Interview mit Katharina Kleinen-von Königslöw "Gute Satire muss Kritik enthalten"
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04. August 2021, 15:24 Uhr
Es ist ein Kernelement der Satire zu testen, was sagbar ist und was nicht, meint Prof. Katharina Kleinen-von Königslöw. Aber Satire wird auch für ideologische Ziele missbraucht, so die Kommunikationswissenschaftlerin.
Markus Hoffmann: Herzlich willkommen bei MEDIEN360G. In diesem Monat geht es um Journalismus und Satire, und ich sitze heute hier in Hamburg mit Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw, Kommunikationswissenschaftlerin. Was machen Sie genau, Frau Professor?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Ich forsche dazu, wie sich die politische Öffentlichkeit durch Digitalisierung verändert und insbesondere in sozialen Medien. Dabei spielt politische Satire inzwischen mehr und mehr auch eine Rolle.
Markus Hoffmann: Wie hat sich Satire entwickelt? Das ist ja kein neues Phänomen. Das gibt es ja recht lange.
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Politische Satire gibt es, seit es Politik gibt. Ich schaue mir das halt insbesondere an, wie sich politische Satire im Fernsehen, im Internet und in den sozialen Medien gestaltet. Politische Satire im Fernsehen hat eigentlich relativ lange gebraucht, um in Deutschland Fuß zu fassen. Frühere Versuche in den 60er-Jahren, beispielsweise im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das ist in der Regel gescheitert (und) schnell abgesetzt worden, weil sich irgendjemand zu sehr auf den Schlips getreten gefühlt hat. Die Kirche wurde kritisiert, die Politik, das sah man damals nicht gerne. Aber seit den 90er-Jahren sehen wir mehr und mehr politische Satireformate im Fernsehen, sowohl im Öffentlich-Rechtlichen als auch im Privatfernsehen. Und jetzt, seit es das Internet gibt, haben wir einen unglaublichen Boom.
Markus Hoffmann: In den 90er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre schwappte, was als Comedy bekannt ist aus den Vereinigten Staaten herüber. Wie hat das die Satireszene, die in Deutschland eher kabarettistisch geprägt war und die kleine Bühne gesucht hat, das System beeinflusst?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Wir sehen tatsächlich: Traditionell in Deutschland ist politische Satire etwas, was eng verknüpft ist mit dem Kabarett und auch oft einen gewissen pädagogischen Zeigefinger hatte. Dann, über die Einführung des Privatfernsehens, die Kommerzialisierung des Ganzen, kam immer mehr amerikanische oder angelsächsische Einflüsse, die viel spielerischer mit der Kritik an Politik umgehen, sodass wir eine zeitlang Formate hatten, ähnlich wie Saturday Night Live, die sich im deutschen Fernsehen dann eher spielerisch mit politischen Figuren auseinandergesetzt haben, aber eher nicht kritisch waren. Es war eher eine Phase von: Alles war lustig. Man konnte sich jetzt auch über alles lustig machen. Was dazu geführt hat, dass wir im Fernsehen sehr viel Humor gesehen haben, aber vielleicht nicht unbedingt immer Satire im Sinne von einer Kritik an Politik.
Markus Hoffmann: Also war der Unterhaltungsanteil quasi höher. Könnte man sagen, mehr Unterhaltung und weniger Kritik ist dann besser oder sollte es andersherum sein? Oder ist gute Satire so ein Gleichgewicht aus beidem?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Also gute Satire sollte tatsächlich sowohl humorvoll sein, um die Leute auch mitzunehmen und die Kritik gut verdaulich zu gestalten. Aber sie sollte natürlich auch ein Element von tatsächlicher Kritik enthalten. Es sollte tatsächlich um gesellschaftliche Normen gehen, die verletzt werden. Und die dann eben einen Anspruch haben, auch auf Sachen hinzuweisen, die vielleicht sonst nicht so im Blickfeld der Leute sind.
Ein Beispiel wäre Rudis Tagesshow aus den 80er-Jahren. Vielleicht kennt das noch der ein oder andere. Das ist ein Format, das hatte formal tatsächlich Politik mit auf dem Zettel, war aber letztendlich so harmlos, dass glaube ich, kaum jemand von den Zuschauerinnen und Zuschauern wirklich politische Informationen mitgenommen hat oder danach kritischer gegenüber Blüm oder den anderen eingestellt war.
Markus Hoffmann: In den letzten Jahren sind Satireformate in den Vereinigten Staaten sehr stark geworden. Vor allen Dingen junge Menschen schauen das sogar mehr als normale Nachrichtensendung, woran liegt diese Entwicklung?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Einerseits haben wir in den USA eine ganz andere Nachrichtenlandschaft. Das heißt, generell gibt es da eigentlich weniger Möglichkeiten für junge Leute, sich gut zu informieren über Politik oder ähnliches. Und letztendlich füllen Satireshows wie The Daily Show mit John Stewart oder Last Week Tonight eine Lücke, die dort besteht, indem sie tagtäglich politische Informationen so aufbereiten, dass es die jungen Leute auch erreicht, für die es einfach auch gut konsumierbar ist. Das ist dann Gesprächspunkt, darüber kann man sich mit seinen Freunden im College unterhalten. Und auf die Art und Weise haben solche Formate auch Interesse an Politik (bei) Menschen geweckt, die sonst überhaupt nicht erreicht werden von dem, was es an klassischen Nachrichtenformaten dort gibt.
Markus Hoffmann: Sie hatten eingangs gesagt, dass gerade in den 90er-Jahren die deutschen Satireformate sich sehr an den amerikanischen Formaten orientiert haben. Wenn wir das, was Sie gerade gesagt haben, noch dazu nehmen, ist so eine Entwicklung auch in Deutschland eventuell in Zukunft absehbar?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Also gerade, wenn wir an soziale Netzwerke denken, dann sehen wir, dass zum Beispiel Menschen, die sich über soziale Netzwerke informieren, dort ganz selbstverständlich auf Satireformate zurückgreifen.
Also ich glaube ja, wir sehen diese Entwicklung, das werden wir auch in Deutschland haben. Insbesondere, wenn wir dann auch mal tägliche Informationsformate bekommen, die satirisch aufbereitet sind, dass das für viele junge Menschen, aber auch darüber hinaus, eine interessante Option ist, sich über Politik zu informieren. Weil in der Regel ist es ja schon so, das klassische Nachrichtensendungen eine gewisse Zugangshürde haben. Man muss sich selbst irgendwie ein bisschen für Politik interessieren, um den Zugang dazu zu finden.
Satireformate bieten dann so einen Einstieg, dass man erst mal über den Humor kommt. Die Freunde lachen darüber, die reden darüber und man schaut sich das dann auch an. Gerade wenn es jetzt so in schönen kleinen Abschnitten angeboten wird wie in sozialen Medien. Und wenn es einem dann gefällt, dann wird man vielleicht Fan und schaut das regelmäßiger und informiert sich dann auf diesem Wege über Politik.
Markus Hoffmann: Sollten sich dann die Redaktion von den großen öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Outlets, dem heute-journal und der Tagesschau beziehungsweise den Tagesthemen daran orientieren und eventuell selber mit solchen Elementen arbeiten. Oder sollten sie das Formaten wie extra 3 oder der heute-show überlassen und weiter seriös Nachrichten machen?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Also was die Tagesschau und andere öffentlich-rechtliche Formate und auch andere private Nachrichtenformate ja durchaus machen, ist zu versuchen, die junge Zielgruppe besser anzusprechen. Und sei es, dass sie auf TikTok gehen und dort Hintergrund-Filmchen produzieren oder YouTube-Formate entwickeln, mit denen die junge Zielgruppe besser erreicht werden kann, wo die Ansprache einfach der Zielgruppe besser entspricht. Ich glaube, die Vermischung von einer klassischen Nachrichtensendung mit einem Satireformat finde ich schwieriger. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht wäre es wichtiger, dass die Nachrichtenmarken, klassische Nachrichtenmarken wie beispielsweise die Tagesschau, sich auch die Ernsthaftigkeit erhalten, die sie haben und damit erkennbar bleiben.
Wenn die Tagesschau etwas sagt, dann ist das primär eine Information und nicht Humor. Das soll sie aber nicht daran hindern zusätzlich Formate zu entwickeln. Die Tagesschau light, es gibt ja auch die Tagesschau in ganz kurz. Es gibt auch die Outtakes aus der Tagesschau, um auf die Art und Weise noch einmal für eine junge Zielgruppe einfach zugänglicher zu sein.
Markus Hoffmann: In den letzten zehn Jahren ist mit Aufkommen von sozialen (Netzwerken) noch einiges an Ausspielkanälen dazugekommen, um gerade junge Menschen zu erreichen, wo dann auch Satire sehr stark bespielt wird. Hat das der ganzen Sache noch einmal einen Push gegeben?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Auf jeden Fall. Wir haben das Phänomen, dass im Fernsehen gar nicht genügend Platz war und auch nicht das richtige Publikum für längere Satireformate. Über soziale Medien ist es viel einfacher für solche Formate ein Publikum zu erreichen.
Diese kleinen Snippets sind einfach gut zu teilen. Sie haben diese soziale Komponente dabei, dass man sich gleich mit seinem sozialen Netzwerk darüber austauschen kann, gemeinsam lacht, teilt und kommentiert und das ist ja auch Teil der sozialen Funktion, die soziale Netzwerke haben.
Deswegen ist das ein optimales Format. Da geht vor allen Dingen um Audiovisuelles. Da kann man eben auch kurze Beiträge bringen. Man kann sie tagesaktuell bringen. Das ist in heutigen Zeiten einfach unglaublich wichtig. Eine wöchentliche Satiresendung ist ja immer zu Dreiviertel veraltet, auf eine gewisse Art und Weise, und in den sozialen Medien kann man tagesaktuell, sehr gut zugänglich Dinge präsentieren.
Markus Hoffmann: Momentan gibt es viele Diskussionen über Satire. Was darf Satire? Was darf Satire nicht? Wie weit darf man gehen? Und dann gibt's die #allesdichtmachen-Aktion, die wir dieses Jahr im Mai gesehen haben. Was darf Satire nicht oder was sollte sie nicht tun? Und was sollte sie tun?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Es ist ein Kernelement der Satire, dass Satire aushandelt, was sie tun darf. Es muss auch immer darum gehen, an die Grenze zu gehen und zu testen: "Was sind denn unsere gesellschaftlichen Normen von dem, was sagbar ist und was nicht?" Das heißt, wir werden immer Satire haben, die an den Normen kratzt. Aber das ist eben auch ihre Funktion. Es geht darum, dass die Gesellschaft etwas sieht und sich dann darauf verständigt: "Nein, heutzutage reden wir nicht mehr so über unsere Mitmenschen.", beispielsweise. "Wir verwenden diese Wörter nicht mehr." Dass sich die Gesellschaft das anguckt und das zurückweist. Aber Satire sollte eben immer weiter testen, wo sind denn die Grenzen, bis wohin können wir gehen. Einfach um sicherzustellen, dass Satire auch kritisch genug bleibt.
Markus Hoffmann: Grenzen austesten ist das eine. In den letzten 40 bis 50 Jahren war Satire eher politisch links verortet. Jetzt wird Satire auch mit Inhalten bespielt, die eher im rechten Milieu zu verorten sind, die eventuell antisemitisch sind, die fremdenfeindlich sind und die sich hinter dem "Wir machen doch nur Satire." verstecken. Ist es gefährlich? Oder ist es eine Grenze, die Satire austesten sollte und man das aushalten muss?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Also wir sehen zunehmend, dass eben auch rechte Milieus versuchen, über Humor und eben damit auch über Satire ein Publikum zu erreichen und Leute für ihre Ideen, für ihre Ideologie zu gewinnen. Insofern ist das tatsächlich ein sehr wirksames Mittel, um Menschen dazu zu kriegen, eher mit rechten Ideologien mitzugehen.
Zentral dabei ist, dass es eben ein Aushandlungsprozess in der Gesellschaft ist. Wenn die Gesellschaft dem etwas entgegensetzt und sagt: "Genau das ist die Form von Dialog, die wir nicht mehr führen wollen in der Gesellschaft.", (können) eben auch rechte Impulse wirksam zurückgedrängt werden. Aber da muss man eben auch als Gesellschaft und eben als Mehrheit der Gesellschaft im Zweifelsfalle klar Stellung beziehen gegenüber den antisemitischen Satiren. Klar sagen: "Nein, das kannst du zwar Satire nennen, aber es ist eine Form von Satire, die Menschen in einer Art herabwürdigt, das sehen wir so nicht." Also wir brauchen dann auch den Gegenwind zu der Satire.
Markus Hoffmann: Und der kommt natürlich aus der Gesellschaft selbst?
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Der sollte aus der Gesellschaft selbst kommen. Ja.
Markus Hoffmann: Ja, wir haben es in der Hand. Ich habe mit Frau Prof. Katharina Kleinen-von Königslöw sprechen dürfen, hier an der Universität in Hamburg. Ich bedanke mich bei den Zuschauern im Netz und bedanke mich natürlich auch bei Ihnen Frau Professor. Schön, dass Sie heute Zeit uns hatten.
Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw: Sehr gerne, vielen Dank.