Interview mit Dr. Dennis Lichtenstein "Je mehr Politik, desto besser schneidet Satire ab"
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03. August 2021, 17:51 Uhr
Satire bietet die Möglichkeit, Politikthemen ansprechend zu vermitteln, sagt der Kommunikationswissenschaftler Dennis Lichtenstein. Er hat Formate wie heute-show und Die Anstalt auf ihren Politikanteil hin untersucht.
Markus Hoffmann: Hallo und herzlich willkommen bei MEDIEN360G. In diesem Monat dreht sich bei uns alles um das Thema Satire. Und ich bin heute im Gespräch mit Dr. Dennis Lichtenstein, der neben mir sitzt. Er ist Kommunikationswissenschaftler an der Österreichischen Akademie der Wissenschaft. Ja, schön, dass Sie heute Zeit haben. Hallo, Herr Dr. Lichtenstein.
Dr. Dennis Lichtenstein: Ja, hallo. Schön, dass es klappt.
Markus Hoffmann: Vielleicht können Sie ganz kurz erklären: Kommunikationswissenschaftler, Österreichische Akademie der Wissenschaft, was machen Sie genau? Womit beschäftigen Sie sich?
Dr. Dennis Lichtenstein: Ja, ich beschäftige mich mit Fragen der politischen Kommunikation. Da sind ganz ernsthafte Themen dabei, zum Beispiel: Wie sieht eine europäische Öffentlichkeit aus. Wie wird Europa in verschiedenen Medienöffentlichkeiten dargestellt? Auch Fragen der politischen Krisenkommunikation beschäftigen mich und nicht zuletzt eben auch Themen der unterhaltenden Politikvermittlung in Talkshows und YouTube-Formaten und nicht zuletzt die politische Satire.
Markus Hoffmann: Woher kommt dieses Interesse gerade an Satire in der Kommunikationswissenschaft?
Dr. Dennis Lichtenstein: Bei mir persönlich vermischen sich da so ein bisschen privates Interesse und akademisches Interesse. Ich bin natürlich auch Mediennutzer und auch selber ein Freund von Satiresendungen. Aber davon unabhängig entwickelt sich die Relevanz von politischen Satireformaten sprunghaft in den letzten zehn Jahren. Es schießen die Formate geradezu aus dem Boden. Die Nutzung nimmt zu und insofern stellt sich auch die Frage nach den Wirkungen und nach den Inhalten von Satireformaten, so wie auch die Frage: Was wollen die Satiriker eigentlich wirklich? Wollen die in der Öffentlichkeit etwas bewirken? Wollen die als Journalisten auftreten oder ist nach wie vor Unterhaltung ein Primärinteresse der Satiriker?
Markus Hoffmann: Wie kommt es, dass es gerade in den letzten zehn Jahren, wie Sie das angesprochen haben, so ein Aufpoppen von Satireformaten gibt, was es vielleicht vorher so nicht gab?
Dr. Dennis Lichtenstein: Man kann das insgesamt in einem Kontext sehen von einer zunehmenden Unterhaltungsorientierung in der medialen Politikvermittlung. Das hängt mit einer größeren Konkurrenz zwischen einer wachsenden Anzahl (von) Medienunternehmen zusammen, sicherlich auch mit dem Online-Bereich, der die Konkurrenzsituation noch einmal verstärkt. Und da ist Unterhaltung oder Satire ein Mittel, um eben publikumswirksam auch Politik weiter zu vermitteln, auch das Publikum zu erreichen. Und das Schöne ist, dass wir seit der heute-show wissen, dass Satire und Quote auch miteinander vereinbar sind. Das war damals für das ZDF selbst völlig überraschend. Aber seitdem weiß man, dass Satire im Fernsehen eben auch erfolgreich sein kann, selbst wenn sie schwere Themen wie Politik mit adressiert. Und entsprechend hilft das auch dabei, dass Satireformate weiter produziert werden und in der TV-Landschaft zunehmen.
Markus Hoffmann: In Ihrer Veröffentlichung aus dem Jahr 2018 "Politikdarstellung in der deutschen Satire" haben Sie die drei größten Formate, die es im Fernsehen gibt, die heute-show, Die Anstalt und Jan Böhmermanns - damals noch - Neo Magazin Royale verglichen. Was haben Sie da versucht rauszufinden? Wie sind Sie vorgegangen? Was war die Zielrichtung dieser Untersuchung?
Dr. Dennis Lichtenstein: Es gibt in der Wissenschaft zwei ganz große Thesen zur Satire: Die einen sagen, Satire ist das Böse an sich, weil sie dazu führt, dass Politik völlig inhaltsentleert dargestellt wird, nicht mehr in die Tiefe geht und beim Publikum ein zynisches Politikbild mit erzeugt wird. Und es gibt die Gegenthese, die sagt: Bei dem ganzen Medienumbruch, den wir haben, vielleicht auch einem Journalismus, der sein Publikum nicht mehr erreicht, ist Satire ein Mittel, um Politik auch einem jüngeren Publikum zu präsentieren und die Leute wieder ranzuholen an den politischen und journalistischen Diskurs.
Und wir haben uns jetzt dafür interessiert: Was machen die Inhalte von Satire eigentlich wirklich? Also wie viel Politik und wieviel Orientierung finden wir da drin? Und was wollen eigentlich die Satiriker? Wollen die als Journalisten auftreten oder haben die andere Ziele? Wir haben uns jetzt erstmal die Inhalte von drei Satireformaten angeguckt, bei denen wir schon wussten, dass die in ihrer Ausrichtung sehr unterschiedlich sind. Und wir haben versucht zu messen, wie viel Politik steckt jetzt drin? Wie groß der Informationsgehalt in diesen drei Formaten und wie groß ist der Orientierungsgehalt?
Markus Hoffmann: Wie kann man das messen?
Dr. Dennis Lichtenstein: Wir haben uns erst mal angeschaut: Wie ist der Anteil der politischen Themen am Gesamtthemenspektrum der Formate überhaupt? Und inwieweit wird Politik jetzt jenseits eines Schlagzeilenhumors noch tiefer gehend mit Kontextualisierung und politischen Hintergründen präsentiert? Das wäre die Informationsfunktion.
Mit Blick auf die Orientierungsfunktion haben wir uns angeschaut, inwieweit werden Meinung und Kritik zur Politik mit Argumenten fundiert und untermauert? Oder ist es vor allem ein weitgehend flacher, kritischer Humor, der zwar Kritik äußert, aber eben keine Argumente mit präsentiert? Wir haben uns auch Politikerbewertungen angeschaut, und da macht es einfach einen Unterschied, ob man auf Charaktereigenschaften abzielt, von Politikerinnen und Politikern, die aber für die politischen Auseinandersetzungen eigentlich relativ irrelevant sind. Oder ob man sagt, wir schauen uns wirklich die politischen Positionen der Akteure an und das ist die Basis für unsere Bewertung.
Markus Hoffmann: Was haben Sie denn da rausgefunden bei diesen drei Beispielen: heute-show, Die Anstalt und Böhmermann seinerzeit mit dem Neo Magazin Royale?
Dr. Dennis Lichtenstein: Völlig überraschend haben wir Unterschiede zwischen den Formaten gefunden. Und es ist auch tatsächlich nicht so wahnsinnig überraschend gewesen, dass Die Anstalt als das klassische Kabarettformat, den höchsten Anteil an Informationsdichte mit dabei hat, auch den größten Anteil an politischen und gesellschaftspolitischen Themen und auch in der Meinungsbildung sehr stark auf Argumentation geachtet hat.
Die heute-show ist nah mit da dran. Die Sendung von Jan Böhmermann zu dieser Zeit war noch am wenigsten politisch ausgerichtet. Die Sendung hat seitdem eine starke Entwicklung genommen. Also Böhmermann hat sich wahnsinnig politisiert innerhalb der letzten Jahre.
Markus Hoffmann: Hat er Ihre Studie gelesen?
Dr. Dennis Lichtenstein: Höchstwahrscheinlich. Es ist tatsächlich überliefert, dass er die Studie zur Kenntnis genommen hat. Es gab auf seinen Social-Media-Kanälen auch ein paar Anspielungen darauf. Ich würde aber nicht so weit gehen, dass das der Anlass war, dass er tatsächlich sein Format umgestellt hat, sondern da unterstelle ich durchaus auch intrinsisches Interesse und auch eine Politisierung der Person Jan Böhmermann.
Markus Hoffmann: Das heißt, je mehr Hintergrundinformationen man hat, desto besser kommt eigentlich Satire an. Je weniger Hintergrundinformationen man hat, desto schlechter. Habe ich das richtig verstanden?
Dr. Dennis Lichtenstein: Je mehr Politik, desto besser schneidet Satire in unserer Studie ab, wo wir nur die Inhalte von Satire in den Blick nehmen und gar nicht auf die Wirkung fokussieren. Da muss man noch mal ganz andere Fragen stellen.
Wir wissen jetzt durch unsere Studie: Satire ist nicht gleich Satire. Sondern es gibt sehr unterschiedliche Ausprägungen, sehr unterschiedliche Schwere an Satire vielleicht auch, wo Informationen dann noch mal mit beigemischt wird in unterschiedlichem Gehalt.
Bei den Wirkungen muss man jetzt ganz neue Überlegungen anstellen: Es kommt erstmal darauf an, welche Art von Satire konsumiert jemand. Zweitens: Wer ist denn eigentlich die Person, die Satire konsumiert, also welche Voreinstellungen hat der oder die, welches Vorwissen eben auch. Und drittens: Was denkt denn die Person eigentlich, was er oder sie da konsumiert? Also glaubt jemand, ich sehe jetzt ein reines Unterhaltungsprogramm, oder glaubt jemand, ich sehe jetzt so einer Art von lustigen Nachrichten. Entsprechend wird auch die eigene Aufmerksamkeit für die Informationen, die geliefert werden, nochmal unterschiedlich ausfallen.
Und das hat dann natürlich einen ganz entscheidenden Einfluss auch auf die Wirkung von Satire. Also, einfach nur die These aufzustellen, viel Inhalt bedeutet gleichzeitig große Wirkung, das ist eine starke Vereinfachung. Das kann so nicht gelten, sondern auch das Neo Magazin Royale in der alten Ausstattung mit relativ wenig politischer Tiefe, dem kann man eine Wirkung unterstellen, wenn es eben auf ein Publikum trifft, das nicht besonders stark informiert ist und vielleicht auf diese Weise das erste Mal angekratzt wird zu politischen Themen und motiviert wird, noch mal ein bisschen tiefer selber reinzugehen und zu fragen: "Hey, was ist eigentlich los mit dem Thema? Ich informiere mich jetzt einfach mal selber übers Netz oder vielleicht auch über klassische Medien."
Markus Hoffmann: Jetzt haben Sie gerade gesagt, es gibt verschiedene Arten von Satire. Wie dröselt sich das auf? Wie schlüsselt sich das auf?
Dr. Dennis Lichtenstein: Wir kennen die klassische Unterscheidung zwischen den Kabarettformaten, die im deutschsprachigen Raum eine ganz große und alte Tradition haben. Die praktisch als Bühnensatire jetzt erstmal noch funktionieren und traditionell dann auch einen gewissen Aufklärungsanspruch nochmal mitliefern. Und dazu haben wir seit den 90er-Jahren vermehrt auch Formate, die aus den USA mit adaptiert worden sind. Das ist ganz klassisch die Nachrichtensatire von Oliver Welke mit der heute-show. Das sind aber auch Late Night Shows, die seit den 90er Jahren immer mal wieder ausprobiert werden und mittlerweile ja auch in Deutschland erfolgreich sind. Das erste Mal mit Harald Schmidt.
Markus Hoffmann: Jetzt kommen wir noch mal ins Hier und Jetzt zurück? Das war Ihre erste Studie vor zwei Jahren. Momentan arbeiten Sie an einer neuen Studie, auch wieder im Kern mit dem Thema Satire. Worum geht es da und was wollen Sie da rausfinden, haben Sie vielleicht schon etwas herausgefunden?
Dr. Dennis Lichtenstein: Da knüpfen wir uns jetzt nicht mehr nur die Inhalte von Satire vor, sondern die Akteure selbst und stellen Interviews, also Tiefeninterviews mit Satirikern und Satirikerinnen in Deutschland an.
Wir haben 13 Interviews geführt und die Leute gefragt: Was sind denn eigentlich Ihre Motivationen? Inwieweit spielen auch normative Ziele, wie Orientierung zu vermitteln oder Informationen an das Publikum heranzubringen, wirklich eine Rolle? Was ist Ihre politische Mission? Und welche Einflüsse gibt es denn eigentlich von Medienorganisationen oder vielleicht auch aus dem gesellschaftlichen Bereich auf die Ausübung ihrer Arbeit?
Und die Ergebnisse sind tatsächlich ganz interessant. Wir sehen unterschiedliche Zugänge zur Satire. Da gibt es Leute, die haben einen starken journalistischen Background und gehen auch an die Satire mit einer journalistischen Vorstellung heran. Das sind dann Ziele der Informationsvermittlung, die eine Rolle spielen.
Es ist aber auch eine gewisse Ethik mit dabei, die dann davon ausgeht, man sollte auf jeden Fall nur gesicherte Informationen verbreiten. Zum Beispiel Aktionen wie der berühmte "Varoufake", als Jan Böhmermann so getan hat, als hätte er einen Einspieler in der Talkshow Günther Jauch manipuliert und dem griechischen Finanzminister Janis Varoufakis einen Mittelfinger mit im Bild untergeschoben. Die wären aus journalistischer Perspektive nicht erlaubt. Da haben wir eine Täuschung der Öffentlichkeit, die erstmal reingegeben wird in den Diskurs. Und es ist eben nicht gewährleistet, ob die breitere Öffentlichkeit die Auflösung des Fakes dann später noch mitvollzieht oder vielleicht die vorgegaukelte Wirklichkeit hängenbleibt. Das wäre aus journalistischer Perspektive also ein No-Go.
Und wir haben im Sampel auch Leute mit drin, die eher einen Unterhaltungsbackground haben, aus der Fernsehunterhaltung kommen. Die sind in dieser Hinsicht ethisch ein bisschen offener aufgestellt und hinzu kommen dann noch Leute aus dem eher künstlerischen Bereich. Das sind Chansonsänger, das sind Kleinkünstler bis hin zur Pantomime, die dann auch wieder eher einen Unterhaltungsbereich mit bedienen möchten, aber eben auch stark von diesen journalistischen Zielen häufig mit abweichen.
Markus Hoffmann: Sind sich die Menschen ihrer Verantwortung bewusst, die sie vielleicht haben aufgrund der medialen Veränderungen, die wir auch haben. Damals war Satire, da hast du 300 Leute im Publikum gehabt. Du wusstest ungefähr, was du sagen musst, weil die Leute sowieso alle auf deiner Seite waren. Und es wird auch nicht weiter herausgetragen. Und heute wird dann irgendwie eine Nummer von Dieter Nuhr in kleinen Häppchen ins Internet gegeben und es gibt einen Shitstorm. Sind sich die Künstler da bewusst, dass sie eigentlich doch sehr mächtig sind und dementsprechende Verantwortung eigentlich auch haben? Oder sagen sie das alles Kunst, das ist in Ordnung?
Dr. Dennis Lichtenstein: Also die Machtfrage wird in der Regel abgelehnt. Da sind Satirikerinnen und Satirker nicht anders als Kollegen aus dem Journalismus, die auch die eigene Wirkung immer mal so ein bisschen auch kleinreden, um eben das eigene Verantwortungsgefühl vielleicht auch nicht zu groß werden zu lassen.
Was sie alle machen mittlerweile ist, nicht das Risiko einzugehen, ungeprüft Informationen zu verbreiten. Allein schon aufgrund des Shitstorms, der dann kommen kann. Und gerade aufgrund des Wissens, das ebenso etwas einem auch im eigenen Programm oder in der Öffentlichkeit wahnsinnig schnell auf die Füße fallen kann. Also journalistische Kompetenz wird von fast allen eigentlich mittlerweile eingeholt. Die müssen ja nicht selber ausgebildete Journalistinnen oder Journalisten sein, sondern sie haben dann redaktionelle Unterstützung oder haben Journalistinnen und Journalisten als Berater mit im Team.
Markus Hoffmann: Also wird der Journalismus für Satire immer wichtiger in den letzten Jahren?
Dr. Dennis Lichtenstein: Ja, das muss man klar so sagen. Satire würde ich nicht gleichsetzen mit Journalismus. Satire hat viele Vorteile und mehr Freiheiten als Journalismus, muss auch nicht ganz so genau sein wie Journalismus. Aber was Satire nicht machen kann, ist, erfundene Informationen oder falsche Informationen einfach zu verbreiten. Das fällt den Leuten selbst auf die Füße.
Markus Hoffmann: Herr Dr. Lichtenstein, ich bedanke mich für dieses interessante Gespräch. Und auch bei unseren Zuschauern im Internet bedanke ich mich. Vielen Dank.
Dr. Dennis Lichtenstein: Vielen Dank Ihnen.