema ernst ist und nicht etwa medial aufgebauscht, denken ebenfalls knapp zwei Drittel. 30 Prozent haben dagegen das Gefühl, dass das Thema in der Berichterstattung größer gemacht wird, als es tatsächlich ist.
Mehr als ein Drittel selbst betroffen von Arzneimittelknappheit
Der Arzneimittelmangel ist auch ein Thema, das viele der Befragten persönlich betrifft: Mehr als ein Drittel haben nach eigenen Angaben in den letzten Monaten Erfahrungen damit gemacht, dass einige Arzneimittel nicht oder nur schwer zu bekommen waren. Rund ein Drittel derjenigen, die betroffen waren, musste mehrere Tage auf die gewünschten Medikamente warten, 16 Prozent mehrere Wochen. In 22 Prozent der Fälle war das Medikament gar nicht erhältlich.
Anhand der Ergebnisse zeigt sich, dass Eltern minderjähriger Kinder von den Arzneimittelengpässen deutlich stärker betroffen waren als andere Befragungsteilnehmer: Knapp die Hälfte der Eltern hat Erfahrungen mit ausverkauften Medikamenten für ihre Kinder gemacht.
Kleinkind hatte Lungenentzündung, 6 Apotheken angerufen, ehe eine das Antibiotika hatte.
Ich brauchte ein fiebersenkendes Mittel für mein Kind und etwas gegen Husten für Erwachsene. Ich bin in mehreren Apotheken gewesen und hatte am Ende teurere Alternativprodukte, bei denen ich wieder erst Erfahrungen sammeln muss, wie und ob sie helfen.
Aber auch Medikamente für Erwachsene waren bei einigen schwer zu bekommen:
Ein Medikament, das nicht einfach gegen ein anderes ausgetauscht werden kann, ist momentan nicht lieferbar. Da macht man sich schon große Sorgen.
Ich bekomme gerade mein langjähriges Blutdruckmittel nicht. Das erschreckt schon. Wahrscheinlich werde ich ein anderes bekommen, das ich hoffentlich vertrage.
Bei anderen wiederum gab es bislang keine Probleme:
Ich habe vier Kinder, drei davon sind unter sieben. Fast alle zwei Wochen im Wechsel krank. Ich habe alle Medikamente bekommen, die ich gebraucht habe. Auf meiner Arbeit, im Krankenhaus, wurde nicht einmal von einer Knappheit gesprochen.
Das Präparat von dem Hersteller, den ich immer habe, war nicht vorrätig, wurde ausgetauscht gegen dasselbe Medikament, nur eben ein anderer Hersteller. Damit ist doch alles gut.
Ich habe all meine Medikamente in der Apotheke erhalten! Da ich Krebspatientin bin, nehme ich bis zu 5 verschiedene Medikamente und es gab noch keinen Engpass.
Drei Viertel finden: Die Politik tut zu wenig gegen die Arzneimittelknappheit
Alles in allem tut die Politik aktuell nicht genug, um die Versorgung mit Arzneimitteln zu gewährleisten - sagen 75 Prozent der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Lediglich 15 Prozent sind mit den Anstrengungen der Politik in diesem Bereich zufrieden.
Große Mehrheit rechnet mit steigenden Krankenkassenbeiträgen
Die Anstrengungen, die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln zuverlässig sicherzustellen, könnten zu Mehrkosten für das Gesundheitssystem führen - und letztlich auch zu steigenden Krankenkassenbeiträgen. Davon gehen zumindest 88 Prozent der MDRfragt-Teilnehmenden aus.
Ein Viertel fände in diesem Kontext eine Anhebung der Krankenkassenbeiträge auch in Ordnung. Doch obwohl sich eine klare Mehrheit für höhere Arzneimittelausgaben der Krankenkassen ausgesprochen haben, lehnen knapp drei Viertel gleichzeitig eine Beitragserhöhung zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung ab.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 16.01. - 19.01.2023 stand unter der Überschrift:
Arzneimittelknappheit: Reale Gefahr oder Panikmache?
Insgesamt sind bei MDRfragt 63.157 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 19.01.2023, 12.30 Uhr).
26.182 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.
Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 282 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.582 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 11.047 Teilnehmende
65+: 11.271 Teilnehmende
Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 13.429 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 6.405 (24 Prozent)
Thüringen: 6.348 (24 Prozent)
Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 12.190 (47 Prozent)
Männlich: 13.933 (49 Prozent)
Divers: 59 (0,2 Prozent)
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.
Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 23. Januar 2023 | 22:10 Uhr