Kontroverse über digitale Bildung Wird die Schule nach Corona wieder analog?
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30. April 2020, 19:38 Uhr
In der Corona-Krise ist an den Schulen alles anders. „Homeschooling“ im Elternhaus wäre ohne den Einsatz digitaler Technik gar nicht möglich. Was aber sagen die aktuellen Erfahrungen über den Stand der digitalen Bildung in Deutschland aus? Kann die Krise eine Art Katalysator für digitale Bildung sein und deren Einsatz auch in Nach-Corona-Zeiten beschleunigen?
Kehren Deutschlands Schulen demnächst einfach wieder zum Einsatz von Kreide und Tafel zurück? Diese Frage wird auch unter Expertinnen und Experten ganz unterschiedlich beantwortet. MDR MEDIEN360G hat hierüber mit dem Bildungsforscher und Psychologen Professor Dr. Manfred Spitzer von der Universität Ulm und mit Dr. Bernhard Rohleder von Bitkom gesprochen. Bitkom engagiert sich als Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien stark in Sachen digitaler Bildung. Rohleder gehörte zu seinen Mitgründern und ist seit 1999 Hauptgeschäftsführer des Bitkom. Manfred Spitzer ist Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und sieht die Auswirkungen der Digitalisierung auf Schülerinnen und Schüler höchst kritisch.
Denn für Spitzer gibt es zunächst einmal gar keine digitale Bildung:
Menschen lernen seit Jahrhunderttausenden auf immer die gleiche Weise. Am besten jemand ist da, den man fragen kann.
In der Corona-Krise zeige sich auch „die Begrenztheit des Digitalen“. Es werde „sehr deutlich, wo die Grenzen der Digitalisierung von Unterricht tatsächlich liegen“, so Spitzer.
Bernhard Rohleder hält dagegen. Eltern, Lehrkräfte und vor allem Schülerinnen und Schüler machten „jetzt sehr positive Erfahrungen mit dem Einsatz digitaler Technologien. Und ich bin sehr sicher, dass diese positiven Erfahrungen über den Tag hinaus wirken werden. Wir gehen davon aus, dass im Bildungsbereich das Rad nicht nochmal zurückgedreht wird und nach Corona alles so sein wird wie vor Corona.“
Schwache Schüler benachteiligt
Für Rohleder ist digitale Bildung auch ein Mittel, um „mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland zu bekommen“. Lehrende würden durch digitale Anwendungen entlastet und könnten die frei werdende Zeit zur gezielten Förderung schwächerer Schülerinnen und Schüler nutzen.
Spitzer befürchtet hier eher das Gegenteil. „Die Schere zwischen guten und schwachen Schülern wird größer. Digitale Medien machen den Unterschied zwischen Gebildeten und Ungebildeten eben nicht kleiner.“ Aktuell sei klar zu sehen, was bei schwachen Schülern schief laufe: „Sie kommen mit der Technik nicht klar, sind leichter ablenkbar und nicht so geeignet für selbstgesteuerten, digital gestützten Unterricht. Wie man vor dem Hintergrund sagen kann: Wir wollen jetzt die Schulen digitalisieren, ist mir völlig unklar.“
Lehrende besser mitnehmen
Beschwerden darüber, dass Deutschlands Lehrkräfte selbst zu schlecht in Sachen digitalen Know-hows und digitaler Ausstattung wären, erteilen aber beide eine klare Absage: Man könne den Lehrenden nicht zum Vorwurf machen, dass sie auf die Krise nicht ausreichend vorbereitet gewesen seien, meint Rohleder. „Sie haben ihren pädagogisch-didaktischen Auftrag im Klassenraum erfüllt und sind jetzt ganz anders gefordert.“ Viele strengten sich extrem an, „um das, was in den Schulen in den letzten zehn, zwanzig Jahren verpasst wurde, innerhalb ganz kurzer Zeit nachzuholen“.
Zu behaupten, die Lehrkräfte seien schuld, sei schlicht „Unfug“, sagt auch Spitzer. Wer von Lehrkräften erwarte, dass diese „sich mal eben am Wochenende hinsetzen, um digitale Lernkonzepte für den Mathematikunterricht zu entwickeln“, handle „völlig aberwitzig“, so Spitzer: „Wenn man weiß, dass zum Beispiel eine Softwarefirma mit 60 Mitarbeitern seit zehn Jahren nichts macht, als Mathematikunterricht zu programmieren und jetzt einigermaßen so weit ist, dann ist völlig klar, dass Lehrer so etwas nicht mal eben am Wochenende“ machen könnten.
Daher fordert Bitkom-Mann Rohleder, sich insbesondere auf die Fort- und Weiterbildung zu konzentrieren, „um dafür zu sorgen, dass diejenigen, die jetzt bereits an den Schulen sind, auch wissen, wie digitaler Unterricht geht“. Hierzu müssten auch Mittel aus dem Digitalpakt Schule zur Verfügung gestellt werde. „Der Digitalpakt Schule besteht aus drei Elementen“, so Rohleder: Zur Förderung von Geräten und Infrastruktur sowie der Förderung von Lerninhalten müsse aber auch zwingend die Schulung der Lehrenden kommen. „Die drei Dinge müssen zusammenkommen, dann wirkt der Digitalpakt Schule auch.“
Digitalisierung kein Selbstzweck
Spitzer gesteht als Erfahrung aus der Corona-Krise immerhin zu, man lerne, dass „digitale Medien durchaus mit Bildungsaufgaben in Verbindung gebracht werden können“. Allerdings sehe man auch „wie begrenzt das ist“. Rohleder sagt dagegen:
Es darf keinen Weg zurück in das reine analoge Unterrichten geben.
Man dürfe es mit der Digitalisierung aber „natürlich auch nicht übertreiben. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, Bildung zu demokratisieren und zu individualisieren“.
Spitzer dagegen ist sich sicher, dass sich in „der Schule alle wieder sehr freuen, wenn da ein Lehrer ist. Und im Kindergarten sowieso.“ Seine persönliche Lehre aus der Corona-Krise zielt auf etwas Anderes: „Meine Hoffnung ist, dass wir - genauso wie wir jetzt den Wert von Ärzten und Pflegepersonal sehr zu schätzen lernen - auch wieder zu schätzen lernen, das Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher einen wichtigen Job machen.“ Auf vieles andere könne man nämlich verzichten - „auf Gesundheit und Bildung nicht.“