Medienkompetenz Der Schlüssel zur Welt
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09. März 2022, 15:27 Uhr
Sie ist facettenreich und aktuell, spielt in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Wenn der Wecker morgens klingelt, kommt der Ton oft vom Smartphone. Man ruft dann direkt "kurz" die sozialen Netzwerke auf, um zu schauen, was es Neues in der Welt gibt. Spätestens am Abend, wenn die Arbeit verrichtet ist und man "nur ein bisschen" zockt oder Fernsehen schaut, sollte jedem Mediennutzenden klar sein, dass man sie braucht: Medienkompetenz. Aber was ist das eigentlich?
Puh, Medienkompetenz. Da ist erstmal ein großes Fragezeichen im Kopf. Fakt ist: Fast jeder Mensch in Deutschland beschäftigt sich laut der Langzeitstudie ARD/ZDF-Massenkommunikation rund sieben Stunden täglich mit Medien, vor allem mit Audio- und Videoinhalten. Das bedeutet, dass auch jeder und jede Mediennutzende Wissen über Medien benötigt. Fähigkeiten, mit Medien zu arbeiten oder einzuschätzen, welchen Medien man vertrauen kann, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle im Alltag. Radio, Buch, Zeitung, Smartphone, Internet, soziale Netzwerke – die Liste, die hier entstehen könnte, ist endlos. Eines haben die genannten Begriffe aber gemeinsam: Sie alle dienen der Kommunikation und Information. Und der Nutzende muss mindestens wissen, wie das jeweilige Medium genutzt wird, also über eine Form der Medienkompetenz verfügen.
Der Schlüssel zur Welt
Die Mediennutzung hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Das Produzieren von Medieninhalten, was früher Redaktionen vorbehalten war, kann heute jeder Mediennutzende. Schon ein Kommentar in den sozialen Netzwerken reicht aus, um seine Meinung kundzutun, zu informieren oder zu manipulieren. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist der Umgang mit Medien alltäglicher Bestandteil ihres Lebens. Aber auch Ältere nutzen Mediengeräte, die es in ihrer Kindheit noch nicht gab. Sie alle müssen Kompetenzen entwickeln, die vor einigen Jahren noch nicht benötigt wurden.
Teilweise setzt die Gesellschaft die Nutzung neuer Medien sogar voraus: Wo vor 20 Jahren noch Straßenbahn-Tickets am Schalter gekauft werden konnten, gibt es heute maximal an jeder dritten Haltestelle einen Automaten. Die Nutzung einer speziellen Smartphone-App wird in den Bahnen beworben. Was für Menschen, die das mobile Endgerät täglich mehrfach benutzen, eine Erleichterung darstellt, ist gerade für Personen, die nicht mit den neuen Medien aufgewachsen sind, eine Herausforderung.
Expertinnen und Experten stellen Medienkompetenz sogar auf eine Stufe mit Lesen, Schreiben und Rechnen und bezeichnen sie als vierte Grundkompetenz. Sie ermöglicht den Zugang zu Informationen und ist damit auch eine Grundvoraussetzung für lebenslanges Lernen.
Medienkompetenz ist die Schlüsselkompetenz im digitalen Zeitalter.
Können wir also an bestimmten gesellschaftlichen Prozessen nur noch teilnehmen, wenn wir wissen, wie Medien funktionieren und wie wir sie nutzen können? Zumindest beeinflussen Digitalisierungsprozesse fast alle Lebens- und Arbeitsbereiche.
Die Digitalisierung bietet heute vor allem Vorteile, was Information, Inklusion und Demokratieverständnis angeht. Gleichzeitig ist sie aber auch die Quelle von Fake News, Mobbing und Desinformation. Medienkompetenz soll hier einen Beitrag leisten und es Menschen ermöglichen, die Digitalisierungsprozesse aktiv und verantwortlich mitzugestalten.
Ist Medienkompetenz messbar?
Wer medienkompetent ist, lässt sich schwer messen. Medienpädagoge Dr. Benjamin Bigl hat es gemeinsam mit einem Kollegen trotzdem versucht. Ende 2021 veröffentlichten sie die repräsentative Studie "Medienkompetenz in Sachsen: Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft". Ziel der Studie war, herauszufinden, über welches Medienkompetenz-Wissen die sächsische Bevölkerung verfügt und über welche Maßnahmen der kompetente Umgang mit Medien gefördert werden kann. Im Zeitraum von Dezember 2019 bis März 2020 erfolgten zwei Teilstudien: In Fokusgruppen wurden zunächst die Bedeutung von Medien im Alltag, deren Nutzung und verbundene Probleme und Ängste untersucht. In anschließenden repräsentativen Interviews sammelten die Forschenden Daten zu Medienkenntnissen und Nutzungshäufigkeiten der sächsischen Bevölkerung.
Die Ergebnisse der Studie sind erschütternd: Ländliche Regionen scheinen aufgrund schlechter Internetanbindung abgehängt, rund ein Drittel der Sachsen verfügt nur über ein geringes Medienwissen. Das Stadt-Land-Gefälle ist deutlich zu sehen. Bigl spricht von "intellektuell-urbanen Städtern und Unterhaltungsorientierten in den Speckgürteln". Als Basisanforderung für Medienkompetenz sieht er schnelles Internet, damit Medien überhaupt im Rahmen der Möglichkeiten genutzt werden können.
Bei Menschen über 70 Jahren ist der Fernseher das wichtigste Alltagsgerät. Die 14- bis 49-Jährigen bevorzugen das Smartphone. Aber steht auch die Medienkompetenz in Zusammenhang mit dem Alter? Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass jüngere Menschen, die mit der Digitalisierung aufgewachsen sind, ein geringeres Medienwissen haben. Ältere hingegen haben teilweise bedenklichere Grundeinstellungen gegenüber Medien, was Bigl vor allem mit dem Aufwachsen in verschiedenen Mediensystemen bzw. unterschiedlichen Staaten in Verbindung bringt.
Wir alle sind heute Teil von Kommunikation und Öffentlichkeit.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen veröffentlichte auch Kommunikationswissenschaftler Alexander Sängerlaub eine Studie. Diese beschäftigt sich mit der digitalen Nachrichten- und Informationskompetenz der gesamtdeutschen Bevölkerung. Mithilfe eines Onlinetests ermittelten sie, über wieviel Wissen in bestimmten Dimensionen der Nachrichtenkompetenz die Teilnehmenden verfügen. Dabei lässt sich Nachrichtenkompetenz als eine Dimension der Medienkompetenz ansehen.
Die Ergebnisse sind ähnlich ernüchternd wie die der Sachsen-Studie von Bigl. Demnach haben "die Befragten insgesamt in fast allen Kompetenz-Bereichen überwiegend mittelmäßig bis schlecht abgeschnitten". Sängerlaub und seine Kollegen sehen einen dringenden Nachholbedarf in Schul- und Erwachsenenbildung. Weiterhin fordern sie transparente journalistische Angebote, die es Nutzenden erleichtern, Fakten von Fake News zu unterscheiden.
Wer ist medienkompetent?
Der vielseitige Begriff der Medienkompetenz kann alle Formen der Mediennutzung, -kunde, -kritik und -gestaltung umfassen: die Oma, die mit ihrem Smartphone Videos für ihren YouTube-Channel erstellt, oder den 30-Jährigen, der das Feuilleton einer Zeitung liest. Durch die vielen unterschiedlichen Dimensionen, ist die Idealvorstellung "Medienkompetenz" nicht oder nur schwer messbar. Außerdem unterliegt sie stetigen Wandlungsprozessen aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung. Dennoch ist Medienkompetenz wichtig, um sich in der technisierten Alltagswelt zurecht zu finden. In seiner Studie bezeichnet Bigl sie daher als "eine Schlüsselkompetenz für das Leben in der digitalen Welt."
Zusammenfassend lässt sich sagen: Es steht nicht gut um diese Schlüsselkompetenz in der deutschen Bevölkerung. Beide Studien haben unterschiedliche Dimensionen untersucht und dabei ähnlich erschreckende Ergebnisse hervorgebracht. Wo kann man nun ansetzen und Medienkompetenz vermitteln? Viele Initiativen, Vereine und Projekte versuchen, dieser Aufgabe im außerschulischen Kontext gerecht zu werden. MEDIEN360G hat sich außerdem angeschaut, wie es um die Medienbildung an mitteldeutschen Schulen steht.
Medienkompetenz scheint der Schlüssel zur Welt zu sein – zumindest zur digitalisierten.
Wer seine Nachrichtenkompetenz (nicht die allgemeine Medienkompetenz!) nun testen möchte, kann den von Alexander Sängerlaub und Kollegen im Rahmen der Studie entwickelten Newstest absolvieren.