Interview mit Heribert Prantl "Der Journalismus in der Krise ist nicht so gut, wie er sein könnte."
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11. März 2021, 14:54 Uhr
Süddeutsche-Autor Heribert Prantl kritisiert, dass die Medien immer noch zögerlich sind, die Pandemie-Politik des Staates kritisch zu hinterfragen. Er fordert mehr Engagement für die Freiheitsrechte.
Steffen Grimberg: Wir begrüßen Heribert Prantl, er ist Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung, war dort auch lange Mitglied der Chefredaktion. Ein streitbarer Kommentator zu allen Fragen des politischen Lebens. Wir freuen uns, dass wir heute mit ihm über Corona und die Medien sprechen können. Herzlich willkommen bei MEDIEN360G, Heribert Prantl.
Heribert Prantl: Guten Tag, Herr Grimberg.
Steffen Grimberg: Herr Prantl, wie empfinden Sie aktuell die Krisenkommunikation der Bundesregierung in der Corona-Krise? Und gibt es da Unterschiede zu Beginn der Krise vor rund einem Jahr?
Heribert Prantl: Ich sehe eigentlich einen roten Faden in der ganzen Krisenkommunikation. Der rote Faden heißt Alternativlosigkeit. Die Politik behauptet, dass ihre Maßnahmen, die Lockdowns, die Soft-Lockdowns, die harten Lockdowns - all diese Maßnahmen seien alternativlos. Das ist ein Wort, das mir nicht passt. Es ist deswegen ein Wort, das mir nicht passt, weil das Wort "alternativlos" nicht in die Demokratie passt. Das Suchen und das Finden nach den richtigen Antworten, nach den richtigen Maßnahmen darf nicht autoritär sein. Und "alternativlos" ist ein autoritäres Wort. Das heißt, wir müssen mit dem Wissen, dass es immer eine Vielzahl von Stimmen, eine Vielzahl von Alternativen gibt, in den mühsamen Prozess des Aushandelns, des Hörens, des Verstehens, des Aushandelns hineingehen. Das hat man vom Beginn der Corona-Krise an eigentlich bis zum heutigen Tag nicht gemacht. Man muss vom Begriff "alternativlos" Abstand nehmen. Man muss sich darüber klar werden, dass in dem Fall auch das Suchen des richtigen Weges schon das Ziel ist.
Steffen Grimberg: Wie gehen jetzt die Medien damit um, mit dieser Alternativlosigkeit, diesem roten Faden: Hinterfragen sie das genug?
Heribert Prantl: Vielleicht wird das Hinterfragen allmählich stärker. Aber der Journalismus hat den Lockdown, erst einmal den ersten Lockdown ganz besonders kommunikativ vorbereitet. Aber dann hat er bei der Folgenabwägung viel zu wenig getan und zur Folgenabwägung viel zu wenig beigetragen. Es ist bis zum heutigen Tag noch so, auch wenn es besser geworden ist. In der Diskussion um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen - man hat ja am Anfang so getan, als sei das Wort "Verhältnismäßigkeit" ein Wischiwaschi-Wort. Es ist kein Wischiwaschi-Wort. Es ist das zentrale Wort der Grundrechtsabwägung. Und hier hat der Journalismus, glaube ich, am Anfang nicht gut reagiert, er hat die Diskussionen zu wenig befördert. Er hat so getan, als seien diejenigen, die von Maßhalten und von der Verhältnismäßigkeit und von der Erforderlichkeit und von der Geeignetheit der Maßnahmen reden, als seien das schon irgendwie halbe Corona-Leugner. Das ist kompletter Unsinn! Jemand, der die Maßnahmen am Maßstab der Grundrechte prüfen will, ist kein Grundrechts-Leugner. Sondern er ist jemand, der die Grundrechte hochhält und zugleich die Pandemiebekämpfung so gestalten will, dass sie den Usancen und den Notwendigkeiten in einem demokratischen Rechtsstaat entspricht.
Steffen Grimberg: Die Politik argumentiert ja oft, sie habe gar keine anderen Möglichkeiten. Dass werde ihnen von der Wissenschaft, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesagt, sie würden eben in diese Richtung beraten. Wie gehen die Medien ihrer Einschätzung nach denn mit diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen um? Werden die genügend hinterfragt?
Heribert Prantl: Die Wissenschaft, die Wissenschaft gibt es ja nicht. Es gibt die Wissenschaft genau so wenig wie die Gesundheit oder die Lösung oder das Volk. In der Wissenschaft gibt es eine ganz breite Palette von Stimmen, von Analysen, von echten oder vermeintlichen Gewissheiten. Ich glaube zum Journalismus, zum guten Journalismus gehört auch, die Breite der wissenschaftlichen Meinungen, die Nuancierungen der wissenschaftlichen Meinungen, der wissenschaftlichen Analysen darzustellen. Das ist meines Erachtens lange zu wenig geschehen. Und der Graben, der zwischen Befürwortern, Kritikern und Verweigerern von Schutzmaßnahmen aufgerissen worden ist und der sich auch quer durch Familien und Freundschaften zieht - und jeder nimmt für sich in Anspruch, im Besitz der vollen Wahrheit und der richtigen wissenschaftlichen Analyse zu sein - hat vielleicht auch damit zu tun, dass die verschiedenen Positionen der Wissenschaft, der Virologie zu wenig aufbereitet und dargelegt worden sind. Es geht überhaupt nicht darum, irgendetwas zu leugnen. Sondern es geht darum, die Gefährlichkeit des Virus und die richtigen Reaktionen breit darzustellen und die richtigen Maßnahmen, den richtigen Weg herauszufinden. Und diese Wege und diese Maßnahmen sind ja auch in der Wissenschaft umstritten. Die Darstellung, dieser Umstrittenheit würde ich mir wünschen. Weil es die Demokratie weiterbringt, weil es die Diskussion weiterbringt und ich glaube auch dazu führen würde, dass völlig unsinnige Corona-Leugnung viel weniger vorkäme, als sie es derzeit tut.
Steffen Grimberg: Jetzt gibt es auch einige Stimmen, die sagen: "Na ja, gut, aber klassische Journalistinnen und Journalisten sind ja gar nicht in der Lage, auf Augenhöhe sozusagen den wissenschaftlichen Diskurs nachzuvollziehen und abzubilden." Also fehlt da noch Know-how auf unserer Seite?
Heribert Prantl: Ich denke, es ist ja nicht nur in der Medizin so. Wir sind ja auch in anderen komplexen Fragen die Fachleute dafür, sich schnell in komplexe Dinge hineinzuarbeiten. Das gilt für die Politik, das gilt für - was weiß ich - das Wohnungseigentumsgesetz. Das gilt für die Finanzkrise. Überall da steht der Journalismus vor der Aufgabe, sich hineinzuarbeiten. Und zwar so hineinzuarbeiten, dass er jetzt nicht als Sachverständiger im Bundestag auftreten kann. Aber dass er den Sachverständigen die richtigen Fragen stellen kann und dass er die Antworten, die gegeben werden, kritisch abklopft. Das gehört zu unserem Handwerk. Das müssen wir leisten können. Da zu sagen: "Da sind wir nicht auf Augenhöhe", das würde ich für ein bedenkliches Löffel-Abgeben halten.
Aber es war vielleicht schon so, dass es die Lust daran gab, so in beständigem Alarmmodus, im journalistischen Alarmmodus zu agieren. Es war schon gut, und da glaube ich, müssen wir uns keine Vorwürfe machen, als Frühwarnsystem waren die Medien schon ganz gut. In der Zeit, als wir noch gar nicht wussten, was ist das für ein Virus? Welche Gefährlichkeit hat der? Aber wenn dann aus einem Frühwarnsystem ein Dauerwarnsystem wird, ein Daueralarmismus - das hat der Gesellschaft nicht gut getan. Und die Lust, große Klickzahlen gerade mit der Pandemie zu erzielen, ist schon groß. Aber die Frage lautet ja nicht: Wie schafft man Klicks? Wie schafft man Reichweite? Wie schafft man Auflage? Die Frage lautet und die ist auf Dauer die wichtigere Frage, die viel wichtigere Frage: Wie schafft man Vertrauen? Und wenn ich Vertrauen schaffe dadurch, dass ich auch in einer solchen furchtbare Lage wie in der Pandemie durch die Art und Weise meiner Berichterstattung, meiner Analyse, ja auch meiner Kommentierung, wir müssen ja die verschiedenen journalistischen Formen unterscheiden, wenn es darum geht, in welcher Breite stelle ich dar. Wenn es gelingt, in dieser Krise Vertrauen zu schaffen, dann kommt all das, was wir auch brauchen, nämlich Klicks, Reichweite und Auflagen, von selber.
Steffen Grimberg: Sie haben es gerade gesagt: Der Alarmismus ist ein Kritikpunkt an der medialen Berichterstattung im Moment. Gibt es noch andere Dinge, die Ihnen fehlen oder wovon Sie sich mehr wünschen würden?
Heribert Prantl: Wir haben ja nicht nur einen Lockdown des wirtschaftlichen und des gesellschaftlichen Lebens gehabt. Wir haben auch einen Lockdown des Parlamentarismus erlebt. Und da hätte ich mir gewünscht, wenn wir - der politische Journalismus - viel stärker herausgestellt hätten, wie wichtig Parlamente in dieser Krise sind. Das Parlament ist der Souverän. Im Parlament finden die Debatten statt, die wichtig sind. Im Parlament müssen die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden. Die wesentlichen Entscheidungen in der Krise sind von der Exekutive getroffen worden, nicht per Gesetz, sondern von untergesetzlichen Verordnungen. Und das war nicht gut für die Demokratie, das war nicht gut für den Rechtsstaat.
Steffen Grimberg: Das wäre meine nächste Frage gewesen: Wir haben diese Demonstration jetzt zumindest bis zum zweiten Lockdown recht regelmäßig gesehen. Ist das auch eine Reaktion auf diese Nichtbefassung mit diesen Themen?
Heribert Prantl: Ich glaube schon, dass diese Art von Nichtbefassung und Nicht-Parlamentarisierung den Protest und die Demonstrationen anheizen. Ich habe ja nun nichts gegen Demonstrationen. Demonstrationen sind wichtig und gehören zum Essential einer Demokratie, auch und gerade in solchen Zeiten. Und wenn seltsame Vögel zum Demonstrieren gehen... "Lieber seltsame Vögel als gar niemand!" hat vor einiger Zeit ein bekannter Verfassungsrechtler von der Berliner Humboldt-Uni gesagt. Da hat er schon Recht. Und vielleicht führt auch der Eifer und das Gefühl der Demonstranten, gegen einen mächtigen Mainstream zu stehen, bisweilen zu geschichtsblinder Übertreibung, dass man sehr schnell die Diktatur schon um die Ecke biegen sieht. Die Diktatur kommt - bei aller Kritik, die ich habe - die Diktatur kommt nicht um die Ecke. Und irgendwelche Vergleiche mit finsteren Zeiten sind hanebüchen. Sie sind nicht gut, und sie schaden auch dem Protest. Und es kann trotzdem gefährlich werden, den Protest zu verachten. Und das passiert auch in den Medien zu viel. Wer dauernd Idiot genannt wird, der fängt womöglich an auch einer zu werden. Er wird stur, er wird trotzig, er wird irrational, er wird unsozial. Das heißt für uns jetzt, für unsere Branche, für die Journalistinnen und Journalisten: Wenn man Demonstranten pauschal zu Idioten erklärt, ist es nicht gut. Das ist womöglich idiotisch. Weil man dem eigenen Anliegen schadet. Man soll, auch wenn Demonstranten übertreiben, wenn sie geschichtsblind argumentieren in ihrem Eifer, man soll sie ernst nehmen. Dieses Ernstnehmen tut den Demonstranten gut. Jemanden, Demonstranten oder ganze Demonstrationen als idiotisch wegzuschieben, ist nicht gut für die Demokratie.
Steffen Grimberg: Es gibt andererseits aber auch Stimmen, die sagen, die Medien würden das sogar überbetonen, diesen Protest viel stärker machen oder stärker darstellen, als er wirklich ist. Es sei ja nur eine ganz kleine und zum Teil eben sehr radikale Minderheit, die da protestieren würde. Gibt es da so etwas wie ein False Balancing, wie das in der Kommunikationswissenschaft genannt wird? Dass man also versucht, ein Gegenüber zu schaffen und dabei dann die Balance außer Kontrolle gerät?
Heribert Prantl: Ach ja, ich habe schon das Gefühl, auch wenn ich von mir selber ausgehe, dass gewisse Balancen nicht mehr vorhanden sind. Ich fang mal bei mir selber an. Juristen lernen schon im Anfängerseminar, dass nicht die Freiheit sich rechtfertigen muss, sondern dass man ihre Beschränkungen und ihre Begrenzung rechtfertigen muss. Das ist ein Satz, der gehört zum kleinen Einmaleins jedes Juristen. Jetzt stellt man in der Pandemie fest, dass dieser Satz auf einmal gar nicht mehr so geachtet wird, weil die Naturwissenschaft dominiert mit ihren Expertisen. Und das wird durch die Medien verstärkt und unterstützt. Und diese klassische und für mich selbstverständliche juristische Betrachtungsweise - die Beschränkung muss sich rechtfertigen - gerät außer Blick.
Steffen Grimberg: Gibt es noch andere Möglichkeiten, die man Journalistinnen und Journalisten an die Hand geben könnte, als Rat da eine richtige Balance zu finden oder überhaupt wieder in ein ausgeglichenes Verhältnis zu kommen?
Heribert Prantl: Ich mein, man muss halt aufpassen, dass man nicht - aber das gilt hier für jedweden Journalismus, bei der Krise gilt das besonders - man muss halt wirklich darauf achten, dass ich nicht mir die Experten suche zur eigenen Bestätigung, die das sagen, was ich auch meine. Wenn ich nun - und ich tue es nicht - wenn ich nun jemand wäre, für den Zero Covid der richtige Ansatz ist, dann ist es nicht sehr dienlich, sich ständig nur Experten zu suchen, die auch dieser Meinung sind. Und auf die Art und Weise die eigene Meinung zu stärken. Das ist aber kein Problem, das sich erst bei Corona stellt.
Steffen Grimberg: Das, was sie gerade besprochen oder beschrieben haben, Herr Prantl, dafür hat die Kommunikationswissenschaft ja auch ein Wort. Das ist der sogenannte Confirmation Bias. Wenn man also quasi nur in seiner Blase bleibt und mit Gleichgesinnten redet beziehungsweise sich Expertinnen oder Experten sucht, die das bereits vorhandene Wissen vielleicht noch ergänzen, aber jedenfalls nicht in Frage stellen. Wenn Sie sich die mediale Berichterstattung mit Blick auf Corona angucken, ist es da tatsächlich ein Problem? Gibt es da so einen Confirmation Bias bei den Medien?
Heribert Prantl: Die Gefahr besteht schon, aber ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, dass es um das Recherche-Handwerk im deutschen Journalismus schlecht bestellt ist. Das Recherche-Handwerk beherrschen wir durchaus. Und Demokratie lebt von den sozialen Kontakten. Und wenn die sozialen Kontakte schwierig sind und wenn sie als schädlich gelten wie in den Pandemiezeiten, dann muss der Journalismus dafür sorgen, dass Begegnung, dass Diskussion stattfinden kann. Wir sind der einzige Beruf, für den es ein eigenes Grundrecht gibt, nämlich die Pressefreiheit. Und diese Pressefreiheit ist nicht nur ein Recht. Sie ist auch eine Pflicht. Sie ist eine Pflicht, die Menschen ins Gespräch zu bringen. Und die Pressefreiheit heißt auch deswegen Freiheit, sage ich gerne ein bisschen spitz, weil sie die Freiheiten verteidigen sollte. Es ist eine Aufgabe, die sich in der Pandemie, in der Krise, in der wir stecken, besonders laut stellt. Und dieser Aufgabe müssen wir uns noch viel stärker als bisher stellen.
Steffen Grimberg: Letzte Frage, Herr Prantl, wenn Sie jetzt bewerten sollen, Sie haben es gerade ja schon ein bisschen gemacht, wie sich die Medien, wie sich die Presse dieser Aufgabe stellt. Wo sehen Sie das größte Defizit? Wo wünschten Sie sich noch mehr Lernprozess?
Heribert Prantl: Wir müssen ja als Journalisten genauso lernen aus der Krise, wie die Politik lernen muss. Ich will nicht, dass diese Art von Lockdowns und von schneller Grundrechtsbeschränkung und von zu generalisierenden und pauschalisierten Einschränkungen die Blaupause ist für die nächsten Krisen. Dass wir also damit rechnen können, regelmäßig solche Lockdowns zu erleben. Da muss uns schon Diffizileres und Differenzierteres einfallen. Und ich denke wir Journalistinnen und Journalisten müssen aus der Krise lernen, von Anfang an die Diskussion stärker zu befördern. Wir waren nicht so ganz schlecht. Aber der Journalismus auch in der Krise ist nicht so gut, wie er sein könnte. Und er ist auch nicht so schlecht, wie viele sagen. Wir haben Fehler gemacht, und ich wünsche mir, dass wir - genauso wie die Politik - aus diesen Fehlern lernen.
Steffen Grimberg: Das sagt der Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, mit dem wir über Corona und die Medien gesprochen haben. Herr Prantl, ganz herzlichen Dank für das Interview.
Heribert Prantl: Ich danke Ihnen.