Wandel der Presselandschaft ab 1990 „Plötzlich wurden die Zeitungen bunter….“
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30. September 2020, 15:31 Uhr
Vor 30 Jahren veränderte sich die Presselandschaft in Ostdeutschland grundlegend. Viele neue Zeitungen wurden gegründet. Die bisherigen Bezirkszeitungen wechselten die Eigentümer. Zeitzeugen berichten, wie sie die Veränderungen erlebt haben.
Seit 1888 gibt es die Druckerei Otto Hahn und das dazugehörige Ladengeschäft im Städtchen Kranichfeld bei Erfurt. Zwischen 1888 und 1941 wurde sogar eine Lokalzeitung dort geschrieben und gedruckt. Nach dem Zeitungsverbot durch die Nazis ließen auch die Machthaber nach 1945 eine Wiederauflage der Lokalzeitung nicht zu.
Das Monopol des Postzeitungsvertriebs der DDR sorgte dafür, dass im Hahn'schen Privatladen keine Zeitungen verkauft werden durften. Mit Beginn des Jahres 1990 änderte sich das schlagartig, erinnert sich der jetzige Inhaber Otto Hahn. "Es war (von den Westverlagen) generalstabsmäßig geplant." Etwa ein halbes Jahr habe der Run auf die Illustrierten, Anzeigen- und Tageszeitungen aus der BRD angehalten.
Spannende Neugründungen
Den Leipziger Kabarettisten Bernd-Lutz Lange ließen Spiegel, Stern und Co. kalt. Sein Interesse galt der neugegründeten Die Andere Zeitung. Dort sei Spannendes passiert, eine große Freiheit des Schreibens, so Lange im Gespräch mit MEDIEN360G. Selbst die Leipziger Volkszeitung war auf einmal interessant. Besonders das Feuilleton sei hervorragend gewesen.
Zeitungen vom LKW
Vor der ersten freien Volkskammerwahl 1990 fluteten westdeutsche Verlage die DDR mit ihren Tageszeitungen. Nicht nur in Leipzig wurden vom LKW aus hunderte Exemplare verschenkt. Es seien erschreckende Bilder gewesen, sagt Dr. Judith Kretzschmar vom Leipziger Institut für Heimat- und Transformationsforschung, wie sich die Menschen auf diese Zeitungen gestürzt und die totale Wahrheit darin gesehen hätten. Das aggressive Marketing war ein Vorbote der wenige Monate später anstehenden Privatisierung der SED-Bezirkszeitungen.
Doch neben dem Run auf westdeutsche Presseerzeugnisse gab es auch ein gegenteiliges Phänomen. "Ich bin Abonnentin der Vorgängerin der Thüringer Allgemeinen gewesen und dabei ist es geblieben (bis heute)", sagt eine Erfurterin bei einer Straßenumfrage MEDIEN360G. Das ist keine Einzelaussage. Die Masse der Abonnenten blieb der Lokalzeitung treu und machte die SED-Blätter "zu Rosinen" für die großen westdeutschen Verlage, so Dr. Judith Kretzschmar. Das prägt die Zeitungslandschaft in den fünf neuen Bundesländern bis heute.
Weitere Informationen zur Autorin Dagmar Weitbrecht
Dagmar Weitbrecht, Jahrgang 1964, ist mit Leib und Seele Erfurterin. Studium der Geschichts- und Archivwissenschaften in Leipzig und Potsdam. Journalistische Arbeit begann 1990 beim Radiosender Thüringen Eins, seit 1992 in verschiedenen Redaktionen des MDR Landesfunkhauses Thüringen tätig.