Porträt der Gesprächspartner Steffen Grimberg und Mandy Tröger. 42 min
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Auch nach 30 Jahren Deutsche Einheit hat die Privatisierung der DDR-Zeitungen Folgen. Welche Rolle spielten Treuhand und Bundesinnenminsterium? Brauchen wir eine "Ossi-Quote"?

Do 24.09.2020 08:35Uhr 41:31 min

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Der MEDIEN360G Podcast mit... Mandy Tröger über Treuhand und Übernahme der DDR Zeitungen

30. September 2020, 13:54 Uhr

Mandy Tröger forscht über die Veränderung der Medienlandschaft nach der Friedlichen Revolution. Im MEDIEN360G-Podcast berichtet sie, wie sie die Zeit persönlich erlebt hat und warum sie ihr Forschungsvorhaben im Ausland begann.

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Steffen Grimberg: MEDIEN360G der Podcast. Wir sind zu Gast bei Mandy Tröger. Sie forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München über die deutsch-deutsche Medien-Vergangenheit, vor allen Dingen, was mit den Tageszeitungen in der ehemaligen DDR passierte, in der Wendezeit und unmittelbar dann in den Monaten danach. Und, warum die Presselandschaft dort jetzt so aussieht, wie sie nun mal ist. Aber, Frau Tröger, wir würden am Anfang gern auch ein bisschen was Persönliches von Ihnen erfahren und besprechen. Wie war das denn für Sie 1989/90, die Wende. Wo waren Sie da persönlich? Wie haben Sie das erlebt?

Dr. Mandy Tröger: 1989 war ich neun Jahre alt, und ich bin in Berlin, in Ost-Berlin aufgewachsen, also am Prenzlauer Berg. Und da waren wir im Prinzip umgeben von der Mauer, was mir damals gar nicht so wirklich klar war als Kind. Aber als dann die Proteste losgingen und die Panzer am Haus vorbei fuhren, da wurde es dann auch mir als Kind klar, dass hier etwas ganz Großes passiert. Und als dann die Massenproteste im November, am 4. November, am Alexanderplatz stattfanden und meine Mutter und uns mitgenommen hat, da war mir dann klar, hier passiert wirklich was. Und dann ist kurz darauf die Mauer gefallen. Daran kann ich mich noch total gut erinnern: also die Atmosphäre in der Stadt, das erste Mal in West-Berlin zu sein, die Blumen in den Fenstern. Und mir wurde damals eine Micky-Maus-Platte geschenkt.

Steffen Grimberg: …eine Mick-Maus-Platte aber kein Micky-Maus-Heft. Was war denn so die erste Westzeitung oder das erste Westmedium - also Print natürlich - was da so hereinbrach?

Dr. Mandy Tröger: Also so richtig dran erinnern kann ich mich an die Bravo. Das war dann aber erst später. Die Bravo war für meine Generation die Zeitung, die man als Jugendlicher gelesen hat.

Steffen Grimberg: War das ein Bruch mit dem, was so aus der DDR bekannt war, so Mosaik und die Digedags und wie das so alles hieß?

Dr. Mandy Tröger: Schon, total. Es war schon so, dass jeder Westzeitungen lesen wollte und auch Micky-Maus-Zeitschriften. Ich habe noch eine aus dem Jahr 1980, die wurde mir in einem Westpaket zugeschickt. Die habe ich immer noch in meiner Truhe zu Hause liegen.

Steffen Grimberg: Die ist vielleicht sogar etwas wert heutzutage.

Dr. Mandy Tröger: Ich habe schon geguckt, das ist sie wirklich. Jeder wollte irgendwie Westzeitungen, Westzeitschriften aber auch grundsätzlich Süßigkeiten und was es da so gab. Es war ein großer Bruch 1989/90. Dass mit dem Bruch einhergehen würde, dass alles, was man bisher kannte aus der Jugend und Kindheit, wegfallen würde, das war mir damals nicht bewusst. Das kam erst später.

Steffen Grimberg: Wie war das dann? Ich habe ja auch sozusagen die Wende sehr bewusst miterlebt. Ich war natürlich schon ein bisschen älter. Ich bin Jahrgang '68, war also 22, hatte interessanterweise relativ viel Kontakt davor schon zur DDR, weil ich mit einem Pastorensohn befreundet war. Da gab es dann immer eine Partnergemeinde. Da bin ich dann oft mitgefahren. Und deswegen habe ich - also ich hatte keine Verwandtschaft in der DDR - sondern eben dann über diese Kanäle, meistens kirchliche Kanäle, entsprechend viele Bekannte, die natürlich meistens der ganzen Veranstaltung auch eher kritisch gegenüberstanden. Aber ich habe das ähnlich erlebt, diese großen Erwartungen. Dann auch die großen Erwartungen, wann kommen jetzt die Zeitungen aus dem Westen, denen wir dann alles glauben können, während ja doch in der DDR die Zeitungsleserinnen und -leser auch sehr, sehr kritisch waren. Also wenn überhaupt dieses berühmte "Lesen zwischen den Zeilen". Wie war das für Sie dann später, waren da noch Reste von übrig?

Dr. Mandy Tröger: Ich war Kind, als die Mauer gefallen ist. Für mich waren erstmal die 90er Jahre sehr prägend. Berlin hat sich krass schnell verändert. Eigentumsverhältnisse haben sich verändert. Die Jobunsicherheiten der eigenen Eltern, nicht zu wissen, wie es weitergeht, auch schultechnisch. Für mich waren das keine Fragen, die ich damals schon hatte. Es waren immer Fragen, die geblieben sind. Eine Sache fand ich spannend, dass ich zu Ostzeiten in die Schule gegangen bin und ich habe eine Klausur in Geschichte geschrieben und habe eine Eins bekommen für Antworten, die später dann nicht mehr valide waren. Später ist mir klar geworden, dass auch Geschichte immer nur die Geschichte einer gewissen Perspektive ist, dass es keine geschichtliche Wahrheit gibt in dem Sinne. Das war mir mit Zwölf klar. Solche Sachen kriegt man aber eben auch nur mit Zwölf in den Kopf, wenn man das selbst durchlebt hat.

Steffen Grimberg: Total spannend. Ist das dann auch der Grund, warum Sie jetzt zu dieser Forschung gekommen sind? Sie sind dann ja vor allen Dingen in den USA gewesen, in Illinois, wenn ich das richtig gelesen habe, und haben dann da angefangen, sich quasi mit der Wendegeschichte der DDR-Zeitungen zu beschäftigen. Also wie sie privatisiert wurden, welche Rolle die Westverlage da gespielt haben. Welche Rolle verschiedene Institutionen der DDR und der Übergangszeit gespielt haben, wie der Medienrat, später dann die Treuhandanstalt. Ist ja spannend. Warum kommt einem so ein Thema in den USA? Oder muss man vielleicht sogar in die USA gehen, um da – keine Ahnung – die nötige Distanz oder den nötigen Abstand zu haben?

Dr. Mandy Tröger: Also die Sache fing noch früher an – während meines Masters. Den habe ich in Amsterdam gemacht, da habe ich mich schon mit deutsch-deutschen Medienbeziehungen auseinandergesetzt. Da ist mir erst so richtig klar geworden, was in der deutschen Forschung fehlt, also auch an ostdeutschen Perspektiven, aber gerade zu Forschungen zu Medien in der DDR, die häufig von Westdeutschen geschrieben wurde, wo man ganz klar mitkriegt, die kennen den sozialen Kontext gar nicht. Also, die wissen, das merkt man an der Sprache, das merkt man an den Fragen, die haben sehr wenig wirklich Wissen darüber, wie Menschen im sozialen Gefüge in der DDR gelebt haben. Da gab es Unterschiede in Stadt, Land und so weiter. Und trotzdem, da ist mir erst einmal wirklich klar geworden, dass es da ganz große Forschungslücken gibt. Da habe ich schon eine Arbeit geschrieben quasi über deutsch-deutsche Medienbeziehungen. Dann bin ich nach meinem Master im Journalismus gelandet und habe noch nebenbei eine Ausbildung gemacht zur Journalistin. Und da ist mir klar geworden: Krass, wenn man so eine Ausbildung macht, dann spricht keiner über Eigentumsstrukturen oder über Profit zum Beispiel. Das hab ich da mal angesprochen, während dieser Ausbildung. Und da wurde mir gesagt, in der Journalistenschule lernt man halt das Handwerk und man redet nicht unbedingt über Strukturen. Ich habe in einem profitorientierten Unternehmen gearbeitet, und da ging es ganz klar um Profit. Also, das war Werbung, und die Einnahmen waren einfach wichtig.

Steffen Grimberg: Welches Unternehmen war das?

Dr. Mandy Tröger: Das war eine Nachrichtenagentur damals in Amsterdam, und ich habe für den deutschsprachigen Bereich gearbeitet und habe dadurch angefangen, Bücher zu lesen über Eigentumsstrukturen und solche Sachen. Und da bin ich quasi über diese Bücher nach Illinois gekommen. Weil mir da irgendwie klar geworden ist, cool, das will ich machen. Das will ich mir einfach mehr angucken, wie einfach politische und wirtschaftliche Interessen die Informationen beeinflussen, die wir als Konsumenten bekommen. Da war Illinois irgendwie so der Hotspot. Dann habe ich mich da beworben und habe ein Stipendium bekommen. In den USA läuft das alles ein bisschen anders. Wie macht man seinen Doktor? Da muss man Seminare machen und Prüfungen ablegen und so. Und während dieser Zeit habe ich mich dafür entschieden, quasi diese Chance zu nutzen und mir aus der Entfernung die Transformation in der DDR anzugucken. Weil Sie jetzt gerade sagten, musste man in die USA gehen? Ja, musste ich!

Steffen Grimberg: Warum hat die deutsche Forschung, die inländische sozusagen, hat die irgendwelche Scheuklappen oder eine bestimmte Brille auf?

Dr. Mandy Tröger: Wir sind noch zu nah dran. Also in Deutschland ist dieses Thema einfach nicht ein Thema der Geschichte, sondern wir leben jetzt noch mit den Konsequenzen, ganz klar von dem, was vor 30 Jahren passiert ist. Also wenn man sich anschaut, was im Osten heute passiert, wie die Presselandschaft aussieht...guckt man in das Jahr 89/90 und findet da, nicht den einzigen Schlüssel, aber einen ganz großen Schlüssel zu dem, was wir heute finden. Und in den USA war das anders. Also die interessiert Deutschland wenig und schon gar nicht die DDR. Ein Land, was es nicht mehr gab, sondern für die war das so ein Case-Study, wo man sich angucken kann, wie Marktinteressen wirken, wenn es überhaupt keine Regularien gibt. Das fand ich total spannend. Dadurch konnte ich da halt eben auch Fragen stellen, die hier unmöglich gewesen wären. Also letztlich gucke ich mir weniger an, was ist jetzt wirklich in der DDR passiert, sondern wie haben westdeutsche Interessen gewirkt? Da wird es dann halt echt spannend. Weil dann redet man über Verlage, die heute weiterhin aktiv sind, groß sind. Das konnte ich nur aus der Distanz machen.

Steffen Grimberg: Wahrscheinlich auch ein bisschen, weil man die Machtfrage stellt. Also, da kann ich auch sozusagen ein bisschen was zu beitragen. Ich bin studierter Journalist. Bei uns hat im Studium zumindest das Ökonomische schon eine gewisse Rolle gespielt. Also, wir hatten da entsprechende Vorlesungen und es war immer ganz klar die Profitorientierung, vor allen Dingen der klassischen Tageszeitung. Das spielte eine große Rolle, auch Rücksichtnahmen, meinetwegen. Ich weiß noch bei mir im Lokaljournalismus, im allerersten Job, da hat natürlich die Lokalzeitung vor Ort, auch wenn überhaupt, etwas nebulös geschrieben, also "das große Kaufhaus in der Innenstadt", das war natürlich Karstadt. Da hat aber niemand den Namen genannt aus Angst, um die mögliche Stornierung von irgendwelchen Werbebeilagen und so weiter, wenn da mal irgendwelche dreckige Wäsche gewaschen werden musste, was häufiger der Fall war.

Und ich bin dann im Volontariat, also der Ausbildung, die man zum Zeitungsredakteur, zur Zeitungsredakteurin macht, da bin ich dann als einer der frühen Wessis würde ich jetzt mal sagen in den Osten gekommen, in den dann schon wiedervereinigten Osten, 1991 zur Thüringer Allgemeinen nach Erfurt. Einer Zeitung, die war ja bis 1990 auch Parteiorgan der SED, also eine so genannte Kreiszeitung, und hatte sich dann mehr oder weniger selber schon ein bisschen früher als andere von der Partei losgesagt. Ganz spannende Geschichte, die ich allerdings nur so vom Erzählen kenne. Da haben also die Drucker gestreikt und die Zeitung ist ein oder zwei Tage ganz ohne obere Dachzeile erschienen, wo drin stand, was sie denn eigentlich war und wem sie gehörte. Und dann wurde aus dem Volk, so hieß das SED-Blatt, dann die Thüringer Allgemeine. Der erste Chefredakteur wurde gewählt, Sergej Lochthofen, bis heute eine legendäre Gestalt in Thüringen. Da war es unglaublich spannend, diese Schritte mitzuerleben und dann sozusagen auch als jemand aus dem anderen Deutschland.

Ich war in der Lokalredaktion in Weimar zuerst lange Monate eingesetzt. Wenn ich mich erinnere, also am Anfang, das war, glaube ich, da waren die Subventionen für die DDR-Zeitungen schon gestrichen worden. Trotzdem gab es noch eine enorme Pressevielfalt. Wir hatten in Weimar, glaube ich, vier oder fünf miteinander konkurrierende Lokalzeitungen oder Zeitungen, die lokale Ausgaben für Weimar machten, weil es auch eine Neugründung aus dem Westen gab. Es war also richtig Bambule. Und am Ende des Volontariats, also nach knapp zwei Jahren, waren von denen schon mal zwei wieder weg vom Fenster. Das deckt sich ja auch so mit Ihrer Forschung.

Dr. Mandy Tröger: Also es ist ganz spannend, dass Sie in Thüringen waren, weil Thüringen ein Hotspot war. Wo einfach überproportional viele Zeitungsneugründungen stattfanden und wo auch Experten damals schon gesagt haben: Gib den irgendwie zwei Jahre und dann hat sich das auch wieder beruhigt. Trotzdem wirklich spannend, auch gerade mit der Thüringer Allgemeinen, dass Sie dabei waren. Da beneide ich Sie.

Steffen Grimberg: Die Kantine war mäßig. Ich bin vor allen Dingen auch auf dieses berühmte "Jägerschnitzel" reingefallen als Wessi. Das gehört irgendwie dazu.

Dr. Mandy Tröger: Ja, auch so ein Klischee.

Steffen Grimberg: Aber es stimmte auch. Aber es war großartig. Ich möchte auch nichts missen. Wenn man im Fahrstuhl "Stasi" sagte, fuhr der gefühlt langsamer, weil alle so in die Knie gingen.

Dr. Mandy Tröger: Ich war Sieben oder so und stand mit meiner Mutter in der U-Bahn in Berlin und sagte ihr ganz laut: "Mama. Erich Honecker ist ein guter Mann, oder?" und alle wurden, also wirklich interessant, das habe ich als Kind mitbekommen, mucksmäuschenstill. Und meine Mutter guckte und dann sagt sie: "Meine Kleine, darüber reden wir zu Hause". Damit war das Ding dann auch gegessen.

Ja, aber Thüringen ist da, glaube ich, noch mal ein ganz spezieller Fall. Und trotzdem war das ja genauso in der DDR 89/90. Also im Jahr 1990 wurden 120 neue Zeitungen gegründet. Es ist unglaublich viel bei einem Land mit 17 Millionen Einwohnern. Also dazu muss man auch sagen, dass relativ viele Mantel-Zeitungen auch dabei waren, also von mittelständischen Verlagen aus dem Westen. Die dachten, so können sie ihre Auflagen erweitern und erhöhen. Und trotzdem, viele dieser Neugründungen waren eben auch von politischen Organisationen oder Bürgergruppen oder eben einfach wirklich Bürgern und Journalisten die sagten: "Jetzt können wir mal". Also zwei Jahre später waren von diesen 120 noch irgendwie 50 übrig. Seitdem ging es auch immer weiter. Also ich kenne jetzt noch zwei oder drei, die noch übrig geblieben sind. Da sind zum Beispiel das Neue Torgauer Kreisblatt. Das ist dabei, und mit denen bin ich im Kontakt. Die habe ich auch im Archiv gefunden. Ich war übrigens letzte Woche auch wieder im Archiv und habe ganz viel zur Thüringer Allgemeinen gefunden. Eine ganz spannende Geschichte, weil damals zum Beispiel die SPD Restitutionsansprüche an die Thüringer Allgemeine hatte.

Steffen Grimberg: Rückübertragung von früherem Eigentum…

Dr. Mandy Tröger: Genau. Und hat da eine ganz große (Geschichte daraus gemacht), über Gerichte ging es, um quasi diese Zeitungen zurückzukriegen, also die Thüringer Allgemeine war nur eine davon. Das ging dann letztlich über die Treuhand, und es musste sich mit der Treuhand geeinigt werden. Aber ich kann Ihnen auch sagen, diese Zeitungsneugründungen, das war wirklich eine einmalige Chance, also ein Fenster, was denn letztlich auch nicht genutzt wurde. Weil viele dieser Zeitungen, wo wirklich auch Herzblut drin steckte von vielen Menschen, dann wieder Bankrott gegangen sind. Das ist unter anderem passiert - da ist jetzt die Thüringer Allgemeine halt eben auch Teil davon - weil diese SED-Bezirkszeitungen, die es gab - es gab 14 in der ganzen DDR - die waren quasi so lokale Monopole. Und die hatten Privilegien, wenn es um Papier ging, wenn es um den Druck ging, wenn es um Ressourcen, Personal und so ging.

Steffen Grimberg: Vielleicht muss man dazu sagen, dass das, wenn ich es richtig verstehe, das war ja noch länger in Anführungsstrichen "Planwirtschaft" als sozusagen Wiedervereinigung oder Wende, weil man so ein System ja auch nicht über Nacht aufdröseln kann. Und außerdem, das habe ich auch noch miterlebt, ist ja jetzt auch gerade wieder aktuell: Die Funke-Gruppe, wie das Ganze in Thüringen mittlerweile ja heißt, hat angekündigt, in Erfurt den Druckstandort komplett zu schließen nächstes Jahr. Das ist schon der neue. Damals, als ich beim bei der TA war, waren es noch die ganz alten Maschinen vom Volk, die auch am Ende ihrer Fahnenstange waren und gar nicht so viel drucken konnten, wie nachgefragt wurde. So viel Papier gab es auch nicht. Aber wenn ich es richtig verstehe, waren diese Zeitungen, die früher SED-Parteizeitungen waren, den anderen Zeitungen, die es ja auch gab, also jede Partei hatte welche, die Massenorganisationen, die Gewerkschaften, die FDJ, die Bauern hatten welche, sozusagen überlegen.

Dr. Mandy Tröger: Im Prinzip dieses Informationsmonopol von dem man immer redet, das SED-Informationsmonopol, das war ja nicht nur ein inhaltliches, sondern es war auch ein strukturelles. Die SED hatte 90 Prozent der Druckkapazitäten für sich. Von 9,7 Millionen Zeitungen, täglichen Exemplaren, die es gab, gab es irgendwie 6,7 Millionen SED-Zeitungen. Papier zum Beispiel gab es in der DDR ganz schwierig, und die SED-Zeitungen hatten halt immer dort eine Priorität und haben halt Papier bekommen. Aber aufgrund dieser Tatsache hatten die auch große Auflagenzahlen, also die gingen zwischen 200.000 bis irgendwie 600.000 Exemplare täglich.

Steffen Grimberg: Das Neue Deutschland hatte sogar über eine Million.

Dr. Mandy Tröger: Was passiert ist: Was man häufig hört sind dann so Sachen wie: die SED-Zeitungen, DDR-Zeitungen wollte keiner mehr lesen. Stimmt nicht! Was stimmt ist, das Neue Deutschland und die Junge Welt - also das Neue Deutschland gehörte der SED und die Junge Welt der FDJ - haben ganz schnell rapide, ganz viel ihrer Auflage verloren. Das stimmt. Aber das war eben auch die Ausnahme. Die SED-Bezirkszeitungen sind relativ stabil geblieben durch die ganze Wendezeit, auch als die Subventionen weg fielen im April 1990. Weil letztlich die DDR-Leserschaft ist diesen Zeitungen treu geblieben und ist es bis heute. Das heißt aber auch, das waren so die Filetstücke unter den DDR-Zeitungen, die westdeutsche, finanzstarke Verlage haben wollten.

Steffen Grimberg: Was ist denn von den Verlagen zu halten, die sich sozusagen die anderen Zeitungen haben andrehen lassen, beziehungsweise gekauft haben? Haben sie das nicht geblickt? Es gibt ja zum Beispiel die FAZ-Gruppe, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die hat sich die Zeitungen der ehemaligen Ost-CDU überwiegend unter den Nagel gerissen. Das waren dann keine Filetstückchen. Beziehungsweise bei uns im Weimar wurde zu meiner Volontariatszeit schon darüber spekuliert, die wären nur auf die Immobilie scharf gewesen, weil es so eine schöne alte Villa in Innenstadtlage war.

Dr. Mandy Tröger: Die FAZ hat darauf gebaut, dass es was werden könnte. Ist es letztlich aber nicht geworden. Und die haben sich letztlich einen ganz großen Rechtsstreit geliefert mit der Treuhand. Also die Treuhand hatte Angst, dass die FAZ sie verklagen würde. Einfach aufgrund der Tatsache, dass die Zeitungen alle eingegangen sind. Da arbeite ich gerade dran. Dann ging es halt wirklich darum, dass die Treuhand und die FAZ verhandelt haben, inwiefern sie Grundstücke wirklich haben könnte oder eben nicht. Also man kann nicht sagen, die FAZ hat alle Grundstücke bekommen, sondern es wurde wirklich Grundstück für Grundstück ausgehandelt, ob die FAZ es jetzt übernehmen könnte oder nicht. Das ist jetzt im nächsten Buch, um jetzt mehr Details zu geben.

Steffen Grimberg: Das hat ja auch weniger mit den Zeitungsinhalten zu tun. Wie ist denn das aber gelaufen? Denn das ist ja auch so eine Geschichte. Vieles, was ich gehört habe in der Zeit, war, dass dann eben gesagt wurde: Ja, bei uns ist die ganze Chefetage ausgetauscht worden. Die kommen jetzt alle aus dem Westen, die verstehen uns hier gar nicht. Beziehungsweise die wissen ja de facto gar nicht, wie es bei uns läuft. Die kommen jetzt mit tollen Ideen, die aber nur so mäßig funktionieren. Ich kann mich in Weimar daran erinnern. Da gab es auch so verschiedene Geschichten, die mich als junger Mensch fasziniert haben. Weil ich sowohl mit den Kolleginnen und Kollegen, die eben aus Weimar waren oder DDR-Hintergrund hatten, abends Bier trinken ging, aber auch mit sozusagen diesen ganzen eingereisten Wessis. Und natürlich hatte ich ein Verständnis dafür, wenn an so einer Kneipentheke, der Direktor der Deutschen Bank Weimar mit dem Direktor der Commerzbank in Weimar saß und die beiden kriegten sich fürchterlich in die Wolle, weil sie sich als Bankdirektoren eine Wohnung teilen mussten und der eine seine Haare nicht aus der Dusche nahm. Das fand ich eine großartige Vorstellung, eine Bankdirektoren-WG. Wo gibt es das schon? Aber bei den Kolleginnen und Kollegen, die eben aus Weimar waren, die sagten: Die haben schon so eine tolle Wohnung und jetzt nerven die dann noch rum und finden, dass alles nicht gut ist, eben nicht gut genug und so weiter. Da sind ja auch ziemliche Gegensätze aufeinander geprallt. War das im Journalismus genauso?

Dr. Mandy Tröger: Ich denke schon. Also dieser Elitenaustausch der hat ja in der ganzen DDR stattgefunden und auch im Journalismus. Im Journalismus ist es nochmal eine andere Sache. Also jetzt vielleicht nicht wie bei den Banken, sondern dass es dort vor allem erst mal darum ging, welcher Westverlag kriegt welche Ostzeitungen. Dass dann eben auch abhängig vom jeweiligen Westverlag es noch mal eine andere Politik gab, wie wird jetzt genau mit den Zeitungen umgegangen und so. Wie viel Geld wird investiert. Also um Grundsätzliches. Aber dieses Problem, dass dann halt auf Managementebene westdeutsche Eliten quasi kamen, die dann auch unterschiedlich gut kommunizieren konnten, was denn jetzt geht und was nicht geht, das, glaube ich, hat für ganz viel Frust gesorgt.

Also was auch schwierig ist: Die SED-Bezirkszeitungen waren im Prinzip schon Mitte 1990 unter den Großverlagen aufgeteilt. Da war das Ding eigentlich schon in Sack und Tüten, obwohl noch nichts offiziell war. Offiziell wurde es erst mit der Treuhand. Zu der Zeit gab es schon dieses Treuhand-Gesetzgebungsverfahren. So aber richtig angefangen hat sie denn eigentlich erst auch mit der Vereinigung und so. Und die Privatisierung offiziell der SED-Bezirkszeitungen, zehn dieser SED-Bezirkszeitungen, war im April 1991. Und da erst wurde quasi das, was davor in so einer rechtlichen Grauzone passiert ist, wo aber schon Nägel mit Köpfen gemacht wurden, da hat die Treuhand dann im Prinzip das ganze Ding abgesegnet und gesagt, wir machen jetzt ein Umstrukturierungsprozess, wo im Prinzip ein großer Westdeutscher Verlag in einer Region immer nur eine Zeitung haben kann. Das Problem an der Sache ist, dass man da quasi große ehemalige SED-Bezirkszeitungen in ihrer ganzen Masse gehalten hat und die quasi westdeutschem Kapital übergeben hat und damit im Prinzip in den jeweiligen Religionen Monopole blieben. Und die hat man bis heute, und da gab es Initiativen dagegen.

Steffen Grimberg: Was hätte man denn besser machen können. Was gab es für Ansätze?

Dr. Mandy Tröger: Na also zum Beispiel der Verband der Lokalpresse ist dagegen Sturm gelaufen bei der Treuhand, beim Bundesinnenministerium…

Steffen Grimberg: Das ist ein westdeutscher Verband, der vor allem die kleinen Lokalzeitungen repräsentierte, die eben meistens auch nicht den großen Gruppen angehören bis heute.

Dr. Mandy Tröger: Und der ist dagegen Sturm gelaufen, hat gesagt: "Das könnt ihr nicht machen. Ihr übergebt damit quasi einen Markt, der unter monopolistischen, sozialistischen Strukturen kreiert wurde, an westdeutsches Kapital". Und der hat dafür plädiert, dass quasi auch mittelständischen und kleineren Verlagen Teile an diesen ehemaligen SED-Bezirkszeitungen übergeben wurden. Da wurde sich dagegen entschieden, weil Priorität war schnelle Privatisierung, um diese Zeitungen am Leben zu halten und die Arbeitsplätze zu erhalten.

Das heißt: Im Nachhinein hat das Bundesinnenministerium mitbekommen, da gibt es jetzt ein Problem im Osten. Irgendwie gibt es ja eine Pressekonzentration. Machen wir mal eine Studie. In der Studie kam heraus, 1991/92, die dann sagte, im Osten hat sich nicht wirklich viel verändert. Die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen sind immer noch da und immer noch Monopole. Irgendwie ist was falsch gelaufen. Letztlich was dabei herumkam ist, dass sich die Verantwortung dafür immer zugeschoben wurde. Und letztlich wurde der Treuhand diese Verantwortung zugeschoben. Wenn man aber wirklich in die Akten guckt und sieht, wo die Verantwortung liegt, liegt die eigentlich auf Bundesebene, also beim Bundesinnenministerium. Weil das Bundesinnenministerium entschieden hat, den Auftrag der Treuhand nicht zu erweitern. Der Auftrag der Treuhand war nicht zu gucken, wie können wir jetzt hier Pressevielfalt hinkriegen, sondern der Auftrag war, schnelle Privatisierung und Jobs erhalten. Das ist halt eine spannende Sache, weil man da auch irgendwie sieht, wie sehr die Treuhand da in diesem Fall jedenfalls Spielball war und da irgendwie schnell so der Schwarze Peter bei ihr gesehen wird, ohne wirklich zu gucken, wo liegt denn jetzt wirklich da die Verantwortung?

Steffen Grimberg: Sie haben ja schon was gesagt zu den Auswirkungen, die das bis heute hat, eben die Zeitungsstruktur ist de facto mehr oder weniger die der ehemaligen DDR. Nur das viele Titel jetzt fehlen, die es in der DDR zwar mit einer geringen Auflage immer noch gab von den sogenannten Wendezeiten. Also Neugründungen wie, ich erinnere mich an Die andere Leipzig, Die andere Berlin, und so weiter. Die gibt es auch nicht mehr. Es gab ja auch ganz spannende Geschichten. Man hat ja auch auf dem Boulevard-Markt versucht, der Bild-Zeitung Konkurrenz zu machen. Ich erinnere mich an ein Wahnsinnsgespräch 1990 mit einem Herrn, der war bei der Leipziger Volkszeitung damals der Redakteur für Volkskorrespondenten - das waren so Laien-Journalisten, die eben so vor allen Dingen aus dem Lokalen berichteten und für Leserbindung, das war ja auch in der DDR schon wichtig - der hat gesagt: "Na, hier in der DDR sind alle so gebildet, die Bild-Zeitung wird hier nicht reüssieren, die wird keinen Fuß auf den Boden bekommen." Das hatte sich natürlich dann schon kurz nach der Wiedervereinigung (erledigt), war diese These sozusagen widerlegt.

Aber es gab ja auch ganz spannende Versuche, im Territorium der ehemaligen DDR neue Boulevardzeitungen aufzumachen. Die Super-Zeitung, wo Robert Maxwell, ein britischer Unternehmer mit Burda glaube ich zusammen war, an den Start ging und spektakulär scheiterte. Dann auch so Krauter, die eine wunderbare Zeitung machten Super, Ossi, mit einer lila Schmuckfarbe. Da habe ich noch welche auf dem Speicher liegen. Also das war eine irre Zeit. Eigentlich sagt man ja heute auch hier in unserem Start-up-Zeitalter ja: "Gute Ideen setzen sich durch." Lag das vielleicht auch daran, dass die Ideen nicht gut waren? Oder war es wirklich diese massive wirtschaftliche - ja ich sage mal - Engführung auf die bestehenden Strukturen, wo dann einfach den Neuanfängern kein Raum zum Atmen blieb, weil man dummerweise zumindest damals ja noch - das Internet gab es noch nicht - wirklich Zeitungen machen musste, also auf tote Bäume über Nacht noch Wörter drucken und die dann auch noch sehr aufwendig verteilen?

Dr. Mandy Tröger: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten. Man kann sich den Inhalt angucken oder es wird häufig gesagt: Die wussten gar nicht, was sie da wirklich schreiben. Das war kein guter Journalismus. Dem muss ich widersprechen. Ich gucke mir Strukturen an, und ich gucke mir an, wie quasi früh strukturelle Abhängigkeiten geschaffen wurden. Und ich gucke mir an, wie Strukturen quasi verschiedenen Interessen geholfen haben und anderen eben nicht geholfen haben, sondern die sind durchs Raster gefallen. Und man kann ganz klar sagen, dass einfach auf einer strukturellen Ebene, ganz unabhängig vom Inhalt, neu gegründete Zeitungen in der DDR keine Chance hatten. Also die hatten ganz klar mit materiellen Schwierigkeiten zu kämpfen und vor allen Dingen auch mit dem Vertrieb. Also die Fragen stellen wir uns ja nicht mehr, weil man denkt alles ist so selbstverständlich. Aber wie kommt die Zeitung an die Leser und die Leserin? Es war zum Wendejahr 89/90 ein ganz, ganz großes Problem für viele Neugründungen, die einfach keine Möglichkeiten hatten, diese Zeitung irgendwie an die Leser zu bringen, an den Kiosk zu bringen, wie auch immer. Weil der Postzeitungsvertrieb der DDR war marode, alt, war den ganzen Neugründungen überhaupt nicht gewachsen.

Steffen Grimberg: Der Postzeitungsvertrieb in der DDR war aber die zentrale Einheit, der die Zeitungen verteilt hat. Nicht nur an die einzelnen Abonnentinnen und Abonnenten, die das morgens in den Briefkasten kriegten, sondern eben auch an die Zeitungskioske und die sonstigen Verkaufsstellen.

Dr. Mandy Tröger: Die hatten quasi ein Monopol, also auf alles, was mit Vertrieb zu tun hatte. Was aber 1990 passierte und da ist es irgendwie witzig, dass Sie jetzt eben auch die Bild ansprechen. Schon im Juni hat die Bild-Zeitung geschrieben: "Wir haben jetzt eine Million Bild-Zeitungen im Osten verkauft." Das wäre ja nicht möglich gewesen ohne die Infrastruktur dahinter. Was nämlich da passiert ist, ist, dass sich der Springer-Verlag mit drei anderen Großverlagen aus dem Westen zusammengetan hat und einen verlagsabhängigen Vertrieb in der DDR aufgebaut hat im März 1990.

Steffen Grimberg: Das ist etwas, was im Westen, also in der BRD alt oder wie immer wir sie nennen wollen, eigentlich verboten ist. Denn bei uns heißt das System Grosso, Presse-Grossisten. Das ist extra so konstruiert, dass das eben niemanden benachteiligt und vor allen Dingen so, dass da nicht ein großer Verlag sagt: Ich habe da ganz viel zu sagen, und deswegen liegen meine Titel ganz vorne oder werden meine Titel irgendwie bevorzugt. Und schizophrener Weise ist aber genau das, was im Westen sogar ausdrücklich verboten ist, dann im Osten gemacht worden. Und jeder hat es gewusst. Aber keiner, was gesagt.

Dr. Mandy Tröger: Diese vier Verlage, Springer und Co., die hatten…

Steffen Grimberg: Wir können die anderen nennen.

Dr. Mandy Tröger: …das waren Burda, Bauer und Gruner & Jahr. Sie waren in Verhandlung - erst unabhängig voneinander, dann zusammen - mit der DDR-Regierung für so einen Joint-Venture, wo halt überlegt wurde, wie kriegen wir diese Westzeitungen in den Osten. Als diese Verhandlungen dann gescheitert sind, auch am Runden Tisch und am Ministerrat der DDR, haben dann diese vier Verlage die ganze Sache in die eigene Hand genommen und haben am 5. März 1990 quasi die DDR in vier Vertriebsregionen eigenständig aufgeteilt und haben sich dazu verpflichtet, ihre eigenen Produkte und die der anderen quasi direkt zu vertreiben.

Steffen Grimberg: Aber eben nur von diesen vier Verlagen?

Dr. Mandy Tröger: Also 70 Prozent waren von den vier Verlagen, 30 Prozent haben sie dann noch einmal zugenommen, weil kleinere und mittelständische BRD-Verlage protestiert hatten und gesagt haben: Das kann doch nicht sein, dass ihr jetzt so einen Marktvorsprung habt im Osten. Was es ja dann auch effektiv war. Also die hatten dann eben 70 Prozent. Es waren die eigenen Publikationen. Und dann haben sie angefangen Anfang März, an mehr als 3300 Stellen, also Läden, Fleischer, Bäcker und so, ihre Zeitungen zu liefern. Dann, drei Wochen später, so funktioniert halt Markt, fingen sie an, sich gegenseitig trotzdem zu bekriegen und zwar durch Preiskrieg. Also sie fingen dann an, quasi zu Dumpingpreisen ihre Zeitungen zu verkaufen, um so schnell wie möglich und so gut wie möglich neue Leser für die Zukunft auch ranzukriegen.

Steffen Grimberg: Das war natürlich für die Zeitungen der ehemaligen DDR, wo die Subventionen die es zu DDR-Zeiten reichlich gab gerade weggebrochen waren, wahrscheinlich dann der nächste Schlag ins Kreuz.

Dr. Mandy Tröger: Genau. Diese Dumpingpreise konnten sich eben auch nur finanzstarke westdeutsche Verlage leisten. Da waren die ganzen kleinen und mittelständischen Verlage raus.

Steffen Grimberg: Und die Neugründungen in der DDR erst recht…

Dr. Mandy Tröger: …erst recht. Da fielen ganz viele wieder raus. Und das war wirklich ein Kampf unter den Großverlagen des Westens in der DDR, um frühzeitig hier ihre Claims abzustecken. Da muss man ganz klar sagen, das ist einfach auf einer, da guckt man wieder auf dieser strukturellen Ebene, fielen da einfach diese Neugründung ganz klar heraus. Die mussten sich ganz frühzeitig mit aggressiven Marketingstrategien auseinandersetzen, wo sie gerade erst dabei waren, überhaupt Laufen zu lernen. So zum Beispiel das Medienministerium, was es damals gab dann für diese Übergangszeit, hat darüber gesagt: Wir brauchen so eine Art Schonfrist. Ja, also eine Frist, in der unsere eigenen Zeitungen erst mal Laufen lernen und das ging überhaupt nicht mit Marktdenken einher.

Steffen Grimberg: Machen wir den Fokus jetzt zum Schluss des Gesprächs noch mal ein bisschen auf. Wir diskutieren jetzt zum dreißigsten Jahrestag der Wende und der Wiedervereinigung, wie gucken die Deutschen denn aufeinander? Gibt es da überhaupt noch Ost und West? Es gibt zum Beispiel den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Herrn Haseloff, der sagt dann immer gerne ein bisschen spöttisch, wenn er von ARD und ZDF spricht und die Intendantinnen und Intendanten ärgern möchte, es ist doch Westfernsehen. Es gibt also immer noch diese Wahrnehmung, an der glaube ich auch ein bisschen - weiß nicht wie Sie das sehen - dran ist. Die großen überregionalen Zeitungen sitzen überwiegend im Westen oder halt in Berlin, aber auch dann im Westen Berlins. Die großen Anstalten der ARD, das ZDF sitzt in Mainz. Das ist auch nicht gerade die ehemalige DDR. Die ARD hat ja sogar jetzt gesagt ja, vielleicht müssen wir etwas tun. Es sollen Institutionen in die neuen Länder, die lustiger Weise nach 30 Jahren immer noch neue Länder heißen, verlegt werden. Jetzt kommt eine Kulturplattform zum Mitteldeutschen Rundfunk, und gleichzeitig wird in den Tagesthemen ein bisschen mehr Sendefläche freigeschaufelt, um regionale Aspekte besser aufzubereiten, besser abzubilden. Ist da was dran, dass Ost und West sich medial immer noch sozusagen durch die alten Brillen angucken?

Dr. Mandy Tröger: Also, ich lebe jetzt in München…

Steffen Grimberg: …da sitzen wir übrigens auch gerade.

Dr. Mandy Tröger: Ich finde es erstaunlich, wie weit der Osten hier entfernt ist. Also medial, aber auch einfach im ganz alltäglichen Diskurs wird einfach über den Osten nie gesprochen, außer es geht um die AfD oder Pegida, Lügenpresse-Debatten. Das sind so ganz klare Frames, wo man merkt, da geht es um den Osten. Aber es wird zum Beispiel nie über kulturelle Ereignisse, über Alltagserfahrungen (gesprochen). Es ist einfach hier nicht Teil der Wahrnehmung des Ostens. Was jetzt für mich interessant ist, weil ich wirklich aus dem Osten komme, meine Forschung sich damit beschäftigt und ich hier wirklich so allein auf verlassener Flur stehe damit. Weil ich mich ja auch immer wieder frage, was müsste passieren, damit sich das ändert?

Steffen Grimberg: Was müsste denn passieren?

Dr. Mandy Tröger: Was müsste passieren?

Steffen Grimberg: Wir haben zum Beispiel die Debatte, braucht es eine – ich sage es salopp - "Ossi-Quote"?

Dr. Mandy Tröger: "Ossi-Quote". Ganz schwierige Frage, weil ich Ossi bin, und eigentlich müsste ich sagen "Ja". Also was wirklich ein Problem ist, das kann man sich auf der Medienebene angucken im Film, im Journalismus, dass es einfach zu wenige Menschen aus dem Osten, im Osten sozialisiert, Stimmen haben im Medienbereich. Das ist ganz klar. Darüber sind sich zum Beispiel auch die Journalistenschulen klar und sehen, dass es da eine Diskrepanz gibt. Jetzt ist aber die Annahme (falsch), dass wenn wir jetzt mehr Ossis haben, haben wir mehr Stimmen aus dem Osten. Es heißt ja nicht, weil jemand jetzt aus dem Osten kommt, tickt der auf eine besondere Art und Weise - gar nicht.

Steffen Grimberg: Gibt es denn, wenn ich eine Frage einschieben darf, gibt es denn so was wie eine Ost-Identität in ihrer Sicht?

Dr. Mandy Tröger: Ich denke schon. Also ich kann Ihnen das jetzt so sagen, einfach weil ich zum Beispiel das gemerkt habe bei meiner Forschung. Wenn ein Gesprächspartner oder so mitkriegt, dass ich selbst aus dem Osten komme, weil sie schon so viele negative Erfahrungen gemacht haben mit Gesprächspartnern aus dem Westen, die dann ihre Brille aufhaben und dann zum Beispiel ein Gespräch oder die Informationen aus dem Gespräch für ihre eigenen Zwecke nutzen, nach dieser Brille. Sie haben schon so viele schwierige Erfahrungen gemacht, dass wenn sie mitkriegen, ich komme selbst aus dem Osten, bin ich einer von ihnen und dann hat man eine andere Gesprächsebene. Weil, und da glaube ich geht es letztlich darum, Umbruchserfahrung ist ein ganz wichtiger Identitäts- und identitätsstiftender Faktor. Also man kann schwierig nur erklären, was es bedeutet, Umbruchserfahrung zu haben. Also wenn alles um einen herum wegbricht. Also wir haben es jetzt mit Corona, dass Leute denken: "Ach, ich weiß gar nicht, was in einem halben Jahr ist." Also da muss man bei Ostdeutschen gar nicht ankommen, wenn die irgendwie über 89/90 reden. Bei vielen Ostdeutschen, auch bei meiner Familie, spaltet sich das Leben immer noch nach vor 1989/90 und danach. Weil es einfach ein Bruch war im Lebenslauf. Da glaube ich schon, dass es da noch mal andere Gesprächsebenen hat, wenn man mit anderen Ostdeutschen spricht. Das heißt aber nicht, dass wir alle gleich ticken oder wenn wir eine "Ossi-Quote" hätten, dass man dann irgendwie differenzierter über den Osten spricht. Man hätte einfach nur mehr Perspektiven, die nicht unbedingt alle gleich sind. Ich finde immer das Beispiel vom Film ganz gut, die Filmförderung. Warum es so schwer ist für zum Beispiel Andreas Dresen oder Bernd Böhlich mit seinem Film. Warum es so schwer ist, Gelder zu kriegen für Geschichten, die so aus dem stereotypen Diktatur-Rahmen fallen. Da könnte man zum Beispiel anbringen, wenn es mehr Menschen gäbe mit Ost-Hintergrund, wäre es vielleicht auch leichter, diese Geschichte auch ins Kino bringen.

Steffen Grimberg: Es geht jetzt in der fiktionalen Geschichte Andreas Dresen, ein bekannter Regisseur, der eben ganz viele Filme über so deutsch-deutsche Themen gemacht hat. Würde das dann nicht doch für eine Art "Ossi-Quote" sprechen?

Dr. Mandy Tröger: Ich persönlich würde jetzt, wenn es jetzt zum Beispiel um Journalismus geht oder um Filmförderung, würde ich auch eine "Ossi-Quote" oder ostdeutsche Quote gar nicht schlecht finden in dem Wissen, dass es aber auch immer um das Ziel gehen sollte und nicht um die Quote der Quote wegen. Und das ist bei Quoten ganz häufig das Problem, glaube ich, dass es aus den Augen verloren wurde.

Steffen Grimberg: Gibt es denn aus Ihrer Sicht irgendeine Handlungsanweisung, eine Idee, was jetzt sozusagen vielleicht auch 30 Jahre danach noch zu kippen wäre? Wie zum Beispiel die Frage, wie sieht es aus mit dem Lebensgefühl der Medienwirklichkeit der Menschen in den neuen Ländern? Ist das denn so, die wenigstens noch von den regionalen, von den lokalen Medien abgebildet werden, auch wenn die Überregionalen damit vielleicht so ihre Schwierigkeiten haben?

Dr. Mandy Tröger: Also ich finde schon zum Beispiel der MDR macht so ganz, ganz viel, was hier wirklich wenig ankommt. Also hier sage ich wieder in München. (Da) gibt es ganz viel zu tun. Würde ich nicht aus dem Osten kommen, würde ich nicht wissen, wie die Lebensrealität von Ostdeutschen ist und ich weiß, ich komme auch aus Berlin, das ist noch mal eine andere Nummer. Ich finde gerade Medien, und gerade im journalistischen Bereich (haben die Aufgabe), Erfahrungshorizonte darzulegen und Menschen hier sichtbar zu machen. Was es bedeutet, Umbruchserfahrung gehabt zu haben. Und was auch bedeutet - da kommen wir wieder zurück zu den Zeitungen - die Zeitungen, die gestorben sind oder die irgendwie untergegangen sind, stehen nur symptomatisch für eine viel größere Erfahrung. Und dass die war, dass Menschen viel Herzblut reingesteckt haben, viel Hoffnung, viel Idealismus in eine Sache, die dann letztlich ganz häufig untergegangen ist oder die kaputtgemacht wurde oder keiner zugehört hat. Diese Erfahrung, da mal wirklich nachzufragen und Leute erzählen zu lassen, das bräuchte man mehr, um auch auf beiden Seiten so mehr Verständnis zu kreieren für das, was gerade abgeht. Man kann heute den Osten verstehen, wenn man zurückgeht und sich die letzten 30 Jahre auch ansieht.

Steffen Grimberg: Sagt Mandy Tröger, die über die DDR-Zeitungen forscht und wie wir jetzt gerade gehört haben, mit spannenden Erkenntnissen aufwarten wird, ob die FAZ nur hinter den Immobilien her war. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Mandy Tröger: Genau! Danke Ihnen.

* Der Podcast wurde am 9. September 2020 in München aufgezeichnet.

Weitere Infos zum Autoren Steffen Grimberg

Steffen Grimberg, Jahrgang 1968, stammt aus dem Ruhrgebiet und volontierte 1991 bei der aus dem Erfurter SED-Bezirksorgan Das Volk hervorgegangenen Thüringer Allgemeine. Schon zu DDR-Zeiten war für ihn Leipzig die spannendste Stadt in Ostdeutschland, weshalb er nach Stationen in Köln, Berlin und Hamburg 2016 beim MDR anheuerte.