OTZ profitiert von der Nähe zum Publikum Interview mit OTZ-Chefredakteur Jörg Riebartsch
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31. Mai 2022, 11:02 Uhr
Lokalzeitungen sind besonders nah an der Lebenswelt ihres Publikums dran. OTZ-Chefredakteur Jörg Riebartsch spricht im Interview darüber, wie neue Dialogformate der Zeitung geholfen haben, durch die Corona-Pandemie zu kommen.
Steffen Grimberg: MDR MEDIEN360G ist zu Gast in Gera bei der Ostthüringer Zeitung. Wir sprechen mit Jörg Riebartsch. Er ist seit 2013 Chefredakteur des Blattes. Und wir wollen von ihm wissen: Wie hat sich die Pandemie, wie hat sich die Corona-Berichterstattung bei der OTZ abgespielt? Was sind Erfahrungen, die die Zeitung gemacht hat? Was für Rückmeldungen hat sie von ihren Leserinnen und Lesern bekommen? Schön, Herr Riebartsch, dass wir hier sein können. Ich freue mich auf das Gespräch.
Jörg Riebartsch: Gern.
Steffen Grimberg: Ja, Herr Riebartsch, hat sich die Arbeit bei der OTZ durch die Pandemie verändert?
Jörg Riebartsch: Naja, sie hat sich von den Arbeitsabläufen her verändert, weil wir plötzlich gelernt haben, dass Homeoffice, das mobile Arbeiten, was für viele Lokalreporter ja Standard war, ein richtiger Bestandteil unserer Arbeitstage geworden ist. Das macht die Kommunikation der Redaktion untereinander natürlich nicht einfacher, aber war natürlich gezwungen und notwendig, weil man versucht hat, natürlich auch bei uns die Verbreitung eines Virus' einzudämmen.
Steffen Grimberg: Hat sich denn auch die Nutzung ihres Blattes verändert? Ich habe gesehen, Sie haben ja auch Zusatzangebote gemacht, Newsletter und so weiter. Wie ist es da gegangen?
Jörg Riebartsch: Ja, wir sind natürlich auch eingestiegen auf die Berichterstattung, weil wir dann nach kurzer Zeit schon festgestellt haben, dass es einen riesigen Informationsbedarf bei der Bevölkerung gab. Corona, die Pandemie, Covid-19 - das war ja was Neues. Niemand wusste so recht, was da auf uns zukommt. Man kann es nicht sehen. Man kann es nicht riechen. Man kann es nicht spüren, nicht schmecken. All das führte dazu, dass es einen erhöhten Informationsbedarf in der Leserschaft gab.
Steffen Grimberg: Das heißt, da haben dann auch Nutzerzahlen zugelegt?
Jörg Riebartsch: Ja, die haben zugelegt. Wir prüfen ja ständig ab, wie das Nutzerverhalten ist. Das kann man im digitalen Zeitalter ja sehr gut machen. Und da haben wir natürlich messen können, dass gerade die Beiträge, die sich mit der Pandemie befasst haben, immer einen überdurchschnittlich hohen Lesewert hatten, einen hohen Lesernutzen. Und deswegen haben wir dementsprechend natürlich auch unser Programm angepasst und auch viele Hintergrundinformationen geboten. Und wir haben dann irgendwann eingeführt, dass wir auch gezielt Fragen aus der Leserschaft beantwortet haben. Das war dann beinahe täglich der Fall, wo wir dann einen Experten gefragt haben, wie er diese Leserfrage beantworten kann.
Steffen Grimberg: Gerade am Anfang der Berichterstattung 2020 ist vielen Medien ja vorgeworfen worden, sie seien zu unkritisch, ja geradezu politikhörig, gewesen und hätten Gegenmeinungen ausgeblendet. Wie ist da so ihre Erfahrung?
Jörg Riebartsch: Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Natürlich muss man Verordnungen, zum Beispiel die Vorschrift, Masken im öffentlichen Nahverkehr zu tragen, transportieren. Darüber müssen wir informieren. Ob alles, was da verordnet wurde, richtig war und ob es richtig war, dass sich das von Bundesland zu Bundesland unterschieden hat - das haben wir sehr schnell kritisch hinterfragt. Und ich erinnere nur mal an den Anfang der Pandemie. Da hatten wir keine Masken, da wurde von der Politik gesagt, man braucht keine Masken, die helfen nicht. Und als wir dann Masken haben und hatten, da mussten wir sie auf einmal alle tragen, das haben wir natürlich kritisch hinterfragt. Das ist ja selbstverständlich.
Steffen Grimberg: Es gab am Anfang sicherlich auch große Wissenslücken. Sie haben es ja gerade schon gesagt. Das war etwas völlig Neues. Wie sind Sie mit dieser Experten-Problematik umgegangen? Viele Journalistinnen und Journalisten, mit denen wir jetzt im Zuge unserer Analysen gesprochen haben, haben gesagt: Wir mussten uns da erst mal schlau machen. Wir waren da noch nicht auf Augenhöhe. Und deswegen blieb uns auch gar nichts anderes übrig, als auf die Experten zu vertrauen. Wie ist es da der OTZ ergangen?
Jörg Riebartsch: Ja, das ist natürlich in der neuen Situation erst mal so, dass sie da auch ein Netzwerk aufbauen müssen. Sie müssen schauen: Wer gibt kompetent Auskunft aus der Wissenschaft? Wir haben natürlich das große Glück, hier mit der Universität in Jena Ansprechpartner zu haben, die sehr kompetent Auskunft geben können, auch zu medizinischen Fragen wie einer Pandemie. Und ja, das ist dann einfach ein Erfahrungswert, dass man weiß: Wer kann sich wie klar ausdrücken und auch so, dass es der einfache Bürger verstehen kann?
Steffen Grimberg: Wie haben denn die Leserinnen und Leser den Kurs der OTZ in der Pandemie bewertet? Gab es da Kritik? Gab es vielleicht auch Abbestellungen?
Jörg Riebartsch: Nein, Abbestellungen gab es nie. Es gab, wie gesagt, insbesondere, was das Digitale anbelangt, bei OTZ Plus, also unserem Online-Angebot, aber auch beim ePaper, also der digitalen Ausgabe der Zeitung, einen Zuwachs. Das haben wir spüren können, dass da ein großer Informationsbedarf war. Und den haben die Leute auch bereitwillig angenommen. Ja, natürlich gab es immer wieder mal auch Kritik von Leuten, die generell mit der Situation der Pandemie nicht zurechtgekommen sind und dann vielleicht kritisch hinterfragt haben, ob die Menge der Berichterstattung nicht vielleicht übertrieben ist. Das sehe ich aber so nicht.
Steffen Grimberg: Wie ist denn die OTZ mit den kritischen Punkten umgegangen, beispielsweise den Impfkritikern oder Gegenbewegungen, Corona-Protesten. Es gab ja 2020, auch eine Strömung in den Medien, da haben dann viele schon gesagt - wir haben zum Beispiel damals mit Heribert Prantl von der Süddeutschen gesprochen - "Passt auf, ihr stellt die alle so dar, als wären das Idioten". Man muss deren Sorgen ernst nehmen, um sie überhaupt auch sozusagen gesellschaftlich bei der Stange zu halten, mit ihnen weiter zu diskutieren. Wie war das hier für die OTZ als regionale Zeitung?
Jörg Riebartsch: Genau das haben wir natürlich auch erlebt, dass es solche kritischen Stimmen gab oder Leute, die das Thema überhaupt abgelehnt haben oder auch behauptet haben: Es gibt keine Pandemie. Solche Fälle waren ja auch zu erkennen, das haben wir aufgegriffen. Wir haben darüber berichtet. Wir haben auch über die ja meist unangemeldeten Demonstration berichtet, und wir haben sogar immer wieder mal auch Leute von dort zu Wort kommen lassen und hatten bei den Fragestellern, die ich eben schon erwähnte, auch immer welche dabei, die das kritisch hinterfragt haben, Zweifel geäußert haben an bestimmten Äußerungen und haben versucht, das auch immer wieder aufzuklären.
Steffen Grimberg: Wie hat sich die OTZ denn als Zeitung sozusagen von ihrer Ausrichtung präsentiert oder Sie auch ganz konkret als Chefredakteur? Ich weiß, Sie haben viele Leitartikel auch zum Thema geschrieben. Was war so der Kurs der OTZ während der Pandemie? Und hat sich da irgendetwas daran geändert in diesen zwei Jahren?
Jörg Riebartsch: Naja, wir haben natürlich den Kurs der möglichst unabhängigen Informationen zunächst gehabt. Also wenn es Verordnungen gab, die zur Einschränkung des Lebens führten, dann mussten wir diese natürlich veröffentlichen, damit die Leute wissen, woran sie sind. Wir haben aber bestimmte Maßnahmen immer auch dann kritisiert, wenn wir den Eindruck hatten, sie waren nicht nachvollziehbar. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wir hatten in Thüringen lange die Situation, dass Thermalbäder geschlossen waren, beispielsweise Bad Lobenstein, also im Süden des Landkreises Saale-Orla. Sie fahren 20 Minuten nach Bayern, sind in Nordbayern. Dort gibt es das Thermalbad Bad Steben, und das hatte geöffnet in der Pandemie. Ganz ehrlich, das kann kein Mensch verstehen, sowas.
Steffen Grimberg: Viele Kritikerinnen und Kritiker sagen ja auch, die Medien hätten ganz generell andere Ansichten, andere Meinungen, ignoriert. Die seien zu wenig vorgekommen. Wie ist da Ihre Einschätzung?
Jörg Riebartsch: Das kann ich für uns nicht nachvollziehen. Wir haben ja eine sehr umfangreiche Leserbrief-Rubrik, die sogar ganz weit vorn in der Zeitung liegt, weil wir die Meinung unserer Leserinnen und Leser sehr, sehr wertschätzen. Und dort sind auch sehr viele Meinungen zu Wort gekommen, die einfach bestimmtes Unverständnis auch für die Maßnahmen geäußert haben. Und wir haben das selbst ja auch kommentiert. Ich habe hier eine ganze Fülle Sammlung an Beiträgen von mir selbst, von Leitartikeln, wo ich auch immer wieder Haltungen der Politik hinterfragt habe, weil sie auch einfach nicht nachvollziehbar waren.
Steffen Grimberg: Wir haben über MDRfragt, eine nicht-repräsentative Befragung, mal das MDR-Publikum gefragt, was ihnen denn so aufgefallen ist an der medialen Berichterstattung in der Pandemie. Und da haben wir von sehr vielen die Rückmeldungen bekommen: "Naja, wir haben uns eigentlich das Nachrichtengucken fast schon abgewöhnt. Es war eh viel zu viel." Was sagen Sie solchen Menschen?
Jörg Riebartsch: Ja, es ist schwer, mit viel Information umzugehen. Die Situation haben wir im Ukraine-Krieg ja jetzt auch. Das ist für viele Menschen schwer ertragbar. Es ist ja auch keine angenehme Nachricht, mit einer Pandemie umgehen zu müssen. Es ist keine angenehme Nachricht, wenn Grundrechte eingeschränkt werden müssen. Es ist keine angenehme Nachricht, wenn man plötzlich nicht mehr ins Restaurant gehen darf und kein Schnitzel mehr essen darf. Ich verstehe, dass viele Menschen sagen: "Davor will ich mich schützen, indem ich einfach abschalte und diese Nachrichten nicht mehr konsumiere."
Steffen Grimberg: Andere haben uns gesagt, sie sind ganz bewusst zu anderen Nachrichtenangeboten gewechselt. Nicht nur Telegram oder RT Deutsch. Aber zum Teil auch und vor allen Dingen haben sie den klassischen deutschen Leitmedien, also den Tageszeitungen und auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ein bisschen den Rücken gekehrt. Können Sie sich das erklären, woran das liegt?
Jörg Riebartsch: Naja, ich glaube, das hängt einfach mit der Überflutung auch der Informationen zusammen, dass man verzweifelt geschaut hat: Wo bekomme ich auch mal was Positives? Gibt es irgendwo ein Signal, dass diese Pandemie bald endet? Gibt es vielleicht irgendwo einen Beitrag, der mir klar macht oder der mir aufzeigt, dass es gar keine Pandemie gibt? Das sind Sehnsüchte in solchen Situationen, die man verstehen kann, aber leider mit der Realität ja nichts zu tun haben.
Steffen Grimberg: Die Universität Dortmund hat jetzt eine Studie gemacht im Rahmen dieser großen Untersuchung "Journalismus und Gesellschaft", nach der 41 Prozent der Befragten - und das war jetzt eine repräsentative Befragung - sagen, durch die Corona-Berichterstattung hat sich das Ansehen des Journalismus bei ihnen eher verschlechtert ins Negative. Die Glaubwürdigkeit sei gesunken.
Jörg Riebartsch: Ich erwähnte ja vorhin, dass wir selbst ja auch Umfragen machen, und da können wir nur das Gegenteil erkennen. Also die Glaubwürdigkeit der Medien hat zugenommen. An erster Stelle steht dort ja der öffentlich-rechtliche Rundfunk. An zweiter Stelle die Regionalpresse, also regionale Tageszeitungen wie die OTZ. Ich weiß nicht, wen die Universität Dortmund dort gefragt hat. Vielleicht betrifft es auch nur die Dortmunder selbst.
Steffen Grimberg: Ich glaube, es war schon überregional. Aber Sie haben gerade ganz spannend gesagt, gerade die OTZ als Regionalzeitung, würden Sie sagen: Da hat eine Regionalzeitung auch noch einmal andere Chancen oder arbeitet unter anderen Bedingungen, verglichen mit überregionalen Blättern oder eben dem Rundfunk?
Jörg Riebartsch: Auf alle Fälle. Wir sind ja viel näher dran an der Leserschaft. Unsere Reporterinnen und Reporter treffen unser Publikum beinahe täglich auf dem Marktplatz. Die Leute kommen zu uns in die Redaktion, sie rufen uns an. Der Chefredakteur geht ans Telefon, wenn ein Leser sich beschwert oder eine Anregung hat. Das ist natürlich bei überregionalen Medien nur schwer abbildbar, und das ist für uns die gute Chance, einfach näher auch am Publikum dran zu sein.
Steffen Grimberg: Ebenfalls überregionale Studien sagen: Bis zu einem Viertel der Befragten sind mittlerweile der Überzeugung - und in den östlichen Bundesländern sogar noch ein paar mehr -, dass die Medien doch irgendwie direkt durch die Politik oder mächtige Kreise der Wirtschaft gelenkt würden. Ist Ihnen das hier bei der OTZ auch schon untergekommen?
Jörg Riebartsch: Vereinzelt gibt es solche Vorwürfe. Es wurde ja immer mal wieder behauptet, die Bundeskanzlerin, damals Angela Merkel, würde den Kurs der Zeitung vorgeben. Manche haben ganz wild sogar behauptet, der damalige US-Präsident Obama täte das. Das würde ja bedeuten, dass beide mich hätten anrufen müssen, um mir zu sagen, wie die OTZ zu erscheinen hat. Und ich kann Ihnen versichern, das ist natürlich nie passiert.
Steffen Grimberg: Wie begegnen Sie denn solchen Vorwürfen? Wenn sie dann meinetwegen eine Leserin, einen Leser am Telefon haben oder entsprechende Leserbriefe bekommen?
Jörg Riebartsch: Na, ich versuche, das aufzuklären. Wir beantworten ja alle Anfragen, es sei denn, sie sind anonym. Dann haben wir keinen Ansprechpartner. Aber wir gehen auf alle Fragen und alle Vorwürfe ein und hoffen auch oder denken auch, dass wir sie ausräumen.
Steffen Grimberg: Ist Ihnen da erinnerlich, dass Sie mit einer solchen Antwort dann auch den erwünschten Erfolg gehabt haben, meinetwegen in eine Art Dialog eingetreten sind und die betreffende Leserinnen den betreffenden Leser am Ende überzeugen konnten?
Jörg Riebartsch: Das gibt dann Dialoge, die entstehen. Ich habe jetzt gerade aus dem Kreis derjenigen, die hier die unangemeldeten sogenannten Montagsdemonstrationen immer noch wegen der Pandemie veranstalten, eine längere Korrespondenz mit einer Teilnehmerin und das ist sehr interessant. Beiderseits, glaube ich, und das ist ja die große Chance, die wir als lokale Zeitung am Ort haben: eben dauerhaft einen Dialog mit unseren Leserinnen und Lesern zu führen.
Steffen Grimberg: Wenn ich Sie richtig verstehe, trifft es also dann hier auf das Gebiet der OTZ und ihre Leserinnen und Leser nicht zu, was die Medienwissenschaft festgestellt hat: Dass es so eine Art Entfremdung zwischen den Medien und der Bevölkerung gäbe.
Jörg Riebartsch: Nein, gibt es auf keinen Fall. Vielleicht kommt da in meinem besonderen Fall noch dazu, dass ich hier einen besonderen Newsletter am Sonntag habe. Das ist ein Korrespondenz-, also ein Dialog-Newsletter. Das heißt, ich stelle Fragen an die Leserinnen und Leser und drucke dann in dem Newsletter eine Woche später die Antworten ab. Das macht sonst kein Chefredakteur in Deutschland, weil es sehr viel Arbeit macht. Aber das beweist genau das Gegenteil. Hier ist ein neues Dialogformat geschaffen worden, wo wir noch zusätzlich zu Telefonaten, persönlichen Gesprächen oder E-Mails Kontakt haben.
Steffen Grimberg: Welche Rolle spielen denn für Sie die sozialen Medien? Viele sagen ja auch, dass es dort diese Entfremdung zumindest mit den klassischen Medien gegeben hat. Das sei eben auch zum Teil auf deren Konto gegangen, weil in sozialen Medien sich natürlich Empörungen, Emotionen und so weiter ganz anders bahnbrechen können und vor allen Dingen die journalistischen Spielregeln, die Sorgfaltspflichten, nicht gelten.
Jörg Riebartsch: Das ist mit Sicherheit so. Das Problem, denke ich, ist bei uns in der Gesellschaft momentan, dass man anders handelt als früher. Früher, wo angeblich immer alles besser war, hat man sich erst informiert und dann eine Meinung gebildet. Heute ist es umgekehrt. Man hat erst eine feste Meinung und sucht dann in den sozialen Netzwerken nach Argumenten für die Meinung, die man ohnehin schon hat. Der andere Weg ist anstrengender, und der führt möglicherweise auch dazu, dass man seine Meinung ändert. So ist es mir beispielsweise auch gegangen. Ich war im vergangenen Jahr noch ein großer Befürworter der Impfpflicht und habe jetzt im Frühjahr festgestellt, dass das sinnlos ist. Man wird mit einer Impfpflicht die Impfgegner nicht dazu bekommen, sich impfen zu lassen und ich habe deshalb auch in einem Leitartikel prophezeit, dass es keine Impfpflicht geben wird. Und so ist es ja dann auch gekommen.
Steffen Grimberg: Wie sollte sich denn hier eine Redaktion wie beispielsweise die der OTZ verhalten? Wie sollte sie damit umgehen? Denn genau das, was Sie gerade gesagt haben, das haben uns eben auch Leute gesagt: Es gibt immer mehr Menschen, die suchen sich jetzt die passenden Fakten zu ihrer Meinung. Und das, was dann nicht dazu passt, das lassen sie weg.
Jörg Riebartsch: Naja, einmal gehört dazu, dass man die redaktionelle Linie nicht verlässt, nämlich sauber und sachlich zu informieren und dort, wo man es für notwendig hält, zu kommentieren und Beispiele zu geben oder Hinweise zu geben, wie man die Nachrichtenlage einordnet. Mir ist aber klar, dass man nicht alle Leute auf diesem Weg sozusagen einholen kann. Denn das scheint mir auch ein Ergebnis der Pandemie zu sein: Dass es manche Menschen gibt, die einfach fest auf ihrer Auffassung beharren und nicht bereit sind, die zu verändern, auch nicht bei besserem Wissen.
Steffen Grimberg: Reicht den Chefredakteur Jörg Riebartsch einmal über die gesamte Medienbreite, jetzt nicht nur im Fokus der OTZ. Haben nach ihrer Meinung die Medien in der Berichterstattung während der Pandemie Fehler gemacht?
Jörg Riebartsch: Wir haben sicherlich Fehler gemacht, was die Aufbereitung der Informationen anbelangt. Das hängt damit zusammen, dass es sehr viel war. Vielleicht hätte man mehr mit Grafiken arbeiten müssen. Da ist natürlich ein visuelles Medium im Vorteil. Bei der Tageszeitung muss man immer viel Text lesen, dann bekommt man natürlich auch viele Informationen unter. Aber manchmal ist es vielleicht hilfreicher, die Dinge besser zu illustrieren. Das haben wir am Anfang vielleicht nicht so gut gemacht. Wir haben aber auch in der Pandemie gelernt und denke, dass wir dann auch in der Zeit da noch besser geworden sind.
Steffen Grimberg: Und andere Bereiche? Zum Beispiel der schon erwähnte Heribert Prantl hat gesagt: Wir haben viel zu wenig über die Einschränkung der Grundrechte und diese Dimension, die es seiner Meinung nach seit dem Zweiten Weltkrieg, glaube ich, sagte er, in der Form in Deutschland nicht mehr gegeben habe, das sei viel zu wenig thematisiert worden. Und sagen wir mal, von der Gewichtigkeit her gar nicht genügend dargestellt worden.
Jörg Riebartsch: Sehe ich so nicht. Es mag sein, dass es in manchen Medien der Fall war, die Herr Prantl beobachtet. Bei uns war das mit Sicherheit nicht so. Denn ich erwähnte ja vorhin schon die Möglichkeit, bei uns, sich da auch kritisch in Leserbriefen zu äußern. Das ist in hohem Maße gemacht worden. Wir haben immer wieder Kritiker auch zu Wort kommen lassen, haben diese befragt. Wir haben ja auch politische Parteien, die sehr kritisch in Thüringen mit bestimmten Verordnungen der Minderheitsregierung umgegangen sind. Auch das haben wir transportiert. Also wir haben da keine, aus meiner Sicht, keine Nachrichten unterschlagen. Ich fürchte hingegen aber, dass diese Leute, die das so sehen oder die das kritisieren, die Zeitung, die OTZ, gar nicht kennen.
Steffen Grimberg: Das kann gut sein. Was würden Sie denn den anderen Medien raten? Wie kommen Sie da wieder raus, wenn sie für sich das Gefühl haben, wir haben eine Art Entfremdung zu unserem Publikum, und unsere Glaubwürdigkeit hat gelitten? Wenn das bei der OTZ nicht der Fall ist, ist das wunderbar. Aber was würden Sie als Chefredakteur anderen Medienmacherinnen und -machern raten?
Jörg Riebartsch: Ich rate allen, näher an dem Publikum dran zu sein, sich nicht zu drücken vor dem Dialog, auch nicht kritischen Zusendungen auszuweichen, diese gar gar nicht zu beantworten - das ist, glaube ich, ganz schlimm -, sondern immer wieder versuchen, zu antworten und zu argumentieren. Das macht Arbeit, ja, aber ich glaube, das gehört mit zu unserer Aufgabe als Faktor auch einfach in unserer demokratischen Gesellschaft.
Steffen Grimberg: Und einer, der es macht, ist Jörg Riebartsch, dem wir ganz herzlich für das Gespräch danken und dessen Newsletter wir dann jetzt auch demnächst abonnieren werden.
Jörg Riebartsch: Den empfehle ich Ihnen gern. Dankeschön.
Steffen Grimberg: Danke sehr.