Podcast "digital Leben" Nicht Gründer, sondern Eltern anlocken
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20. November 2021, 11:02 Uhr
Sebastian Rumberg ist wohl ein Tausendsassa: Der 34-Jährige arbeitet seit Jahren für Start-ups, ist mit seiner Familie vor drei Jahren nach Mosigkau bei Dessau-Roßlau gezogen, hat eine Schule gegründet, als Bürgermeister kandidiert und will Familien in die Region locken.
"Entrepreneurs for Villages in Anhalt" – kurz EVA – so hat Sebastian Rumberg sein Projekt genannt, das mit einem Beitrag auf dem Business-Netzwerk LinkedIn begann. "Wir waren hergezogen und haben gesehen, wie schön Sachsen-Anhalt ist. Und dann ist Corona passiert und ich dachte: Vielleicht gibt es noch mehr Leute aus meinem Netzwerk, die Lust haben, im ländlichen Raum zu wohnen."
In dem Post auf LinkedIn zeigte und schilderte er mitten in der Corona-Krise sein Leben in Mosigkau und fragte seine Follower, ob sie sich das nicht auch vorstellen konnten. 1.500 konnten, etwa 350 haben konkreter nachgefragt und aktuell sind zwei Familien in die Region gezogen. Fünf Familien helfe er derzeit, sagt Rumberg.
Was ihm besonders aufgefallen ist: "Viele Menschen in dieser Gründerszene und IT-Branche arbeiten an den tollsten Projekten. Aber gleichzeitig verspüren sie eine innere und ganz menschliche Sehnsucht, zu den eigenen Wurzeln zurückzufinden und für die eigene Familie zu sorgen."
Das Digitale mit dem Regionalen versöhnen
Sie würden eben nicht nur den Jobs hinterher rennen, sondern ihre Kinder in einem Lebensumfeld aufwachsen lassen wollen, in dem sie einfach Kinder sein könnten, glaubt Rumberg. Für ihn ist deshalb klar, weshalb sein LinkedIn-Post so erfolgreich war: Er kann aus eigener Erfahrung ganz authentisch berichten, wie es ist, als Digital-Arbeiter in Anhalt zu leben.
Ich glaube, dass wir authentisch auftreten können, weil wir nichts anderes tun, als zu skizzieren, wie wir hier leben. Und das ist so nah an der Lebensrealität anderer aus der Branche, dass sie sich das auch für sich vorstellen können.
Rumberg spricht die Sprache der Digital-Menschen vermutlich besser als das traditionelle Standortmarketing oder die regionale Wirtschaftsförderung, die solche Menschen gern anlocken wollen. Bemerkenswert: Auch anders als Wirtschaftsförderer und Standortmarketing geht es ihm nicht um Unternehmen, sondern um Menschen. Rumberg sagt: "Wir konzentrieren uns zuerst auf die Menschen. Und der wirtschaftliche Teil, der kommt danach." Und auch anders als regionale Wirtschaftsförderer oder Standortmarketing hat Rumberg in keine teure Werbekampagne investieren müssen.
Rumberg hat bereits 2019 mit 40 Familien die Waldorfschule Dessau gegründet. Und neben seinem Projekt EVA hat Rumberg im Juni 2021 auch als Oberbürgermeister von Dessau-Roßlau kandidiert. Auch wenn er nicht gewonnen hat, sieht er seine Wähler als Mitstreiter in der Sache.
Väter und Mütter statt Unternehmen und Firmen
Rumberg sagt: "Natürlich müssen wir die Wirtschaft ankurbeln und dafür sorgen, dass sich hier auch neue Wirtschaft ansiedelt. Aber das funktioniert anders als vor 20, 30 Jahren."
Unter den Interessenten seien millionenschwere Unternehmer, Selbständige aber auch Angestellte aus der Tech-Branche. Was sie gemein haben: Sie alle haben eine Familie. "Die Leute arbeiten beruflich als Investoren, als Unternehmer und Gründer, als Programmierer, Designer. Aber sie haben alle als Väter und Mütter geantwortet."
Rumberg sieht vor allem vier Gründe, weshalb Regionen wie Dessau-Roßlau attraktiv für diese Menschen sind: "Das ist ein Leben nahe der Natur. Das ist ein deutlich ruhigeres Leben als in den Metropolen. Sie wollen außerdem Teil einer Art Gemeinschaft sein, also in unserem Fall einer Gründer- und Tech-Gemeinschaft. Und der vierte Punkt ist, dass sie sich dieses Leben auch für ihre Familie wünschen."
Und für all diese Gründe könne Dessau-Roßlau und Anhalt Lösungen liefern. Einzige Voraussetzung: ein schneller Internetanschluss. Selbstkritisch sagt er: "Wir müssen alles natürlich erst einmal beweisen. Denn es nutzt niemandem, wenn es nur in der Theorie funktioniert. Aber alles deutet darauf hin, dass es funktioniert." Und so hat Rumberg in den vergangenen Monaten viele E-Mails geschrieben, Leute zu sich eingeladen und sie herumgeführt und ihnen auch bei der Wohnungs- oder Haussuche geholfen.
Ich sage ja nicht, das ist hier der schönste Fleck der Welt. Es ist sehr schön, aber es ist kein Strand in Indonesien, es ist nicht Berlin und nicht einmal Leipzig. Aber es gibt die Möglichkeit, das hier entstehen zu lassen. Und das reizt die Leute sehr.
Die Zukunft von Rumbergs Projekt
In den nächsten Monaten will er noch zehn bis zwanzig 20 Familien helfen, in die Region zu ziehen. Das funktioniere auch in der Freizeit. Aber langfristig soll sein Projekt "Entrepreneurs for Villages in Anhalt" ein am Gemeinwohl orientiertes Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell sein. "Wie das aussieht, weiß ich aber noch nicht."
Rumberg hat gerade eine erste Partnerschaft mit einem Immobilienbüro geschlossen, das dabei hilft, die passenden Objekte zu finden. Am Ende kann EVA vielleicht auch Ideen, Wissen und Mechanismen anderen Regionen zur Verfügung stellen.
Zum Beispiel auch mit dem Umgang mit Verwaltungen. "Da kollidieren ein bisschen die Welten. Ich komme aus einer sehr schnelllebigen Branche. Die ist gut darin, Dinge schnell in Bewegung zu bringen und zu entwickeln", sagt Rumberg. Er finde zwar sehr viel Unterstützung in der Stadt, im Landkreis und auch im Land, aber alles gehe eben doch nicht so schnell wie bei Start-Ups. Aber selbst darin sieht Rumberg etwas Positives: "Oft gehen mir Dinge nicht schnell genug. Aber das ist eine gute Schule, mir selbst Geduld beizubringen."
Die Selbstwirksamkeit auf dem Land
Und Positives erlebt er auch auf seinem eigenen Hof: "Ich wollte selbst nie auf einem Bauernhof wohnen und ich habe mich auch nie dabei gesehen, Gebäude zu renovieren, Hühner zu halten oder eine Pferdekoppel zu bauen." All diese Dinge würden ihn jetzt in Mosigkau beflügeln, sagt Rumberg. Das sei so wie mit dem Eltern-Werden. "Bevor man selbst Kinder hat, kann man sich nicht vorstellen, wie umfassend das eigene Leben verändert wird. Und genauso scheint es mir mit dem ländlichen Leben zu sein."
MDR/Marcel Roth