Ein Jahr Ukraine-Krieg Journalisten als Zielscheibe
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24. Februar 2023, 09:46 Uhr
Seit einem Jahr bestimmt der Ukraine-Krieg unsere Nachrichten. Doch viele Angaben und Informationen aus dem Kriegsgebiet lassen sich nur schwer überprüfen. Und längst nicht überall können sich Reporterinnen und Reporter frei bewegen. Das stellt Kriegsberichterstatter vor große Herausforderungen. Wie Arndt Ginzel, der für den MDR und das ZDF im Einsatz ist und aus und über die Ukraine berichtet.
Es war trauriges Reporterglück: Durch einen Zufall waren Arndt Ginzel und sein Team bereits rund 14 Tage vor dem ersten russischen Angriff am 24. Februar 2022 in der Ukraine unterwegs. Er hat den Kriegsausbruch erlebt und auch die Monate danach. "Wir sind danach immer wieder hingefahren", sagt Ginzel im Gespräch mit MDR MEDIEN360G: "Es ist alles für mich selbst teilweise schwer zu fassen: Wir haben am 23. noch Interviews geführt mit Leuten in der Ukraine".
Problem Energieversorgung
Ein paar Tage vor Kriegsbeginn drehte Ginzel im später von der russischen Armee belagerten Mariupol: "Wir haben die Leute gefragt, ob sie glauben, dass ein Krieg ausbricht."
Wir schleppen jetzt natürlich auch einen Generator mit, um die Kamera-Akkus zu laden und auch im Notfall erreichbar zu sein.
Im Vergleich zur Zeit unmittelbar nach dem Überfall hat sich seitdem viel verändert - auch mit Blick auf ganz praktische Herausforderungen durch die im Krieg zerstörte Infrastruktur. "Internetzugang oder die Strom- und Energieversorgung waren vorher eigentlich weniger ein Problem. Das hat sich in den letzten Monaten absolut verschärft. Wir schleppen jetzt natürlich auch einen Generator mit, um die Kamera-Akkus zu laden und auch im Notfall erreichbar zu sein." Es gebe Situationen, wo man weder auf Telefone noch das Internet zurückgreifen kann. "Von der Seite her ist es deutlich komplizierter geworden", erzählt der vielfach ausgezeichnete Journalist.
Gefahr für Berichterstatter
Auch die Gefahr für die Kriegsberichterstatter selbst ist größer geworden. Zwar habe er den Vietnamkrieg nicht mehr mitbekommen, so Ginzel, "aber wie mir der überliefert wurde, war der Respekt gegenüber Journalisten von beiden Kriegsparteien größer als heute. Heute ist es so, dass du als Journalist durchaus zur Zielscheibe wirst, weil die andere Seite nicht deinen Status als Presse respektiert."
Es ist unser Job zu gucken, wie sieht es da aus, was passiert.
Factchecking - anstrengend, aber machbar
Auch den Wahrheitsgehalt von Informationen zu checken, stellt alle Kriegsberichterstattenden vor immer größere Herausforderungen. Russische Desinformation, aber auch gefärbte Informationen von ukrainischer Seite gehören zum Alltag vor Ort wie in den Heimatredaktionen. "Ich denke schon, dass Dinge verifizierbar sind. Ansonsten bräuchten wir ja nicht dahin gehen", meint Ginzel. "Es ist unser Job zu gucken, wie sieht es da aus, was passiert." Aufgabe sei aber, "natürlich auch zu sagen wenn etwas nicht verifizierbar ist - das muss man seinen Zuschauern, Lesern, Hörern transparent machen". Diese Unsicherheit sei für die Berichterstattung aber kein Manko, wenn genügend Raum vorhanden ist, "um die Recherche transparent zu machen und zu zeigen: Wie kommen wir zu welchen Ergebnissen?" Und das, sagt Ginzel, "kann man auch im Kriegsgebiet".
Unterstützung durch die Heimatredaktion
Zumal er und seine Kolleginnen und Kollegen vor Ort von ihren Heimatredaktionen unterstützt werden. "Zeitweise wissen die Kollegen hier in Leipzig im Büro mehr, als man selber weiß, weil die den Überblick und ständig eine gute Verbindung haben, um sich zu informieren." Deshalb haben viele Medien auch in den Heimatredaktionen mittlerweile Teams gebildet, die gezielt die Kriegsberichterstattenden vor Ort unterstützen. Beim Deutschlandfunk (DLF) ist beispielsweise aktuell ein Team von sechs Journalistinnen und Journalisten im Einsatz. Deren Fazit nach einem Jahr Ukraine-Krieg: "Wir standen noch nie vor derart komplizierten Ausgangsbedingungen. Wie berichtet man über einen Krieg, wenn wegen des enormen Sicherheitsaufwands jeweils nur wenige Kollegen ins Kriegsgebiet reisen können?" Wichtig sind dabei Kontakte ins Land. "Die allermeisten Ukrainerinnen und Ukrainer waren und sind bereit, kurze Updates zu geben und jeweils ihre Lage zu schildern – solange es Strom gibt. Wenn sie können, antworten sie, selbst wenn sie oft gerade mit den Folgen der Zerstörungen kämpfen. So können wir mit ihrer Hilfe etwa Meldungen über russische Raketenangriffe verifizieren", so das DLF-Team. Auch nach Deutschland geflohene Ukrainer seien gute Ansprechpartner, da sie oft enge Verbindungen zu ihren Angehörigen im Land hätten.
Wir sind absolut angewiesen auf Kollegen, die sich vor Ort in bestimmten Regionen auskennen.
Ohne Ortskräfte aufgeschmissen
Doch auch in der Ukraine selbst könnten die ausländischen Kriegsberichterstattenden ohne lokale Unterstützung wenig ausrichten, sagt Ginzel. "Wir sind absolut angewiesen auf Kollegen, die sich vor Ort in bestimmten Regionen auskennen". Manchmal laute die Frage an solche Ortskräfte schlicht: "'Wie sieht es in einem einzelnen Dorf aus? Kann ich dahin fahren? Wie weit kann ich fahren? Ist da gerade mal eine Kampfpause?' Solche Fragen kann man wirklich nur klären, wenn man Menschen dort vor Ort hat, die sich sehr, sehr gut auskennen, die doch jede Straße kennen." Wie weit sie kommen und wie genau sie berichten können, ist ebenfalls dauerndem Wandel unterworfen. Am Anfang des Krieges habe oft eine Akkreditierung in der Hauptstadt Kiew gereicht, um im ganzen Land berichten zu können. Doch das hat sich geändert. "Heute werden in bestimmten Gebieten noch mal zusätzliche Akkreditierungen verlangt", so Ginzel, und auch die seien keine Garantie, wirklich an den Ort des Geschehens zu kommen. "Doch auch dann gibt es immer noch Mittel und Wege", über die der Reporter natürlich nichts Genaues sagen mag - "sonst gibt es die nicht mehr".
Spielregeln im Krieg
Dazu kommen klare Vorgaben, was wie bzw. wann berichtet werden darf. "Da gibt es ganz knallharte Regeln, wie dass an einem Checkpoint nicht gedreht wird". Bei Social Media hätten die Ukrainer verfügt, dass nur mit einer gewissen Verzögerung berichtet werden darf. Denn würden in Echtzeit die Einschläge russischer Granaten dokumentiert, "würde man der russischen Seite helfen, die Artillerie zu korrigieren", so Ginzel. Für ihn und sein Team stellt sich diese Problematik weniger, "weil zwischen drehen und senden einfach eine gewisse Zeit liegt. Wenn ich einen frühen Einschlag drehe, dann hat das Ganze abends für die militärische Lage schon keine Bedeutung mehr." Wer allerdings Truppenbewegungen per Livestream übertrage oder generell sensible Informationen weitergibt, müsse mit Sanktionen wie dem Entzug einer Akkreditierung rechnen.
Das Narrativ des Kreml
Vorwürfe, die Medien berichteten parteiisch über den Krieg und stünden so auf der Seite der Ukraine, weist Ginzel zurück. Hinter solchen vor allem in Ostdeutschland populären Behauptungen sieht er einen Erfolg der russischen Propaganda. "Es ist - darüber brauchen wir nicht zu diskutieren - ja ein Fakt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Das muss man so ganz klar sagen. Und die Zivilbevölkerung stirbt in der Ukraine, nicht in Russland." Die Angst vor Krieg auch hierzulande sei nachvollziehbar, sagt Ginzel: "Aber was ich in diesen Kommentaren wiederfinde, ist das Narrativ des Kreml."